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Wiederkehr der Stadtplanung?
Neue Zürcher Zeitung

Stadt in Sicht - Vers un nouvel urbanisme

Stadtplanung ist in der Schweiz noch immer ein Randthema. Mangels Stadt? Die Berggebietsförderung war mehrheitsfähig, die Idee der Städtebauförderung muss sich hingegen erst noch durchsetzen. Gleichwohl spricht man mehr und mehr von der «Stadt Schweiz». Ist also «Stadt in Sicht»? Für eine «Wieder(er)findung» der Stadtplanung spricht vieles.

6. November 1998 - Michael Koch
Für die einen klingt die Frage nach einer Wiederkehr der Stadtplanung fast bedrohlich: Glaubte man die Welt doch vom modernen Planungswahn befreit. Für die anderen ist sie hingegen fast rhetorisch: Es gab sie immer, die Stadtplanung, und wird sie weiter geben - müssen. «Sind wir kühn wenigstens in der Planung?» hatte Max Frisch seine Architektenkollegen 1953 in einem Vortrag vor dem Bund Schweizer Architekten gefragt und das dann eher verneint. Und flugs auch noch mit dem im Zeitalter des kalten Krieges besonders provozierenden Paradoxon nachgedoppelt, dass die Freiheit nur noch durch Planung zu retten sei. Anschliessend warb er mit einem Bild vom Planer als innovativem Fachmann für einen neuen Planungsbegriff, der in das demokratische System der Schweiz passte und ihm neuen Schwung verleihen wollte. Frischs Vortragstext vermag auch heute noch zu inspirieren. Auch wenn Philosophie- und Wissenschaftskritik sowie die Erfahrungen der Praxis genügend Gründe liefern, den tradierten Begriff der Planung als überzogen und anmassend zu hinterfragen, soll im folgenden daran festgehalten werden. Der Begriff steht für den Anspruch, die Entwicklung der räumlichen Umwelt in eine gewünschte Richtung zu beeinflussen. Auf diesen Anspruch zu verzichten wäre angesichts der - zunehmenden - Probleme in den Städten und auf dem Lande wohl eher zynisch als realistisch.


Stadt in der Schweiz

Die Stadt in der Schweiz ist ein Dorf oder eine Kleinstadt. Jedenfalls überschaubar. Das sagt das «Stadtgefühl» der Schweizer. In Zürich sagt man, wir gehen ins «Dörfli», wenn man in die Stadt ausgeht. Der in Paris lebende Schriftsteller Paul Nizon gab diesem Gefühl Ausdruck, als er schrieb, dass ihn in der Schweiz immer ein gewaltiger Stadthunger erfasse. Das Schweizer «Stadtgefühl» darf nicht durch die Stadtsehnsucht weitgereister Städtebauer einfach übergangen werden. Es ist Ausdruck der zum kollektiven Gedächtnis geronnenen Erfahrung mit 150 Jahren Stadtentwicklung im sich industrialisierenden und nun wieder deindustrialisierenden Bundesstaat. Die nach den Gesetzen des Föderalismus dezentral verlaufene Industrialisierung konzentrierte sich zunächst in relativ überschaubaren Siedlungseinheiten und prägte den sich eher dispers verstädternden, von Landschaft durchsetzten Lebensraum. Von Grossstädten wie andernorts war man noch weit entfernt. Trotz Eingemeindungen um 1900 blieb die Verstädterung vergleichsweise moderat. Dennoch schrieb der Architekt, spätere Landi-Direktor und FDP-Nationalrat Armin Meili 1933 sorgenvoll: «Jedes Land besitzt einen bestimmten Sättigungsgrad städtischer Bevölkerung.» Damals lebten in der Schweiz erst 29 Prozent, in Deutschland aber schon 65 Prozent und in England 80 Prozent der Bevölkerung in Städten von über 10 000 Einwohnern.

