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Wie klingt die Stadt von morgen?
Spectrum

Nach dem Ende des Lärms

Quietschende Bremsen, dröhnende Motoren, Hupen – und dazwischen Musikberieselung: Das ist der akustische Status quo unserer Städte. Doch der wird nicht so bleiben, wie er ist. Über urbane Klangplanung, Vogelgesang auf Knopfdruck und eine Stadt, die wie Snoop Dogg tönt.

8. April 2017 - Peter Payer
Wir alle wissen aus oft leidvoller Erfahrung: Die Stadt ist laut, ja ein bisweilen unzumutbar-chaotisches Hörerlebnis. Ihre spezifische Akustik beruht im Wesentlichen auf zweiFaktoren: der extremen baulichen Verdichtung des Stadtraumes und der enormen Vielzahl an Lautereignissen, die darin stattfinden. Zusammen mit den individuell und kollektiv geprägten Hörerfahrungen, die jede/r von uns mitbringt, bestimmt dies die akustische Wahrnehmung der Stadt. Klingt also jede Stadt anders? Oder gleichen sich, wie Kritiker mahnen, insbesondere Verkehrs-, Konsum- und Shoppingareale immer mehr an? Wie werden die Städte angesichts der sich auch im Akustischen bemerkbar machenden Globalisierung in Zukunft klingen? Ist die Hoffnung berechtigt, dass siein absehbarer Zeit leiser werden?

Schon seit einiger Zeit lässt sich ein intensivierter Diskurs über Fragen der akustischen Stadtentwicklung feststellen: Die EU verordnet die systematische Erfassung und Kartierung von Lärm; in zahlreichen wissenschaftlichen, künstlerischen und medialen Projekten wird dem Hören (in) der Stadt nachgeforscht; Urbanistik, Architektur und Stadtplanung widmen sich vermehrt Klängen und Geräuschen inklusive der Frage, wie diese in künftige urbane Gestaltungsprozesse zu integrieren sind; Universitäten lehren Grundprinzipien auditiver Architektur; einschlägige Tagungen und Symposien werden veranstaltet; der US-amerikanische Künstler Sven Anderson entwickelte 2014 gar ein eigenes „Handbuch für akustische Stadtgestaltung“. Ein merkbarer „Acoustic Turn“ hat das Feld des Urbanen erfasst. Wird nun das Hören dem in der westlichen Kultur seit Langem dominanten Sehen endlich – wie manche meinen – gleichberechtigt zur Seite gestellt? Zweifelsohne ist bei der sensorischen Bewusstseinsbildung einiges in Bewegung geraten.

Vorreiter hierzulande war Linz. Schon im Jahr 2009 entstand hier im Zuge der Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt das Projekt „Hörstadt“ als Labor für Akustik, Raum und Gesellschaft. Vordringlichstes Ziel war es, eine erhöhte Sensibilität zu schaffen für die menschengerechte Gestaltung unserer akustischen Umwelt. Unter der Leitung des Musikers und Komponisten Peter Androsch wurden „Das akustische Manifest“ und ein Reiseführer durch die Welt des Hörens veröffentlicht, das Museum „Akustikon“ gegründet sowie breitenwirksame Maßnahmen gegen Zwangsbeschallung gesetzt. Der örtliche Gemeinderat verabschiedete die „Linzer Charta zur Stadtentwicklung und Stadtgestaltung in akustischem Sinne“. Darin wird der akustische Raum erstmals explizit als elementarer Bestandteil unseres Lebensraumes anerkannt und nicht zuletzt als politischer Raum definiert; Bau-, Verkehrs- und Raumentwicklungsprozesse werden ganz wesentlich auch als akustische Prozesse verstanden. Als zentrale Forderung wurde postuliert: „Jeder Mensch hat das Recht, bei dem, was in seine Ohren eindringt, demokratisch mitzubestimmen.“ Die „Hörstadt“ ist bis heute als Forschungs- und Beratungsstelle tätig und aufgrund ihrer umfassenden Herangehensweise mittlerweile bewährte Anlaufstelle für Architekten, Stadtplaner und alle an akustischen Gestaltungsfragen Interessierte.

