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In Geras gibt es Freilandschweine beim Kirchenwald
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Der Begriff „Qualität“ lässt sich bei Lebensmitteln tierischer Herkunft nicht allein mit Beschaffenheitsmerkmalen wie Geschmack oder Ernährungs- und Gesundheitswert definieren.

1. Oktober 2001 - Christine Rottenbacher
Für mich ist es etwas ungewöhnlich, über Schweineproduktion zu schreiben, nicht nur weil ich beruflich andere Schwerpunkte setze, sondern auch, weil ich Vegetarierin bin. Doch dieses Projekt erscheint mir eine wesentliche Grundlage für eine vertretbare Fleischproduktion zu sein, deshalb will ich davon erzählen.

Im Osten von Geras ist der Kirchenwald. Dort hat man vor ca. 20 Jahren einen Energiewald gepflanzt. Vor zwei Jahren wurden Gehege des Stiftes Geras für die Freilandschweine angelegt. In diesem Frühjahr waren die Gehege leicht zu finden – Seuchenteppiche auf allen Wegen, die zum Kirchen-wald führen, zeigten die Richtung an.
Bei den Gehegen angekommen, wird man meist herzlich begrüßt, neugierige große und kleine Schweine drängen zum Zaun, um bald wieder zufrieden in der Erde zu wühlen, suhlen, naschen, spielen, und was sie sonst noch gerne tun.

Wissenschaftliche Begleitforschung

Dieses Freilandschweine-Projekt wird sehr genau beobachtet und begleitet: Von der Universität für Bodenkultur in Wien wird es wissenschaftlich betreut durch ao. Prof. Dr. Sigurd Konrad vom Institut für Nutztierwissenschaften, Abteilung Tierhaltung, weiters von Ökoland, der Vermarktungsorganisation des Ernte-Verbandes, auch vom Verein „Vier Pfoten“, von „Ja natürlich!“, dem Betreuer des Stiftes DI Sigfried Zehetner und vom Tierarzt Dr. Ingomar Hofbauer. Aber auch die Bauern der Region schenken dieser Freilandhaltung eine zum Teil auch skeptische Aufmerksamkeit, das Projekt ist zum Thema an den Wirtshaustischen geworden.

Die Aufgabenstellung der wissenschaftlichen Begleitung umfasst „die Gewinnung praktisch anwendbarer Informationen zu Standortwahl und Gehegeausstattung sowie der verhaltensgerechten Sauen-, Ferkel- und Mastschweinehaltung im Freiland unter Berücksichtigung möglicher ökologischer und hygienischer Auswirkungen“, so die Überschrift des Zwischenberichts.
Beobachtet und dokumentiert wird der Zeitraum vom März 2001 bis März 2003.

Herr DI Zehetner hat mir diesen Zwischenbericht freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Ich möchte daraus Folgendes zusammenfassen:
„Der Begriff „Qualität“ lässt sich bei Lebensmitteln tierischer Herkunft nicht allein mit Beschaffenheitsmerkmalen wie Geschmack oder Ernährungs- und Gesundheitswert definieren. Das Konsumverhalten orientiert sich auch daran, ob Produkte umweltverträglich und auf ethisch zu verantwortende Weise hergestellt werden. Daraus leiten sich neue Perspektiven für die Tierhaltung ab.

Der ethische Aspekt führt zunächst zur Frage nach der geeigneten Haltungsform der Tiere. In der Stallhaltung erweisen sich selbst unter günstigen Bedingungen einige Ansprüche der Tiere als unerfüllbar. Schweine finden in den komplexen Verhaltensabläufen von Erkundung, Futtersuche und Futteraufnahme nur im Freiland dafür geeignete Bedingungen vor. Für das auf Umgebungstemperaturen und den jeweiligen physiologischen Zustand sensibel reagierende thermo-regulatorische Verhalten fehlen in Stallhaltungssystemen die adäquaten Voraussetzungen. Im Sozialverhaltensbereich kommt es durch beengte Bewegungsflächen im Stall in vielfältiger Weise zu Beeinträchtigungen des tierlichen Wohlbefindens.

