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Profil

Studium der Kunstgeschichte in Wien und Innsbruck
1996 – 2003 freie Mitarbeiterin bei der Tageszeitung Der Standard
1998 – 2001 Chefredakteurin des Fachmagazins architektur
2003 – 2006 Geschäftsführerin von ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
seit 2006 freie Mitarbeiterin Spectrum/Die Presse
seit 2012 freie Mitarbeiterin bei architektur.aktuell
2015 – 2016 Chefredakteurin von KONstruktiv
seit 2019 Vorsitzende von ORTE Architektur Netzwerk Niederösterreich
arbeitet als freie Architekturpublizistin in Wien

Lehrtätigkeit

2003 – 2012 Abteilung für Wohnbau und Entwerfen am Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien

Mitgliedschaften

Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs
ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich

Publikationen

Ordnung und Öffnung, in: Das österreichische Parlamentsgebäude - Facetten einer Erneuerung, Hrsg. Republik Österreich/Parlamentsdirektion, Park Books, Zürich 2023
ORTE – Architektur in Niederösterreich 2010-2020, Park Books, Zürich 2021 (mit Eva Guttmann und Gabriele Kaiser)
querkraft - livin' architektur/architektur leben, Birkhäuser Basel, 2019 (hrsg. mit Gabriele Lenz)
Architektur von Dietrich|Untertrifaller, Birkhäuser Basel, 2017 (hrsg. mit Gabriele Lenz)
Generationen Wohnen. Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion | Alter(n)sgerechtes Planen und Bauen, Edition Detail, München 2015 (mit Christiane Feuerstein)
Walter Zschokke.Texte, Park Books, Zürich 2013 (hrsg. mit Gabriele Lenz und Claudia Mazanek)
ORTE – Architektur in Niederösterreich 2002-2010, Springer, Wien 2010 (mit Eva Guttmann und Gabriele Kaiser)
Wohnen, pflegen, leben – Neue Wiener Wohn- und Pflegehäuser, Bohmann Verlag, Wien 2009

Artikel

19. Juni 2020 Spectrum

Finesse ohne Firlefanz

Spektakuläre Normalität statt Effekthascherei, Lowtech-Angebote statt Extravaganzen: In der Siedlung MGG22 wird mit Erdwärme geheizt und gekühlt, der Wind bringt den Strom. So wohnt es sich klimaneutral in Wien-Stadlau.

Davon, dass die heutige Wiener Katastralgemeinde Stadlau einmal ein Marchfelder Bauerndorf war, merkt man heute auf den ersten Blick nicht mehr viel. Im historischen Zentrum beim alten Bahnhof zeugen noch ein paar Hakenhöfe von der ländlichen Vergangenheit. Südlich davon ist der neue Bahnhof als Umsteigeknoten zwischen Regionalzügen, S-Bahn und der nach Aspern verlängerten U-Bahn ein monströses Brückenbauwerk, das mit den Gleisanlagen und der Südosttangente gigantische Flächen beansprucht. Kein Bahnhofvorplatz, nur Asphaltwüste zwischen Brückenpfeilern; auf einem die vom Künstler Werner Feiersinger aus rotem Stahl geschmiedeten Umrisse des Brückenheiligen Johannes Nepomuk. Nicht ins Wasser wie Nepomuk, sondern in die Orientierungslosigkeit des Betonpfeilerwaldes fühlt man sich gestoßen. Vorbei an den Mehrgeschoßern an der U-Bahn landet man Richtung Mühlwasser bald im rural anmutenden Stadlau.

An der Mühlgrundgasse fühlt es sich zwischen Hecken von Einzelhäusern und landwirtschaftlichen Überbleibseln wie auf einer Weinviertler Hintaus-Gasse an. Eine Siedlung wie jene an der Kante zum Landschaftsschutzgebiet würde man sich in ländlichen Neubaugebieten auch wünschen. MGG22 heißt sie unpoetisch nüchtern. Wegen ihres Gebäudetechnikkonzeptes hat sie bereits das Interesse zahlreicher Besuchergruppen geweckt, denn hier wurde ein Modellprojekt für den Weg in eine CO2-neutrale und klimawandelresiliente Zukunft umgesetzt. Die Wohnungen werden mit Erdwärme nicht nur geheizt, sondern im Sommer auch gekühlt, wobei die Wärmepumpen mit Windenergie aus Überproduktion betrieben werden, die zudem im Beton gespeichert werden kann. Die klimafreundliche Technik ist unsichtbar – dem Wohnklima tut das gut, was man sieht.

Sieben Häuser und drei Plätze, gebaut auf drei Grundstücken in unterschiedlichem Besitz, geplant von drei Architekturbüros: Es ist nicht ganz einfach, die Gebäude den einzelnen Auftraggebern und Planern zuzuordnen. Es gibt weder Zäune zwischen den Grundstücken noch ein Wetteifern um die effektvollste Fassade. Das Auffallende ist die Einheitlichkeit. So ging es nicht um ein Nebeneinander möglichst auffälliger Solitäre, sondern um das Gestalten eines Siedlungskörpers um einen Siedlungsinnenraum. Initiator ist Norbert Mayr, Architekturhistoriker und Publizist, also üblicherweise einer, der Gebautes beurteilt. Mit einem 1000 Quadratmeter großen Grundstück aus Familienbesitz wurde ihm vor zehn Jahren die Verantwortung übertragen, mit dem Baugrund etwas Nützliches anzufangen, und so wechselte er aus der Perspektive des kritischen Beobachters in jene des Bauherrn. Früh war die Idee eines Gemeinschaftsgartens geboren, und Bebauungsszenarien für den eigenen als auch für die beiden benachbarten langen Flurstreifen wurden gewälzt. Separat wären sie kaum bebaubar gewesen, weil sich die Zufahrt schwierig gestaltet hätte. Also bildete man eine Grundbesitzergruppe und verständigte sich darauf, gemeinsam zu bauen und die Flächen zu einer sinnvollen Siedlungsstruktur aufzuteilen. Der gemeinnützige Bauträger Neues Leben erwarb das Stadtgrundstück, für einen Teil der Privatgründe wurde ihm das Baurecht erteilt. Mayr agierte bei zwei Häusern als Bauherr. Alle 160 Einheiten sind Mietwohnungen, fast ein Drittel davon gefördert, 20 nach den günstigen Konditionen des Smart-Wohnbauprogramms, 20 mit Eigentumsoption. Den über das ganze Areal verteilten günstigeren Wohnungen merkt man den geringeren Preis nicht an. Vielfältig auch die Wohnungstypen: In zwei gelangt man direkt aus dem Lift, andere haben zwei Eingänge, um bei Bedarf einen Arbeitsplatz extra zu erschließen, andere sind im Geschoß so organisiert, dass man sie zu einer Wohngemeinschaft verbinden könnte.

Die drei Architekturbüros – Sophie und Peter Thalbauer, Norbert Thaler & Ursina Thaler-Brunner und Alfred Charamza – verständigten sich auf eine möglichst einheitliche Architektursprache. Nur Thaler Thaler erlaubten sich mit einer zartrosa Fassade und roten Fensterrahmen beim Haus am Quartierseingang kleine Extravaganzen. Man setzte auf schlichte Baukörper, die sich einfachen Kategorisierungen wie Zeile oder Punkthaus entziehen und so angelegt sind, dass sie Platzbildungen ermöglichen. Drei quadratische Plätze liegen von winkelförmigen Gebäuden, Wegen und Durchgängen umspült in der Mittelachse. Im Zusammenspiel mit den beiden zur Mühlgrundgasse hin offenen Plätzen entstanden wohlproportionierte Freiraumsequenzen.

Dass man trotz zahlreicher Erdgeschoßwohnungen beim Durchschlendern nicht zur Voyeurin wird, ist der Freiraumgestaltung von Rajek Barosch Landschaftsarchitektur (Isolde Rajek, Oliver Barosch) zu danken, die mit von einer bemerkenswerten Vielfalt an Stauden und Sträuchern bewachsenen Rabatten zaunlos ausreichend Distanz zu den privaten Terrassen herstellt. Beraten vom Permakulturspezialisten Siegfried Tatschl, wurden sie nach dem Motto „Essbare Stadt“ bepflanzt. Neben Kräutern und Beeren wachsen Feigen, Felsenbirnen oder Exoten wie Indianerbananen und Szechuan-Pfeffer. Rankhilfen und eine moderierte Mieterbetreuung erleichtern es, das Konzept auf den Privatterrassen nach eigenem Gutdünken fortzusetzen.

Die von Obstbäumen (bald) beschatteten Plätze mit ihren sandigen Oberflächen sind wie Podien von den Wegen abgesetzt und mit locker arrangierten Stühlen und Tischen möbliert, was sie wie private Gärten wirken lässt. Im Süden schließt der mit der Wohnanlage mitfinanzierte Gemeinschaftsgarten „Stadtgemüse 22“ an, der auch benachbarten Stadlauern offensteht. Auf marketingtechnisch gut verwertbare Extravaganzen wie Schwimmbäder oder Wellnessräume wurde verzichtet, dafür aber vergleichsweise bodenständig sinnvollen Lowtech-Angeboten liebevolle Aufmerksamkeit zuteil – im großen Stil beim Energiekonzept und der Gartengestaltung, im kleinen mit Annehmlichkeiten wie schlichten Betonbänken oder Stühlen in den Eingangsbereichen. Man wünscht sich mehr von dieser spektakulären Normalität anstatt der normal gewordenen Effekthaschereien.

[ Zu einer Führung durch MGG22 laden Norbert Mayr und Peter Thalbauer am 28. Juni, Beginn 17 Uhr. Treffpunkt: Ecke Fahngasse/Mühlgrundgasse. ]

26. Mai 2020 Spectrum

Urban Gardening in Erlaa: Nicht pflanzen lassen!

Seit Herbst 2018 wurde Europas größtes Urban-Gardening-Projekt, „Erlaaer Flur“, in Wien-Liesing besiedelt. Wurden die ambitionierten Ziele erreicht? Ein Besuch im zweiten Frühling.

Vor acht Jahren wurde in Liesing-Mitte Europas größtes Urban-Gardening-Projekt auf dem Areal „In der Wiesen Ost“ entlang des Helene-Thimig-Wegs südlich des Wohnparks Alt-Erlaa auf Schiene gebracht. In einer kooperativen Klausurplanung, zu der sich Magistratsvertreter, Bauträger, Architekten und weitere Experten fünf Tage lang außerhalb Wiens in Isolation begaben, wurde ein Grundkonzept für die über 1100 Wohnungen auf 7,7 Hektar umfassende Siedlung entwickelt. Als identitätsstiftendes Thema lag Urban Gardening auf der Hand, war das Areal doch seit über 100 Jahren von Gärtnereien bestimmt. Nicht bloß ein paar Pflanztröge sollten es sein, sondern ein Gesamtpaket, das die Beschäftigung mit der Natur ermöglicht und nachbarschaftliche Interaktion stimuliert.

Das Konzept bildete die Grundlage für einen Bauträgerwettbewerb, aus dem die Projekte für die fünf Bauplätze hervorgingen. Die Visualisierungen der Wettbewerbsbeiträge suggerieren, was gewünscht war: schattenspendende Bäume, wucherndes Grün auf den Balkonen und blühende Magnolien auf den Dachterrassen. Es ist das Los der Landschaftsplaner und Gärtner, dass das Resultat ihrer Bemühungen nicht unmittelbar zu sehen ist. Daher nun der Lokalaugenschein im zweiten Frühling. Es tut sich was in der mittigen Gasse. Menschen flanieren, Kinder spielen auf den Wiesen. In den Beeten an der Ostseite wird gejätet und gepflanzt. Es herrsche eine gute Stimmung, bestätigt eine Bewohnerin den Eindruck, dass hier vieles besser funktioniert als anderswo.

Am Quartierseingang empfängt der elegante Zwölfgeschoßer von Treberspurg & Partner mit einem großzügigen Foyer samt Vertikalbegrünung. Der von Weitem sichtbaren Schwarzföhre geht es im tiefen Erdkoffer auf der Dachterrasse sichtlich gut. Ein Baukasten an Pflanztrögen lässt die Balkonbänder zu Bühnen des privaten Gartelns werden. Die Rankpflanzen im Lichthof bleiben noch unter ihren Möglichkeiten. Die reflektierende Oberfläche, die das Sonnenlicht an einer Wand nach unten locken sollte, wurde eingespart. Die Architekten hoffen noch auf das Einsehen der Bauherrschaft (BWSG). Gemeinschaftsterrassen, die sich als doppelgeschoßige „Fenster“ an der Fassade abbilden, erhielten unterschiedliche Wandbegrünungen. An der einen wuchert rosa blühender Storchenschnabel, bei der anderen scheint die Bewässerung schon länger nicht zu funktionieren.

Oft sind es Lappalien, die ursprüngliche Absichten konterkarieren. Nicht auf allen Balkonen gibt es fixe Pflanztröge und Wasseranschlüsse, um die Pflege der privaten Balkongärten zu erleichtern. Die Konzepte der Landschaftsarchitekten, hier Batik, Plansinn, Carla Lo und Yewo, leiden darunter am meisten. Ja, den Errichtern wird vieles aufgebürdet. Sie müssen leistbare Mieten zustande bringen, zugleich steigen technische Anforderungen und die Ansprüche an die grüne Infrastruktur. Kathedralenartige Tiefgaragen tragen den Stellplatzwünschen der Bezirkspolitik Rechnung, obwohl die U-Bahn in Sichtweite ist und viele Plätze leer bleiben. Gespart wird am Finish, wo man es sieht, nicht dort, wo die Budgets unsichtbar im Untergrund versickern.

Mischeks Orangerie, ein Terrassenhauspaar mit einer Vielfalt an Wohn- und Freiraumtypen, entwarfen Vlay/Streeruwitz und Nerma Linsberger. In der von Vlay/Streeruwitz als grünes Wohnzimmer konzipierten Orangerie leisten vorerst nur wenige Pflanzen aus dem Fundus der Mieter der Erstbepflanzung mit Palmen und Orangenbaum Gesellschaft. Es scheint noch Anstöße zu brauchen, damit der Raum vom dekorativen Zwischenstück zu einem Aufenthaltsbereich wird. In der Realität viel besser als auf den Fotos kann das Gebäudepaar (Bauherr: Volksbau) von Sne Veselinović und Josef Weichenberger seine Qualitäten ausspielen. Die beiden Häuser teilen sich eine viergeschoßige Halle. Sie ist nicht nur das zentrale Erschließungsgelenk, sondern ein Durchhaus im besten Sinn, an das im Erdgeschoß ein Seminarraum, ein Spielraum und die Waschküche angelagert sind. Das Holz der Umrandung des Pflanzbeets wiederholt sich an den Brüstungsabschlüssen und trägt ebenso zum behaglichen Milieu bei wie die kleinteiligen mattgrauen Bodenfliesen mit Blumenornament. Auch an Pergolen über den Tisch-Bank-Kombinationen haben die Architekten gedacht; schade, dass Pflanztröge fehlen, aus denen sich Schattenspender an der Konstruktion hochranken könnten.

Ein Haus weiter (Architekten Superblock und M+S/Bauherren: Eisenhof/EBG) wird es formal blockhafter und höher. Superblock nehmen an den Gebäudeeinschnitten das Sonnengelb des Veselinović-Gebäudes auf, was für ein wenig gestalterische Kontinuität sorgt. Hier finden wir unter anderem eine Sporthalle und auf dem Dach richtige Gewächshäuser. Gegenüber bauten Synn mit dem Bauträger ÖVW ein sehniges Haus mit tiefen Balkonen. Die Holzverschläge unter der südlichen Auskragung harren noch ihrer Verwendung. „Marktraum/Tauschregal“ steht an der Tür, derzeit findet sich darin Gerümpel.

Von oben hübsch anzusehen ist die mittige Gasse. Im Durchgehen erweist sich das grafische Spiel aus rechteckigen Flächen eher als Versuch, die Leistungsschau der omnipräsenten Garagenentlüftungen zu entschärfen. Auf keinem der Wettbewerbsschaubilder gibt es sie, nun stehen sie da. Was nicht mehr da ist, ist der ursprünglich vorgesehene kleine Teich. Dafür gibt es ein Schwimmbad, das allen lange Zähne macht, die es nicht nutzen dürfen, denn es ist den Volksbau-Mietern vorbehalten – und das in einer Siedlung, die den Gemeinschaftssinn fördern will. Was hier fehlte, aber laut Volkmar Pamer, Zielgebietskoordinator für Liesing-Mitte und Projekt-Mastermind, helfe, die gesetzten Ziele zu erreichen, ist eine Qualitätssicherung samt Katalog, der verbindliche Ziele festhält. Wenn sich alle Involvierten regelmäßig treffen, um Probleme zu artikulieren und zu lösen, ließe sich so mancher Unsinn vermeiden – damit sich am Schluss niemand gepflanzt fühlt.

17. April 2020 Spectrum

Normal wie in der Krise

Wenn das Zuhausebleiben ver-ordnet wird, zählt mehr als die Größe der Wohnung. Vom gemeinschaftlichen Projektieren im Rahmen von Baugruppen lässt sich einiges lernen, um nicht nur in Virenzeiten besser zu leben, sondern auch um der Klimakrise wirksam zu begegnen.

Kurz bevor Covid-19 den Alltag veränderte und der Sturm auf die Supermärkte einsetzte, lief im Veranstaltungssaal des Gleis 21 der Film „Anders essen – Das Experiment“ von Kurt Langbein und Andrea Ernst. Es geht darin um den Flächenbedarf, der hierzulande entsteht, um den Nahrungsmittelkonsum einer Person zu decken und die Fläche durch bewussteres Ess-/Einkaufsverhalten zu verringern. 4400 Quadratmeter müsste dieses Feld groß sein, nur ein Drittel davon liegt im Inland, nur die Hälfte stünde uns zu, wären die Flächen gerecht verteilt. Zugleich geht ein Teil des Bodenverbrauchs zulasten landwirtschaftlicher Produktionsflächen auf das Konto unkontrollierter Siedlungsentwicklungen an den Ortsrändern. Im Zuge der Viruskrise werden längst bekannte und hartnäckig ignorierte Fakten wie die Flächenversiegelung und ihr Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit auf einmal im Frühstücksfernsehen diskutiert.