In den genannten Ländern war die Gartenstadtbewegung (NZZ 31. 10. 98) zur Gegenbewegung gegen die dichte, steinerne Stadt geworden. In der Schweiz hingegen konnte mit diesem Leitbild die eigene Siedlungstradition fortgeschrieben werden. Winterthur zum Beispiel wurde in den zwanziger Jahren als Paradigma einer schweizerischen Gartenstadt diskutiert. Das «Wunschbild Land» und das «Schreckbild Stadt» (André Corboz) waren zu den wegleitenden emotionalen Grundorientierungen auch der Planer geworden. In einer Artikelserie der NZZ sagte Armin Meili 1941 der «klumpenhaften» Grossstadt, «wie wir sie glücklicherweise bis heute in unserem Lande noch nicht kennen», den Kampf an. Zwar anerkannte er, dass es zur Überwindung des «Provinzlerischen» die Stadt brauche. Aber die schweizerische Grossstadtbildung müsse als «weit dezentralisierte Grossstadt» erfolgen: in Form einer aufgelockerten Grossstadtzone mit «Satellitenstädten» und «halbländlichen Wohnstädten» von Genf bis St. Gallen, im wesentlichen zusammengehalten durch öffentliche Verkehrsmittel.

Um dieses Ideal zu erreichen, plädierten Meili und seine Weggefährten für die Einflussnahme auf die Entwicklungskräfte der Städte und Gemeinden und propagierten eine eigentliche Landesplanung. Dabei machte die in der Schweiz vergleichsweise starke Stellung des Grundeigentums starke Planungsargumente notwendig. Sie fanden sich u. a. im Heimatschutz: in der Sorge um die Unversehrtheit der ländlichen Schweiz. Und als der Bauboom der sechziger Jahre die Schweiz «zuzubetonieren» drohte, war es politisch möglich, mit Hilfe des Wohnbauförderungsgesetzes von 1965 die Einführung der Orts- und Landesplanung voranzutreiben, indem die Gewährung von Förderungsmitteln an die Erarbeitung einer Planung gebunden wurde. So hoffte man, die planlose Zersiedelung der Landschaft stoppen zu können. Mit dem gleichen Ziel erhielt das Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung an der ETH Zürich den Auftrag, Grundlagen, Richtlinien und Leitbilder für die Planung zu schaffen.

Von diesem Impetus und dem dahinterstehenden Besiedelungsleitbild einer «dezentralisierten Konzentration» lebt die Schweizer Raumplanung im Grunde bis heute, auch wenn in den vom Bundesrat 1996 verabschiedeten Grundzügen der Raumordnung Schweiz eine Annäherung an den «Wasserkopf» Zürich zu finden ist. Eine Begeisterung für die «Schönheit der grossen Stadt» (wie sie der deutsche Jugendstilarchitekt August Endell schon 1908 «besungen» hatte) wollte in der Schweiz nicht aufkommen. Hier musste es eine eigentliche Stadtplanung schwer haben: mangels Stadt. Die wenigen grossen Städte waren mit ihren Problemen relativ allein. Sie wurden vom Land beargwöhnt, denn von ihren «ungesunden» Zuständen und Entwicklungen schien Ansteckungsgefahr auszugehen. Fürsprecher hatte eine - sozialpolitisch motivierte - Stadtplanung am ehesten noch bei der politischen Linken. Daher vielleicht die gerade auch von bürgerlicher Seite vorangetriebene Distanz zur Raumplanung.

Stadtplanung blieb jedenfalls ein wenig verwendeter Begriff: in der Schweiz geht es um «Siedlungsplanung» oder um «Ortsplanung». Auf Staatsebene (Kantone und Bund) dominierte - etwas vereinfacht gesagt - die Sorge um die Land(wirt)schaft. Während hierzulande in den siebziger Jahren die Berggebietsförderung einsetzte, wurde zum Beispiel in Deutschland die Städtebauförderung etabliert, die Stadtplanung um dynamische, prozesshafte Aspekte erweitert und wurden ressortübergreifende Synergien freigelegt. Wird nun auch hierzulande alles anders mit der Idee von der «Stadt Schweiz»?