Über die Entmonotonisierung

Den öffentlichen Raum nach modernen Erkenntnissen der Psychoakustik zu gestalten, anstatt ihn akustisch sich selbst zu überlassen, kennzeichnet eine vorausschauende urbane Klangplanung. Diese postuliert, dass städtische Geräuschkulissen nicht nur – wie oft angenommen – mit zu großer Lautstärke zu tun haben, sondern auf Differenzierung und Entmonotonisierung ausgerichtet sein sollten. Akustische Abwechslung, wechselnde Geräuschpegel und räumliche Zonierung können die Atmosphäre in der Stadt spürbar verbessern. Die Erfahrungen der Akustiker mit der Optimierung von Innenräumen werden auf den Außenbereich angewandt, von der Materialbeschaffenheit und der Ausbreitung des Schalls in unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Konfigurationen bis zur Berücksichtigung kultur- und sozialspezifischer Hörerwartungen.

Zwei österreichische Wegbereiter seien an dieser Stelle genannt: Klangkünstler Bernhard Leitner, der sowohl im Innen- wie auch im Außenbereich Räume mit Tönen gestaltete und auch als Lehrender im In- und Ausland tätig war; und Klangdesigner Sam Auinger, der erstmals Ende der 1980er akustische Interventionen im Stadtraum von Linz und Wien realisierte und seither auch in Deutschland und Amerika – teilweise ebenfalls als Lehrender – tätig ist. Die Klangbilder, die diese und mittlerweile zahlreiche weitere Soundexperten im öffentlichen Raum (mit)erzeugen, sind in den meisten Fällen temporär, also an Ausstellungen oder andere kulturelle Anlässe gebunden. Als solche werden sie dann auch intensiv – bisweilen kombiniert mit interaktiven Elementen – rezipiert. Im Fokus steht die Wahrnehmung einer neuen Lautsphäre als Kunstprojekt. Die permanente akustische Transformation eines urbanen Ortes und die bleibende Integration neuer Klänge, Geräusche und Töne in das Alltagsleben einer Stadt, stellt sich dagegen als weit schwieriger heraus. Langfristig gesicherte technische Wartung und Erneuerung oder – ganz allgemein – kontinuierliche Betreuung wären hier wichtige, allerdings nicht immer gegebene Rahmenbedingungen.

Ein Beispiel: 2012 wurde der Nauener Platz in Berlin-Mitte mit dem „European Soundscape Award“ ausgezeichnet. Der 5000 Quadratmeter große, an einer stark befahrenen Kreuzung gelegene Platz war von der TU Berlin unter der Leitung der Akustikexpertin Brigitte Schulte-Fortkamp gemeinsam mit Anrainern und einer Landschaftsarchitektin neu gestaltet worden. Beim Kinderspielplatz wurde eine Gabionenwand aufgestellt als Soundbarriere zur vorbeiführenden Straße, Hörinseln wurden geschaffen mit speziellen Bänken und Sitzringen, die auf Knopfdruck Vogel- oder Wassergeräusche abspielten. Heute, nach Jahren des Betriebs, zeigt sich, dass die akustische Neukodierung des Ortes nicht nachhaltig war. Mangelnde Betreuung ließ den Platz bald wieder akustisch „verwahrlosen“; die einst bahnbrechende Innovation ist mittlerweile völlig in den Hintergrund getreten.

Und in Wien? Während beispielsweise der akustischen Profilierung des Hernalser Dornerplatzes im Jahr 2001 keine lange Dauer beschieden war (die damals größte Soundskulptur Europas bestand aus 14 überdimensionalen Klangstelen, aus denen jeweils unterschiedliche internationale Radiosender ertönten), avanciert die seit 2003 bespielte Tonspurpassage im Museumsquartier, stringent kuratiert von Georg Weckwerth und Peter Szely, zum erfolgreichen, international rezipierten Klangkunstprojekt.

Als hörbar wirkungsvoll erweisen sich auch jüngere Ansätze in der Architektur, konkret bei der Fassadengestaltung von Gebäuden. Etwa beim 2007 eröffneten Kolumbamuseum in Köln, wo Peter Zumthor eine gelochte, schallabsorbierende Ziegelfassade realisierte; oder beim 2009 eröffneten Museum Brandhorst in München, das von Sauerbruch Hutton mit einer perforierten Metallfassade mit vorgesetzten Keramikstäben ausgestattet wurde. Derartige innovative, Schall lenkende und dämpfende Akustikfassaden werden bislang allerdings ausschließlich unter künstlerischen Aspekten gesehen. Als Teil renommierter Kulturbauten tragen sie zu einem progressiven Image bei. Eine größere Verbreitung dieser Gestaltungselemente ist, auch aus finanziellen Gründen, derzeit nicht absehbar, eine „akustische Wende“ in der Architektur, wie von manchen postuliert, wohl noch in weiterer Ferne.