„Das Dorf in die Stadt bringen“ heißt es in der Vision der Initiatoren des Gleis 21, des im Sommer 2019 bezogenen Wohnprojekts im Wiener Sonnwendviertel. Sie hatten dabei nicht verwaiste Ortszentren und wild wuchernde Siedlungsränder vor Augen, sondern Bilder vom guten Leben im solidarischen Miteinander. Die Idee für das selbst organisierte Baugruppenprojekt hatten Architekt Markus Zilker und der Prozessbegleiter Gernot Tscherteu vor sechs Jahren gehabt. Das von Einszueins Architektur geplante Wohnprojekt Wien im Nordbahnviertel, das für das von Zilker und Büropartnerin Katharina Bayer geführte Büro den Beginn einer erfolgreichen Karriere als Spezialisten für partizipativen Wohnbau bedeutete, war gerade fertig geworden. Ein weiteres Haus für eine Baugruppe in der Seestadt Aspern stand vor Vollendung, und die Lust war groß, selbst etwas zu initiieren.

Von den Mühen der partizipativen Projektentwicklung spürt man heute nichts mehr. Das Gleis 21 ist das am meisten einladend wirkende Haus im Quartier. Das liegt an charmanten Einzelheiten wie der mit offenem Bücherregal und Sitzbank möblierten Stirnwand. Oder am Holzbau, der aus Kostengründen zu scheitern drohte, aber dank der Kooperationsbereitschaft des Holzbauunternehmens, mit dem ein hochgradig vorgefertigtes Holz-Beton-Verbundsystem entwickelt wurde, doch Realität wurde. Vor allem liegt es an der Struktur des Hauses, die in Dialog mit dem Umfeld tritt. Zwei abgesenkte Höfe verschränken den öffentlichen Raum mit dem Untergeschoß, wo sich eine Musikschule angesiedelt hat. Im Erdgeschoß wird der Veranstaltungsbereich mit einem hochklassigen Programm bespielt. Neben den individuell geplanten Wohnungen gibt es ein Gästeapartment und vier Einheiten für Schutzbedürftige, die bei Bedarf einer angrenzenden Wohnung zugeschlagen werden können. Auf dem Dach bilden Gemeinschaftshaus, Bibliothek und Saunahaus den Rahmen für den Dorfplatz mit Aussicht: mehr als so manches Dorf zu bieten hat auf einer Fläche, die zwei Einfamilienhäuser verbrauchen würden.

Parallel zum Gleis 21 entstand in ländlicher Abgeschiedenheit ein weiteres Wohnprojekt nach Plänen von Einszueins. Es begann mit drei Städtern, die beschlossen, ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Ein ökologisches Leuchtturmprojekt hatten sie im Sinn, um in einer nach Einkommen, Beruf und Alter heterogenen Gruppe solidarisch Nachbarschaft zu leben und gemeinsamen statt individuellen Besitz zu schaffen. In Wien fand sich nichts Passendes, also verlegte man die Grundstückssuche ins Umland und wurde in Hasendorf am Rand des Tullnerfelds fündig, wo der Verein Wohnprojekt Hasendorf ohne Wohnbauförderung und Bauträger mit einem hohen Anteil an Eigenleistung den Holzwohnbau im Passivhausstandard in Angriff nahm. Aus der Ferne wie eine Kette aus sechs giebelständigen Reihenhäusern erscheinend, schmiegt er sich entlang der Dorfstraße an den Hang. Miteinander, nicht nebeneinander wohnen auf 1000 Quadratmeter bebauter Fläche 23 Erwachsene und 15 Kinder. Der Sockelbau und das Volumen unter den zwei nördlichen Giebeln werden kollektiv genutzt. Moderate 22 Quadratmeter stehen pro Person an individueller Wohnfläche zur Verfügung. Eng wird es aber nicht. Platz für Büroarbeit oder Sport findet sich in den gemeinschaftlichen Räumen, auch auf ein Backrohr verzichteten die meisten, gibt es doch eine gut ausgestattete Gemeinschaftsküche für größere Kochaktionen. Als gemeinsame Speis dient der Lagerraum der eigenen Foodcoop, die Bio-Lebensmittel en gros einkauft; sehr groß ist der Fahrradraum, klein der Platz für Autos, die geteilt werden. So kommt man auf unter 40 Quadratmeter pro Kopf, immer noch fünf weniger als der österreichische Durchschnitt. Ein Bewohnerpaar betreibt im Ort eine solidarische Landwirtschaft, die regionales Obst und Gemüse liefert.

„Es war nie unser Ziel, den Leuten das richtige Leben auf dem Land zu erklären, sondern hier in Harmonie mit der Dorfgemeinschaft zu leben“, betont Mitbegründer Maximilian Wollner. Der missionarische Anspruch hält sich also in Grenzen. Dennoch wäre es kein Schaden, würden sich die Akteure im geförderten Geschoßwohnbau vom Hasendorf abschauen, wie man Dichte und attraktive Freiräume vereint, größere Kubaturen in die Dorflandschaften einbettet, und mit welchen Inhalte gute Nachbarschaft stimuliert werden kann. Wenn es in Krisenzeiten „zu Hause bleiben“ heißt, ist das alles Gold wert. Im Wohnprojekt ergriff man unter der Leitung eines kleinen Krisenteams ähnliche Maßnahmen wie die staatlichen Autoritäten. Gemeinschaftliches ist auf das Notwendige reduziert, die sozialen Kontakte sind dennoch da. Dank der Foodcoop ist die Vorratskammer gefüllt, zusätzliche Einkäufe werden zweimal pro Woche erledig. Wird das gegenseitige Unterstützen auch im Normalmodus praktiziert, ist es in der Krise nichts Besonderes.

6. März 2020 Spectrum

Passiv passiert anderswo

In der Salzburger Altenpflege setzt man auf das Hausgemeinschaftsmodell: Den Altbestand der früheren Vereinigten Versorgungsanstalten ergänzt nun das Seniorenwohnheim Nonntal. Umgesetzt von den Villacher Architekten Gasparin und Meier.

Euphorisch rühmte das „Salzburger Volksblatt“ anlässlich der Eröffnung im Jahr 1898 die Vereinigten Versorgungsanstalten der Stadt Salzburg in Nonntal: „Jeder, der dieses neue Denkmal der Humanität und des Culturfortschrittes Salzburgs je betreten hat, wird mit uns der Überzeugung sein, daß weit und breit in den Landen herum kein Heim gefunden werden kann, in welchem das Alter nach einem Leben voll Arbeit seine letzten Lebenstage so behaglich verbringen kann, als in diesem Hause.“ Der klösterlich anmutende Bau mit Kapelle an der Karl-Höller-Straße entstand nach einem Entwurf von Franz Drobny, damals Architekt im städtischen Dienst, später Stadtbaudirektor in Karlsbad und Rektor der Technischen Hochschule Graz. Über ein Jahrhundert lang wurde das Gebäude immer wieder an sich ändernde Pflegekonzepte angepasst – bis es nicht mehr ging. Heute sind nicht nur die Ansprüche an den Wohnkomfort höher, sondern auch die Menschen, die institutionelle Pflege in Anspruch nehmen, älter – im Schnitt über 80 – und dementsprechend stärker pflegebedürftig. Da im denkmalgeschützten Bestand, das in Salzburg seit der Neuausrichtung sämtlicher Seniorenheime der Stadt favorisierte Betreuungsmodell in Hausgemeinschaften schwer realisierbar gewesen wäre, schrieb man einen ein Wettbewerb für einen Neubau an der Rückseite aus, bei dem die Villacher Architekten Sonja Gasparin und Beny Meier reüssierten. Im Altbau werden derzeit geförderte Wohnungen errichtet.

„Das geforderte Raumprogramm war für die Situation sehr groß, daher ging es uns darum, das Volumen aufzulösen“, begründet Sonja Gasparin das Konzept des offenen Ensembles. Zwei im Grundriss tropfenförmige und durch ein Erschließungsgelenk verbundene Häuser stellten sie also wie einen Pavillon ins Zentrum des zum Grünraum hin offenen Hofes. Vor Ort erstaunt, wie klein der Neubau wirkt. Um ein ausladendes Erdgeschoß und zu große Nähe zum Bestand zu vermeiden, riskierten es die Architekten, entgegen der Vorgaben etwas höher als bis zur Traufhöhe des Bestandes zu bauen, und setzten zudem den Baukörper in eine leichte Senke. „Der Neubau darf den Bestand nicht schlechterstellen“, so ihre Devise; die künftigen Wohnungen im alten Gemäuer sollten durch das Pflegewohnhaus den Bezug zum Park nicht verlieren. Über dem Erdgeschoß, das Verwaltung, Therapieräume, Cafeteria und Mehrzwecksaal aufnimmt, kragen vier Wohngeschoße aus und geben den Freibereichen rundum Witterungsschutz.

Ähnlich einem Haushalt basiert das Hausgemeinschaftsmodell auf der Idee eines Zusammenlebens in einem wohnlichen Milieu. „Die Pflege steht nicht mehr so im Vordergrund“, betont Pflegedienstleiterin Heidi Hager. Wer noch kann, übernimmt leichte Hausarbeiten und ist damit nicht zur Passivität verdammt. Zwölf Personen leben im konkreten Fall in einer Hausgemeinschaft. Die notwendigen Pflegeleistungen werden nach individuellem Bedarf von qualifiziertem Pflegepersonal übernommen. Als fixe Bezugspersonen, die quasi den Haushalt führen, sind Alltagsmanager eingesetzt. Sie sorgen auch für die Zubereitung der täglichen Mahlzeiten in den Wohnküchen. Diese gemeinschaftlichen Zentren jeder der acht Einheiten orientieren sich jeweils zu großen überdeckten Gemeinschaftsterrassen, die gartenseitig in der Mittelachse auskragen, und denen nach innen jeweils ein kleines Wohnzimmer vorgelagert ist. Verglast und mit Vorhängen als intimere Rückzugsorte gestaltet, werden sie auch vom Personal gern für kleine Auszeiten im fordernden Pflegealltag genutzt. Zudem verfügt jede Hausgemeinschaft über eine kleinere Loggia als Rückzugsort im Freien. Dazwischen sind die individuellen Einheiten für jeweils eine Person so aufgefächert, dass über Erkerfenster mit niedrigem Parapet für einen weiten Blickwinkel nach außen – ins Grüne, zu den Salzburger Hausbergen und zur Festung – gesorgt ist. Im Kern jeder Geschoßhälfte sind einerseits an strategisch günstiger Stelle die Pflegestützpunkte und diverse Nebenräume zu Inseln gruppiert. Zum anderen ist jeweils ein Atrium eingeschnitten, das zusätzlich Licht in die Gebäudemitte bringt. Dass damit auch für Blickverbindung zwischen den Geschoßen gesorgt ist, bereichert den Spaziergang um Rauminsel und Atrium in Achterschleifen, der besonders für demente Bewohner mit Orientierungsschwierigkeiten und hohem Bewegungsdrang ein wichtiger Beitrag zum Wohlbefinden ist.

Sehr individuell, geprägt von der Handschrift der Betreuer und ihrer Anvertrauten, wird in den Kleineinheiten der Alltag gelebt. Eines aber zieht sich durch das ganze Haus: eine hochwertige, auf Details bedachte Gestaltung, bei der das „Altenspezifische“, das die Erfordernisse und Vorschriften in Hinblick auf Sicherheit und Hygiene unumgänglich mit sich bringt, im Hintergrund bleibt. Von hoher Güte sind Material-, Farb- und Möblierungskonzept. Das beginnt an der Fassade, die im Wechselspiel von putzähnlichen Plattenverkleidungen und metallischen Fassadenelementen beim nördlichen Gebäudeteil etwas heller als beim Südtrakt gestaltet wurde, was zur feingliedrigen Wirkung beiträgt. Dort, wo Außenwände an Aufenthaltsräume im Freien treffen – am Sockelgeschoß, im Atrium und bei den Loggienwänden –, kam Glasmosaik zum Einsatz, dessen Farbigkeit an eine Blumenwiese erinnert. Hochwertiges wie Pietra Piasentina – ein weiß geaderter braungrauer Kalkstein – in den zentralen Erschließungsbereichen und sonst fast überall Holzböden sorgen für einen robust-eleganten Hintergrund. Das Mobiliar ist bei aller gebotenen Zweckmäßigkeit dennoch wohlgestaltet.

Komplettiert wird das wohnliche Ambiente durch das Orientierungssystem der Künstlerin Ingeborg Kumpfmüller, das mit Textsequenzen und kleinen Wandskulpturen angereichert optisch und haptisch stimulierend wirkt. Die Freiflächen haben Auböck und Karasz so gestaltet, dass sie ohne spürbare Grenzen in den bestehenden Grünraum übergehen. Das heute gern beschworene „Altsein in Würde“ wird im Seniorenwohnhaus Nonntal nicht nur durch das Pflegekonzept unterstützt, sondern auch vom kultivierten erwachsenen Habitus der Architektur. Die in ähnlichen Einrichtungen oft so vordergründig spürbare verhätschelnde und verniedlichende Attitüde eines Kindergartens für Alte vermisst man hier auf wohltuende Weise.

24. Januar 2020 Spectrum

Griss um die alten Fliesen

Die Werkserie „Nine Buildings, Stripped“ von Andreas Fogarasi erzählt in unsentimentaler Konzentriertheit von Transformationen des Stadtbilds. Fragmente nicht mehr existenter Bauten werden mit Materialmustern ihrer Nachfolgeprojekte kontrastiert. Aktuell zu sehen in der Kunsthalle Wien.

Ein Stück gekantetes Aluminiumblech, darüber eine glattes eloxiertes Alupaneel, eine Steinzeugfliese und ein Stück Granit; zusammengehalten wird alles von einem Stahlumreifungsband, wie man es zur Sicherung von Palettenladungen verwendet. Der Künstler Andreas Fogarasi sichert solcherart Fragmente von Oberflächen nicht mehr existenter Bauten zusammen mit Materialmustern ihrer Nachfolgeprojekte. Das beschriebene Paket komprimiert auf 166 mal 125 mal 67 Zentimetern zwei Erscheinungsbilder des Gebäudes der einstigen Pensionsversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft auf der Wiedner Hauptstraße in Wien. Mit dem Wandel zur Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA) und jüngst zur Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) veränderte sich auch das Äußere.

Andreas Fogarasi wohnt im Viertel. Der Beginn der Umbauarbeiten gab vor zwei Jahren die Initialzündung für eine Werkserie, die sich der Veränderung der Oberflächen von Gebäuden und damit der Transformation der Stadt widmet. „Nine Buildings, Stripped“ lautet der Titel der Ausstellung in der Kunsthalle Karlsplatz, kein zufälliger Ausstellungsort. Als provokanter gelb-blauer Blechcontainer abgetragen und 2002 als schnittiger Glaspavillon wiederauferstanden, beide als Provisorium geplant. Das erste blieb zehn Jahre statt vier, das zweite hat bald das Doppelte der prognostizierten zehn Lenze auf dem Buckel. Die beiden Bauten von Adolf Krischanitz sind ein Beispiel dafür, dass etwas sehr Gutem ebenso Gutes anderes folgen kann, ohne Verlustgefühle zu hinterlassen. So geht Weiterentwicklung, so wird Hoffnung geschürt, dass alles besser werden kann.

Neun Fallbeispiele – von der Opernpassage bis zum Rinterzelt – sind Thema der Ausstellung. Andreas Fogarasi hat entweder während des Abbruchs von der Baustelle Originalmaterialien vor der Entsorgung gerettet oder sie von Sammlern, Bauherren, Baufirmen oder Architekturbüros zur Verfügung gestellt bekommen. Am meisten bedauern Besucher den Verlust des Gründerzeithauses in der Hackengasse, erzählt der Künstler. Es war ein unscheinbares Haus zwischen Umspannwerk Schmelz und einem Möbelhaus. Um die Jahrhundertwende war hier die Hutfabrik Egidius Klenz ansässig, ab 1909 die Ebreichsdorfer Filzhutfabrik S. & J. Fraenkel, dann die NSDAP-Ortsgruppe Neubaugürtel.

Fogarasi ergatterte ornamentierte Zementfliesen und ein Stück Gusseisengeländer. Dazu collagiert er die Materialien des Nachfolgebaus, der dieses Jahr in Angriff genommen wird: ein Sechsgeschoßer mit Putzfassade, Metallelementen und 35 Wohnungen, geplant von Malek Herbst Architekten, lässt sich dem Begleittext von Wojciech Czaja im Ausstellungs-Booklet entnehmen. Das Material des Vorgängers lebt im Kunstwerk weiter, vielleicht auch auf anderen Baustellen; um die historischen Fliesen herrscht ja ein ziemliches Griss. Nachgetrauert hat man 1970 auch den beiden Häusern in der Wiedner Hauptstraße 84 und 86, die von Alois Ignaz Göll und Andreas Lechner in den Jahren 1826/27 für den Seidenfabrikanten Johann Georg Hartmann errichtet worden waren. Ende der 1960er-Jahre erwarb die Baufirma Adalbert Kallinger die Liegenschaften, die Umwidmung machte 1970 den Weg frei für den Bau des zehngeschoßigen Versicherungsgebäudes von Carl Appel (1911–1997), dessen gut beschäftigtes Büro das Baugeschehen der Nachkriegszeit bis in die 1970er-Jahre stark prägte. Obwohl es ein drastischer Eingriff ins Stadtbild war, ließen sich Qualitäten erkennen. Die an eine grobe Putz- oder Rindenstruktur erinnernde Reliefierung der fünf Millimeter starken Parapetbänder ist ein Entwurf des Metallkünstlers Hellmuth Gsöllpointner. Sie entschärfte die Brutalität des Kolosses und verlieh ihm ein Gesicht und Plastizität. Im Hohlraum wurden die Versorgungsleitungen geführt, das Hervorspringen aus der Fensterebene sollte die Sonneneinstrahlung mindern.

