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Die Muse darf draussen bleiben
Neue Zürcher Zeitung

Immer mehr Museen erweitern ihre Bauten. Fragt sich nur, für was und für wen eigentlich?

19. Dezember 2017 - Antje Stahl
Wer nimmt sich eigentlich noch Zeit, über Bauarbeiten wie die am Heimplatz nachzudenken, die das Kunsthaus Zürich erweitern werden? Das fragt man sich fast jeden Tag, wenn man im Tram an diesem schönen Verkehrsknotenpunkt vorbeifährt und den Bauarbeitern zuwinkt, die da in der nassen Kälte auf dem Rohbau herumklettern und all die Eisenstäbe und Betonmauern und Rohre in Stellung bringen, damit der «lichtdurchflutete Quader», entworfen von David Chipperfield Architects, 2020 eröffnet werden kann.

Konsens, diese genauso erwünschte wie attackierte Stimmungslage, gab es bei den sogenannten Erweiterungsbauten natürlich nie. Das haben die langwierigen, mitunter heissen Debatten rund um das Landesmuseum gezeigt, die mal dem Bund, mal den Architekten Christ & Gantenbein den Ruf einbrachten, sie würden dem Schlösschen des grossen Baumeisters Gustav Gull etwas Böses antun. Würde das Strafrecht im Baurecht zur Anwendung kommen, wäre die Anklage wohl auf Körperverletzung hinausgelaufen. In den Direktorenzimmern der Schweizer Museen aber müssen sich alle einig sein: «Mein Haus muss ganz unbedingt vergrössert werden», sagt dann der eine am Buffet einer Vernissage, der andere im Zimmer irgendeines Baubeamten.

Wie sonst lässt sich der Anbauhype erklären, der seit Jahren jede Institution dazu bringt, so viel Geld wie möglich zusammenzukratzen, um wichtige Architekten anzurufen und sie zu bitten, weitere Räume für die Kunst zu entwerfen? Zürich, Chur, Basel, Genf, Bern, vielleicht sollte die Liste der Städte, die auf museales Wachstum setzen, ab sofort nicht mehr verlängert werden. «Warum?», werden sich Kunstliebhaber jetzt fragen. «Ist doch schön, wenn die Kunst mehr Platz bekommt?» Und man würde ihnen wirklich so gerne recht geben. Aber bevor sich Kunst-Enthusiasten wie im Genfer Museum für Kunst und Geschichte (MAH) wieder an die Arbeit machen, um all die entsetzlich besorgten Heimatschützer endlich auch davon zu überzeugen, dass ihr Haus vergrössert werden muss, sollte man vielleicht doch noch einmal über Sinn und Unsinn dieser An- und Erweiterungsbauten reflektieren. Der Jahresrückblick zeigt ja, dass ein Erweiterungsbau die Leitung eines Museums in eine ganz unangenehme Lage bringen kann.

Hauptsache massentauglich

Für das Kunstmuseum Basel jedenfalls ging die Rechnung nicht auf: Bald wurden die grossen Türen des neuen Gebäudes von Christ & Gantenbein verriegelt, um wenigstens das Kassenpersonal zu sparen. Wer im Spätsommer diesen Jahres die grauen Mauern erreichte, wusste wirklich nicht so recht, ob er vor einem Museum und nicht etwa vor der Zentrale des Geheimdienstes gelandet war. Die Tickets wurden im Hauptgebäude auf der anderen Strassenseite verkauft, der Erlös konnte die horrenden Kosten, die populäre Ausstellungen mit Werken von Jackson Pollock, Paul Cézanne oder Marc Chagall, nach sich ziehen, aber nicht decken. Der Kanton darf der Institution jetzt aus der fast Eine-Million-Franken-Misere helfen. Bleibt zu hoffen, dass er dasselbe für das in der hiesigen Architekturszene so wichtige Schweizerische Architekturmuseum machen wird, sonst wäre die programmatische Vielfalt in diesem Land tatsächlich bedroht. Das Bundesamt für Kultur hat diesem und anderen Häusern 2017 das Geld gestrichen, nicht zuletzt weil es sie auf Massentauglichkeit überprüft hat.

In einer Studie, für die «Art Newspaper» 2016 knapp 500 Museen weltweit befragte, sagten Museumsdirektoren, höhere Besucherzahlen seien nicht das Ziel von Erweiterungsbauten, sondern eher eine Folge. Es gehe angeblich auch nicht um Standortwettbewerb. Man müsse die wachsenden Sammlungen unterbringen, Mäzene beeindrucken und der Rolle gerecht werden, die die Gesellschaft den Kunstmuseen heutzutage zuschreibe. Ähnliche Argumente werden auch in der Schweiz formuliert. Aber welches sollte man in Zukunft wirklich zählen lassen?

Sammlungen wachsen, das liegt in der Natur der Sache. Aber wenn sich der Anteil der Werke, die nicht länger im dunklen Depot liegen müssen, wie im Kunsthaus Zürich nur von 10 auf 20 Prozent erhöht, wird die Dunkelziffer nicht abgeschafft. Sie wird sich, sollten die Kunstfreunde weiterhin grosszügig Kunstwerke für das Haus ankaufen, zwangsläufig wieder erhöhen. Muss dann, in zwanzig bis dreissig Jahren, ein neuer Erweiterungsbau her? Warum investieren Institutionen nicht in andere, digitale Räume? Warum werden Sammlungsbestände nicht für Kunstliebhaber rund um den Globus aufbereitet, ins Netz gestellt, vielleicht sogar kuratiert? Vielleicht, weil es den Bauherren um Sammlungsbestände gar nicht geht.

