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Was ein gutes Bauwerk aushält
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Koolhaas in Venedig

Die Geschichte der Erhaltung von historischen Bauwerken ist eine der ständigen Veränderung, meint das Office for Metropolitan Architecture (OMA). Sein Spiritus Rector, Rem Koolhaas, legt im ehemaligen Handelshaus der deutschen Kaufleute in Venedig Schichten frei und fügt Neues sparsam hinzu.

4. März 2017 - Karin Tschavgova
Wenn Rem Koolhaas dem Fondacodei Tedeschi in Venedig neues Leben einhaucht, so erregt dies Aufsehen weit über die Fachwelt hinaus. Zum einen ist das ehemalige Handelshaus der deutschen Kaufleute an der Rialtobrückeein geschichtsträchtiger Ort, an dem die Geschäftsleute aus dem Norden unter Aufsicht venezianischer Sensale seit dem 13. Jahrhundert ihre Waren handelten, zum anderen hat Koolhaas mit seinem Office for Metropolitan Architecture (OMA) in Ausstellungen auf der Biennale mehrmals kritisch den Umgang mit historischer Bausubstanz thematisiert. 2008 war das sanierungsbedürftige Gebäude, das noch bis 2011 die Hauptpost beherbergte, von der Stadt an die Benetton-Gruppe verkauft worden, die ihrerseits Rem Koolhaas beauftragte, den denkmalgeschützten Bau mit dem glasüberdeckten Innenhof in ein Einkaufszentrum für gehobene Ansprüche zu verwandeln. Doch weder sein Name noch die Expertise zum Schutz von Baukultur machte es dem Architekten leicht, seine Ideen durchzusetzen. Als die ersten Pläne bekannt wurden, kam es zu massiven Protesten.

OMAs erstes Konzept hatte vorgesehen, den zu erwartenden Besuchermassen ein entsprechendes Spektakel zu bieten, indem auffallende Rolltreppen in Knallrot prominent in den zentralen Innenhof platziert wurden. Schaulustige hätten die Halle Geschoß für Geschoß in luftiger Höhe gequert. Das war selbst der venezianischen Aufsichtsbehörde zu viel, die dem Hauptanliegen des Architekten jedoch wohlwollend gegenüberstand. Die bauhistorische Untersuchung der Bausubstanz hatte gezeigt, dass der Fondaco dei Tedeschi bis in die 1930er-Jahre wiederholt umgebaut worden war. Von den alten Mauern war wenig geblieben, selbst die Arkaden waren mit moderner Technologie und Material renoviert worden. Rem Koolhaas lehnte es ab, mit seinem Eingriff eine der vielen Bauphasen als die authentische und richtige zu rekonstruieren, und plädierte für ein Sichtbarmachen dieser Zeitschichten als „Accumulation of Authenticities“. In der Überarbeitung der Planung wurde die Rolltreppe aus dem Hof in den seitlichen Gebäudetrakt verlegt, die Dachterrasse verkleinert und ein hölzerner Ponton im Canale Grande weggelassen. Der Genehmigung zum Umbaustand nichts mehr im Weg.

Die immer noch rote Rolltreppe, nun auf einen etwas verstaubt wirkenden Retro-Look abgemildert, schneidet scharf in die Geschoßdecken ein. An den Trennwänden zu den Arkaden zeigt OMA seine forensische Methode der Freilegung: Handgeschlagene Ziegel und Ergänzungen neuerer Art, vermauerte Gewölbebögen, Wandverstärkungen und raue Träger aus Beton machen die wechselvolle Geschichte und Nutzung des Baus, der nie ein Palazzo war, sichtbar. Zu den sparsam, aber gezielt gesetzten Interventionen zählen neue Durchblicke und Verbindungen. OMA verewigt sich mit einer großen, über zwei Ebenen geführten Öffnungder Arkadenwand hin zu Rolltreppe und Shopfläche. Die Hofüberdachung wird erneuert. Sie ist immer noch lichtdurchlässig, wirkt nun aber massiver, weil sie ein dezent auf den Bau aufgesetztes fünftes Geschoß trägt, das mit einer Glas-Stahl-Konstruktion abgeschlossen wird.

