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Am Anfang war das Erdbeben: Skopje revisited
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Es ist ein unwillkommener Schatz, den die mazedonische Hauptstadt Skopje birgt: ein einzigartiges Ensemble brutalistischer und metabolistischer Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre. Derzeit in einer Ausstellung im Wiener Ringturm.

4. November 2017 - Iris Meder
Am Anfang des modernen Skopje stand ein verheerendes Erdbeben, das die über Jahrhunderte osmanisch geprägte Bausubstanz der historischen Stadt im Juli 1963 zu 80 Prozent zerstörte. In weltweiter Solidarität steuerten Staaten aus Ost und West, die das blockfreie Jugoslawien stets besonders umwarben, finanzielle und auch architektonische Unterstützung in Form von Planung und Ausführung öffentlicher Bauten wie Schulen und Museen bei.

Nach der Katastrophe bewies man in Skopje langen Atem und vermied einen schnellen, planlosen Wiederaufbau. 1965 schrieben stattdessen der UN-Sonderfonds, die jugoslawische Regierung, die Union Internationale des Architectes (UIA) und die jugoslawische Architektenvereinigung einen urbanistischen Wettbewerb unter acht geladenen einheimischen und internationalen Teams aus. Zur Disposition stand die Neugestaltung des zerstörten Stadtzentrums auf einer Fläche von circa zweimal zwei Kilometern. Der Jury stand der Zagreber Architekt Ernest Weissmann vor, ein ehemaliger Mitarbeiter Le Corbusiers, der 1932 die linksgerichtete Arbeitsgruppe Zagreb gegründet und sich damit in der ersten Reihe der internationalen Moderne positioniert hatte. Zur Mitarbeit eingeladen wurden unter anderem der italienische Stadtplaner LuigiPiccinato und die Niederländer Van den Broek en Bakema.

Ganz im Sinne der Nachkriegsmoderne begriff man die Zerstörungen als Chance für eine Neukonzeption der Stadt, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts mehreren Modernisierungs- und Erweiterungswellen unterworfen wurde – zuletzt 1948 mit einem urbanistischen Leitplan des Tschechen Luděk Kubeš, der den Prinzipien der Funktionentrennung nach der „Charta von Athen“ der internationalen Architektenvereinigung CIAM folgte. 1963 begann man indes bereits,die Rigidität der Charta von Athen infrage zu stellen – und das neue Skopje sollte den aktuellsten Ansprüchen genügen.

Gespannt erwartete die internationale Fachwelt die Entstehung einer modellhaften „cité mondiale“, die Lösungen für die aktuelle „urban crisis“ bieten und Wege zur Humanisierung der gebauten Umwelt zeigen sollte. Dass diese Ziele erreicht wurden, lässt sich allerdings nur sehr eingeschränkt behaupten. Das Siegerprojekt des Wettbewerbskam vom japanischen Architekten Kenzo Tange, der sich auf die archaischen Bilder von Stadtmauer und Stadttor berief, freilich in Form von Wohnhochhaus-Zeilen in bombastischem Maßstab einer modernen Metropole, zu der Skopje werden sollte. Tanges nur teilweise umgesetztes Projekt brachte auch die Gedanken des in Japan um 1960 entwickelten architektonischen Metabolismus auf den Balkan, der organische Prinzipien von Wachstum und Stoffwechsel auf Architektur und Stadtplanung übertrug, mit flexiblen, erweiterbaren Großstrukturen und Verkehrssträngen als „Adern“ des Organismus Stadt. Tange entwarf letztlich nur den Bahnhof von Skopje, die Planung der einzelnen Gebäude oblag Architekten und Architektinnen wie den Einheimischen Janko Konstantinov, der bei Alvar Aalto studiert und beim emigrierten Wiener Victor Gruen in Kalifornien gearbeitet hatte und unter dem Eindruck der Katastrophe in sein Heimatland zurückkehrte, und Georgi Konstantinovski, der in Yale abgeschlossen und mit den amerikanischen Architekturgrößen Paul Rudolph und Ieoh Ming Pei zusammengearbeitet hatte. Konstantinovski realisierte in Skopje unter anderem das Stadtarchiv, einenbrutalistischen Turmbau mit gerillten Sichtbetonwänden, und das Studentenheim „Goce Deltchev“, die ebenso zu Ikonen der gegenwärtigen Brutalismus-Renaissance taugen wie Konstantinovs Post- und Telekommunikationsamt, dem die Kuratoren der Ausstellung im Wiener Ringturm (noch zu sehen bis 17. November) kürzlich ein eigenes Buch widmeten.

Ein Spezifikum von Skopjes architektonischem Erbe ist jedoch die Internationalität seiner Planer, die die architektonischen Geschenke ihrer Länder projektierten. So entwarf der Schweizer Alfred Roth, ein enger Mitarbeiter Le Corbusiers, die Johann-Heinrich-Pestalozzi-Schule. Den Wettbewerb für das Museum zeitgenössischerKunst gewann die Warschauer Gruppe der „Tiger“ mit einem erdbebensicher konstruierten Bau in Form eines liegenden Quaders mit zurückspringendem verglastem Erdgeschoß, Skulpturengarten und weißer Marmorverkleidung auf einer Anhöhe über der Stadt. Auf Einladung der Unesco unterstützten Künstler und Künstlerinnen das Museum durch Schenkungen beim Aufbau seiner Sammlung.

Weitere Highlights des modernen Skopje sind etwa das Mazedonische Nationaltheater, das mit seinen schrägen Ebenen die Oper von Oslo vorwegzunehmen scheint, die vom slowenischen Architekten Marko Mušič entworfene Universität St. Kyrill und Method, das Mazedonische Museum, die Messe und das Hydro-Meteorologische Institut. Einige von ihnen finden sich unterdessen in der Brutalismus-Datenbank des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt, das sich der Dokumentation von Bauten des sperrigen Stils der 1960er- und 1970er-Jahre widmet und sie unter dem Motto „Rettet die Betonmonster!“ ab 9. November in einer Ausstellung präsentiert. Auch in der Retrospektive zur jugoslawischen Architektur der Tito-Ära, die das New Yorker MOMA für 2018plant, wird Skopje vertreten sein.

Für einige der Bauten scheint die neue Wertschätzung indes zu spät zu kommen – das 2010 von der damaligen Regierung gestartete milliardenteure Programm „Skopje 2014“ versuchte die Moderne zugunsten Las-Vegas-artiger neoklassizistischer Kitschbauten im Rekordtempo aus dem Erscheinungsbild der Stadt zu löschen. Vielfach wurden Bauten der als „sozialistisch“ diskreditierten Nachkriegsmoderne kurzerhand pseudoklassizistisch „verpackt“. Widerstand aus der Bevölkerung, die großteils mit Monatseinkommen von 300 bis 500 Euro auskommen muss, blieb nicht aus. Mittels medienwirksamer Aktionen wie des „Umarmens“ der doch nicht so verhassten Gebäude konnten weitere Demolierungen verhindert werden.

Die Mitte dieses Jahres gebildete neue sozialdemokratische Regierung versprach den Rückbau der 2014-Projekte. Umgesetzt wurde er nicht, da dies auch Abrisse von Neubauten bedeutet hätte. Auch die jüngste Zeitschicht wird wohl ein Teil von Skopje bleiben.

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