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Zwischen Fortschritt und historischem Rückblick
Neue Zürcher Zeitung

Hans Kollhoffs Bauten in Berlin – und eine Monographie

4. Dezember 1998 - Axel Langer
Als der Berliner Bausenat im Herbst 1991 einen städtebaulichen Ideenwettbewerb für das Gebiet des Potsdamer und Leipziger Platzes durchführte, antwortete der seit 1990 an der ETH Zürich lehrende Architekt Hans Kollhoff mit einer «Stadtkrone» aus sieben bis zu 288 Meter hohen Turmhäusern. Mit dieser Vision von downtown Berlin reagierte er auf das Leitbild der traditionellen «europäischen Stadt», welches sich in Berlin langsam durchzusetzen begann. Während das Projekt – obschon von der Jury nicht prämiert – Beachtung fand und zu einer öffentlichen Diskussion um das Hochhaus führte, reagierten die Kritiker um so irritierter auf seinen Beitrag zum anschliessend ausgeschriebenen Realisierungswettbewerb für das Daimler-Benz-Areal. Hier orientierte er sich an der klassischen Blockrandbebauung und unterteilte das Gebiet in siebzehn «grosse Häuser» mit identischer, steinverkleideter Lochfassade, die den gründerzeitlichen Typus des Wohn- und Geschäftshauses aufgriffen.

Dies letztgenannte Projekt markierte eine deutliche Zäsur in Kollhoffs Architekturverständnis, deren Anfänge in seine Assistenzzeit an der New Yorker Cornell University 1976–78 zurückreichen. Unter dem Einfluss Colin Rowes und Oswald Mathias Ungers erarbeitete er sich die Basis zu seiner Entwurfsmethode. Ausgangspunkt bildete die räumliche Vielfalt der Städte mit ihren unregelmässigen Strassenzügen und Gebäudegrundrissen, den wechselnden Parzellengrössen und den daraus entstehenden unterschiedlichen Massstäben. Diese Heterogenität floss in seine Studien und Bebauungskonzepte ein, in denen das Durcheinander der bestehenden Städte nicht nur respektiert, sondern durch die Formen seiner Neubauten auch hervorgehoben werden sollte. Dabei setzte Kollhoff verschiedene Grundriss- und Gebäudetypen Kante an Kante, so dass sich eine Palette von in sich geschlossenen oder sich nach aussen öffnenden Stadträumen ergab. Weil diese Strukturen an die Gegebenheiten des Katasterplanes gebunden blieben, fügten sie sich nahtlos in das Stadtbild ein.

In seiner diszipliniertesten und klarsten Form kommt die in den achtziger Jahren kontinuierlich verfeinerte Entwurfsmethode in der Überbauung am Luisenplatz in Berlin-Charlottenburg von 1987 und dem Wohnkomplex auf dem KNSM- Eiland in Amsterdam von 1994 zum Ausdruck. Beiden Bauten lag eine moderne Grossform zugrunde, welche in die Umgebung eingepflanzt werden sollte, in ihrer Idealform jedoch zu einem Abriss von Altbauten geführt hätte. Doch statt die Umgebung dem Gestaltungswillen unterzuordnen, wurde hier der umgekehrte Weg beschritten: Die bestehende Bebauung sollte sich gegen den Neubau behaupten können. In Charlottenburg führte dies zu einer Dreiteilung des überlangen Gebäuderiegels: Zwei Teilstücke wurden durch einen Altbau getrennt, das dritte durch einen Strassenzug abgekoppelt. In Amsterdam kam es durch die Rücksichtnahme auf ein kleines Haus zu einem Knick in einer Längsseite, der weitere Verzerrungen nach sich zog, so dass am Ende eine expressionistisch anmutende Blockrandbebauung entstand. Während der Berliner Bau sich jedoch nach aussen öffnet, konzentrieren sich die Kräfte der KNSM-Anlage nach innen.

Ein erstes Anzeichen für die künftige Hinwendung zu einem traditionalistischen Formenvokabular lässt sich an dem 1991 begonnenen Wohnpark Malchower Weg ablesen. Die 16 villenartigen Mehrfamilienhäuser liegen, in zwei Gruppen zusammengefasst, symmetrisch auf dem Baugrund. Lisenenartige, die ganze Höhe des Hauses einnehmende Streifen gliedern ihre Klinkerfassaden. Eine Reihe niedriger Fenster unter dem stark auskragenden Dach gemahnt an eine Gebälkzone, und dunkle Betonbänder bilden sowohl Sturz als auch Gesims der Fenstertüren. Dennoch halten sich traditionelle und moderne Elemente die Waage, da das Flachdach und die in allen Stockwerken um die Ecke geführten Fenster einen starken Gegenakzent setzen.