Zwecks Generalsanierung des Gebäudekomplexes lobte 2016 die SVA ein Verhandlungsverfahren zur Findung eines Generalplaners aus. Die Architektenkammer kritisierte, dass die hohen Anforderungen hinsichtlich Mindestumsatz und Höhe der Berufshaftpflichtversicherung den Kreis potenzieller Teilnehmer auf weniger als 0,1 Prozent der Kammermitglieder einschränken würden. Die Pointe: Die Berufsgruppe der Architekten wurde nach einigen Jahren in die SVA eingegliedert. Drei Büros bewarben sich, der Zuschlag ging an die Arbeitsgemeinschaft ATP Wien Planungs GmbH/Hinterwirth Architekten. Das Gebäude wurde völlig entkernt, die Fassade demoliert und laut Beschreibung der Architekten „das äußere Erscheinungsbild zeitgemäß und freundlich gestaltet“. Beige eloxierte Aluminiumpaneele glätten das Gesicht der robusten alten Dame wie zu dick aufgetragenes Camouflage-Make-up. Dabei ist ihre Materialstärke viel geringer als die der Gsöllpointner-Bleche. Ein vorgehängtes Raster aus weißen Balken und unterschiedlich dimensionierten Streben versucht aufzufrischen. Welch rhythmischer Systematik er folgt, ist nicht zu erkennen, Horizontalgliederung und Plastizität der Fassade gingen völlig verloren. Auf die Wandskulptur sind über das alte und neue Aluminium eine dünne Keramikfliese und ein vier Zentimeter dickes Stück Granit geschnallt. Welches der beiden von der alten Sockelverkleidung stammt, errät man leicht. In Zeiten klammer Kassen und gebotener Ressourcenschonung ist es richtig, den Materialeinsatz zu minimieren. Dass alles billig ausschauen muss, gebietet hingegen keine Klimastrategie.

Andreas Fogarasis Arbeit ist sachlich, nicht wertend oder plakativ anklagend. Das Dokumentarische steht im Vordergrund, die politisch-kritische Dimension ist dennoch präsent. Es werden Fragen losgetreten, nach dem Umgang mit dem kulturellem Erbe, dem heute Angemessenen und Richtigen, der Botschaft von Werkstoffen, unserem Anspruch an die Haptik und Ästhetik jener Materialien, die den Stadtkörper bilden und unsere öffentlichen Räume umranden. Bei den neun Skulpturen der Ausstellung wird es nicht bleiben, weitere Arbeiten und damit neue Fallbeispiele, die (Um-)Denkprozesse auszulösen vermögen, sind geplant.

[ Die Ausstellung „Nine Buildings, Stripped“ ist noch bis 2. Februar in der Kunsthalle Wien zu sehen, www.kunsthallewien.at ]

7. Dezember 2019 Spectrum

Gemütlich wie eine Dorfschule

Der neue Bildungscampus Berresgasse in Wien-Donaustadt: eine regelrechte Bildungsburg für 1100 Kinder. Anonym und unübersichtlich? Fehlanzeige! Dank schlauer Gliederung keineswegs.

Wie ein Gebirge von einem anderen Planeten türmt sich Wiens jüngster Bildungscampus knapp an den Überbleibseln des einstigen Bauerndorfes Breitenlee und dem typischen Siedlungshäuser-Wildwuchs an der städtischen Peripherie auf. Mit den in Sichtweite befindlichen Plattenbauten von Oskar und Peter Payer zwischen Ziegelhofstraße und Quadenstraße aus den 1970er-Jahren kann es die Schule größenmäßig aufnehmen, kontrastiert dazu aber mit ihrer Fassade aus Holz, der verschiedene Fensterformate sowie der Wechsel von senkrechter und waagrechter Beplankung ein lebendiges Erscheinungsbild verleihen. Dank seiner Gliederung und Feinkörnigkeit gelingt es dem von PSLA Architekten geplanten Gebäude, die Maßstäbe der Siedlungswelten zu verbinden. Die Verbindung von Lernen und Freizeit für Kinder von null bis vierzehn an einem Standort ist seit rund zehn Jahren das Ziel des Wiener Campusmodells. In der Zwischenzeit wurde das Konzept zum „Campus plus“ weiterentwickelt. Dabei geht es darum, den pädagogischen Betrieb und die Freizeitgestaltung der verschiedenen Bildungsstufen stärker miteinander zu verschränken, um gegenseitiges Lernen zu fördern und den Kindern den Übergang von einer in die andere Stufe zu erleichtern.

Nicht nur die Bildungsstufen gut zu vernetzen war Lilli Pschill und Ali Seghatoleslami ein Anliegen, sondern auch die Schule bestmöglich in das Quartier zu integrieren und daher das Schulareal so wenig wie möglich von der Umgebung abzugrenzen. Ein großer Vorplatz mit diversen Angeboten für Spiel und Aufenthalt hält Abstand zur künftigen Bebauung, kein Zaun grenzt ihn ein. Aber selbst Teile der abgegrenzten Schulspielplätze sind außerhalb der Betriebszeiten öffentlich zugänglich und sorgen dafür, dass der Begriff „offene Schule“ kein Schlagwort bleibt.

Wie klug eine Schule städtebaulich angelegt ist, interessiert ein Kind, das erstmals Kindergarten oder Volksschule besucht, wenig. Es möchte nicht verloren gehen in der Masse der allmorgendlich ankommenden Kinderschar und verlangt nach Geborgenheit. Daher wird der Haupteingang von zwei weiteren Eingängen flankiert, von denen Stiegenhäuser direkt in die Cluster von Kindergarten und Volksschule führen. Ebenerdig kommen in einem rechtwinkeligen Sockelgeschoß jene Funktionen zu liegen, die von der gesamten Campusgemeinschaft genutzt werden respektive unkompliziert für externe Besucher erreichbar sind. Nächst dem Haupteingang liegt der für eine größere Raumhöhe abgesenkte Veranstaltungssaal. Ebenfalls zum Vorplatz hin orientieren sich die Büros der Verwaltung, zur Gartenseite Küche, Speisesaal, Werksäle und Therapieräume. Auch die Kleinkindergruppen und Förderklassen sind auf raschem Weg zugänglich im Erdgeschoß untergebracht. Das grafische Motiv, aus dem der Durchlaufschutz an den Glasflächen gebildet ist, gibt Auskunft über die Organisation der Grundrisse in den Obergeschoßen. Eine dreiflügelige Form – die Architekten nennen sie „Sternchen“ – nimmt die zu Clustern gruppierten Bildungsräume auf. Im ersten und zweiten Obergeschoß sind sie zu kleinen zweigeschoßigen Häusern im Haus arrangiert. Dort angekommen, verfliegt sofort jeglicher Spundus, den man vor einem so großen Gebäude haben kann, wenn man noch klein ist. Eine Treppe und ein zentrales Atrium verbinden die untere Ebene des Kindergartengruppen und die obere der Volksschule. Zahlreiches Mobiliar wurde für diverse Spiel- und Lernszenarien maßgeschneidert, jede Ebene wie ein Dorfzentrum als Gruppierung kommunizierender Gefäße konfiguriert. Die Rückzugs- und Arbeitsräume der Pädagoginnen sind nicht in einem Verwaltungstrakt fernab untergebracht, sondern mittendrin, womit innerhalb des großen Gesamtkomplexes autonome Organisationseinheiten entstehen, die klein, übersichtlich und gemütlich wie eine Dorfschule wirken. Raumhohe Edelstahlnetze gewähren ungehinderten Durchblick zwischen dem Platz unten und der Galerie; Vorhänge erlauben es, den Grad an Sichtverbindung zu regulieren. Unterstützt vom Farbkonzept in Beige-, Rosé- und Blautönen und der von geölten oder unbehandelten Holzoberflächen dominierten Materialsprache, gelang ein alle Sinne stimulierendes Setting, das Gemeinschaftsgefühl wirksam werden lässt und eine gute räumliche Basis für die Zusammenarbeit über die Geschoße und Bildungsstufen hinweg bildet.

Im obersten Geschoß, das der Neuen Mittelschule vorbehalten ist, findet sich diese Raumgeometrie wieder, hier allerdings auf einer Ebene. Drei Klassenzimmer, nach neuer Sprachregelung „Bildungsräume“, sowie diverse Sonderunterrichtsräume wie für den EDV-, Physik- oder Musikunterricht sind um die gemeinsame multifunktionale Mitte gruppiert und jeweils zwei solche Einheiten zu einem Bildungsbereich gepaart. Zwei Typen von Bildungsräumen gibt es: einen rechteckigen mit 78 Quadratmetern und einen quadratischen mit 60 Quadratmetern, der um einen Appendix mit 18 Quadratmetern erweitert ist. So lassen sich unterschiedliche pädagogische Bedürfnisse und Unterrichtsszenarien recht vielfältig gestalten. Von zwei Seiten sind die Räume belichtet – über tief liegende Fenster mit vorgelagerten Sitz- und Liegeflächen und höher angeordneten, die den Himmel hereinholen. Die Regale sind an den Außenwänden angebracht, wodurch die Kinder ganz beiläufig beim Abstellen ihrer Materialien den Blick ins Freie mitgeliefert bekommen.

Die Verbindung ins Freie ist ein weiteres großes Thema des Campus. Aus jedem Bildungsbereich gibt es direkten Zugang auf eine große, teilweise überdeckte Terrasse mit altersgerechtem Equipment für eine abwechslungsreiche Unterrichts- und Pausengestaltung an der frischen Luft. Große Hochbeete sind mit befestigten Wegen erschlossen, die den Kleinen das Eintauchen ins Grüne erleichtern. Außentreppen verbinden die von EGKK Landschaftsarchitektur ideenreich gestalteten Freiräume über die Geschoße hinweg und führen in den Garten, der mit Spielplätzen und Sportmöglichkeiten für alle Altersgruppen, Rückzugs- und Therapiegärten sowie Wasserspielen aufwartet. Für das Gelingen einer ganztägigen Schulform stellt die Schularchitektur ein wesentliches Kriterium dar, betont der Nationale Bildungsbericht 2018. Der Bildungscampus Berresgasse liefert dazu ein gebautes Leitbild.

9. November 2019 Spectrum

Beauty beim Bauen!

Schön, im Einklang mit der Umgebung und ihren Nutzern, nachhaltig in mehrfacher Hinsicht und ein Vorbild für andere Bauherren: Das sind die Sieger des Bauherrenpreises 2019.

Einfamilienhaussiedlungen, die wie unheilbare Geschwüre aus den Siedlungskörpern der Dörfer herauswachsen, vom Immobilienrausch überformte Dachlandschaften in den Städten, mit hilflos kreativen Färbelungen unterteilte styroporverpackte Fassaden, vom Wettrüsten der Skigebiete verschandelte Landschaften, der Wildwuchs an Werbeflächen und Stadtmobiliar, außerhalb der Geschäftszeiten brachliegende Parkplätze der Gewerbeparks, die Kaufkraft und Leben aus den Ortszentren abziehen: Haben wir uns schon daran gewöhnt? Fragen wir uns noch, wer das verantwortet? Ist uns bewusst, dass diese Hässlichkeiten ökologische und ökonomische Auswirkungen haben?

2342 Kilometer war die Jury – Donatella Fioretti, Andreas Cukrowicz und Albert Kirchengast – des von der Zentralvereinigung der Architekten ausgelobten Bauherrenpreises durch Österreich unterwegs. Im Vergleich mit der Masse der Bausünden und baukulturellen Problemfälle schnitten wohl alle der zu beurteilenden Bauten gut ab. Besser als gewohnt ist nicht zwangsläufig gut. Architektonisch vorbildliche, innovative Projekte waren gefragt, die einen Beitrag zur Verbesserung des Lebensumfeldes leisten, und selbstverständlich ist das hohe Engagement der namensgebenden Bauherren eine Bedingung für die Zuerkennung des Preises. Da fällt das Anlegen der Maßstäbe nicht immer leicht. In kleinen Gemeinden stehen selten kommunale Bauaufgaben an; entsprechend ungeübt sind die Verantwortlichen. Wenn es gelingt, im neuen Kindergarten die Raumsituation für Pädagoginnen und Kinder eklatant zu verbessern, den Energiebedarf zu senken und mit möglichst unbedenklichen Materialien zu bauen, ist es oft schon eine große Leistung. Soll man hier also weniger streng sein als bei routinierten Auftraggebern? Nein! Sonst würde man das Mittelmaß als Vorbild etablieren.

Diese Vorbilder braucht es besonders im ländlichen Raum. Dort, wo zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung wohnen und zugleich Ortskerne veröden, ist Baukultur oft noch ein Fremdwort und werden Planer, die sich kritisch mit örtlichen Problemfeldern befassen, als Quertreiber wahrgenommen. Umso wichtiger ist es also, jene Bauherren im ländlichen Raum vor den Vorhang zu bitten, deren Leistungen exemplarisch wirken können. So wie Hubert und Diana Huemer, die im Hausruck Wagyu-Rinder züchten und sich für die Tiere einen Stall in traditioneller Holzbauweise wünschten, in dem der japanische Ursprung der Rasse anklingt. Architekt Herbert Schrattenecker, für den der Stallbau Neuland war, orientierte sein architektonisches Konzept an den Stallbewohnern: wie das Wagyu-Rind selbst sicher auf dem Hang stehend, etwas geduckt, mit starkem Körper auf festen Beinen und dennoch weich und beweglich. Das Holz stammt von Fichten und Tannen aus der Region, wurde kernfrei geschnitten, um Rissbildungen vorzubeugen, und so eingesetzt, dass die Konstruktion traditionelles Zimmermannswissen und die Möglichkeiten des Materials ausschöpft. Bis zu neun Meter lang sind die Balken, die zu einer schützenden Behausung gefügt wurden. Die statische Aussteifung erfolgt über das Dach und das obere Tragwerk, um den Rindern maximalen Bewegungsraum und dem Traktor die Durchfahrt zu gestatten. Voneinander abgesetzte, überlappende Dachflächen sorgen für Durchlüftung, die Verglasung des Firstes und der Giebel mit echtem klarem Glas statt mit transluzentem Kunststoff lässt das Tageslicht ungetrübt über die ganze Länge einfallen. Die Bauherren rühmen die „Erfahrung, Besonnenheit und aufrichtige Art“ des Architekten, der somit seine Zunft für Bauaufgaben empfiehlt, die schon längst Katalogware geworden sind. Mit viel Eigenleistung und dem Mut, Außergewöhnliches zu wagen, ermöglichte die Bauernfamilie eine Architektur, die den Ansprüchen einer modernen, nachhaltigen Landwirtschaft vortrefflich gerecht wird.

Lokale Denk- und Bauweisen übernehmen und etwas Neues schaffen, das mit unserer modernen globalisierten Welt im Einklang steht, das gelang auch bei den zwei weiteren Preisträgern in ländlicher Umgebung. Im burgenländischen Weingraben war auf dem Hof der Großmutter vom Ehemann der Enkelin schon länger Schnaps gebrannt worden, und so reifte bei Elisabeth und Claus Schneider der Wunsch, auf dem Grundstück ein Domizil für die eigene Familie zu errichten. Mit Architekt Jury Troy, Vorarlberger wie der Bauherr, aber schon lange in Wien ansässig und mit den Bautraditionen Ostösterreichs vertraut, wurde der Streckhof weitergebaut. Hinter der Scheune, die zur Schnapsbrennerei umfunktioniert wurde, entstand das neue Haus neben dem Nachbarstadel. Zwischen halbmeterdicken seitlichen Ziegelwänden ein Holzbau, verputzt mit ungefärbtem Kalkzementputz, schlicht und unprätentiös in der Sprache der Region. Raumhohe breite Fenster mit vorgelagerten Loggien sorgen für viel Bezug zum Freien, im ungenutzten Zustand machen Faltschiebeläden aus Holz das Haus blickdicht. Mit naturbelassenen Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen hinterlässt der Neubau einen mindestens so geringen ökologischen Fußabdruck wie jene Bauten, die das Bild der Gegend über Jahrhunderte prägten und heute – sofern noch vorhanden – vom Verschwinden bedroht sind.

Alt und Neu in Einklang gebracht wurden auch beim „Haus obd'r Lech“, obwohl ein erfahrener Zimmermann aus technischen und wirtschaftlichen Gründen bereits zum Abbruch des Walserhauses aus dem 14. Jahrhundert geraten hatte. Bauherr Clemens Schmölz entschied sich dennoch für den Erhalt, beauftragte eine exakte Untersuchung der Substanz und gab mit den Architekten Gernot Thurner und Matthias Hein und einer Schar von erfahrenen Handwerkern dem Haus eine neue Zukunft.

Die andere Hälfte der Preise geht in Städte, zweimal nach Wien: zum einen an die Bauherren des Stadtelefanten, errichtet und genutzt von Architekturbüros und architekturaffinen Unternehmern, geplant von Franz & Sue – ein Impulsgeber im Sonnwendviertel und ein Beweis, dass mit knappen Mitteln Schönes und Gutes gelingen kann. Zum anderen an die Bundesimmobiliengesellschaft für die an dieser Stelle („Spectrum“, 13. 10. 2018) besprochene Generalsanierung der Universität für angewandte Kunst mit den Architekten Riepl Kaufmann Bammer, wo, so die Jury, Architektur dem Prinzip Dialog mit den Nutzern und der Bausubstanz folge. An die Stadt Bregenz ging ein weiterer Preis für einen Bildungsbau, die Schule Schendlingen von Studio Bär, Bernd Riegger und Querformat: reformierte Pädagogik in großzügigen Raum aus Beton und viel Holz im Inneren gegossen.

Im September hat der Nationalrat den „Climate Emergency“ ausgerufen, das klingt schicker und weniger bedrohlich als Klimanotstand. Von den Taten, die nun den Worten folgen müssen, haben ganz viele mit dem Bauen zu tun. Also bitte „more Beauty“ und weniger sinnlos Hässliches!

21. September 2019 Spectrum

Wohnbau: Mehr als die üblich netten Zuckerln?

Nichts geht mehr im geförderten Wohnbau – man leidet derzeit an hohen Baukosten und am Zwang zu sparen. Dennoch finden sich Spielräume. Ein Beispiel aus der Donaustadt.

„Generationenwohnen“ lautet nun etliche Jahre ein viel bemühtes Schlagwort im geförderten Wiener Wohnbau. Kurz gefasst geht es darum, allen Altersgruppen gleichermaßen Entfaltungsmöglichkeiten und ein adäquates Umfeld zu bieten. Eh selbstverständlich, meint man. Aber was nun der besondere Mehrwert für das intergenerationelle Zusammenleben ist, außer dass es Einheiten für betreutes Wohnen, einen Gemeinschaftsraum und einen Spielplatz für die Kleinen und Sitzgelegenheiten für die reiferen Semester gibt, ist bei vielen Projekten nicht ganz klar.

