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Ein Industrieller unter lauter Patriziern
Neue Zürcher Zeitung

Die Neubauten des Elektrizitätswerkes Altdorf

6. November 1998 - Axel Langer
Von alters her prägen grosszügige Anwesen mit kantigen Herrenhäusern und alten, baumreichen Gärten die westliche Kernzone Altdorfs. Von architektonisch mittelmässigen Eingriffen verschont geblieben, zeugen sie von der vergangenen Blütezeit des Urner Hauptortes. Als die Verantwortlichen des Altdorfer Elektrizitätswerkes 1994 beschlossen, ihre verstreut liegenden Betriebe zusammenzufassen, schien das intakte Quartier jedoch gefährdet: Die Wahl für den zukünftigen Standort fiel auf das sogenannte Eselsmätteli, eine dreieckige, auf allen Seiten von Strassen umgebene Parzelle, auf der sich bereits das alte Direktionsgebäude des Werkes befand. Um möglichen Einsprachen der Anwohner zuvorzukommen und im Bewusstsein, dass ein Bauvorhaben an dieser städtebaulich diffizilen Lage ohne Akzeptanz durch die Bevölkerung nur schwer zu realisieren wäre, lancierte man einen Wettbewerb, in dessen Verfahren die örtlichen Behörden mit einbezogen wurden. Dieser führte dazu, dass die jungen, in Zürich tätigen Architekten Regula Harder, Barbara Strub und Jürg Speyermann den Auftrag erhielten, das neue Verwaltungsgebäude sowie die Einstell- und die Lagerhalle des Elektrizitätswerkes Altdorf zu bauen.

Obwohl die drei lichten, grün schimmernden Baukörper mit ihrer gläsernen Aussenhaut und den metallenen Gürteln eine eigenständige, moderne Sprache sprechen und im denkbar grössten Kontrast zu der steinernen Massigkeit der alten Häuser stehen, bezieht sich die Disposition des «Werkhofes» auf deren traditionelle Parzellengestaltung: Ausgehend von der Lage der alten Wirtschaftbauten an den äusseren Grundstücksseiten, rückten die Architekten die drei Gebäude hart an den Rand des Baugrundes. Der dadurch frei werdende Platz in der Mitte der Anlage nimmt seinerseits das Motiv der alten Patriziergärten auf, dies dank einem durch Formsteine befestigten Rasenteppich und der paarweisen Bepflanzung mit Strasseneschen und Tulpenbäumen. Die mannshohen Bruchsteinmauern endlich, welche in Altdorf die Grundstücke einfrieden und zum typischen Ortsbild beitragen, deuteten die Architekten in eine Betonmauer um. Ihre grobe Oberfläche aus Urner Kieselbruch, die nach Entfernen der Schaltafeln freigelegt wurde, verstärkt die Analogie zu den unregelmässig gefügten alten Mauern in optischer wie taktiler Weise.

Ein «gläserner Dreiklang» aus Klarglasflächen, grünlichem, lichtdurchlässigem Industrieglas - sogenanntem Profilit - und opaken, ebenfalls grün eingefärbten Lüftungsflügeln liegt als Hauptmotiv allen zwölf Fassaden der drei Neubauten zugrunde und betont - der übergreifenden Motivverwandtschaft in der Musik nicht unähnlich - die Einheit der Anlage. Der Anteil, welcher den verschiedenen Glasarten jeweils zugestanden wird, orientiert sich dabei an den Bedürfnissen der vorgesehenen Nutzung. So übersteigt die Fensterfläche klar den Anteil an Profilit in den Büros, wird an den Hallen jedoch auf schmale Paneele reduziert. Optisch stabilisiert wird dieser gläserne Vorhang durch breite, umlaufende Metallschienen, welche der Tendenz zur Höhenentwicklung nicht nur markant entgegenwirken, sondern auch einen Kontrapunkt setzen zum Wechselspiel der Profilitflächen, welche je nach Sonnenstand hell aufleuchten oder sanft verdämmern.

Ein ähnlich musikalisch-rhythmisches Denken bestimmt das Innere des Verwaltungsgebäudes. Nach einem eher grossflächigen Auftakt im Empfangsbereich des Erdgeschosses reduziert sich der Bewegungsradius auf einen schmalen Korridor, mit dem die beidseitig liegenden Büros erschlossen werden. Während der Korridor in Verwaltungsbauten oft ein - wortwörtliches - Schattendasein fristet, ist es den Architekten gelungen, ihm mehr als ein nur zweckdienliches Aussehen zu verleihen. Da ihnen daran gelegen war, die inneren Stützen des Betonskeletts offen hervortreten zu lassen und nicht in die Binnenmauern zu integrieren, nimmt das Auge eine sich im Metrum regelmässig abwickelnde Folge von Wandflächen und vorspringenden Stützen wahr, zu der gleichsam synkopisch die Lichteinfälle der gläsernen, versetzt angeordneten Bürotüren hinzutreten. Dadurch entsteht ein beschleunigender Effekt, der im Erdgeschoss durch die Cafeteria und die vorgelagerte Terrasse aufgefangen wird, in den darüberliegenden Geschossen jedoch in eine kleine Aufenthaltszone mit Kaffeeraum ausläuft.

Die Wahl von Profilit als dominierender Baustoff mag sich zwar aus Kostengründen und wegen seiner Verbreitung als Industriebaustoff erklären. Doch bei diesem Bauwerk ist das Material Teil eines ästhetischen Konzeptes. Bezieht man nämlich den weit in die Tiefe des Raums fliehenden Tresen der Kundeninformation in die Betrachtung mit ein, geht weiter zu den schwebenden, nur an einer Seite in der Wand verankerten Treppenstufen, wirft einen Blick auf die schlichten Geländer aus flachen Metalleisten und ruft sich die Kieseloberfläche der Umfassungsmauern ins Bewusstsein, so hat man es mit Elementen einer Architektur zu tun, welche den Blick auf die sechziger Jahre nicht scheut. Während sich jedoch Profilit und freischwebende Treppenstufen damals mitunter zu eher freudlosen Ensembles verbanden und Mauern mit Kieseloberfläche Erinnerungen an ein betuliches Design wecken, zeigen sie hier eine edle Einfachheit, die diesen Industriebau adelt und zu einem ebenbürtigen Bau innerhalb einer historisch anspruchsvollen Nachbarschaft macht.

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