Endgültig vollzogen wurde die Kehrtwende mit dem inzwischen fertiggestellten Wohn- und Geschäftshaus an der Friedrichstrasse. Das aus zwei um einen Altbau geführten Flügeln bestehende Gebäude fügt sich klar in die Fluchtlinie der Nachbarhäuser ein. Keine Abwinklung der Fassade oder Fragmentierung des Baukörpers ruft mehr die Heterogenität des Stadtraumes in Erinnerung. Mit seiner grau-grünen Steinverkleidung, den gleichförmigen Fensterreihen und den Gesimsbändern setzt der Bau Kollhoffs Diktum des «Nicht ‹neu gegen alt›, sondern ‹weiterbauen›» programmatisch um. Nicht allen seit 1992 geplanten Bauten gelingt jedoch die Gratwanderung zwischen historischem Rückblick und Fortschritt, welche in dem «Weiterbauen» anklingt. Dort, wo das historische Vorbild zu stark durchscheint, droht die Gefahr des architektonischen Historismus, wie bei den sich noch in Bau befindenden Leibnitzkolonnaden, für die Marcello Piacentinis Kolonnaden an der Via Roma in Turin Pate standen. Einzelne Elemente – etwa die abstrahierten dorischen Säulen und die schwere Dachbalustrade – orientieren sich zu direkt am hybriden Klassizismus des Italieners. Darüber hinaus lassen die überhohen Proportionen der Kolonnade, wie sie in der perspektivischen Planansicht zu sehen sind, befürchten, dass hier eine ähnlich erdrückende Monumentalität ins Werk gesetzt wird.

Während bisher nur Kollhoffs frühe Bauten in Buchform greifbar waren, liegt nun eine von Annegret Burg verfasste Monographie vor, in der diejenigen Arbeiten vorgestellt werden, deren Entwurfsbeginn nach 1988 liegt. In einem langen Essay lässt sie Kollhoffs zwanzigjährige Schaffenszeit Revue passieren, unterzieht seine Entwurfsmethode einer eingehenden Untersuchung und lenkt das Interesse auf wesentliche Punkte seines Œuvres. Doch während sich Kollhoffs Äusserungen durch ein klares Deutsch auszeichnen, sind Burgs Texte mehr als prätentiös, wenn sie etwa auf eine Bauaufgabe zu sprechen kommt, die «selbst so viel an protoplasmatischer Substanz in sich [birgt], dass sie es vermag, einen Baukörper über die Etappen des Entwurfes hinweg zu einer evolutiven Metamorphose zu bewegen».

Ausserdem fehlt eine kritisch-historische Auseinandersetzung mit Kollhoffs Bauten. Dies erstaunt bei einer Autorin, die in mehreren Büchern das Berliner Geschehen dokumentiert hat und dank einer Arbeit zur Mailänder Stadtarchitektur zwischen 1920 und 1940 über den geeigneten Hintergrund verfügen sollte, Querbezüge sowohl zu zeitgenössischen wie historischen Bauten herzustellen. Gerade in Hinblick auf den während des Realisierungswettbewerbs für das Daimler- Benz-Areal geäusserten Faschismusvorwurf wären Vergleiche mit Bauten von Auguste Perret, Peter Behrens und den Mailänder Novecentisten, allen voran Giovanni Muzio, hilfreich und für ein ausgewogenes Urteil notwendig. Da auch die Querbezüge zur Gegenwart fehlen, bleibt Burgs Monographie seltsam autistisch. Unter diesen Umständen kann es auch nicht erstaunen, dass die ganze Schaffenszeit Kollhoffs als kontinuierliche Entwicklung dargestellt wird, getragen von einer fortschreitenden Purifizierung, die sich gegen die «pluralistische Bilderwut» richtet – so als gäbe es keinen Bruch in seinem Architekturverständnis.

[Annegret Burg: Kollhoff. Beispiele. Kollhoff und Timmermann. Birkhäuser-Verlag, Basel 1998. 204 S., Fr. 108.-.]

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