Für den Bauträgerwettbewerb für das Gebiet Kagran West III im Jahr 2015 brüteten die Architekten des Büros WUP-Wimmer und Partner (Helmut Wimmer, Bernhard Weinberger, Andreas Gabriel) darüber, wie sie dem Thema mit mehr als den üblichen netten Zuckerln gerecht werden können. Seit nicht ganz einem Jahr ist das Produkt der Überlegungen, das vom Bauträger Building Development Network umgesetzt wurde, fertig und eingewohnt.

Innerhalb zweier Jahrzehnte hat sich das Areal zwischen Donaufelder Straße und Prandaugasse völlig verändert. Die Glashäuser und Felder der Gärtnereibetriebe sind bis auf wenige Relikte verschwunden. Nach einem städtebaulichen Leitbild von Elsa Prochazka und Ernst Hoffmann aus den 1990er-Jahren entstand ein dichter neuer Stadtteil von durchwachsener architektonischer Qualität. Ganz im Zeichen der Verbundenheit des Bezirks Donaustadt mit dem Partnerbezirk Arakawa in Tokio steht die Benennung der öffentlichen Flächen. Der Bauplatz für den „Gartenlounge“ getauften Wohnbau von WUP liegt in der Bonsaigasse, direkt am drei Hektar großen Kirschblütenpark. Im Frühling machen die blühenden Zierkirschen dem Namen alle Ehre, sonst leidet der Park (Planung: Yewo Landscapes) sichtlich unter dem Sparstift, der Ausstattung und Pflege von Grünanlagen in Neubaugebieten viel zu oft diktiert.

Sparen hieß es auch für die Schöpfer der Gartenlounge, die nichtsdestotrotz alles daranlegten, für einen Ort der Identitätsbildung zu sorgen. Die Grundlage dafür bildet die städtebauliche Konstellation, die sich der Zeilen- und Kammstruktur des Leitbildes entzieht. Die Gebäudefigur entsteht durch das Gruppieren von Wohnungen zu „Häusern im Haus“ um eine Erschließungsfläche, die sich zu Plätzen weitet oder schmäleren Gassen verjüngt. In gewisser Weise wurden die typischen Komponenten eines Wohnbaus dekonstruiert und neu kombiniert. Die Nebenräume sind aus den Wohnzonen herausgelöst und bilden Vorsprünge, die zur weiteren räumlichen Differenzierung der 270 Quadratmeter großen Allgemeinfläche pro Geschoß beitragen. Abgerundete Ecken sorgen dafür, dass der Raumfluss geschmeidig bleibt.

Einen Gemeinschaftsraum im üblichen Sinn gibt es nicht. Die Plätze und Gassen übernehmen diese Funktion viel besser und vielfältiger, als ein abgetrennter Raum dies je könnte. Die Architekten entwarfen dafür Mobiliar, das nach Kartonmodellen vom Schlosser gebaut wurde. Sitzmodule in Form von an zwei Seiten offenen Hohlkörpern wurden um Tische angeordnet oder zu Bänken gruppiert. Den Kindern dienen sie als Kriechtunnel. Aus dem gleichen gelb beschichteten Stahlblech wurden Minigolfbahnen produziert, für jeden Stock eine andere; zusammen ergibt sich ein vertikaler Minigolfparcours. Brettspiele wie Schach und „Mensch ärgere dich nicht“ wurden ins Großformat übertragen, die Spielfeldmarkierung bildet das Fliesenmuster des Bodens. Auf schwarzen Tafelwänden werden per Kreide Botschaften ausgetauscht. Kleine Eye-Catcher sind die darauf angebrachten, jeweils anders gestalteten Wurfspiele. Es entstanden geschoßweise kleine Nachbarschaften, eine Art halböffentlicher Raum im Inneren, der dank Minigolf über die Geschoße hinweg der Bewohnerschaft – darunter jener von zwei Studierenden-Wohngemeinschaften – Anlass gibt, immer wieder das ganze Haus zu erkunden. Ausblick in die Umgebung gewähren aus diesen Binnenräumen Verglasungen zwischen den Wohnungsgruppen. Die Gebäudekonfiguration fördert die Kommunikation, sorgt zudem dafür, dass keine nur nach Norden gerichteten Wohnungen entstehen, sondern zweiseitig orientierte Kopfwohnungen, nur ein Stiegenhaus das ganze Gebäude erschließen kann und zu ebener Erde verschiedene Freiraumqualitäten (EGKK Landschaftsarchitektur) und eine gewisse Durchlässigkeit zur Umgebung entstehen kann.

Einen Flügel des Erdgeschoßes besetzt ein von der Volkshilfe betreutes Seniorenwohnprojekt, die anderen ein Kindergarten und dazwischen der überdeckte gemeinsame Vorplatz – mit Sitzbänken und Tischtennistisch ebenso ein Ort der Begegnung. Bereits in der Rohbauphase fanden Workshops statt, um die Ideen der Architekten zu kommunizieren und Mieterwünsche berücksichtigen zu können. Eine moderierte Begleitung zumindest bis zur Einzugsphase schafft früh die Grundlagen für ein gedeihliches Zusammenleben und ist eine Investition, die später viel Ärger spart.

Nichts geht mehr im geförderten Wohnbau, verlauten bundesweit alle damit Befassten unisono. Hohe Grundstücks- und Baupreise stehen der Großzügigkeit der Räume und einer über das Notwendige hinausgehenden Ausstaffierung meist entgegen. Durften die Architekten in der Bonsaigasse etwa urassen, oder werden die Mieter verstärkt zur Kasse gebeten? Nein, betonen Bernhard Weinberger und Andreas Gabriel. Man hat gespart, wo es nur ging und es nicht auffällt. Zwei Fenstergrößen und verzinkte Geländer mussten genügen. Für die Fassadenfarben wählte man verschiedene Beigenuancen aus der RAL-Palette, womit auch Fensterrahmen und außen liegende Fallrohre keiner Extrabehandlung bedurften und sich dennoch harmonisch einfügen. In Stiegenhäusern und den Erschließungsflächen suchte man möglichst günstige Fliesen in Grautönen und Gelb. Am billigsten sind die grauen, von denen es am meisten gibt, zu den Flächen erhöhter Aktion hin verdichten sich die gelben, die teurer sind und daher stückgenau kalkuliert werden mussten.

Gern hätten die Architekten das Freigelände zum Park hin offen übergehen lassen. Den Zaun, den sie errichten mussten, versahen sie für einen raschen Parkzugang mit einer Tür, was der zuständigen Behörde missfiel. Sie setzte der Gartenlounge kurzerhand ein weiteres Stück Zaun vor die Tür.

10. August 2019 Spectrum

Mauer ohne eitle Gesten

Freigelegt und neu interpretiert: Dank der Architekten Bevk Perović aus Ljubljana wurden die Kasematten von Wiener Neustadt zum Star der diesjährigen Niederösterreichischen Landesausstellung. Ein Besuch nach der Revitalisierung.

Die Wiener Neustädter Kasematten sind Teil der auf die Zeit der Stadtgründung im 12. Jahrhundert zurückgehenden Wehranlage und wurden 1551 bis 1557 im Auftrag Kaiser Ferdinands I. nach Plänen von Baumeister Johann Tscherte errichtet. Ursprünglich dienten die mächtigen Gewölbekeller zur Lagerung von Kriegsgerät und als Versammlungsort der Verteidiger der Stadt, ehe diese an der Stadtmauer Position bezogen. Ab dem 19. Jahrhundert fanden sich andere Nutzungen – unter anderem als Brauereilager und als Luftschutzkeller im Zweiten Weltkrieg. Unter einem sieben Meter hohen Hügel eingeschüttet blieb trotz aller späteren Einbauten die Authentizität dieser ob ihres guten Erhaltungszustandes in Österreich einzigartigen Anlage dieser Art gewahrt. Die niederösterreichische Landesausstellung bot den Anlass, die unter Denkmalschutz stehenden Kasematten für eine neue Nutzung als Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum zu revitalisieren und archäologisch zu untersuchen.

Der im Jahr 2016 EU-weit ausgelobte Realisierungswettbewerb stellte zum einen die Aufgabe, die am nördlichen Zugang in den Stadtpark liegenden Kasematten für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die wertvolle Bausubstanz freizulegen und um einen Zubau, der ein „Welcome Center“ und eine Galerie umfasst, zu ergänzen. Gewonnen hat das von Matija Bevk und Vasa Perović geführte Büro Bevk Perović arhitekti aus Ljubljana.

Die Integration von historischem Bestand und neuer Architektur gelang ihnen vortrefflich. „Ist es vorstellbar, eine singuläre, integrierende Lösung zu finden, welche einen Neubau nicht nur dem Bestand hinzufügt, sondern diesen Bestand durch das Neue erst richtig hervorkehrt?“, lautet eine der Fragen, aus der die Architekten ihr Konzept entwickelten. Nicht als „reizvoll konservierten und präsentierten Appendix“ des Neuen, sondern als „Bindeglied zwischen den neuen Bauteilen“ wollten sie die Kasematten behandeln, um sie als aktiven Teil der Stadt zu etablieren. Dies glückte, indem sie auf eitle, reißerische Gesten verzichteten, in der Materialität zurückhaltend blieben sowie – die wahrscheinlich wichtigste Eigenschaft – die Topografie des Ortes zu lesen und in geeigneter Weise neu zu deuten verstanden. Ohne den Bestand als malerische Kulisse der neuen Funktionen zu behandeln, setzten sie einerseits Alt und Neu klar voneinander ab, ließen beides aber so ineinandergreifen, dass innen wie außen eine wie selbstverständlich wirkende „Promenade architecturale“ durch die Räume aus verschiedenen Zeiten entsteht.

Das Vorfeld der Kasematten gestalteten sie als sacht abfallenden Platz, der von der Bahngasse auf das Bestandsniveau der Kasematten hinabführt. Dort empfängt ein Neubau die Besucher mit einer verglasten Erdgeschoßzone und darüber einem schlichten massiven Schild aus Sichtbeton, das dem Neubau unaufdringlich Präsenz verleiht und – ob beabsichtigt oder nicht – als Referenz auf die wehrhafte Funktion des Bestandes deutbar ist. Anlässlich der Landesausstellung dient die mächtige Betonwand derzeit als Trägerin einer Werbeplane. Es wäre zwecks Wahrung der Originalität der neuen und alten Architektur ratsam, dies nicht zu einem Dauerzustand werden zu lassen.

Rechter Hand führt eine neue Treppenanlage auf das Dach des Neubaus, das von den Architekten als Belvedere konzipiert ist. In gewisser Weise stellt es die Situation des begehbaren Kasemattenhügels vor dem Umbau her. Vorläufig ist es für Besucher noch nicht zugänglich, wie auch das projektierte Auditorium, das als Veranstaltungsort im Freien und öffentlicher Aufenthaltsraum mit Aussicht und nutzbar wäre, noch seiner Umsetzung harrt. Linker Hand ist der ursprüngliche Hauptgang zu den Kasematten, ein wappenverziertes Renaissanceportal, das in die „strada coperta“, die innere Verbindungsachse zum Ausgang auf die ehemalige Bastei, funktionstüchtig erhalten geblieben.

Das neue Foyer bietet sich als eindrucksvoller, über die gesamte Gebäudehöhe erstreckender Raum dar. Im Scheitelpunkt des im Grundriss konisch zulaufenden Vestibüls sorgt eine Lichtkuppel für Zenitallicht. Wölbung, Raumdimension und die Öffnung nach oben stellen – so wird man, einmal in das unterirdische Raumsystem eingedrungen, erkennen – die zeitgenössische Ouvertüre für die folgenden freigelegten historische Strukturen dar. Diese wurden von späteren Einbauten befreit und bleiben frei von jedweden Einbauten – bis auf den neuen Boden aus sandgestrahltem Beton, der die vorgefundenen Niveauunterschiede ausgleicht.

Die historischen Dampflöcher wurden in das neue Belüftungssystem integriert und sorgen heute wie damals für die Regulierung der Luftfeuchtigkeit. Je nach Veranstaltungsszenario sind unterschiedliche Wegeführungen gestattet, entweder in die beeindruckenden Kasemattenhallen oder in die südlich im Stadtpark neu errichtete multifunktionale Veranstaltungshalle. Sie ist stadtparkseitig niveaugleich mit den Kasematten in das Gelände versenkt und nur im Zugangsbereich an den Bestand angebunden. Somit bleibt die Höhe des Pavillons moderat, werden die alten Mauern freigespielt und wird weder die historische Befestigungsanlage noch die Parklandschaft störend beeinträchtigt. Die Sheds des aus Stahlfachwerkträgern gebildeten Dachs lassen, sofern nicht verdunkelt, Nordlicht eindringen und stellen eine vage Analogie zum Zinnenabschluss der mittelalterlichen Zwingermauer her. Durchaus folgerichtig tauften die Betreiber das Gebäude „Neue Bastei“, wobei die Hülle aus perforiertem Aluminiumwellblech keineswegs für eine festungsartige, sondern eine äußerst luftige Anmutung sorgt, deren industrieller Charakter dem vielfachen Zweck durchaus gerecht wird. Die ostseitige Öffnung der Halle zu einem Zugangsweg vom Park und zur Gartenterrasse des im ehemaligen Geschützhof untergebrachten Cafés ermöglicht weitere Bespielungs- und Erschließungsszenarios, womit erwartungsgemäß langfristig auf sich ändernde Anforderungen reagiert werden kann.

Die Außenanlagen verknüpfen den neuen Veranstaltungsort mit der Stadt wie dem Stadtpark und tragen wesentlich zur Aufwertung dieses bislang etwas vernachlässigten Gebietes zwischen Bahnhof und Innenstadt bei. Dass dies alles so gelingen konnte, ist angesichts der doch kurzen Bau- und Planungszeit, die von allerhand Unvorhergesehenem und Ungewissheiten geprägt war, ein kleines Wunder. Zwar waren die Kasematten gut dokumentiert und zugänglich, doch außerhalb lieferte ihre Freilegung etliche Überraschungen. So kamen bislang unbekannte Teile der Zwingermauer mit von der Erde konservierten 500 Jahre alten Putzoberflächen zum Vorschein, was wie etliche andere Entdeckungen Umplanungen und adäquates Reagieren auf das Vorgefundene erforderte, um die Geschichte für unsere und folgende Generationen lesbar zu machen.

15. Juni 2019 Spectrum

Klinker mit Wimpern

Musterbeispiel für eine nachhaltige Stadtentwicklung: das neue Öko-Viertel Clichy-Batignolles in Paris. Querkraft Architekten aus Wien lieferten gemeinsam mit dem Pariser Partnerbüro Sam Architecture einen wichtigen Stadtbaustein – mit charmanten Extras.

Paris befindet sich im Wandel. Dieser steht im Zeichen einer ökologischen und sozialen Erneuerung und der besseren Vernetzung des Zentrums mit der Peripherie. Die über Jahre größte Baustelle befand sich im 17. Bezirk, knapp am Boulevard périphérique, der das Stadtgebiet umschließenden Ringautobahn. Das neue Stadtquartier Clichy-Batignolles war als Standort für das olympische Dorf ursprünglich Teil der Pariser Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2012. Umgesetzt wurde das Öko-Quartier auf 54 Hektar ehemaligem Bahngelände dennoch. Der Neue Justizpalast von Renzo Piano an der Nordseite ist das markanteste Signal für die infrastrukturelle Aufwertung der bislang vernachlässigten Vorstädte. Neben Büro- und Geschäftsflächen entstanden 3400 neue Wohnungen: sozialer Wohnbau, Wohnungen mit begrenzter Miete und im Eigentum. Die Abkühlung des Stadtklimas, die Nutzung erneuerbarer Energie, Niedrigenergie-Designs für Gebäude sowie ein Regenwassermanagement sind die wichtigsten Eckpfeiler, um eine neutrale Kohlenstoffbilanz am Standort zu erreichen.

Als grünes Herz fungiert der zehn Hektar große Parc Martin Luther King. Bereits 2007 wurde der erste Abschnitt eröffnet, sieben Jahre später der zweite, sodass die Bewohner der Ostflanke bei Einzug eine fertige grüne Oase vor der Haustür vorfanden, während im Westen noch Großbaustelle war. Unter den letzten der dort fertiggestellten Bauten sind jene von Querkraft und ihrem Pariser Partnerbüro Sam Architecture. Das Ensemble umfasst einen 50 Meter hohen Turm mit Sozialwohnungen, ein siebengeschoßiges Arbeiterwohnheim und eine Kinderbetreuungseinrichtung. Das Weiterführen der Parklandschaft durch das Grundstück, die Sichtverbindung von der Straße zum Park, bestmöglicher Ausblick aus den Wohnungen und gut separierte Zugänge zu den verschiedenen Nutzungseinheiten waren die wesentlichen Entwurfsparameter.

Um all das unter einen Hut zu bringen, arrangierten die Architekten die Wohnhäuser diagonal gegenüberliegend. Als verbindendes Element fungiert das in Holz-Beton-Verbundbauweise ausgeführte sternförmige Kindergartengebäude, dessen Schenkel zwei gegenüber dem Straßenniveau abgesenkte Höfe umschließen. Dies schafft eine Reihe von Freiräumen auf verschiedenen Ebenen, die dank der Gestaltung der Landschaftsarchitektinnen des Atelier Roberta zu einem attraktiven Geländemuster verknüpft werden, das in den Park übergeht. Während auf der östlichen Parkseite die Bauten um die originellste Fassadenidee zu rittern scheinen, wurde an der Westseite Wert auf ein einheitliches Stadtbild gelegt. In Workshops präsentierten die Architekten ihre Projekte, um sie in Material- und Farbwahl aufeinander abzustimmen und allzu eigenwilligen Egotrips Einhalt zu bieten. Bei den Wohntürmen griffen Querkraft auf ihre Wiener Erfahrungen zurück und bewiesen Geschick im Umgang mit engen Kostenrahmen. Die unterschiedlichen Wohnnutzungen werden in formal differenzierter, in Materialität und Textur aber verwandter Fassadengestaltung ausgedrückt. Beide eint eine Hülle aus dunklen Klinkerriemchen, einem Material, das sich dank der koordinierten Planung in der Nachbarschaft immer wieder findet. Kostengünstiger Wohnbau für die Ärmeren der Bevölkerung darf nicht ärmlich aussehen, waren sich Architekten und Bauherr einig. Die Sozialwohnungen sollten zwischen den Nachbarbauten mit gutbürgerlichen Eigentumswohnungen nicht auffallen. Und so kam es zu ein paar attraktiven Details, die den Häusern Einzigartigkeit verleihen und der Schönheit dienen. Vor den Fenstern der Arbeiterapartments sind dies verschiebbare Brise Soleils aus Alu-Lamellen, die für Akzente sowie Sichtschutz sorgen. Zwar seien von dieser Lösung die Auftraggeber zunächst nicht recht angetan gewesen, berichten die Architekten, der Hinweis, dass sie „wie die Wimpern von Catherine Deneuve“ dem Gebäude einen poetischen Impuls verleihen, mag schließlich beigetragen haben, das Blatt zu wenden. Einzelne hell verfugte Fassadenfelder markieren öffenbare Blindfenster und sind zugleich Gestaltungselement.