Dennoch gibt es bereits Visionen, die in diese Richtung gehen und das Straßenbild der Städte mit schiefen und verschachtelten Fassaden imaginieren, anstelle von großflächigen und glatten Außenwänden. Die „Schiefstadt“, 2012 von Peter Androsch als Bild entwickelt, schlägt Kurven und schräge Flächen vor, die den Schall nicht permanent reflektieren, sondern entkommen lassen und so die Gesamtlärmbelastung senken. Ein Wissen, das bereits in der Renaissance umgesetzt wurde, sind doch in vielen norditalienischen Städten die Hauptdurchzugsstraßen in leichten Kurven angelegt.

Lärmschutzwände, die seit Langem mit vergleichbaren Mikrostrukturen arbeiten, werden im urbanen Kontext ebenfalls neu gedacht. So entwickelte die Firma Ceno Membrane Technology gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut ein aufblasbares Membrankissen, das sich besonders für den temporären Lärmschutz, etwa an Baustellen, eignet. Es vereint mehrere Vorteile: schnellen Aufbau, geringes Gewicht, flexiblenEinsatz, mehrfache Verwendbarkeit. Mithilfe der im Inneren angebrachten Kunststofffasern wird eine Lärmreduktion bis zu 20 Dezibel (!) erreicht. In Wien kam die „Ceno-Wall“ erstmals bei der Errichtung des neuen Hauptbahnhofs zum Einsatz.

Veränderung durch Elektroautos

Die von Trendforschern am häufigsten genannte Veränderung in der Stadt von morgen ist die Zunahme an Elektroautos und die damit erhoffte Reduktion der Lärmkulisse. Denn nach wie vor sind es Verkehrsgeräusche, die zu den dominantesten Höreindrücken der Stadt gehören. Kraftfahrzeuge, deren ausgeklügelte Soundproduktion in den vergangenen Jahrzehnten sowohl von Produzenten- wie von Konsumentenseite größte Aufmerksamkeit erfuhr, traten im Gefolge der Digitalisierung in eine neue Klangära ein: Als Elektrofahrzeuge können sie erstmals mit jedem beliebigen Sound ausgestattet werden. Wie dieser konkret beschaffen sein soll, darüber gibt es derzeit intensive Debatten. Denn während die einen – nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen – die gewohnten Geräusche eines Verbrennungsmotors bevorzugen, sehen andere die Chance für ein völlig neues akustisches Branding des Stadtverkehrs.

Derartige Fragen stellen sich vor allem bei einer Fahrgeschwindigkeit unter 30 Stundenkilometern (darüber ist das Rollgeräusch der Reifen dominant). Sind Elektroautos in diesem Bereich tendenziell unhörbar, treten Sicherheitsprobleme auf. In der EU müssen Elektroautos ab 2019 ein künstliches Motorengeräusch aufweisen. Das sogenannte AVAS (Acoustic Vehicle Alerting System) wird verpflichtend als Warnsignal eingeführt.

Wie all dies sich im Zusammenklang in den Straßen der Stadt auswirken wird, bleibt abzuwarten. Rein statistisch gesehen, werden wir nicht allzu schnell in diese neue Ära eintreten. In Österreich waren im vergangenen Jahr nur rund 2,5 Prozent aller Neuzulassungen Elektro- und Hybridfahrzeuge, Tendenz allerdings steigend. Den Ohren der Städter werden – in welche Richtung immer – jedenfalls weiterhin Anpassungs- und Gewöhnungsleistungen abverlangt werden. Sofern sie sich nicht für eine radikal individualistische Form der akustischen Stadtgestaltung entscheiden: der Generierung eines persönlichen Klangraums mit Hilfe von iPod oder Smartphone. So könnte die Stadt der Zukunft vielleicht auch nach Ludwig van Beethoven, Miles Davis oder Snoop Dogg klingen.

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