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Wo wohnt Lara Croft?
Der Standard

Am Anfang war die Höhle. Zwischendurch erfanden die Römer Zement und Beton. Jetzt revolutioniert der Computer die Architektur. Auf in ein neues, irres Jahrtausend! 1. Teil

22. Mai 1999 - Ute Woltron
Irgendwo im Verborgenen, in den Wohnzimmern verschlafener Vorstädte, in unbeachteten Architekturateliers, in Grafikstudios, in Studentenbuden und Uni-Kämmerchen, hat sich die Architektur in den vergangenen Jahren gesammelt, geballt und zum Sprung in ein neues Zeitalter angesetzt.

Nach vielen Jahrzehnten des Ziegelübereinanderschichtens, Betongießens und Stahlbauens - in zwar unterschiedlichen Moden, aber in ewig gleicher Machart - reformiert sich die Branche jetzt von Grund auf. Die Architektur, die große, spannende Kunst des Raumschaffens, die so selbstverständliche, doch elementarste Wissenschaft, ohne die der Mensch gar nicht mehr überleben könnte, hat nach langer, langer Zeit wieder einmal völlig Neues ausgebrütet, eine andere, spannende Rasse gezüchtet. Sie wird die herkömmliche Architektur natürlich nicht verdrängen, doch zunehmend beeinflussen, und damit hat sie bereits begonnen.

Das Entwurfswerkzeug dieser neuen Architektur ist nicht mehr das zweidimensionale Zeichenpapier, sondern der Computer - eine dreidimensionale, autistische, störrische Maschine. Sie wurde in besagten verborgenen Hinterkämmerchen von Architekturavantgardisten so lange getreten, gefüttert, verdroschen, gestreichelt und zugeritten, bis sie schließlich turnier- und performancereif war.

Dieser Trainingsprozeß ging von der Außenwelt weitgehend unbemerkt vonstatten, doch nun ist der Sprung in die breitere Öffentlichkeit erfolgt. Erste computergenerierte Gebäude wurden (etwa von Nox-Architekten in Form des „Wasser-Pavillions“ in Holland) tatsächlich errichtet, eine Vielzahl virtueller Entwürfe in den vernetzten Blechbüchsen entworfen, und eine ganze Riege dieser Computer-Architekten reist pausenlos wie ein Wanderzirkus rund um die Welt, um ihre bunten, seltsamen Kreaturen, noch eingesperrt im Computerkäfig, zu präsentieren.

Dieser Tage macht der Troß in der Bundeshauptstadt Halt und kehrt für kurze Zeit im Wiener Museumsquartier ein, wo er eintrittsfrei von jedermann bestaunt werden kann. Unter dem Titel „Synworld. playwork : hyperspace“ finden dort von 27. bis 31. Mai eine Ausstellung sowie ein Symposium (29. Mai, 14-20 Uhr, Depot im Museumsquartier) statt, die neueste Trends, Entwicklungen, Standpunkte in Sachen virtuelle Welten und deren Anwendung zum Inhalt haben. Die Organisation übernahmen das Wiener Institut für Neue Kulturtechnologien/Public Netbase mit seinen Kuratoren Marie Ringler und Konrad Becker und das Architektur Zentrum Wien mit Kurt Zweifel und Katharina Ritter.

Die Veranstaltung tut genau das, was der Computer so gut kann, nämlich die verschiedensten Diszipline wie Kunst, Forschung, Industrie, Wirtschaft, Spiel und Spaß miteinander zu einem neuen Ganzen zu vernetzen. Die Architektur umfaßt dabei nur einen Teil der Ausstellung und spielt sich für die Besucher hauptsächlich über Projektionen und Bildschirme ab. Sie haben die Möglichkeit, die 3D-Welten hinter Glas selbst abzurufen und zu erforschen. Wer sich eingehender in die Materie vertiefen will, kann anstelle eines Katalogs eine Synworld-CD-Rom mit einer Fülle von Infos, Web-Adressen und Querbezügen mit nach Hause nehmen und diverse Architekturen auch via Internet betreten.

Im Museumsquartier selbst sind die „Cyberarchitekturen“ der Amerikaner Asymptote, Karl S. Chu und Greg Lynn und der Niederländer Kas Oosterhuis und NOX/Lars Spuybroek, sowie die Architekturlabors diverser Universitäten per Schirm zu bereisen. Ein Österreich-Beitrag kommt vom Futurelab der Ars Electronica.

Auch hierzulande versteht es eine Handvoll Architekten auf der Computer-Architektur in eine neue Bau-Zukunft zu dschundern. Der Wiener Rainer Pirker etwa „experimentiert, soweit es die Zeit erlaubt“ neben seiner „normalen“ Architektentätigkeit mit dem Computer und entwirft beispielsweise Baukörper auf baumbestandenen Grundstücken, indem er per Computer die Gewächse als Hindernisse definiert und Strömungsstrukturen entstehen läßt.

Ein anderer Computeravantgardist ist der in Graz ansässige Manfred Wolff-Plottegg, nach eigener Bezeichnung eine Hausgeburt der Steiermark, nach Fremdinformationen über die Jahre vom Pixel-Spezialisten zum CPU-Profi gereift. Er malträtierte seinerzeit bereits erste rechenschwache Amiga-Computer, heute konstruiert er gemeinsam mit dem Grazer Informatik-Professor Wolfgang Maass den Prototyp des „Neuronalen Architekturprozessors“. Der generiert mittels Hirnsignalen und CAD-Programmbefehlen Architekturkörper, doch näheres dazu im August, wenn sich die von Plottegg mitkuratierte Ausstellung „Zeichenbau“ im Wiener Künstlerhaus auch mit Internetarchitektur befaßt. Und noch ein Event zum Thema und zum Beweis für das Coming-Out der Computerentwerfer: Das MAK läßt sich von einer Reihe internationaler Architekten und Künstler gerade Architekturmanifeste erarbeiten und wird diese digital und zeitgleich von 2. bis 11. Juni in Wien und Los Angeles präsentieren.

Architektur und Computer können auf zwei Ebenen miteinander kommunizieren. Die fadere und gebräuchlichere davon ist jene, auf der bereits entworfene Gebilde mittels der enormen Rechenleistung der Maschinen fesch und per Mausklick durchwandelbar dreidimensional und bunt dargestellt werden. Doch davon ist hier gar nicht die Rede. „Die Architektur“, so Plottegg, „ist so wenig Bild, wie der Computer Bildmaschine ist. Er berechnet und steuert vielmehr Prozesse, deswegen sollte man ihn auch nicht zum Abbilden sondern zur Prozeßsteuerung verwenden.“ Welche Gebilde und Systeme entstehen, wenn etwa Stadtplanung, Gebäudeentwicklung und Raumkonzepte per Rechner gesteuert und entwickelt werden, was tatsächlich gebaut wurde und welche Möglichkeiten sich auftun, lesen Sie nächsten Samstag im zweiten Teil der Serie.

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