Beim höheren Wohnturm findet sich in Form der Balkonbrüstung aus Aluminiumlatten ein Motiv wieder, mit dem Querkraft bereits dem Wiener Citygate Tower zu Signifikanz verhalfen. Da in Paris aufgrund der Abstandsregelungen auf dem knapp bemessenen Bauplatz keine Ausbuchtungen der Balkonzone möglich waren, erzeugen unterschiedlich dichte Anordnungen der Latten sowie gewellte und gezackte Ober- und Unterkanten in der Art eines Trompe-l'œil Bewegung. Dafür wurde der Balkonzaun in Paris, wo eine schöne Fassade einen hohen Stellenwert hat, höherwertig beschichtet und schimmert silbrig. Dank Rücksprüngen des Baukörpers entstehen dennoch ausreichend tiefe Aufenthaltsbereiche. Zu deren rascherer Aneignung wurde den Bewohnern ein Möblierungsset – Sonnenschirm, Blumentrog und Wäschetrockner – übergeben. Die parkseitigen Wohnungen bieten eine der schönsten Aussichten auf die Stadt – zum Eiffelturm oder zu den Hängen des Montmartre mit der Basilika Sacré-Cœur. Das alles zu Kosten, die der Hälfte einer „normalen“ Pariser Monatsmiete entsprechen. Konkret sind es laut Auskunft des Bauträgers 500 Euro für eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit 44 Quadratmeter Wohnfläche plus Balkon, 1300 Euro für eine 91 Quadratmeter große Fünf-Zimmer-Wohnung.

Während Außenräume, Entrée und Fassade durchaus repräsentativ sind, wurde der Sparstift an Stellen angesetzt, die in Österreich tabu wären. So reichte als Fluchtweg ein Stiegenhaus mit Wendeltreppe, anstatt einer Schalldämmung zwischen Wohnungen und Gang gibt es eine akustisch wirksame Bespannung an der Gangdecke. Als Trittschalldämmung in den Wohnungen reicht eine dünne Auflage unter dem Linoleumboden, die Balkone sind als nackte Rochbetondecke ausgeführt.

Eine Besonderheit ist die pneumatische Müllsammelanlage, an die sämtliche Gebäude im neuen Stadtteil angeschlossen sind und die den Müll in eine Anlage nächst der Ringautobahn transportiert. So werden Lkw-Verkehr sowie Lärm- und Schadstoffemissionen reduziert. „Energieeffizienz allein ist im Gegensatz zu Österreich hier nicht das ganz große Thema“, erklärt Architektin Milena Karanesheva, deren auf bioklimatische Architektur spezialisiertes Büro Karawitz die Ausführungsplanung verantwortete. „Es geht um die Gesamtbilanz. Zu der tragen der Einsatz nachhaltiger, hochwertiger Materialen ebenso bei wie das viele Grün.“ Um Greenwashing hintanzuhalten, wurden messbare Effekte gefordert, die Einhaltung der Umweltkriterien streng überprüft. Vier Prozent des Grundstückspreises erhalten die Bauträger zurück, wenn sie alle Vorgaben einhalten.

9. Februar 2019 Spectrum

87 und kein bisschen alt

Ohne Denkmalschutz und viel Gespür der neuen Besitzer wäre die Pension Bergheim im Tiroler Außerfern wohl den Verwertungsmechanismen der Tourismuswirtschaft anheimgefallen. Ihr Bestand ist nun für die Zukunft gerüstet.

„Pension Bergheim“ künden azurblaue Lettern auf der dunkelbraunen Holzfassade im Ortszentrum von Berwang im Tiroler Außerfern. Das Haus mit Pultdach gegenüber der Kirche wirkt wie ein Relikt aus vergangener Zeit und doch hochmodern im Vergleich zu anderen, oft später errichteten oder ausgebauten Hotels und Gästehäusern im Ort, die mit Lüftlmalereien und Schnitzbalkonen auf Tirolerisch geschminkt wurden. Der Pension Bergheim fehlen diese vordergründigen Attribute einer bäuerlich-ländlichen Architektur, und doch speist sich ihre Konzeption auch daraus. Errichtet wurde sie 1932 nach Plänen von Siegfried Mazagg, der die Fertigstellung nicht mehr erlebte. Seine vielversprechende Architektenkarriere nahm ein jähes Ende, nachdem der erst 30-jährige Mazagg am 4. Juni 1932 in seinem Cabriolet in Innsbruck mit einem Botenauto zusammengestoßen war. Zehn Tage später erlag „einer der begabtesten und hoffnungsreichsten Architekten des modernen Tiroler Baugewerbes“ seinen schweren Verletzungen, wie eine Regionalzeitung berichtet.

Bis ins hohe Alter führte Waltraud Stummvoll, die Tochter des Erbauers Rudolf Engele, das gastliche Haus. Dieser Kontinuität und der Liebe und Wertschätzung der Besitzerin zu diesem Ort ist es wohl zu danken, dass es weitgehend unverändert inklusive des von Mazagg entworfenen Interieurs über die Jahrzehnte erhalten blieb und dieser Zeuge 2006 für die Frühzeit des modernen Bergtourismus unter Denkmalschutz gestellt wurde. Als sich abzeichnete, dass die betagte Besitzerin die Pension nicht mehr weiterführen würde, traf es sich, dass Cathrin und Jochen Diederichs – sie Sopranistin, er Bühnenbildner – auf der Suche nach einem Haus in Berwang mit ihr ins Gespräch kamen und handelseins wurden. Als privates Wohnhaus wäre dem Paar das Bergheim zu groß gewesen, und es fühlte sich auch verpflichtet, das Juwel der Öffentlichkeit weiterhin zugänglich zu machen. Eine Weiterführung als Hotel hätte beim Besitzerwechsel die Erfüllung allerhand heutiger Sicherheitsvorschriften notwendig gemacht, die den Bestand partiell in Mitleidenschaft gezogen hätten. Privatvermietung lautete daher die Lösung, die eine denkmalgerechte Renovierung und den weiteren Betrieb wirtschaftlich zu tragen versprach.

Nachdem 2013 der Kaufvertrag unterschrieben worden war, erbat sich Frau Stummvoll, noch einen letzten Winter Abschied vom Bergheim nehmen zu dürfen, während sich die Diederichs in einem Zimmer einmieteten, um eine Strategie für die Umwandlung in das eigene Wohnhaus mit vermietbaren Ferienappartements zu entwickeln. Sie nahmen Kontakt mit dem Denkmalamt auf, mit dem sich eine „unglaublich konstruktive“ Kooperation entwickelte, wie Jochen Diederichs betont. Blauäugig ging er an die Bauaufgabe keineswegs heran. Bereits als Student hatte er in Bonn ein Gründerzeithaus renoviert; nach und nach hatte sich das Häuserrenovieren zur Leidenschaft entwickelt. So befasste er sich mit Mazagg und seiner Ideenfindung, um sich zu konkreten Entscheidungen ermächtigt zu fühlen: „Ich wollte in seinen Kopf gelangen, und irgendwann war ich drin.“ So minimal wie möglich sollte der Umbau vonstattengehen. Bis zum nächsten Winter musste er fertig sein, vor allem weil die Elektriker im Winter als Skilehrer arbeiteten. Es seien eine Traumbaustelle und eine kongeniale Zusammenarbeit gewesen. Seine „spinnerten Ideen vom Theater“ und das Gewusst-wie routinierter lokaler Handwerker befruchteten sich gegenseitig, so Jochen Diederichs, der die ganze Zeit vor Ort mit Hand anlegte.

Die Lärchenverschalung bedurfte nur eines neuen Anstriches; recht einfach war auch die Erhöhung der Balkonbrüstungen. Die Fenster wurden saniert oder nach altem Vorbild erneuert. Eine umfassende Erneuerung erhielt das Dach, dessen originale Torfdämmung gegen Mineralwolle ausgetauscht, die Schalung saniert und die Blechdeckung durch Kupfer ersetzt wurde. Die bessere Dämmung erhöhte den Dachaufbau, womit der über die im Einklang mit den Fensterstöcken blau akzentuierte Dachkante hinausragte. Indem das originale blaue Band in der Fassadenfarbe gestrichen und die neue Dachoberkante neu blau eingefasst wurde, blieb die Optik des schlanken Dachs gewahrt.

Rot markierte im Inneren Mazagg alles, was Energie war: die Radiatoren und Heizungsrohre ebenso wie die Leuchten. Alles blieb erhalten, auch der schöne Leuchtkörper, der in einer Trennwand des Windfangs mit einer Glühbirne zwei Raumzonen erhellt. Originalgetreu erneuert wurden die zylindrischen Wand- und Deckenleuchten aus Pergamentpapier mit dekorativen roten Nähten. Sofern die ursprünglichen Bakelitschalter und Steckdosen nicht mehr vorhanden waren, wurden passende Modelle aus alten Beständen ausfindig gemacht. Die Fliesen der Sanitärräume nahm der Hausherr Stück für Stück ab und säuberte sie, um sie in den neu konfigurierten Badezimmern wieder anzubringen. Detailarbeit leistete auch der Installateur, der passende Ventileinsätze für die Wasserhähne auftrieb, um sie ebenso weiterzuverwenden. Die mit 190 auf 100 Zentimeter bemessenen Originalbetten wurden vom Tischler auf findige Weise auf heutiges Standardmaß umgebaut. Nach wie vor werden sie von Mazaggs genial kompakten Schrank-Nachtkästchen-Kombinationen flankiert, so blieb das Interieur der Schlafzimmer unverändert. Die räumliche Umorganisation gelang ohne große bauliche Eingriffe. Vormalige Zimmertüren wurden als Wohnungseingangstüren in den Mittelgang gesetzt, wobei darüber eingefügte Oberlichten dessen ursprüngliche Raumflucht weiterhin nachvollziehbar machen.

Dass Renovierung und Umnutzung so vorbildhaft gelingen konnten, ist gewiss eine glückliche Fügung, aber jedenfalls einer Baugesinnung zu danken, bei der Intellekt und Handwerk auf Augenhöhe zusammenwirken und sich Leidenschaft für das Detail und Sinn für Pragmatik die Waage halten. In Pertisau am Achensee steht seit den 1960er-Jahren der Alpenhof leer. Das um 1900 entstandene Hotel wurde von Siegfried Mazagg 1929 erweitert und neu ausgestattet. Aufgrund des schlechten Zustandes des Daches wurden vor etwa einem Jahr Notsicherungsmaßnahmen am denkmalgeschützten Gebäude vorgenommen. Mögen sich auch dafür neue Besitzer finden, die mit viel Herz und Sachverstand dem Haus neues Leben geben.

12. Januar 2019 Spectrum

Wiens Dachlandschaft: Die fünfte Fassade

Die Wiener Dachlandschaft ist ein riesiger Bauplatz. Gestalterisch scheint bei gefinkelter Interpretation der Baugesetze alles möglich. Rar sind hingegen zeitgenössische Positionen, die sich analytisch mit dem umgebenden Bestand auseinandersetzen. Ein Beispiel.

Als in den 1980er-Jahren vermehrt unter dem Titel der „Sanften Stadterneuerung“ die Idee artikuliert wurde, verstärkt das Potenzial von Wiener Dachböden zur Wohnraumschaffung zu nutzen, wurde in Wien erstmals für breitere Kreise denkbar, was zuvor noch exotisch gewesen war: sich dort, wo zuvor höchstens die Wäsche getrocknet hatte, ein Refugium in luftiger Höhe zu schaffen. Indes, so einfach war dies damals nicht. Erst die Stadtgestaltungsnovelle von 1996 erleichterte die Errichtung von Wohnraum in den Gründerzeitdächern. Von da an ging es Schlag auf Schlag, und es entstanden auch einige Kleinode, die dank ausgeklügelter Möblierungselemente zu wahren Raumwundern wurden. Etliche der damaligen jungen Architekturbüros verdienten mit spannenden Raumerweiterungen erste Meriten in der Dachzone, und so manchem Unternehmer gelang der Einstieg in die Bauwirtschaft. Mit der Zeit und steigenden Preisen wurden die Ausbauten größer, luxuriöser und exzentrischer.

Der berühmte Paragraf 69 der Wiener Bauordnung, der die Bedingungen für Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplanes definiert, wurde zum Wegbegleiter der auf dem Dach tätigen Investoren und Planer. Sportsgeist bei der kreativen Auslegung der Gesetze und maximale Ausbeute des Möglichen sind längst wichtiger als Sensibilität gegenüber Bestand und Umgebung. Neben schillernden Tarnkappenbombern, aufgetürmten Staffelgeschoßen und konventionelleren, wenngleich meist nicht weniger ungeschlachten Lösungen wird im Überfluss der Möglichkeiten auf Teufel komm raus oben draufgesetzt.

Auf den Dächern macht sich eine Parallelstadt aus Penthäusern, Terrassen und Haustechnikanlagen breit, deren wildes Gefüge von der Straße aus nur ansatzweise erkennbar ist. Das Problem ist nicht das Neue, sondern dass Interventionen, die mit Gespür für die Proportionalität und Körnung des Stadtkörpers getätigt wurden, die Ausnahme sind. Die Homogenität der fünften Fassade ist in Wien außerhalb der Schutzzonen nicht das Ziel der Stadtgestaltung. Als Stadtbild gilt im Wesentlichen das, was man vom öffentlichen Straßenraum aus sehen kann (was sich vielleicht ändert, wenn Drohnen-Taxis jemals Teil der Alltagsmobilität werden). So haben es die Architekten, Baumeister und Bauträger verinnerlicht, und so wird bei den jährlich Hunderten Dachausbauten mehr Gehirnschmalz in das Ausreizen der Bauordnung und Flächenwidmung gelegt als in die Frage nach der angemessenen Form.

Auf die Suche nach derselben begaben sich hingegen Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs (The Next Enterprise Architects), als die mit einem Dachausbau einhergehende Sanierung des Hauses an der Ecke von Ausstellungsstraße und Molkereistraße vis-à-vis dem Wiener Wurstelprater anstand. Entlang der Häuserflucht der Ausstellungsstraße lässt sich noch gut die ursprüngliche Konzeption ablesen: Einzelne der reich mit Erkern und Risaliten gegliederten Fassaden sind noch erhalten. Balkone bilden zusätzlich zur Vorgartenzone eine Schwelle zwischen Stadtraum und privater Wohnung. Besonders augenfällig ist aber die abwechslungsreich akzentuierte Dachlandschaft mit ihren Ecktürmen und Attiken. Wenngleich spätere Veränderungen die Harmonie beinträchtigen, so ist doch die Grundidee der spätgründerzeitlichen Konzeption bis heute erkennbar. Ihr aus einer Analyse dieser Dach- und Fassadentopografie hervorgehender Entwurf, der deren Charakteristik auf neue Art aufnimmt, war wegen Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe durch die gaubenartigen Baukörper auch nur unter Zuhilfenahme des Paragrafen 69 umsetzbar. Ehe ihn die Baubehörde genehmigte, holte sie sich die Rückendeckung des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung, der ansonsten bei Vorhaben dieser Art nur in Schutzzonen konsultiert wird. Hunderte, meist weniger sensibel konzipierte Dachausbauten pro Jahr werden ohne diese zusätzliche Begutachtung bewilligt – wohl weil sie sich straßenseitig weniger deutlich artikulieren.

Die Ecke des dreistöckigen Hauses, seiner ursprünglichen Fassade durch Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg und einen Umbau in den 1950er-Jahren beraubt, war zunächst von einem gedrungenen Turm mit Walmdach akzentuiert. Die neue Dachlandschaft über einer zäsurbildenden neuen Gesimslinie und einem gläsernen Attikageschoß orientiert sich an der Behäbigkeit des Vorgängerturms und entwickelt durch die mit Zinkblech umhüllten prismatischen Aufbauten eine Verspieltheit, die gut im Einklang mit der Nachbarschaft steht. Ergänzend zu den bestehenden bringen weit ausladende Balkone ein zusätzliches Element der Bewegtheit in die Gründerzeitfassade und werten die Bestandswohnungen um privaten Freiraum auf. Das an die Farbigkeit der neuen Metalloberflächen angeglichene kühle Hellgrau der Fassade vereint Alt und Neu zu einem stimmigen Baukörper, der selbstbewusst Präsenz an der Ecke zeigt.

Vier Maisonetten birgt das als Stahlkonstruktion mit ausfachenden Holzelementen errichtete Dach. Ihre Grundrisse sind um die Nasskerne weitgehend disponibel konfigurierbar, womit die Mietwohnungen auch langfristig anpassbar sind. Wesentlich dafür, dass die Homogenität nicht nur eine äußerliche bleibt, sondern auch das Innenleben durchdringt, ist die dem Dachausbau vorangegangene Totalsanierung des Bestandes. Sie verhalf den Gründerzeitwohnungen zum Beispiel zu neuen Badezimmern, die als niedrige Einbauten mit darüber liegendem Stauraum konzipiert wurden. Überarbeitet wurde auch die Erdgeschoßzone, die neben Geschäftsflächen eine Gästewohnung mit Gartenzugang enthält.

