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Künstliche Paradiese für Architekten
Neue Zürcher Zeitung

Das Dutch Electronic Art Festival in Rotterdam

Mit der Verlegung der Hafenanlagen aufs Meer hinaus ist in Rotterdam viel Raum geschaffen worden für die Stadterweiterung. Mit Architektur im virtuellen bzw. computergestützten Sinne befasste sich heuer in der holländischen Hafenstadt das Dutch Electronic Art Festival.

4. Dezember 1998 - Robert Andreas Fischer
Die Welthafenstadt Rotterdam hat vor rund zehn Jahren begonnen, ihre Anlagen zu einem grossen Teil auf die offene See zu verschieben. Dadurch wurde auf einen Schlag enorm viel Raum für die Stadterweiterung frei. Seither wird aktiv geplant und gebaut, und Rotterdam ist zu einem Mekka für avantgardistische Architekten geworden. Zugleich führt die Stadt eine Tradition technologischen Fortschritts weiter, die sie bisher hauptsächlich in der Hydraulik und dem Wasserwesen pflegte und die sie nun auf die Elektronik übertrug. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass sich die Rotterdamer Veranstaltung für elektronische Kunst, das Dutch Electronic Art Festival (Deaf), intensiv mit der computerunterstützten Architektur beschäftigt – dem wahrscheinlich interessantesten Bereich kreativer Bildschirmgestaltung.

«Trans-Architektur»

An der Imagina 1997 in Monaco trat erstmals eine Gruppe junger Architekten unter der Bezeichnung «Trans-Architectures» auf und präsentierte ein neues Denken in Bauen und Planen, das sich auf den virtuellen Raum der elektronischen Koordinaten beschränkte. Obschon solche Bauten nicht wirklich «bewohnbar» sind, entstehen so Modelle und Konzepte, die unsere Zukunft prägen könnten. Der Begriff einer Transarchitektur stammt vom amerikanischen Architekten Marcos Novak, der in der Bildschirmarbeit die eminente «Flüssigkeit» gestalterischer Daten erkannte und der die mannigfaltigen Verbindungsmöglichkeiten im dreidimensionalen, architektonischen Entwerfen so entwickelt sehen möchte, wie dies beispielsweise ein Giles Deleuze auf rein intellektueller Ebene verlangt.

Die neueste Fassung von «Trans-Architectures 03» wurde in die diesjährige Deaf-Präsentation integriert, und einige der wichtigen Protagonisten der Gruppe sprachen über ihre Arbeit. So präsentierte der Holländer Lars Spuybroek den «Wasserpavillon», den er im Auftrag des Ministeriums für Wasserangelegenheiten in der Nähe von Rotterdam baute – eines der wenigen realisierten Projekte der Transarchitekten.

Das Gebäude knüpft in seiner Art unmittelbar an die fliessende Eigenschaft der Informationsverwaltung auf dem Bildschirm an. Es integriert einige gestalterische Verfahren, die sonst für Festkörper nicht in Frage kommen. Wer den Pavillon begeht, wobei durch Sensoren Lichteffekte ausgelöst werden, scheint gleichsam über gefrorene Wellen zu gehen. Der amerikanische Architekt Greg Lynn wiederum erklärte, wie er gestalterische Techniken im virtuellen Raum für die Herstellung von Schallisolationen verwendet. Lynn wird im kommenden Jahr an der ETH in Zürich «räumliches Gestalten» unterrichten.

Die Präsentationen der Architekten Novak, Spuybroek und Lynn waren Teil eines Symposions, das die Organisatoren des Festivals unter dem Titel «The Art of the Accident» abhielten. Ein expliziter Bezug dieses Themas zum künstlerischen Einsatz elektronischer Instrumente oder zu den neuen Tendenzen in der virtuellen Architektur war dabei nicht auszumachen, und die Organisatoren sowie die Moderatoren der Konferenz unterliessen es trotz wiederholter Aufforderung, auf diese Fragen überhaupt einzutreten.

Virilios «integrale Unfälle»

Im Begleitbuch zum Symposion finden sich einige Bemerkungen des Geschwindigkeitstheoretikers Paul Virilio über Unfälle. Während bisher Unfälle in ihren Wirkungen und Ausmassen beschränkt waren, werde der «integrale Unfall» sich künftig auf die ganze Welt auswirken. Um einen solchen könnte es sich vielleicht beim Jahr-2000- Problem handeln.
Neben der hauptsächlich von Architekturstudenten sehr gut besuchten Konferenz bot das Festival verschiedene Workshops, Projekte zwischen Wissenschaft und Kunst sowie Abendveranstaltungen, an denen die elektronischen Künste in Form von mit Video untermalten Sketches auf alten Theaterbühnen inszeniert werden. Dem Publikum gefiel's. Der Neuigkeitswert war indessen gering.

Im Bereich der eigentlichen elektronischen Künste wurden einige neue Arbeiten gezeigt, die teilweise zusammen mit der Ars Electronica in Linz oder mit dem Zentrum für Medienkunst in Karlsruhe (ZKM) entstanden oder dort bereits zu sehen waren. So entwickelte Masaki Fujihata seine komplexen Kommunikations-Interfaces weiter, die er vor einigen Jahren zuerst in Linz gezeigt hatte. «Nuzzle Afar» ist im ZKM verfeinert worden und hat nun einen ausserordentlich abstrakten Charakter. Es geht hier noch immer um die Suche nach andern Mitteln als der Tastatur oder der Maus, um den Computer zu steuern.

Visualisierung komplexer Ereignisse

Immer noch faszinierend ist die Arbeit der deutschen Gruppe «Knowbotic Research» aus dem Umfeld der Kunsthochschule für Medien in Köln. Sie beschäftigt sich mit der Visualisierung komplexer «large scale events» geographischer, demographischer oder soziographischer Natur. Diesmal arbeitete die Gruppe in den Favelas von São Paulo und entwickelte eine Reihe abstrakter Bildschirmdarstellungen («IO-Dencies»), welche die katastrophalen Lebensverhältnisse spiegeln. Die Gruppe besetzt neuerdings eine Professur für Neue Medien an der Fachhochschule für Gestaltung in Zürich.

Einem aufwendigen Videogame gleicht die Arbeit «Happy Doomsday» von Calin Dan (Rumänien/Niederlande): Zwei Anwender können von Geräten, wie sie in Fitnessklubs stehen, auf zwei parallelen Leinwänden einen «Krieg» auf dem europäischen Territorium führen. Die Arbeit ist zwar interaktiv, ob es sich aber um Kunst handelt, bleibe dahingestellt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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