Die «Stadt Schweiz»

Zunächst einmal ist die «Stadt Schweiz» keine Idee, sondern ein Bild für die Realität: 70 Prozent der Bevölkerung leben heute in einem zusammenhängenden Netz verstädterter Gebiete. Die weitdezentralisierte Grossstadt ist - etwas anders als von Meili gedacht - Wirklichkeit geworden. Frei nach Frank Lloyd Wright könnte man von einer «Broadacre City» sprechen. Verglichen mit anderen Städten, handelt es sich in der Tat um einen zusammengehörenden Grossstadtorganismus. Oder um eine Metropole, wie der Soziologe Michel Bassand sie definiert. Diese weitläufig verstädterten Gebiete sind «urban» im wörtlichen Sinn: zur Stadt gehörend. Es besteht eine Allgegenwärtigkeit der Stadt, selbst in den Einfamilienhauswüsteneien der äusseren Agglomeration. Dabei sind die Begriffe «Grossstadt» oder «Metropole» ähnlich missverständlich wie schon der Begriff «Stadt». Beim Blick auf den grössten Stadtteil der Schweiz, das «Millionen-Zürich», tauchen andere Stadtbilder auf, als man sie von Rom, Paris oder London her kennt, also von Städten, die ihre charakteristische Gestalt im 19. Jahrhundert und früher erhalten haben.

Die «Stadt Schweiz» kann ihre Entstehungsgeschichte nicht leugnen. Sie setzt sich zusammen aus zahlreichen, ehemals eigenständigen Teilen, die nunmehr über Verkehrs- und Wirtschaftsbeziehungen miteinander verbunden sind. Sie ist ein Städtenetz oder ein Netz aus Stadtseilen mit sehr unterschiedlichen Knoten. Im Augenblick stellen die historischen Kernstädte noch die Bilder, die das Image der Stadt Schweiz prägen. Dies, obwohl die Kernstädte nur noch einen Bruchteil der Stadtfläche ausmachen und die Mehrheit der Bevölkerung ausserhalb davon lebt, in der «Zwischenstadt», wie Thomas Sieverts diese Zone nennt. Über das Bild-, das Image- und Entwicklungspotential dieser Stadt ausserhalb oder vor der (alten) Stadt gibt es noch zu wenig Arbeiten. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park wurden Ansätze dazu entwickelt. In diesem Zusammenhang gewinnt die Idee von der «Stadt Schweiz» einen visionären Gehalt: Es geht um eine andere, eine im positiven Sinne eigen-artige und zukunftsweisende Art von Stadt. Vermutlich ist man in der «Stadt Schweiz» der Stadt des 21. Jahrhundert näher als in den alten europäischen Metropolen.


Lob des Mittellandes

So kann wegleitend werden, was rückschrittlich zu sein schien: dass die Stadt in der Schweiz so landverbunden bzw. von Landschaft durchwirkt und so dezentralisiert blieb. Die Furk-Art auf dem Furkapass, das Design-Center Langenthal, die Wohntage Grenchen, die Glattal-Stadt, der Wirtschaftsraum «Espace Mittelland», das Städte-Dreieck Bellinzona-Locarno-Lugano und die Achse Genf-Annemasse, das alles sind Fragmente der «Stadt Schweiz». Sie ist in der Tat weit dezentralisiert - und doch auch eins. In anderen Ländern sucht man im beziehungslosen Siedlungsbrei nach zentrierenden Orten der Identifikation: «City of small spaces» nennt der amerikanische Planer John Friedmann sie. In der Schweiz gibt es - neben den historischen Altstädten - sehr viele Ansatzpunkte dafür. Dazu muss man freilich die «Stadt-Brille» wechseln: Die verstädterte Siedlungslandschaft zwischen den Kernstädten sollte nicht als «unstädtisch» ignoriert werden. Sie zu einem Stadtbild des 19. Jahrhunderts umbauen zu wollen ist weder realistisch noch sinnvoll, weil formalistisch und inhaltsleer. Vielmehr finden sich hier Spuren und Schichten der Urbanisierung, die spezifische Ansatzpunkte für die Gestaltung und Weiterentwicklung dieser «Zwischenstadt» bieten. Land art und die Landschaftsarchitektur können hier - neben anderen Disziplinen wie Ethnologie, Geographie, Sozialwissenschaften oder Kultur - der Wahrnehmung wichtige Zugänge eröffnen. Auch die Alltagserfahrung der Bewohner ist zu befragen und zu integrieren.