Es entstand ein neues Ganzes, von dem alle Bewohner profitieren. Die Idee eines energieautarken Hauses musste zum Bedauern der Architekten verworfen werden, da die Errichtung einer Erdwärmepumpe finanziell nicht umsetzbar war. Die einfachste, trotz schädliche Begleiterscheinungen immer noch munter praktizierte Methode der Energieeinsparung mittels Wärmedämmverbundsystems kam aus gestalterischen und ökologischen Gründen nicht infrage. So blieb es bei einer Solaranlage, die zur Deckung des Warmwasserbedarfes beiträgt und in den Heizkreislauf eingebunden werden kann. Es ist aber alles vorgesehen, um das ursprüngliche Energiekonzept irgendwann umsetzen zu können.

1. Dezember 2018 Spectrum

Copa Cagrana: Was nicht im Stadtplan steht

Auf dem Wiener Stadtstrand bei der Reichsbrücke – bekannt als Copa Cagrana, neuerdings CopaBeach – herrscht vordergründig Winterruhe. Im Hintergrund werden die nächsten Entwicklungsschritte in Angriff genommen. Ein Lokalaugenschein.

Während in den 2000er-Jahren der Hochhauswald der Donau City im Hinterland dichter wurde, begann es an der Uferzone zu kriseln. Der Generalpächter des Areals und die Stadt stritten vor Gericht, gleichzeitig verkam die Strandgastronomie zusehends zum Barackendorf, dessen informellem Flair man neben der blutleeren Donau City zugegebenermaßen durchaus Charme zugestehen konnte. Ein Zustand, der einer Weltstadt gut zu Gesicht stünde, war es beileibe nicht.

Um dem vorweihnachtlichen Gedränge der von Adventmärkten und Punschständen verhüttelten Stadt zu entkommen, bietet sich zum Luftschnappen als Fluchtdestination mit U-Bahn-Anschluss ein Lokalaugenschein an. Dort, wo zur warmen Jahreszeit das Großstadtvolk in Massen Erholung sucht, ist man jetzt fast allein auf weiter Flur. Eine gute Gelegenheit, jenen Inselabschnitt am linken Ufer der neuen Donau nördlich der Reichsbrücke in Augenschein zu nehmen, der sich seit den vergangenen vier Sommern im Umbruch befindet. „Copa Cagrana“ wurde das 1980 eröffnete Freizeitgelände getauft, um in Anlehnung an den berühmtesten Strand Rio de Janeiros das Urlaubsfeeling im transdanubischen Stadtbezirk Kagran auch namentlich zu manifestieren. Dass Copacabana der Name eines Stadtteils und nicht bloß des Strandes, der Praia de Copacabana, ist, so genau hat man es in Wien nicht genommen. Obwohl sie jeder kennt, ist die Wiener „Copa“ im Gegensatz zum brasilianischen Inspirator in keinem Stadtplan eingezeichnet. (Dass „Ponte Cagrana“ für die zu den Uferlokalen der „Sunken City“ am rechten Ufer führende Schwimmbrücke sehr wohl eine offizielle Bezeichnung ist, sei hiermit erstaunt festgehalten.)

Heute finden sich von der ursprünglichen, 1980 eröffneten Copa Cagrana bloß noch archäologische Spuren, wie ein paar Reste Bodenplatten einstiger Lokale oder Farbspuren auf dem Asphalt. Beim Radverleih trägt ein in die Jahre gekommener Fahrradständer noch das Logo jenes Sportgeschäfts, das in den 1980ern das größte in Wien war. Keine der Kletterwände neueren Datums vermag ästhetisch an den dort integrierten Kletterturm aus von James G. Skone entworfenen Betonelementen, einem Pionierwerk des urbanen Alpinismus, heranreichen. Alles weg, auch der Name – „CopaBeach“ heißt die Copa Cagrana mittlerweile. Steht zum Glück auch nicht im Stadtplan.

Ein Logo, das an Orangenlimo aus den 1970er-Jahren erinnert, gibt es schon, und in der U-Bahnstation empfängt eine Plakatserie in buntem Bilderbuchstil: „Willkommen am CopaBeach – Essen und Trinken – Feine Gastro“. Im Vordergrund Wassergetier, Flaschenpost, ein Cocktailglas; im Hintergrund stilisierte Hochhäuser. Soll der Uferabschnitt zum Schanigarten der Donau City werden oder auch in Zukunft ein vielfältiges Angebot für die Bevölkerung bereitstellen? Vor drei Jahren hat das Innsbrucker Architektenteam LAAC den von der WGM – Wiener Gewässermanagement GmbH ausgelobten Realisierungswettbewerb gewonnen, dem das Ziel zugrunde lag, ein Konzept zu entwickeln, das eine „ganzjährige Nutzung erlaubt und dem Bereich mit hochwertiger urbaner Gestaltung von Bauwerken und Freiraum eine neue Identität verleiht“.

Schon davor waren im Sommer 2015 bei Stromkilometer 12,5 bauliche Fakten geschaffen worden. Als Folge eines bereits 2011 ausgelobten Gutachterverfahrens ließ die WGM nach Plänen des Architekturbüros Gerner Gerner Plus ein zweigeschoßiges Gastronomiegebäude errichten, das vom Betreiber auf „griechisch“ getrimmt wurde. „Korinthische“ Säulen und Frauenstatuetten – und derzeit saisonal passend Weihnachtsbeleuchtung in Blitzblau – dekorieren unbeholfen, aber einprägsam das Entree. Des Winters dient der überdeckte Sockelbereich, wie sich durch die behelfsmäßig mit Planen verklebten Glasscheiben erkennen lässt, als Abstellraum für alles, was man erst, wenn es warm wird, wieder braucht. Das Ufer davor gestaltete die Landschaftsarchitektin Carla Lo mit einer riesigen Sandkiste und Liegeflächen als einen temporären Stadtstrand, dessen Zukunft von der weiteren Realisierung des Masterplans von LAAC abhängt.

Dieser liegt einerseits schon vor, ist allerdings weder in all seinen Details öffentlich, noch gibt es dazu ein eindeutiges politisches Commitment. Andererseits ist er bereits zu einem Teil – zwischen Reichsbrücke und Griechen – umgesetzt. Die LAAC Architekten verfolgen auf neu moduliertem Gelände die Idee einer „Dockingstation urbaner Diversität“, an die alle gesellschaftlichen Schichten und viele Interessengruppen Anschluss finden. Einzelne bauliche Akzente sind vorgesehen, weiters eine Plaza, die sich um das schon bestehende Restaurant erstreckt; am Übergang zur Donau City eine sparsame Bebauung mit öffentlichen Einrichtungen.

Wie sie die Flächen strukturieren und divers Nutzungen verorten, lässt sich am bereits umgesetzten Teilbereich gut nachvollziehen. Interventionen aus hellem Beton definieren Zonen für diverse Aktivitäten. Ebene Flächen mit Stromanschluss, die sich als Buchten in die Wiese fressen, gestatten entlang des Weges das Aufstellen diverser Kioske, die nicht zwangsläufig gastronomische Angebote bereithalten müssen. Wie Höhenlinien in das Gelände gelegte Ketten unterschiedlich großer Sitzflächen und dahinter Sitzstufen, die in eine geschwungene, geneigte Fläche übergehen, bilden das Rückgrat für die Badezone am Ufer. Die neuen Bäume müssen noch ordentlich wachsen, bis sie Schatten spenden. Doch selbst im verwaisten Zustand hat diese Neugestaltung Qualität und lässt Zuversicht keimen, dass hier aus ästhetischer Sicht Besseres entstehen kann, als der neue Name suggeriert. Vielleicht findet sich auch noch ein Ersatz für die blauen Mistkübel mit zigarettenstummelförmigen Aschenbecheraufsätzen, die alle paar Meter das neue harmonische Bild der gestalteten Landschaft empfindlich stören. Müll und Tschick lassen sich eleganter entsorgen, man blicke zum Beispiel nach Paris.

Im Jänner, so erfährt man beim Wiener Gewässermanagement, startet der zweite Bauabschnitt. Konkretes ist noch nicht herauszufinden, weder zu den geplanten Bauten noch darüber, ob es dafür weitere Architekturwettbewerbe geben wird. Wie sehr sich hier Vielfalt und ein für breite Bevölkerungsschichten attraktiver Freizeitraum ohne Konsumzwang entwickeln kann, hängt aber nur bedingt von seiner Gestaltung ab. Vieles wird der rechtliche Rahmen definieren. Mit einem Generalpächter für unbegrenzte Zeit, dessen Rechte und Pflichten nicht eindeutig geklärt sind, hat die Stadt bereits Erfahrungen gemacht. Für die vergangene Saison gab es mit dem Immobilienentwickler und Gastronomen Martin Lenikus temporär einen neuen Generalpächter, der Flächen an andere Betriebe weitervermietete; die Neuausschreibung soll demnächst folgen. Was die Planungskultur angeht, möge man sich Jahrzehnte zurück an die Entstehung des Erfolgsmodells Donauinsel erinnern und Transparenz und Bürgersinn walten lassen.

20. Oktober 2018 Spectrum

Wider den baulichen Wahnsinn

Sechs Preisträger machen aus unserem Land noch keine Baukulturnation. Sie sind rare Musterbeispiele, für die dringend Nachahmer gefragt wären. Zur Verleihung des Österreichischen Bauherrenpreises.

Ob überdimensionale Baustrukturen von Großinvestoren, die gewachsene Stadtmorphologien zerstören, scheußliche Gewerbegebiete, die für die Entvölkerung malerischer Innenstädte sorgen, oder der ökonomische, ökologische und gestalterische Wahnsinn der Zersiedelung durch Einfamilienhäuser: Für all das sind – vom Investor bis zum Häuslbauer – Bauherren verantwortlich. Im Idealfall verstehen sie etwas von Architektur und vom Bauen. Immer öfter dirigieren das Bauen jedoch externe Bauherrenvertreter und Juristen und sind Bauherren als Personen nicht greifbar. Dann werden Architektur und Baukultur von kurzsichtigem Verwertungsdenken und schnelle Renditen in die Mangel genommen.

Daher ist es recht und billig, einmal pro Jahr jene Gebäude samt ihren Auftraggebern und Planern zu ehren, die in gedeihlicher Kooperation der Akteure entstanden, architektonisch vorbildlich sind und einen positiven Beitrag zur Verbesserung des Lebensumfeldes leisten. Seit über 50 Jahren verleiht die Zentralvereinigung der Architektinnen (ZV) den Österreichischen Bauherrenpreis. Sechs Siegerprojekte ermittelte heuer die mit der Architekturpublizistin Gabriele Kaiser sowie den Architekten Stefan Marte und Andreas Bründler besetzte Jury.

Dass sich darunter zwei Schulbauten befinden, überrascht nicht, haben doch die gesellschaftliche Debatte über das Bildungswesen und geänderte Abläufe im Schulalltag den Diskurs über die adäquate Schularchitektur befördert. Beiden gingen EU-weit ausgeschriebene Wettbewerbe voran. Bei der Bundesschule Aspern in der Wiener Seestadt war mit der Bundesimmobiliengesellschaft eine im Schulbau routinierte Bauherrin zugange. Sie erarbeitete ein Raum- und Funktionsprogramm, mit dem Österreich an internationale pädagogische Standards im Schulbau anschließt und das Fasch und Fuchs Architekten in eine ebenso international konkurrenzfähige lichtdurchflutete, stimulierende Lernlandschaft übersetzten.

Alles andere als Routine ist ein Schulbau in kleineren Gemeinden wie Lauterach in Vorarlberg, wo es den politisch Verantwortlichen Courage abverlangt, neue Wege zu gehen. In einem langjährigen Entwicklungsprozess wurden ab 2005 die pädagogischen und räumlichen Grundlagen in mehreren Arbeitsgruppen entwickelt. Es ist den intensiven Diskussionen und der Testplanung im Vorfeld zu danken, dass das Bestandsgebäude aus den 1930er-Jahren nicht kurzerhand einem Neubau weichen musste, sondern in eine Erweiterungsplanung integriert wurde. Man betrat zweifach Neuland: mit dem offenen Raumkonzept, aber auch architektonisch, da die Wettbewerbssieger, das Grazer Architekturbüro Feyferlik/Fritzer, mit einem lockeren Pavillon-Gefüge mit direkt von außen betretbaren Unterrichtsclustern landläufigen Vorstellungen von typisch „Vorarlberger Architektur“ nicht entsprachen. „Die Architektur macht den Kindern nichts vor, sondern schenkt ihnen einfach Raum für Erfahrung“, resümierte die Jury. Ums Vormachen geht es oft im Tourismus, wo mit auf alt getrimmtem Holz Klischees vom gemütlichen Urlaub in der Alpenrepublik bedient werden. Hotelier Robert Hollmann ging mit den Architekten Winkler und Ruck einen anderen Weg. Die in Holzblockbauweise und mit Sockeln und Stiegenhäusern aus brettgeschaltem dunklem Beton auf wenig Grundfläche errichteten Häuser Luki, Toni und Franzi auf der Turracher Höhe zelebrieren traditionelle Handwerkskunst und bringen Archaik und Moderne souverän in Einklang. Aus einer Katastrophe geboren ist ein Siegerprojekt, das sich als Ausflugsdestination empfiehlt. Am Rindberg in Sibratsgfäll im Bregenzer Wald setzte 1999 heftiger Regen einen ganzen Hang samt Almdorf in Bewegung. Die große Rutschung hinterließ tiefe Spuren in der Landschaft und im Bewusstsein der Einwohner, und es ist gewiss, dass der Boden weiter in Bewegung bleiben wird. Zur Bewältigung und Akzeptanz dieser Situation trägt die „Georunde Rindberg“ bei, ein Erinnerungspfad, initiiert vom ehemaligen Bürgermeister Konrad Stadelmann und gestaltet vom Architekturbüro Innauer-Matt mit dem Designteam Super BfG. Acht Installationen in der Landschaft zeichnen die Geschehnisse nach und deuten die Geschichte positiv um. Auch so kann Dorferneuerung praktiziert werden.

„Was immer Sie vorschlagen, ich sage Ja.“ So ein Deal wird auch für erfolgsverwöhnte Architekten wie Wolf D. Prix selten angeboten. Und so kam es, dass ein schillerndes, mit Edelstahlschindeln verkleidetes Gebilde von Coop Himmelb(l)au gleich einem aufgehenden Teigling an der Westautobahn bei Asten hinter den Leitplanken emporwächst. Backmittelerzeuger Peter Augendopler macht hier in der „Wunderkammer des Brotes“ seine aus Tausenden Exponaten bestehende Sammlung zum Thema Brot zugänglich und konnte mit der exzellenten Präsentation im kühn nach oben gedrechselten Ausstellungsraum die Jury für sich gewinnen.

Solche Inszenierungen haben im Wohnbau nichts verloren, wenngleich der Name des steirischen Preisträgers glamourös und die Ausbildung des Wohn- und Geschäftshauses im Grazer Lendviertel von höchster Eleganz ist. Die „Prinzessin Veranda“ bildet mit dem weißen Kleid ihrer Fassadenschicht aus Loggien und Veranden einen eleganten Ruhepol im zerfransten Quartier. Licht in den tiefen Baukörper kommt über ein elliptisches Atrium, von dem Laubengänge die Wohnungen erschließen. Für die leicht zu merkende Binsenweisheit „Wohnungsbau ist Städtebau“ findet sich hier ein heute rares Musterbeispiel, dazu gute Grundrisse, konsequente Materialisierung und hohe Detailqualität: Geht so etwas wirklich nur dann, wenn – wie es die Schöpfer der Prinzessin, das Architekturbüro Pentaplan, es seit 20 Jahren erfolgreich praktizieren – Planer und Projektentwickler in Personalunion agieren?

Die sechs Bauherrenpreisträger setzen Maßstäbe, und dafür wurden sie jüngst im Orpheum in Graz gefeiert. Sogar der Bundespräsident sandte eine Grußbotschaft: „Raumordnungsfragen und Stadtentwicklungen beeinflussen alle Bereiche der Gesellschaft. Sie prägen den öffentlichen Raum, unser Lebensumfeld, das soziale Lebensgefühl.“ Fußballspielen und Skifahren haben jedenfalls deutlich weniger Auswirkungen. Für die Bauherren des Jahres bräuchte es wohl ein ähnliches Begleitbrimborium mit TV-Show und Publikumsvoting, wie es den Sportlern des Jahres zuteilwird, damit sie zu breitenwirksamen Vorbildern und Helden der Nation werden

22. September 2018 Spectrum

Wie muss Schule sein? Mehr Raum, mehr Pausen

Trotz verkehrstechnischer Tücken und städtebaulichem Autismus gelungen: die Wanda-Lanzer-Schule in Wien-Stammersdorf und die Volksschule in der Wagramer Straße 224. Ein Lokalaugenschein in Transdanubien.

Das Baugrundstück für die Errichtung der Wanda-Lanzer-Schule hatte seine Tücken: schmal und lang gestreckt auf dem Gleisgelände der aufgelassenen Stammersdorfer Lokalbahn gelegen, daneben bahnen sich auf der Brünner Straße der Autoverkehr und die Straßenbahn ihren Weg an die nördliche Stadtgrenze.

Nun hat die Stadt Wien in ihrem Neubauprogramm für Bildungsbauten den klassischen Gangschulen eine Absage erteilt. Wie sind aber hier mehrere Bildungsräume um eine gemeinsame Multifunktionsfläche anzuordnen, ohne einzelnen davon den Nachteil der Lage an der Straße zuzumuten?

Die Antwort der Silbermayr Welzl Architekten ist bestechend einfach. Sie nahmen die Länge nicht als zu bekämpfenden Nachteil, sondern erkannten deren Vorteile: Eine geringe Gebäudetiefe gestattet beste Versorgung mit Tageslicht sowie eine gute Verschränkung zwischen innen und außen, selbst wenn Terrassen nur an einer Seite sinnvoll sind. Rankgerüste und Lamellen bilden zur Straße einen Filter. Dahinter liegen weniger frequentierte Räume wie Nassräume und Garderoben. Zum Garten öffnet sich die Schule in allen drei Ebenen und über die ganze Länge raumhoch verglast zum vom Atelier Landschaft naturnah gestalteten Freiraum und auf die Balkonbänder. Zwischen der Nebenraumzone und der intensiv genutzten Flanke mit den Klassenzimmern legten die Architekten eine Promenade an, die sich zwischen den Raumgruppen nach beiden Seiten zu offenen Lern- und Aufenthaltszonen weitet, die gartenseitig auf die Loggien und Balkone ins Freie münden.

