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Krea­ti­ve Kampf­an­sa­gen an die rei­ne Lee­re
Der Standard

Wo einst Ski­pis­ten wa­ren, pran­gen brau­ne Strei­fen. In ehe­ma­li­gen oder Noch­win­ter­sport­or­ten sind vie­le Häu­ser ver­waist. Bei der Leers­tands­kon­fe­renz in St. Co­ro­na dis­ku­tier­ten Tou­ris­ti­ker, Ar­chi­tek­ten und an­de­re Quer­den­ker über mög­li­che Aus­we­ge.

22. Oktober 2016 - Lukas Kapeller
Wien / St. Co­ro­na – Die Ge­schich­te des Dor­fes St. Co­ro­na am Wech­sel ist bei­spiel­haft für das Schi­cksal vie­ler Win­ter­sport­ge­mein­den. Die er­sten Tou­ris­ten im frü­hen 20. Jahr­hun­dert wa­ren Wall­fah­rer, spä­ter ka­men die Som­mer­frisch­ler, und schließ­lich er­leb­te der Ort mit heu­te 400 Ein­woh­nern ei­ne Hoch­blü­te als Ski­de­sti­na­ti­on.

Streift man durch St. Co­ro­na, zeu­gen man­che Fass­aden noch vom Win­ter­sport­boom. An der Tal­sta­ti­on des auf­grund im­mer wär­mer wer­den­der Win­ter 2014 ab­ge­ris­se­nen Ein­ser­ses­sel­lifts steht noch „Berg­bah­nen St. Co­ro­na“, auch der Wald­gast­hof und an­de­re Be­trie­be tra­gen noch die al­ten Schrift­zü­ge, oh­ne das Ge­mäu­er mit ent­spre­chen­dem Le­ben zu fül­len.

Nicht nur da­rum bot der Ort ei­nen ge­eig­ne­ten Schau­platz für die zwei­tä­gi­ge Leers­tands­kon­fe­renz, die das Ar­chi­tek­tur­bü­ro non­con­form zum fünf­ten Mal ver­an­stal­te­te, heu­er zum The­ma Tou­ris­mus. Vor al­lem auch weil Bürg­er­meis­ter Mi­cha­el Gru­ber ei­nen of­fe­nen Um­gang mit dem heik­len The­ma Leers­tand pflegt und die Ge­mein­de schon man­che Ini­tia­ti­ve ge­setzt hat, sich als Ur­laubs­ziel wie­der ein­mal neu zu er­fin­den.

Das Pro­blem, um Gäs­te kämp­fen und ein Er­folgs­ima­ge erst wie­der for­men zu müs­sen, teilt St. Co­ro­na frei­lich mit vie­len Tou­ris­mus­ge­mein­den. Dass Wan­der­weg, Pen­si­ons­bett und Pom­mes fri­tes kei­nen Er­folg mehr ga­ran­tie­ren, gilt zwar als Ge­mein­gut, die Kon­fe­renz woll­te aber krea­ti­ve Aus­we­ge zei­gen statt ewig glei­cher La­men­tos.

Pas­sen­der­wei­se fan­den die Po­di­ums­ge­sprä­che und Vor­trä­ge nicht in der schi­cken, neu ge­bau­ten Wech­sel Loun­ge statt, son­dern ei­nen Stock tie­fer, dort wo we­ni­ge Ta­ge spä­ter der Ski­ver­leih er­öff­net wer­den soll­te. Denn ganz hat St. Co­ro­na den Win­ter­sport nicht auf­ge­ge­ben, statt ei­nes Ses­sel- gibt es nun ei­nen Tel­ler­lift und ein För­der­band für Fa­mi­li­en mit Klein­kin­dern, die Ski­fah­ren ler­nen, au­ßer­dem ei­ne neue Som­mer­ro­del­bahn, ei­nen Mo­tor­ik­park und eben die ar­chi­tek­to­nisch ge­witz­te Wech­sel Loun­ge, die sich an den sanf­ten Ski­hang schmiegt.

„St. Co­ro­na ist in sei­nem Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess wei­ter als an­de­re Or­te“, at­tes­tier­te Mar­kus Redl, Ge­schäfts­füh­rer der Nie­de­rös­ter­rei­chi­schen Berg­bah­nen-Be­tei­li­gungs­ge­sell­schaft. Das The­ma Leers­tand sei in tra­di­tio­nel­len Win­ter­sport­or­ten lei­der „om­ni­prä­sent“. Er plä­dier­te wie vie­le der wech­seln­den Po­di­ums­gäs­te für ei­ne scho­nungs­lo­se Dis­kuss­ion über das Pro­blem Leers­tand.