Die zuletzt in Diskussion gekommene Freilandhaltung von Schweinen kann eine artgemäße und alternative Haltungsform sein, wenn geeignete genetische Herkünfte eingesetzt werden und in den Freilandgehegen Strukturen und Einrichtungen vorhanden sind oder geschaffen werden, die den Ansprüchen der Schweine entsprechen. Zur Möglichkeit, die Tiere auf einfache Art und Weise artgemäß zu halten, kommt die Ersparnis von Investitionskos-ten und die Gewähr, einen hohen Qualitätsstandard im erzeugten Produkt zu erreichen (KONRAD und LAISTER 2000).
Der ganzheitliche Ansatz des eingangs definierten Qualitätsbegriffes lässt sich nur in biologisch wirtschaftenden Betrieben erfüllen. Die im vorliegenden Projekt beschriebene Schweine-Freilandhaltung findet daher ausschließlich auf Betrieben mit biologischer Wirtschaftsweise statt.“

Hier müsste man genauer nachfragen, denn ich glaube, dass auch ein herkömmlicher Betrieb mit bestimmten Voraussetzungen (z. B. Futterzusammensetzung) eine Freilandhaltung verwirklichen kann.
Durch dieses Projekt sollen, aufbauend auf Erkenntnisse der Freilandhaltung – hier gibt es z. B. eine Studie zur Freilandhaltung von Schweinen in Österreich (BARTH, 1999) – weitere wesentliche Kenndaten, Erfahrungen und Informationen hinsichtlich der Standortwahl, des Aufbaues und Betriebes dieser Tierhaltungsform sowie der Qualitätssicherung und Vermarktung der erzeugten Produkte gewonnen werden, die auch anderen Betrieben zugute kommen.

„Der Häufigkeit nach wurden vor allem die bessere Gesundheit der Tiere, die artgemäße Tierhaltung, die hohe Produktqualität, die geringen Investitionskosten sowie die besseren Vermarktungsmöglichkeiten und der Bezug zu den Konsumenten genannt. Beklagt wurde von allen Betriebsleitern der Mangel an praktisch anwendbaren Informationen und einschlägiger Fachliteratur.“
Offene Fragen

Im Frühjahr 2000 wurde mit einer Freilandhaltung von Mastschweinen begonnen. Aufbauend auf bestehende Erfahrungen wurden Gehege eingerichtet.
Eine konsequente Umsetzung der Schweine-Freilandhaltung macht auch die Miteinbeziehung der Ferkelerzeugung in das Freilandhaltungskonzept erforderlich. Zu den noch offenen Fragen hinsichtlich Nährstoffeintrag, den Einflüssen auf den Boden und das Wasser kommt von den TierhalterInnen gerade in diesem Bereich die Forderung nach einem Mindestmaß an Verfahrenssicherheit in der Haltung von Sauen, der Aufzucht von Ferkeln und einer bedarfs- und verhaltensgerechten Fütterung von Schweinen in ganzjähriger Freilandhaltung.

Es gibt noch Informationsdefizite bezüglich saisonaler Einflüsse auf Zucht- und Mastleistungen. So werden im Rahmen des Geraser Projektes Verhaltensprotokolle erstellt, mit denen saisonale Betreuungsprofile erstellt und die örtliche Verteilung von Kot- und Harnausscheidungen dokumentiert werden können. Weitere Untersuchungsvarianten zur Reduktion punktueller Nährstoffeinträge sind ein umtriebsorientierter Ruheplatzwechsel sowie die Einstreu am Vorplatz der Schlafhütte mit oder ohne Umzäunung.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Genetik:
„Konkurrenzfähig zu anderen Haltungssystemen wird die Freilandhaltung dann, wenn von den eingesetzten Zuchtsauen eine vergleichbare Reproduktionsleistung (Anzahl abgesetzter Ferkel pro Sau und Jahr) erwartet werden kann. Neben den physiologischen Reproduktionsleistungen wie Wurfgröße und Laktation kommt in der Freilandhaltung den Muttereigenschaften eine besondere Bedeutung zu.
Von den Mastschweinen im gegenständlichen Projekt der Freilandhaltung werden zwar auch gute Mastleistungseigenschaften (hohe Tageszunahmen bei geringem Futterverbrauch) und ein möglichst hoher Magerfleischanteil im Schlachtkörper erwartet. Eine genetisch zumindest ebenso klare Disposition muss allerdings für Fitnesseigenschaften (Widerstandskraft, Bewegungsleistung) und Fleischbeschaffenheitsmerkmale (organoleptische, ernährungsphysiologische und verarbeitungstechnologische Eigenschaften) vorhanden sein (KONRAD 1985).
Die EU-Verordnung 1804/99 zur ökologischen Tierhaltung schreibt für die genetische Herkunft der Schweine unter anderem vor:
- Rassen oder Linien sollen so gewählt werden, dass bestimmte, für die Intensivhaltung typische Krankheiten oder Gesundheitsprobleme vermieden werden (BSE-Fleisch, Stress-Syndrom, plötzlicher Tod
- Einheimischen Rassen und Linien ist der Vorzug zu geben.
Die Festlegungen betreffend die einzusetzenden genetischen Herkünfte der Schweine werden aufgrund der Ergebnisse des Geraser Mastschweine-Projektes 2000 (KONRAD und LAISTER 2000) und den Leistungsprofilen der Schweinerassen in den Landeszuchtverbänden NÖ, OÖ und STMK getroffen.“
Im Geraser Projekt werden herkunftsbezogene Reproduktions- und Mastleistungsdaten sowie Daten des Schlachtkörpers und der Fleisch- und Fettbeschaffenheit vergleichend analysiert.