Die luftige Leichtigkeit der Schule versinnbildlicht sich am deutlichsten in der Aula, wo eine skulptural wirkende Stiege mit verschränkten Treppenläufen in die Geschoße führt. Hellroter Terrazzo am Boden, weiße Treppenwangen und Wände sowie Glasbrüstungen bilden einen eleganten Hintergrund. In den Bildungsbereichen setzen ein sonnengelber Bodenbelag und von Architektin Ulrike Lambert als Patchwork aus Regalen, Schränken und Laden mit verschiedenen Oberflächen maßgeschneiderte Einbaumöbel Akzente. Die Schule ist eine Offene Neue Musikmittelschule, also mit Nachmittagsbetreuung und Freizeitprogramm. Sie ist aber auch offen für andere Institutionen und Vereine. Eng zusammengearbeitet wird mit der Musikschule Floridsdorf, die auch die Band-Proberäume im Untergeschoß nutzt. Zahlreiche Sportvereine sorgen für abendliche Belebung des Turnsaals, dessen Foyer auch als zusätzlicher Veranstaltungsraum gute Figur macht.

„Total durchdacht“ lobt Direktorin Katja Kraml die Architektur der Schule. Schon im heißen August konnte sie feststellen, dass es trotz vieler Glasflächen weder zu Überhitzung komme noch Straßenlärm zu hören sei. Die Schüler seien begeistert, nicht nur, weil es nun zwei lange Pausen statt einer gibt, um die multifunktionalen Flächen und den Garten noch mehr genießen zu können. Rasch hat sich die Schulgemeinschaft eingelebt, sicher auch deshalb, weil sich Lehrerkollegium wie Schüler bereits davor mit dem neuen Gebäude vertraut machen konnten und die Architekten nicht für unbekannte Nutzer planen mussten.

Diesen Vorteil hatte Architektin Sne Veselinović bei der Volksschule in der Wagramer Straße nicht, zudem war weiteren Erschwernissen beizukommen. Schon 2012 hatte sie den Wettbewerb für einen Campus auf dem Eckgrundstück zur Maculangasse gewonnen. Realgymnasium und Volksschule sollten einen gemeinsamen Vorhof umschließen. Es änderten sich die Rahmenbedingungen und Besitzverhältnisse auf dem Areal, noch ehe die erste Baustufe, das Evangelische Realgymnasium an der Maculangasse, 2015 fertiggestellt war.

Die Ecke, an der die Volksschule entlang der Wagramer Straße ansetzen sollte, wurde – städtebaulich autistisch und auch sonst keine Zierde – von einer Geschäftsstelle des AMS besetzt. Dann wurde noch die Idee geboren, über der Schule ein Wohnheim aufzustocken. Also musste auf verkleinertem Grundstück sowohl mehr untergebracht werden als auch der Zutritt zur Schule von der Wagramer Straße erfolgen.

Ihr Anliegen, hier ein angenehmes Entree samt Schwellenraum zum Gehweg mit Verweilqualität zu schaffen, löste die Architektin einerseits mit dem Abrücken von der Baulinie und einer „Faltung“ der zweigeschoßigen Schulfassade. Es rhythmisiert die Länge und bringt durch schräg gestellte zweigeschoßige Verglasungen Licht und Außenbezug in die dahinter liegende interne Spiel- und Erschließungsstraße des kammförmigen Gebäudes, setzt sie aber nicht frontal der Straße aus. Ein Text der Künstlerin Ingeborg Kumpfmüller, der das Gemeinsame in den Vordergrund stellt (auf dem Foto noch nicht zu sehen) wertet zudem die Ansicht auf.

Schule und Wohnheim haben separate Zugänge, zwecks Raum- und Budgetökonomie hat Veselinović sie so ineinander verschränkt, dass ein Lift beide Einheiten erschließen kann. Die Bildungsräume organisierte sie als Cluster in den gartenseitigen „Fingern“, zwischen denen die kleinen, aber feinen Freiräume (gestaltet von DnD Landschaftsplanung) liegen. Der Luftraum der Aula und das Lichtatrium zwischen den Turnräumen im Untergeschoß verweben die Geschoße.

Über Eck gezogene Fensterbänder in den Bildungsräumen und raumhohe Verglasungen in den Allgemeinbereichen schaffen räumliche Weite, Ausblick und viel Tageslicht, und für Gartenbezug auch im Obergeschoß sorgen große Balkone. Deren elegante Geländer mit zarten, V-förmig angeordneten Rundstäben und ein subtiles Farbkonzept sind nur zwei der Details, die auch hier Herz und Auge erfreuen.

28. Juli 2018 Spectrum

Das Wiener Campusmodell: Bildung aus dem Regal

Alles unter einem Dach: Das Wiener Campusmodell sieht eine ganztägige Betreuung in Kindergarten, Volksschule und Unterstufe in einem Gebäude vor. In der Wiener Attemsgasse ist ein solcher „Campus plus“ seit einem Jahr in Betrieb. Ein erster Erfahrungsbericht.

Die Abkürzungen „Biber“ und „Mufu“ gehören seit ein paar Jahren zum Wortschatz all jener, sie sich in der Bundeshauptstadt mit dem Neubau von Schulen befassen. Doch ist in vielen Fällen „Schule“ nicht mehr der korrekte Ausdruck, da das Wiener Campusmodell eine ganztägige Betreuung in Kindergarten, Volksschule und Unterstufe unter einem Dach vorsieht. Waren zunächst die einzelnen Stufen unter einem Dach als eigene Einheiten organisiert, wurde 2013 mit dem Konzept „Campus plus“ eine enge Verknüpfung zwischen Kindergarten und Schule angepeilt, um den Übergang zu erleichtern. Vier Schulklassen und zwei Kindergartengruppen werden zu Bildungsbereichen (Biber) zusammengefasst und nutzen gemeinsame Multifunktionsflächen (Mufu). Bis zu vier Biber beherbergt im Regelfall ein „Campus plus“, also 21 Schulklassen und zwölf Kindergartengruppen. Zudem werden weitere Einrichtungen integriert – etwa eine Musikschule beim Bildungscampus Attemsgasse, dem ersten nach diesem Konzept.

Wie alle Campus-plus-Projekte wurde auch dieses als PPP-Modell errichtet und war bereits lange vor seiner Erbauung Gegenstand hitziger Debatten (siehe „Wer braucht denn schon Details?“, „Spectrum“, 10. 3. 2018). Aus dem Architekturwettbewerb ging 2014 der Beitrag der Querkraft Architekten hervor. Diese präzisierten in der Folge im Auftrag der Stadt im Eiltempo den Entwurf bis zur Einreichplanung und erarbeiteten Hunderte von Leitdetails. Diese Planungen, die das Projekt bereits sehr genau, aber noch nicht bis in die letzten Feinheiten darstellen, dienten als Vorgabe für das Verfahren zur Findung eines PPP-Partners. Wegen der Befürchtung eines Vorteils gegenüber anderen Bewerbern und Ängsten, das Projekt laufe Gefahr, nicht mit den Maastricht-Kriterien konform zu sein, wurde dezidiert ausgeschlossen, dass der PPP-Partner mit dem Wettbewerbssieger weiterarbeitet. Den Zuschlag erhielt schließlich die Gesiba, mit der Ausführungsplanung wurde das Büro Skyline Architekten beauftragt – und Querkraft fortan nicht mehr eingebunden. In der Zwischenzeit wurden die Modalitäten geändert, und so ist bei den weiteren Campus-Projekten möglich, die Entwurfsarchitekten bis zum Schluss miteinzubinden, womit Entscheidungen über Gestaltungsfragen, die erst in späteren Phasen möglich sind, mit den Projektautoren getroffen werden.

Wie sich das neue Konzept und die von Querkraft entworfene Raumkonfiguration bewähren, interessierte auch Universitätsassistentin Corina Binder und 14 Studierende von der TU Wien. Im Zuge des Wahlseminars Gebäudelehre zum Thema Bildungsbau waren sie im Mai eine ganze Woche vor Ort, analysierten Raumstruktur und Nutzerverhalten, protokollierten den Tagesablauf und führten Gespräche mit Pädagoginnen und Architekten. Die Ergebnisse werden vertieft ausgearbeitet und danach der Stadt Wien als Feedback zur Verfügung gestellt. Dem „Spectrum“ wurde dankenswerterweise ein erster Einblick in die Erkenntnisse gewährt.

Wie ein riesiges Regal wirkt der quaderförmige Baukörper. Das kommt vom allseitig umlaufenden Stahlbetongerüst, das Balkonplatten, Pflanztröge sowie Fluchtstiegen aufnimmt. Die Architekten konzipierten es als Ereigniszone, die Kindern und Pädagogen eine Varianz an Bespielungsmöglichkeiten bietet, welche die Lebendigkeit des Betriebes nach außen abbildet. Drei Meter tief ist die äußerste Raumschicht, die Spielen und Aufenthalt im Freien in unmittelbarer Nähe zum Bildungsraum zulässt, wo kleine Gärten angelegt werden können, die mit entsprechendem Mobiliar wohnliche Freiluftzonen werden könnten. Wie gut die Aneignung gelingt, wird auch von der Bereitschaft und Kreativität des pädagogischen Personals und den finanziellen Ressourcen für diverse Zusatzausstattungen abhängen. Zudem gibt es Freiraum zu ebener Erde in Hülle und Fülle im abwechslungsreich gestalteten Schulgarten, der durch den unterirdisch mit der Schule verbundenen Turnsaaltrakt gegliedert ist.

Im Inneren setzt sich die Idee des variantenreich nutzbaren Regals fort. Die Ebenen wurden als Plattformen gesehen, auf denen innerhalb des Konstruktionsrasters die Räume nach dem Prinzip eines Hauses im Haus verteilt sind. Die Entscheidung gegen einen zentralen „Marktplatz“ für alle und für ein Gewirk an frei bespielbaren Bereichen sorgt für abwechslungsreiche Möglichkeiten der Nutzung. Weiß, Grau und Gelb sind die Leitfarben, die zusammen mit Sichtbetonflächen und unverkleideten Techniksträngen ein werkstattartiges Milieu entstehen lassen, das gut im Einklang mit der Veränderbarkeit und Flexibilität der Räume steht, aber auch erstaunlich wohnliche wirkende Räume anzubieten vermag. Im Kleinen wiederholt sich das Schema in den Wandverbauten. Es sind Patchworks aus unterschiedlich großen Regalfächern und Schränken, die neben Spiel- und Unterrichtsmaterial auch passgenau zugeschnittene Schaumstoffwürfel aufnehmen.

Herrscht nun Chaos, weil das Netzwerk an Erschließungs- und Multifunktionsflächen keine eindeutigen Wegeführungen vorgibt? Nein, so die Erkenntnisse der Studierenden. Es ergeben sich kaum Störungen zwischen den Zöglingen der verschiedenen Institutionen, da zum Beispiel der kürzeste Weg zu den Kindergartengruppen die Bereiche vor den Schulklassen nicht kreuzt. Zudem würden sich die ganz Kleinen auch nur zögerlich in die Reviere der Großen vorwagen. Mit dem Laufrad um die Lichthöfe Achterschleifen zu ziehen und durch die verglasten Flächen Einblick in den Schulunterricht zu bekommen hat aber eine Erlebnisqualität, die es sonst nicht gibt.

Ob umgekehrt die Verglasungen die Schulkinder dazu verleiten, sich ablenken zu lassen? Auch das haben die Studierenden untersucht. Nur ein paar lassen öfter als fünfmal den Blick auf das Geschehen vor dem Klassenraum schweifen, manche dafür gar nicht. Und ständiges Gewurl in den Mufus konnte auch nicht beobachtet werden. Das meiste spielt sich nach wie vor in den Klassen ab. Neuartige Gebäude ändern also nicht sofort langjährig eingeübte Verhaltensmuster. Aber, und das ist die wohl wichtigste Botschaft: Der Campus Attemsgasse lässt eine Fülle an Szenarien zu und ist baulich ein wichtiger Schritt in der oft an Lähmungserscheinungen leidenden Bildungslandschaft.

14. Juli 2018 Spectrum

Das neue Stadion der Austria: Fan-Glück ohne Kreischen

Die Wiener Austria eröffnet dieser Tage ihr altes neues Stadion. Statt auf eine spektakuläre Schüssel setzten Verein und Architekten auf robuste Eleganz und eine aktive Rolle bei der Stadtentwicklung um den Verteilerkreis Favoriten.

Nach einer Weile willst du nicht mehr von der Hand in den Mund leben, von Tag zu Tag, von Spiel zu Spiel, sondern willst den Rest deiner Tage abgesichert sein.“ So ähnlich wie Nick Hornby in seinem Fan-Roman „Fever Pitch“ das Gefühl nach dem Erwerb einer Sitzplatzdauerkarte im Stadion „seines“ Vereins, des Arsenal Football Club, schildert, muss es wohl nun auch der Wiener Austria ergehen. Denn eine echte Heimat hatte der 1911 gegründete Klub bislang so gut wie nie. Auf Initiative des sozialdemokratischen Abgeordneten und Präsidenten des Wiener Fußballverbandes Franz Horr landete die Austria schließlich 1973 in Favoriten, im ehemaligen Stadion des SK Slovan. Die Ausstattung war nicht besser als zur Errichtungszeit 50 Jahre zuvor. Da der projektierte Ausbau – auch dem Tod von Franz Horr geschuldet – auf sich warten ließ, musste die Austria erneut wandern. Erst Anfang der 1980er-Jahre wurden eine Nordtribüne und Flutlichtanlage errichtet, zögerlich folgten weitere Ausbauten.

Ab der Jahrtausendwende gab der Magna-Konzern ein einige Jahre währendes Gastspiel als Hauptsponsor. Mit dessen Rückzug erfolgte schließlich auch baulich ein Neustart. Zunächst 2008 mit einer neuen Osttribüne, 2010 folgte unweit des Stadions die Nachwuchsakademie (Franz Architekten/Atelier Mauch), die im Hinblick auf den Stadionumbau zuversichtlich stimmte. Austria-Vorstand Markus Kraetschmer nennt die Baumaßnahmen ein „Symbol für den neuen Stil nach Magna“. Dieser ist nicht von greller Zeichenhaftigkeit geprägt, wie sie heute im Stadionbau Usus ist. Fernsehtauglichkeit und Attraktivität für Fans und Geldgeber aus der Wirtschaft lassen sich auch ohne visuelles Gekreische realisieren, erkennen wir vor Ort.

Schon dass das Stadion nun per U-Bahn erreichbar ist, erhöht den Komfort für die Fans. Noch führt der Ausgang in die verkehrsumtoste Ödnis inmitten des Kreisverkehrs, und es fällt es schwer, sich hier – wie im Städtebau-Wettbewerb 2014 vorgesehen – einen Platz mit urbaner Aufenthaltsqualität vorzustellen. Es fehlt ein Fußgänger- und Radsteg zum Stadion und zum angrenzenden Entwicklungsgebiet, wo neben rund 800 Wohnungen auch die Wiener Ballsportakademie angesiedelt werden soll. „Viola Park“ heißt die Siedlung, und so lautet auch der werbefreie internationale Name des Stadions selbst, das sonst „Generali Arena“ heißt. (In diesem Zusammenhang fragt man sich ja, ob die Sitte, die Namensrechte von Stadien zu veräußern, sodass nun die meisten nach Versicherungskonzernen benannt sind und damit sprachlich austauschbar wurden, oft die Bauten exzentrischer werden ließ.)

Die „Generali Arena“ hat als erstes Stadion Mitteleuropas ein Nachhaltigkeitszertifikat, ist mit Fotovoltaik auf dem Dach und Regenwasserzisternen zur Platzbewässerung ausgestattet. Von den raffiniertesten Umwelttechnologien haben die Anrainer aber nichts, wenn ein Stadion Alltagswege behindert und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum beeinträchtigt. „Wir wollen ein guter Nachbar sein“, betont Austria-Chef Kraetschmer. Die städtebauliche Dimension stand stets im Fokus, betonen Architekt Reinhardt Gallister und Projektleiter Michael Mauch. Daher sind die Flächen um das Stadion nun öffentlich zugänglich.

Es galt, mehrere Bauphasen in ein Ganzes zu gießen, dazu noch einen einst frei neben der Nordtribüne stehenden, unverrückbaren Funkmasten zu integrieren und alles in ein Umfeld einzubetten, das es zum Teil noch nicht gibt.

„Eine große Schüssel passt nicht an diesen Ort“, erklärt Michael Mauch. Wichtig sei auch gewesen, verschiedene Milieus für unterschiedliche Publikumsgruppen zu schaffen. Die Notwendigkeit, Vorhandenes weiterzuverwenden, mag dieser Milieubildung sogar förderlich gewesen sein. Die Osttribüne von 2008 gab die neue Höhe für das gesamte Karree und die neuen Tribünen im Westen und im Norden vor. Sie ist die Heimat der Veilchen-Fans, auf der sich die Fa-Kultur auch künstlerisch in Form von Graffitis manifestiert. Der Lückenschluss an den vier Ecken erfolgt mit der Erschließung und einer kaschierenden, aber lichtdurchlässigen Hülle aus Streckmetall.

17.500 Zuschauer fasst das Stadion, nicht immer kommen alle in friedlicher Absicht. Das Nordwesteck ist daher jenen gegnerischen Fan-Gruppen vorbehalten, die potenziell für Ärger sorgen. Sie werden, ähnlich wie die Löwen in die Manege, über einen eigenen Eingang zu ihren Plätzen gelotst. Hohe Gitter zu den benachbarten Sektoren und eine Überdeckung mit einem Netz sorgen dafür, dass rundum niemand zu Schaden kommt. Damit gehen zwar Einschränkungen ästhetischer Natur einher, aber es dient der Sicherheit und Freiheit der anderen. Denn die sollen sich möglichst frei bewegen können. Im ersten Rang sind alle Tribünen miteinander verbunden, um das ganze Stadion im Rundgang erleben zu können. Die Tragstruktur des zweiten Ranges kragt weit aus, sodass vom Umgang und den oberen Sitzen sich das Spielfeld quasi im Cinemascope-Format präsentiert.