Die Bilder aus der Agglomeration des Künstlerduos Fischli/Weiss sind Veduten der modernen Stadtlandschaft und signalisieren das Aufscheinen einer neuen Ästhetik. Mit planerischen, städtebaulichen, landschaftsgestalterischen und künstlerischen Massnahmen geht es darum, Allerweltsgegenden zu verorten, im urbanisierten Niemandsland die Kristallisationspunkte des Besonderen freizulegen und Gravitationsfelder unterscheidbarer Bedeutungen aufzubauen. Statt der alten Urbanität der Kernstädte hinterher zu träumen, muss man die «neue Urbanität» der Stadt des 21. Jahrhunderts bzw. der Zwischenstadt verstehen, um ihre Gestalt- und Entwicklungschancen richtig zu interpretieren.

«Fremdheit ist das Ferment der Urbanität», hielt jüngst der Soziologe Walter Siebel fest (NZZ 25. 4. 98). Man findet diese Fremdheit in vielerlei Hinsicht zunehmend auch im oft noch idyllisch anmutenden Mittelland. Die sozioökonomischen Strukturveränderungen im Zuge der Globalisierung internationalisieren auch das heimatliche Hinterland. Sozial- und Stadtentwicklungspolitik wie in den grossen Städten ist zunehmend auch hier gefordert. Als Konzept ist die «Stadt Schweiz» zweifellos eine «Willensstadt» im «Willensstaat». Wenn dieser seit 150 Jahren Identität verlieh, warum sollte jene nicht möglich sein? Wie kommt der Wille zur - anderen - Stadt dafür zustande? Aus Einsicht in die Notwendigkeit, dass die Probleme der verstädterten Gebiete nur «grenzüberschreitend» in einem umfassenden Sinn gelöst werden können. Das schreibt sich leichter, als es umzusetzen ist. Besonders wenn nicht mehr nur Zuwächse verteilt, sondern auch Schrumpfungen hingenommen werden müssen. Gewinn(verteilungs)gemeinschaften entstehen so schneller als Solidar(haftungs)gemeinschaften. Aber vielleicht macht Not auch hier erfinderisch.


Raumplanung ist Stadtplanung

Wenn die Raumplanung früher, als die Mehrheit der Bevölkerung auf dem Land oder in kleinen Städten lebte, politischen Rückhalt aus dem Heimatschutz erhielt, sollte sie sich doch heute als Stadtbildpflege (im oben angedeuteten Sinne) positionieren können. Der politische Rückhalt sollte herstellbar sein, da heute 70 Prozent der Bevölkerung in der Stadt leben. Tendenz steigend. Die Forderung nach einer besseren Vertretung der Städte beim Bund und der Wunsch eines besseren Verhältnisses von Bund und Städten zielen in diese Richtung. Die Stadtregion sollte eine neue Bedeutung erhalten, und die Kernstädte sollten besser mit den Städten in deren Einzugsbereich zusammenarbeiten. Generell sollte die Verständigung zwischen kleineren und grösseren Städten, zwischen Städten entlang der Hauptachsen der Besiedlung und solchen an der Peripherie oder im Berggebiet verbessert werden. Auch wären die Probleme der Freizeitstädte in den Tourismusgebieten mit einzubeziehen.

Die Raumplanung als Stadtplanung hat diese Verständigungsprozesse zu begleiten. Namentlich die Abstimmung von Entwicklungsabsichten der Städte und die Einigung auf bestimmte räumliche Entwicklungsschwerpunkte sollte, in Auseinandersetzung mit den Grundzügen der Raumordnung des Bundes, im Rahmen der Richtplanungen der Kantone erfolgen. Der dazu notwendigen Koordination fehlt immer wieder der politische Rückhalt, der Wille zur ressort- und grenzüberschreitenden Abstimmung von Massnahmen. Vermutlich werden die schwindenden finanziellen Ressourcen angesichts wachsender Aufgaben konzertiertere und problemorientiertere Formen der (Stadt-)Planung entstehen lassen. Ansätze, gerade auch im Ausland, gibt es dazu.