Der Höhepunkt für all jene Besucher, die sich nicht an Fendi, Gucci und Dior sattsehen, werden dieser über der Halle entstandene Raum und die von dort erreichbare Dachterrasse mit dem grandiosen Rundblick auf Kanal, Markt und die Dachlandschaft Venedigs werden. Zurzeit ist der Raum mit großformatigen Arbeiten von Fabrizio Plessi bestückt. Als Ausstellungsraum scheint er nicht wirklich geeignet. Mit geringer Höhe wirkt er trotz natürlichen Lichts etwas gedrungen, und das perforierte Stahltragwerk wirft Schatten. Die Architekten haben beide als öffentlich zugängliche Orte mitnicht kommerzieller Nutzung konzipiert, unddas soll so bleiben.

Skepsis ist angebracht, denn auch die große Fläche des viergeschoßigen Arkadenhofs sollte frei von Möblierung bleiben und als öffentliche Piazza fungieren – gewidmet den Bürgern der Stadt wie Besuchern und Konsumenten. So kommunizierte es jedenfalls die Stadtverwaltung, als Kritik am zunehmenden Ausverkauf der venezianischen Kulturgüter für Konsumzwecke laut wurde (Benetton hatte schon zuvor nahe dem Markusplatz einen Gebäudekomplex mit Hotel, Kino und einem traditionsreichen Theater erworben und rein kommerziell umgewidmet). Die Piazza, von OMA ursprünglich nurmit einem neuen, auffallend rot-weiß gestreiften Boden in Marmor ausgestattet, gibt es nicht mehr. War es für viele Venezianer schon ein Sakrileg, den historischen Brunnen aus der Mitte zu entfernen und ihn seitlich auf einem Rollpodest abzustellen, so folgte nun eine weitere Verfehlung. Die freie Fläche wurde einem Café zugeschlagen und mit unbeschreibbar kitschigem Design von Philippe Starck möbliert, das laut Eigenbeschreibung inspiriert ist von Gondeln, dem Dekor venezianischer Theater und Fresken, die den berühmten Karneval zeigen.

Das hat Rem Koolhaas, der gerne das gesamte Erdgeschoß als öffentliche Piazza gesehen hätte, nicht verdient. Er, der die Inneneinrichtung der einzelnen Shops-im-Shop als integralen Teil des Umbaus sah, musste diese dem englischen Architekten Jamie Fobert überlassen. Der Mieter des Tempels für Luxuswaren, das in Hongkong ansässige Unternehmen DFS, hat dem Einrichter von Flagship Stores die Aufgabe eher zugetraut als dem nach stringenten Konzepten planenden Theoretiker Koolhaas. Das Ergebnis dieser Verkommerzialisierung ist eine Überfrachtung der Räume mit unterschiedlichen Einrichtungen in Dutzenden Materialien und Formen. Nicht auszudenken, hätte auch OMA dem Gebäude noch stärker seinen gestalterischen Stempel aufgedrückt. Oder die Entscheidung getroffen, alle Unebenheiten und zeitlichen Brüche desBauwerks zu glätten und überdecken.

So wirkt das Raue, Ungeschönte als elementare Kraft des mächtigen Bauwerks und zeigt, dass es durch Aneignung eines entfesselten Marktes nicht zerstört werden kann. Sein kraftvoller Ausdruck bleibt erhalten – zumindest dort, wo man noch frei flanieren kann: in den Arkadengängen, beim Blick über den Innenhof und aus Fenstern und Durchbrüchen, die von OMA mit einfachen, schönen Gittern versehen wurden. Der neueFondaco dei Tedeschi kann somit als Symbolfür die Lebenskraft Venedigs gesehen werden – entwicklungsfähig mit Potenzial zur Transformation.

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