„Bad Gast­ein ist über­all“, be­fand Redl im Ge­spräch mit dem Stan­dard . Pa­tent­lö­sun­gen ge­be es je­den­falls nicht und so­mit auch kei­ne rei­ne Leh­re. Un­aus­ge­spro­che­ner Nach­satz: Nicht nur in Nie­de­rös­ter­reich, son­dern bun­des­weit wird sich wohl nicht für al­le ehe­ma­li­gen oder Noch­win­ter­ur­laub­sor­te ei­ne so grif­fi­ge tou­ris­ti­sche Stra­te­gie fin­den las­sen wie in St. Co­ro­na.

Quer­schüs­se und Vi­sio­nen wa­ren bei der von Stan­dard -Ar­chi­tek­tur­jour­na­list Woj­ciech Cza­ja mo­de­rier­ten Leers­tands­kon­fe­renz aus­drü­cklich er­wünscht. Der aus Nord­deutsch­land an­ge­reis­te Buch­au­tor Da­ni­el Fuhr­hop stell­te et­wa sei­ne im ver­gan­ge­nen Jahr er­schie­ne­ne Streit­schrift Ver­bie­tet das Bau­en! vor und ver­kün­de­te: „Wir lau­fen ins Lee­re, wenn wir nicht auf­hö­ren, wei­ter­zu­bau­en wie bis­her. Es gibt nun mal ei­ne Kon­kur­renz um Geld, En­er­gie und nicht zu­letzt Men­schen.“

Das ge­fiel im Pu­bli­kum auch dem Ar­chi­tek­ten Christ­oph Feuch­ten­ho­fer. Ge­mein­sam mit ei­nem be­freun­de­ten Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­ra­ter ist der Nie­de­rös­ter­rei­cher 2015 in sei­nen Hei­mat­ort Kirch­berg am Wech­sel zu­rück­ge­kehrt. Weil der Gast­hof zur Kai­ser­kro­ne leers­tand, be­zog Feuch­ten­ho­fer dort sein Bü­ro und ar­ran­gier­te das ver­wais­te Ge­bäu­de zum Co-Wor­king-Spa­ce. 300 von 1000 m² sei­en wie­der­be­lebt wor­den, auch weil mitt­ler­wei­le ei­ne Gra­fi­ke­rin ein­ge­zo­gen ist und der ehe­ma­li­ge Gast­raum für Shi­at­su- und Yo­ga­kur­se ge­nutzt wird. „Un­ser Co-Wor­king-Spa­ce löst mehr Pro­ble­me als et­wa die Wech­sel Loun­ge“, sagt Feuch­ten­ho­fer.

Dass In­ves­ti­tio­nen in den Tou­ris­mus kein All­heil­mit­tel ge­gen Leers­tand sind, klang auch auf dem Po­di­um im­mer wie­der durch. Zu­dem sei der Kli­ma­wan­del nicht der Al­lein­schul­di­ge am Nie­der­gang man­cher Ski­or­te. Vie­le hät­ten sich nur auf die Win­ter­sai­son ver­las­sen. Ro­land Wall­ner, Ent­wi­ckler nach­hal­ti­ger Tou­ris­muss­tra­te­gien, ver­glich die Ski- mit der Ölin­dus­trie: Man wis­se, dass der Ze­nit über­schrit­ten sei und hal­te doch am Ge­schäfts­mo­dell fest, so­lan­ge es geht. Wall­ner plä­dier­te da­für, den Leers­tand als Res­sour­ce zu be­grei­fen: „Man muss nicht ei­nen neu­en Kas­ten mit 50 Bet­ten bau­en, das ist ei­ne enor­me Chan­ce.“

Noch grund­sätz­li­cher wur­de Netz­werk­for­scher Ha­rald Katz­mair in sei­nem Vor­trag über „Re­gio­na­le Zy­klen der Er­neue­rung“. In Tou­ris­mu­sor­ten wür­de auf ei­nen kom­mer­ziel­len Hö­he­punkt meist ei­ne Kri­se fol­gen. „Der Leers­tand ist ei­ne fast not­wen­di­ge Pha­se in ei­nem re­gio­na­len Zy­klus.“ Doch wer in der Kri­se nichts ler­ne, kön­ne sich nicht po­si­tiv ver­än­dern – das Al­te zu ver­ler­nen sei das Al­ler­schwie­rigs­te. Das Al­te, es ist zu­min­dest in St. Co­ro­na be­reits Schnee von ge­stern.

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