Planungsinstrumente - Planungsprozesse

Die oft zu hörende Klage, die Planungsinstrumente seien veraltet, lenkt vom Problem ab. Auch die pauschale Ablehnung von Planung generell bringt uns kaum weiter. Die gewünschten oder notwendigen Dinge in der Entwicklung der Städte geschehen nicht deshalb nicht, weil die Instrumente fehlen, sondern weil der Wille oder der Konsens fehlt. Selbstverständlich ist das Instrument der für Grundeigentümer verbindlichen Bau- und Zonenordnung eine Bürde: Alle bodennutzungsbezogenen Interessenkonflikte kommen gleichzeitig in einem Verfahrensschritt auf den Tisch und müssen politisch behandelt werden. Das ist bei kleinen Gemeinden vielleicht noch durchzustehen. Bei grösseren Städten wird das zur Belastung für das gesamte Planungsklima. Aber trotzdem gilt wohl generell: Wenn man Koalitionen und Kooperationen zwischen Öffentlichkeit und Privaten zur Durchsetzung von Projekten stimulieren kann, ist heute vieles möglich. Jedenfalls muss man nicht auf Gesetzesänderungen warten, um Stadtentwicklungen in gewünschte Richtungen anzustossen. Auch muss Stadtplanung oft in Perimetern denken und handeln, die politische Grenzen überschreiten. Wollte man hier auf die Veränderung der Grenzen oder auf die offizielle Übertragung von Zuständigkeiten warten, wäre der Einsatz für die Entwicklung beeinflussende Massnahmen sicher verpasst.

Die Vielfalt der bau- und planungsrechtlichen Regelungen in der Schweiz wird oft beklagt. Sie ist aber seit einigen Jahren zum Nährboden für vielfältige planerische Experimente geworden, die auf die spezifischen Bedingungen der Aufgabe, des Ortes und der Akteure reagieren. Lernen also von Baden, Basel, Bern, Biel, Illnau-Effretikon, Kreuzlingen, Luzern, Martigny, Monthey, Monte Carasso, St. Gallen, Thun, Winterthur, Zürich, Zug. So verschieden die innovativen Planungsbeispiele in diesen Orten sind, so haben sie doch eines gemeinsam: die Suche nach einem neuen Verhältnis von Planung und Projekten und einem neuen Zusammenspiel der verschiedenen Akteure der Planung und Realisierung.

Was gemeint ist, kann das Beispiel des Kultur- und Kongresszentrums Luzern (KKL) illustrieren: Erst die Kooperation zwischen Politik, Öffentlichkeit, Bauherrschaft und Architekt haben dieses neue Stück Stadt zum Nutzen von Luzern - und der gesamten Schweiz - möglich gemacht. Deshalb war die Auszeichnung von Thomas Held und Franz Kurzmeyer im Rahmen des Design- Preises Schweiz 1997 wegweisend. Sinnfälliger konnte man die Bedeutung des Zusammenhanges zwischen Produkt/Projekt und Prozess nicht zum Ausdruck bringen. Zur Wertschätzung einer «guten Form» hat sich die Wertschätzung eines «gut gestalteten Prozesses» gesellt. Selbstverständlich stehen nicht alle Ergebnisse derartiger Verfahren so strahlend über jeglicher Kritik wie das KKL. Aber die vielen Versuche unterschiedlicher Kooperationen von wichtigen Akteuren der Planung und der Projektrealisierung zielen in die richtige Richtung: als Versuche, komplexe Stadtentwicklungsprozesse zu steuern und für den Erfolg von städtebaulichen Projekten zu sorgen.

Diese Verfahren sind nicht konfliktfrei. Sie dienen ja gerade der Lösung von Planungskonflikten zur rechten Zeit. Der Begriff der Kooperation impliziert, dass angestammte fachliche, territoriale oder materielle «Hoheitsgebiete» der beteiligten Akteure tendenziell in Frage gestellt werden müssen. Es geht um ein zielorientiertes Geben und Nehmen. Kooperative Planungsprozesse stellen Zumutungen für alle Akteure dar. Die Verfahren verlangen von den Beteiligten kommunikative und interdisziplinäre Fähigkeiten. So entwickelt sich in der Praxis das Berufsfeld der Stadtplanung weiter. Werden diese Veränderungen ausreichend in den Ausbildungsgängen von Raum- und Siedlungsplanung, Architektur, Ingenieurwissenschaften und anderen planungsrelevanten Disziplinen thematisiert? Viele Beiträge zum Thema Stadt oder Stadtentwicklung aus diesen Disziplinen zeugen immer wieder von erstaunlichem Unwissen - oder von Ignoranz - gegenüber Beiträgen der jeweils anderen Disziplinen. Vielleicht sollte weniger geschrieben und mehr zugehört werden.