Kabarett und Spa

Die Fondation Beyeler in Basel wirbt schon lange nicht mehr mit den Schätzen aus ihren Depots. Ausstellungen will das Publikum sehen. Einzelausstellungen, Gruppenausstellungen, Themenausstellungen. Am besten mit grossen Namen. Sonst kommt ja niemand wieder. Deshalb musste bereits zwei Jahre nach der Eröffnung im Oktober 1997 der schöne, von Renzo Piano entworfene Museumsbau erweitert werden. Aber dabei bleibt es, wie man weiss, nicht. Nachdem gefühlt die ganze Schweiz dieser erfolgreichen Institution nachgeeifert hat, muss die Fondation nun selbst nachlegen. Peter Zumthor ist dran. Zwanzig Jahre später kommen «Menschen ins Museum, um sich zu bilden, zu unterhalten, zu erholen, sich zu treffen und auszutauschen», wie es auf der Website der Fondation Beyeler heisst. Eine Kunstinstitution will Volkshochschule, Kabarett, Spa und Wohnzimmer zugleich sein. Darunter geht es nicht mehr. (Warum eigentlich nicht Gefängnis, Nachtclub oder Flüchtlingsheim?) Ach so, Firmen sollen sich auch einmieten können, um auf das nächste grosse Geschäft anzustossen. So sieht das museale Selbstverständnis im 21. Jahrhundert aus. Das macht auch etwas mit der Architektur.

Vor ein paar Jahren diagnostizierte der Kunst- und Architekturtheoretiker Hal Foster noch «The Art-Architecture-Complex». Der bestehe im Wesentlichen darin, dass die Architektur sich an Kunstrichtungen orientiere: Minimalismus, Expressionismus, Pop-Art, Futurismus, an den grossen Museumsgebäuden und Konzerthallen von Norman Foster, Frank Gehry, Zaha Hadid und Co. liesse sich das jeweils nachvollziehen. In der Schweiz kann man den skulpturalen Gestaltungswillen von Architekten noch an der Erweiterung des Landesmuseums ablesen: Diese grossartige Betonakrobatik mag die Kuratoren in den Wahnsinn treiben, Passanten erinnert sie jedenfalls daran, dass die unangepasste Kunst in der Architektur einmal zählte.

Für die Fondation Beyeler baut Peter Zumthor bald ein zusätzliches Dorf in den angrenzenden Iselin-Werber-Park, was eigentlich schon alles sagt: Wenn eine Kunstinstitution nicht mehr nur der Kunst dient, können die Aufgaben gleich in verschiedenen Gebäuden erledigt werden. Das «Wohnzimmer» ist für die Bevölkerung und die Besucher reserviert, ein anderes Häuschen im Dorf wird für die Verwaltung gebraucht. Immerhin lässt sich im Grundriss der «Kunstvilla» der Kunstwille wiederfinden: Drei Flügel soll sie bekommen, so dass man aus der Luft vielleicht den Buchstaben Y erkennen wird, als handele es sich um ein nettes Land-Art-Projekt in der Stadt.

Der Flaneur als Konsument

In Zürich aber wird man der Architektur wohl oder übel ansehen, was sie alles leisten muss: Der «lichtdurchflutete Quader» von David Chipperfield Architects ist strenggenommen ein Kasten mit Fenstern, wie ihn sich heutzutage jeder Investor wünscht, der mit einem Einkaufszentrum, Geschäftshaus oder Wohnungsbau Geld verdienen will. Ein Atrium soll den Besuchern sogar genau wie in einer Shoppingmall zwischen Café und Shop (und Festsaal) eine bessere «Orientierung» geben. Nicht die Kunst, keine Performance, keine Videoinstallation und kein Happening, der Konsum wird hier offenbar den Flaneur fordern, der durch einen der drei Eingänge hinein und vielleicht auch gleich wieder hinaus wandelt.

Wie auch die Fondation Beyeler ist sich das Kunsthaus Zürich bewusst, dass es «eine Kultur des Austausches», «einen lebendigen Raum» schaffen muss für jedermann. Immerhin baut Chipperfield auf dem Fundament einer Schule – Kinder spielten und turnten hier früher zwischen sehr schönen Hallen. Auch in Zürich ist der neue Garten auf der Rückseite des Hauses deshalb ein wichtiges Argument. Nichts gegen Sonnenbaden und Herumhängen. Aber knapp 3000 Quadratmeter sind für die Shop- und Fest-Bespassung im Haus vorgesehen, weitere 1000 für die Stiftung Sammlung E. G. Bührle und noch 4000 für hauseigene Kunst und Projekte.

Wenn das Museum weiterhin Funktionen erfüllen muss, die früher einmal Schulen, Gartenbauämter, Cafés, Warenhäuser und Marktplätze übernahmen, muss der eingangs gemachte Vorschlag revidiert werden: Jedes Museum muss erweitert werden, und zwar über die ganze Stadt hinweg. Vielleicht ist das ohnehin bereits geschehen. Schlimm ist nur, dass die jüngere, experimentelle, aufregende, provokante, verstörende Kunst darin kaum mehr Platz findet.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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