Wie leben denn die Schweine?

„Schweine leben arttypisch in Gruppen zusammen, deren kleinste Einheit die Familiengruppe ist. Diese besteht aus einem Mutterschwein und den Nachkommen. Mehrere Mutterschweine (meist 4 - 6), die häufig miteinander verwandt sind, bilden einen Familienverband. Die Gruppenzusammensetzung ist nicht starr, sondern ändert sich im Jahresverlauf, vor allem während der Rausche- und Wurfzeit. Der Eintritt der Rausche wird durch saisonale und insbesondere durch das soziale Gefüge der Gruppe beeinflusst (STOLBA und WOOD-GUSCH 1984, 1989).
Die Sauen werden über den ganzen Reproduktionszyklus in der Gruppe gehalten und bleiben während der gesamten Nutzungsdauer zusammen. Hierdurch werden stabile soziale Bindungen möglich, was der Synchronisation der reproduktiven Abläufe in der Sauengruppe dienen dürfte (DÖCKE 1994).“

In Geras wird das Sozialverhalten sowie im Speziellen das Geburtsvorbereitungsverhalten der Sau dokumentiert. Zum Zeitpunkt des Abferkelns muss den Sauen für die Dauer von etwa 10 bis 14 Tagen die Möglichkeit geboten werden, sich von der Gruppe zu isolieren. Die Bereitstellung geeigneter Einrichtungen wie Wurfhütten, deren Ausstattung und die nötigen Betreuungsmaßnahmen sind in der prä- und postnatalen Phase wichtig. Ein weiterer Punkt ist das Absetzen der Ferkel. Dies stellt für Ferkel und Sauen eine Stressbelastung dar. Ferkel werden von dem vertrauten Muttertier getrennt und üblicherweise in neuer Umgebung mit fremden Artgenossen zusammengebracht. „In der natürlichen Familiengruppe ist die Entwöhnung der Ferkel keine spontane Unterbrechung der Säugeperiode, sondern das Ende eines langsamen Prozesses im Alter von 12 bis 18 Wochen“ (JENSEN und RECEN 1989). Nach der natürlichen Entwöhnung von der Muttersau bleiben die Jungtiere in der Familiengruppe.
Es gibt weitere spezielle Untersuchungen zu den Mastschweinen (zum Beispiel Untersuchungen zur Entwicklung und zum Sozialverhalten von Mastschweinen im Freiland nach zeitlich unterschiedlicher Isolation von den Muttertieren), zur Fütterung, Hygiene sowie Ökologie und Wirtschaftlichkeit.

Eine umfassende Literaturzusammenstellung kann auf Wunsch gerne zur Verfügung gestellt werden. Anfragen sind am besten direkt an DI Zehetner zu richten, der im Stift Geras erreichbar ist.
Das Schweinefleisch ist nicht nur bei einer geladenen Verkostung im Hilton (Herbst 2000), sondern auch jederzeit im Supermarkt erhältlich; bei der Qualitätsbeschreibung muss ich mich auf Auskünfte anderer verlassen.

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