Stadt der Planer - Stadt der Architekten

Aspekte der Gestalt und der Gestaltung gehören zu den zentralen Problemen in den neuen Verfahren. Die Frage, wer disziplinär zuständig ist für die Planung der Stadt, ist so alt wie die moderne Stadt: Planer mit ingenieurwissenschaftlichem Hintergrund oder mit architekturkünstlerischem? Heute kommen noch Planer mit geographischem, juristischem, ökonomischem, ökologischem, sozialwissenschaftlichem Hintergrund dazu. Nicht nur die unterschiedlichen Sichtweisen, die «Vogelschau» des Planers und die «Froschperspektive» des Architekten, prallen aufeinander. Es werden auf beiden Seiten auch unterschiedliche Gegenstände bearbeitet: (Bau-) Projekte und (Planungs-)Prozesse. Das Unverständnis und die - freundlich kaschierte - Ablehnung, mit der sich Planer und Architekten begegnen, erweist der gemeinsamen Sache einen Bärendienst.

In diesem Kontext ist die Integration des Entwurfes oder gar des Entwerfens in die neuen kooperativen Prozesse eine heikle, aber unumgängliche Aufgabe. Dabei geht es nicht darum, Fragen der Gestaltung und der Ästhetik einfach dem Mehrheitsentscheid zu überantworten. Fragen der Gestaltung sind, wie andere Sachfragen, eine Angelegenheit der Kompetenz. Es geht vielmehr darum, wie sich diese Kompetenz im Konzert mit den anderen stadtentwicklungsrelevanten Kompetenzen - je nach Lesart - behaupten oder bewähren kann. Planer, denen jegliches Verständnis für eine nicht beliebige, sondern präzise stadtmorphologische und städtebauliche Argumentation fehlt, sind dabei ebensowenig hilfreich wie Architekten, die ihre Les-Art der Stadt wacker gegen alle begründeten rechtlichen, funktionalen und sozioökonomischen Einwände verteidigen oder die die gestaltkonstituierenden Elemente ihres Entwurfes nicht verständlich machen können. Das mag auch auf die Ausbildung Rückschlüsse zulassen: wieviel über Planungsprozesse erfahren die angehenden Architekten, wieviel über Stadtgestaltung und Städtebau die angehenden Planer? Auf alle Fälle lassen diese Defizite Rückschlüsse auf die mangelnde Diskussionskultur zu.

Solange Architekten und Planer gegeneinander argumentieren, arbeiten im Grunde beide daran, sich bei Auftraggebern und in der Öffentlichkeit unglaubwürdig zu machen. Ganz abgesehen davon, dass beide Berufsstände sich gegen diejenigen wehren müssen, die glauben, «das bisschen Architektur oder Planung» auch ohne Ausbildung erbringen zu können. Architekten und Planer müssen in bezug auf die Ausgestaltung der «Stadt Schweiz» ihre Nützlichkeit unter Beweis stellen: Politikern, Investoren, der Öffentlichkeit und der Gesellschaft gegenüber. Auch wenn man lieber von Unentbehrlichkeit träumt: Die «Stadt Schweiz» wird auch ohne das Dazutun der Planer und Architekten ausgebaut. Die Aufgabe, das Entwicklungs- und Gestaltpotential der «anderen Stadt Schweiz» zu erforschen und produktiv zu entfalten, bedürfte neuer kreativer Kooperationen. Dabei mag der französische Begriff «urbanisme» helfen, das verwaltungstechnische Image der Stadtplanung zu überwinden, und die Phantasie beflügeln, um neue Synergien zu suchen. «Sind wir (so) kühn . . .?»

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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