Ein Familienbereich mit Kindergarten zur Betreuung des Fan-Nachwuchses wurde eingerichtet. Rollstuhlgerechte Plätze finden sich nicht nur in der untersten Reihe, wo sie einfach unterzubringen, allerdings auch stärker der Witterung ausgesetzt sind, sondern genauso auf den oberen Rängen und im VIP-Bereich. Ohne VIPs geht im Fußball ja schon längst nichts mehr, wobei sich die bevorzugte Behandlung selbstverständlich erkaufen lässt. Das Ambiente ist in den Logen und „Skyboxen“ auf der Nordtribüne dank Holzböden, Vorhängen und lederbezogenen Sitzmöbeln recht elegant, stets sind aber auch der Stahlbeton der Konstruktion und das Flair der Fußballarena präsent. Die Oberflächen sind außen wie innen materialsichtig oder unbunt. Selbst die Vereinsfarbe Violett ist, abgesehen von den Zuschauersitzen und Kunstrasenstreifen, der das Spielfeld säumt, sparsam dosiert. Dezenz dominiert, außen wie innen, und nicht nur in den nobleren Zonen, sondern auch dort, wo Robustheit gefragt ist.

Die Erkenntnis: Ein Stadion, das auch der Nachbarschaft guttut, geht nicht aus Bieterverfahren unter Baufirmen und einschlägigen Planungsfabriken hervor. Das können architektonische Universalisten, denen vom Städtebau bis zur Gestaltung der Fuge zwischen Boden und Wand alles wichtig ist, viel besser.

19. Mai 2018 Spectrum

Der Gang als erster Therapeut

Es ist kein Geheimnis: Gebäude wirken sich auf das Wohlbefinden aus – und dafür müssen sie nicht einmal besonders originell sein. Das neue Kinderambulatorium in Mistelbach zeigt vor, wie es geht.

Der Ausblick aus dem Fenster kann die Genesung beeinflussen, stellte der amerikanische Architekturprofessor und Spezialist für Healthcare Design, Roger Ulrich, 1984 fest. Im Magazin „Science“ veröffentlichte er damals Studienergebnisse, die belegten, dass Patienten, die während der Rekonvaleszenz nach einer Operation aus dem Krankenhauszimmer auf Bäume sahen, weniger lang im Spital bleiben mussten und weniger Schmerzmittel benötigten als die Vergleichsgruppe, die auf eine Ziegelwand schaute. Seine Forschungen beeinflussten fortan die Gesundheitswissenschaften und die Gestaltung medizinischer Einrichtungen. Der Begriff „Healing Architecture“ ist heute fixer Bestandteil des Repertoires von Krankenhausplanern. Ausblick in die Natur, gute Orientierbarkeit, viel Tageslicht, helle Gänge und eine ruhige Umgebung tragen zum Wohlbefinden von Patienten, Personal und Angehörigen bei – darüber herrscht kein Zweifel. Trotz mittlerweile durchaus fundierter Forschung zum Thema, zum Beispiel von Architektin Christine Nickl-Weller, die an der TU Berlin das Fachgebiet „Architecture for Health“ leitet, basiert die Gestaltung von Bauten im Gesundheitswesen nicht immer auf klaren wissenschaftlichen Fakten. Geschwungene Formen, viel Holzoptik, Lichtinszenierungen und mehr oder weniger geschmackvolle Fototapeten mögen vielleicht manchen gefallen und als schick empfunden werden, tragen aber ähnlich wenig bei wie kuriose energetische Schutzringe. Es kommt auf mehr an, wenn die Umgebung nachweislich die Gesundheit fördern oder gar die Heilung beschleunigen soll. Einschlägige Studien gibt es, man müsste sie auch anwenden.

Dass es nicht auf Dekor oder besondere Originalität ankommt, wissen ebenfalls die Architekten Christa Prantl und Alexander Runser. Rationalität und zielstrebige Konsequenz kennzeichnet seit jeher ihre Herangehensweise. Schlanke, materialminimierte Konstruktionen, ein strenges Raster und klare Geometrien sind Merkmale ihrer Arbeiten. Beim Umbau des Pavillon 6 am Wiener Otto-Wagner-Spital in eine geriatrische Abteilung haben Runser/Prantl bereits 2001 bewiesen, dass diese Methodik nicht zu einem klinischen Ambiente führen muss, sondern damit durchaus – dank guter Lichtführung und Materialwahl – ein angenehmes Milieu zu schaffen ist.

Nun hatten sie mit einem Ambulatorium in Mistelbach erneut Gelegenheit, eine kleinere Bauaufgabe auf dem Sektor der medizinischen Betreuung zu realisieren. Bauherrin ist die 1975 gegründete, aus einem privaten Verein betroffener Eltern hervorgehende Organisation „VKKJ – Verantwortung und Kompetenz für besondere Kinder und Jugendliche“, die in neun Ambulatorien in Niederösterreich und Wien medizinisch-therapeutische Behandlung für Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsverzögerungen, Verhaltensauffälligkeiten und Behinderungen anbietet. In Mistelbach war die seit 25 Jahren bestehende Einrichtung zu klein geworden. Auf einem ursprünglich für Einfamilienhäuser parzellierten Areal am Stadtrand nahe dem Bahnhof entstand daher ein Neubau, der den gestiegenen Raumanforderungen gerecht wird. Runser/Prantl legten den Auftraggebern einen Holzbau nahe – aus ökologischen Gründen, wegen der Möglichkeit der Vorfertigung und daher rascheren Bauweise und weil eine eventuelle Erweiterung rascher und den Betrieb weniger störend vonstattengehen kann. Das Ambulatorium ist ihre zweite Arbeit in der Stadt. Bereits beim 2009 eröffneten Neubau des Freibades konnten sie ihren Anspruch an Präzision im großen Ganzen wie im Detail vorexerzieren.

Und wie das Freibad präsentiert sich auch die Therapieeinrichtung in nüchternem Grau, jenem unbunten Ton, den Runser/Prantl gern als Leitfarbe wählen. Er ist neutral, vermittelt eine gewisse Autorität und Stabilität, unterstützt das Konzept der konstruktiven Rationalität also auf visueller Ebene. In diesem Fall fiel das Grau etwas dunkler aus als sonst. Es wirkt dadurch weniger kühl; die Farbe changiert je nach Sonneneinfall, erscheint zu mancher Zeit als warmes sattes Braun und trägt dazu bei, den flachen Bau durch das optische Gewicht des Kolorits gut im Boden zu verankern. Das Grau bleibt aber draußen – drinnen bilden helles Holz, weiße Wände und ein sandfarbener Boden einen neutralen, freundlichen Grundton. Buntes kommt durch die Einrichtung und die Nutzer ins Spiel.

Aus drei orthogonal zueinanderstehenden, um Mittelgänge angeordneten Flügeln setzt sich der Baukörper zusammen. Vorne, direkt am Parkplatz, der Verwaltungsbereich, Empfang und im Anschluss der Warteraum. Breite Fenster mit niedrigen Parapeten sorgen für Übersicht nach draußen. Linkerhand des Ganges liegt im Vordertrakt der Personalbereich, in dem auch ein Therapiebad Platz fand, und der sich nur vom Aufenthaltsraum an der Gartenseite großzügig nach außen öffnet. Die beiden Therapietrakte liegen abgesetzt vom öffentlichen Grund und beidseitig von überdachten Holzterrassen begleitet wie Gartenpavillons in der Wiese. Dank Fenstertüren an den Enden und Oberlichten sind die Mittelgänge lichtdurchflutet und von einer Weite, die es zulässt, Distanz zu halten, sich seinen Raum selbst zu definieren und leicht auszuweichen. Der Gang als „erster Therapeut“, sagen die Architekten. Aus den Therapieräumen führen Fenstertüren auf die Terrasse und in den Garten.

Konstruiert ist das Gebäude in Holzbauweise mit einer Brettschichtholzdecke auf Stützen aus weiß lasiertem Leimholz und mit in die Attika integrierten Oberzügen. Damit bleibt die Decke frei von Unterzügen, womit man sich maximale Optionen für eine spätere Änderung der Raumgrößen schafft. Die Fassaden sind unabhängig von der Tragkonstruktion aus vorgefertigten Holzständerwänden errichtet. Es ist ein nüchternes, auf rationalen Bauablauf – in vier Wochen war der Rohbau fertig –, Alltagstauglichkeit und langfristige Flexibilität ausgelegtes Gebäude. Das Spektakuläre daran ist die Präzision der Planung: der bewährte Ein-Meter-Raster, der es erlaubt, Tür und Fensteröffnungen präzise zu setzen, zudem schöne Fugenbilder überall dort, wo verschiedene Materialien aufeinandertreffen. Das alles schafft einen ruhigen Hintergrund für einen abwechslungsreichen und für alle Beteiligten fordernden Alltag – mit ganz einfachen Mitteln.

3. Februar 2018 Spectrum

„Kultur Quartier“: Wie Yves Klein nach Kufstein kam

Urbane Kultiviertheit, unkomplizierte Lässigkeit: Nur eine Handvoll Gestaltungselemente benötigte Johannes Wiesflecker, um Kufsteins neuem Theater- und Veranstaltungszentrum Atmosphäre zu verleihen.

Das Zentrum von Kufstein hat in den vergangenen Jahren einen stetigen Wandel erlebt. Diewichtige größere Operation im Herzen der Altstadt war die Generalsanierung und Neukonfiguration des Rathauses durch die Architekten Rainer Köberl, Thomas Giner und Erich Wucherer in den Jahren 2009 bis 2011. Im Zuge der Integration zweier weiterer Bestandsgebäude wurde damals der Rathauseingang vom Unteren Stadtplatz auf den Oberen Stadtplatz verlegt und in der Folge auch der öffentliche Raum der unmittelbaren Umgebung neugestaltet. Während beim Rathaus Alt und Neu eng ineinander verwoben sind und die Veränderungen nicht auf den allerersten Blick lesbar sind, ist das in unmittelbarer Nähe, zwischen Marktgasse, Oberem Stadtplatz, Hans-Reisch-Straße und Inngasse gelegene und vergangenen Herbst fertiggestellte Stadtquartier eindeutig als neu erkennbar. Es entstand auf einer rund 5000 Quadratmeter umfassenden innerstädtischen Brache – zuvor teils Parkplatz, teils mit niedriger, geschlossener Bebauung, unter anderem mit dem 1870 erbauten „Laad-Haus“, um das sich im Vorfeld eine heiße Diskussion für und wider den möglichen Abbruch entsponnen hat.

Im international besetzten Architekturwettbewerb, den die Grundstücksbesitzerin und Investorin, die ortsansässige Bodner-Gruppe, im Jahr 2011 für das Areal auslobte, wurde ein Abbruch des zwar desolaten, aber im Bewusstsein der Bevölkerung verankerten Gebäudes als nur dann denkbar erklärt, wenn ein überzeugender Vorschlag eine deutliche stadträumliche Qualitätssteigerung erwarten lässt. Die ist dem Wettbewerbssieger, Architekt Johann Obermoseraus Innsbruck, gelungen. Die neuen Gebäudeblöcke, integrieren sich, am Maßstab und den Wegeführungen des Umfelds orientiert, gut in die Umgebung. Dank abwechslungsreich bespielter Erdgeschoßzonen, Fußgängerzone mit angenehm zurückhaltendem, hellem Farbasphaltbelag und angrenzenden Shared-Space-Bereichen lässt es sich dort nicht minder fein flanieren wie in den historischen Altstadtgassen.

Bereits im Architektenwettbewerb war die Integration eines Theaters vorgesehen, später wurde auch der Wunsch nach einem stadteigenen Veranstaltungssaal laut. Im Gemeinderat beschlossen wurde der Ankauf der fassadenfertigen Hülle allerdings erst nach langen Diskussionen vier Jahre später, als der Rohbau bereits fertig war und das neue Ensemble längst als „Kultur Quartier“ vermarktet wurde.

Dass es nun diesen Namen zu Recht trägt, ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass sich die neue Kultur- und Veranstaltungsstätte im Herzen des Quartiers als wahres Kleinod entpuppt. Auch das Gesamtpaket funktioniert mit einem Nutzungsmix aus Geschäfts- und Büroflächen, Gastronomie und Wohnungen als kultiviertes Stück Stadt. Es wurde kein Leerstand produziert, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil es keine großen Einzelhandelsflächen am Stadtrand gibt und die Innenstadt daher ein attraktiver Standort ist.

Johannes Wiesflecker verantwortet den Innenausbau und schuf einen Ort von urbaner Kultiviertheit und zugleich unkomplizierter Lässigkeit, wie man ihn in einer Kleinstadt – noch dazu in einer so mit romantisierenden Klischees behafteten – nicht vermuten würde. „Ein kleines, feines Theater sollte es werden“, so der Architekt, „kein rotziges Kellertheater.“ Sichtbeton, dunkel gebeiztes Eichenholz, leuchtendes Blau, Metallgewebe: Schon im Foyer, das ein großzügiges Entree für den multifunktionalen Veranstaltungssaal und den Theatersaal bildet, kündigt sich jenes Material- und Farbkonzept an, das die sinnliche Atmosphäre des Ortes trägt und dafür sorgt, dass man sich unmittelbar nach Eintritt in einer anderen Welt fühlt.

Die unterschiedlichen Oberflächen akzentuieren die vorgefundene Baustruktur, definieren Bereiche und fügen sich in beinahe Rietveldscher Manier zu einer geometrischen Komposition. Dem niedrigeren Raumteil entlang sind in Längsrichtung drei unterschiedlich lange Quader angeordnet, die je nach Bedarf als Kassentheke, Rezeption oder Bar fungieren; monochrom in Blau gehalten, mit einer Fuge abgesetzt leicht über dem Holzboden schwebend. Im Gegensatz zur Holzdecke im größeren und höheren Aufenthaltsbereich wurde die Betonuntersicht der Decke mit einem rauen Putz in einem satten Ultramarin versehen. Das „International Klein Blue“, jene Farbmischung, die Yves Klein in den 1950er-Jahren auf der Suche nach dem perfekten Blau entwickelte, stand dafür Pate. Durch die Putzstruktur und die Intensität der Farbe bekommt sie nahezu textile, leicht flauschige Anmutung. Ursprünglich wollte Wiesflecker die Decke sogar mit einem Teppich belegen, es ließ sich jedoch kein brandschutztaugliches Material in der gewünschten Qualität auftreiben, und so lag es an den Malern, beste Arbeit zu leisten.

An der gegenüberliegenden Längsseite öffnet sich die Holzwand in den Veranstaltungssaal, der 450 Besucher aufnimmt und mittels mobiler Wandelemente mit dem Foyer gekoppelt werden kann. Auch in seinem Inneren zieht sich das dunkle Holz über die Stirnwand bis zur Decke. Das den Seitenwänden vorgehängte Metallgewebe kaschiert dahinterliegende haustechnische Installationen, wirkt sich akustisch günstig aus und trägt auf beiläufige Weise dazu bei, dass es dem Saal in angenehmer Weise an jener unverbindlichen Fadesse fehlt, die Multifunktionssälen, die von Firmenfeiern über Kongresse bis hin zu Kulturveranstaltungen allem gerecht werden müssen, oft anhaftet. Hier braucht man keine Dekoration, damit der Raum festlich wirkt.

Ein ebensolches „Kettenhemd“, wie der Architekt den Metallvorhang nennt – in der Festungsstadt Kufstein eine zulässige Assoziation –, kündigt an der Stirnseite des Foyers den dahinterliegenden Theatersaal an. Er ist die neue Spielstätte des Kufsteiner Stadttheaters, das 1908 als „Tiroler Volkstheater Kufstein“ gegründet wurde und zu den aktivsten und mit rund 150 Mitgliedern größten Laienensembles des Bundeslandes zählt. Die 175 Sitze in Blau gepolstert, dunkel gebeizte Eiche auf Boden und Galeriebrüstung und an den Seiten wieder der Kettenvorhang, dem die eingewebten Beleuchtungskörper ein verheißungsvolles Glitzern verleihen, das den Raum mit Theaterzauber erfüllt, noch ehe sich der Bühnenvorhang öffnet.

29. Dezember 2017 Spectrum

Was die Website nicht kann

Welche Funktion erfüllen Architektenmonografien in Zeiten, da jedes Architekturbüro einen eigenen Internetauftritt betreibt? Ein Blick auf drei sehr unterschiedliche Architektenmonografien – und ein Plädoyer für das Buch.

Ein Architekturbüro, das auf sich hält, leistet sich ein eigenes Buch. Ob als Akquise-Instrument, zur Selbstreflexion oder aus dem Bedürfnis, sich mitzuteilen – sie wertedie unterschiedlichen Gründe nicht, meint Eva Guttmann, die seit 2015 die Verlagsrepräsentanz des schweizerischen Architekturverlags Park Books in Österreich innehat. Denn selbst dann, wenn die Motivation schlicht darin läge, neue Märkte zu erschließen, passiere im Zuge der Entstehung des Buches die Reflexion automatisch. Zu finanzieren sind die Monografien generell von den Architekturbüros. Das Risiko für die Verlage ist also gering. Publizieren sie daher alles, was ihnen angetragen wird? „Nein“, betont David Marold vom Birkhäuser Verlag,„wir lehnen durchaus Bücher ab, die unseren Qualitätskriterien nicht entsprechen.“ Die Bearbeitung durch ein unabhängiges Redaktionsteam sei wichtig; nicht gern gesehen ist allzu Eitles, das an der Leserschaft vorbeigeht. Ein Patentrezept für eine erfolgreiche Architektenmonografie gibt es nicht. Wie vielgestaltig Architektenmonografien sein können, sei anhand dreier Beispiele, die2017 erschienen, belegt.

Opulent und mit einem offensichtlich ausgeprägten Willen, etwas Besonderes vorzulegen, präsentiert sich „Gohm Hiessberger vis-à-vis“, erschienen bei Park Books. Der Titel bezieht sich auf das 25-jährige Zusammenarbeiten von Markus Gohm und Ulf Hiessberger an einem Tisch. Getragen wird das Buch von den großformatigen Fotografien von Markus Gohm. Nur jeweils getrennt von weißen Seiten mit Angaben wie Entstehungsjahr, Ort, Projektname und einem poetischen Zwischentitel zeigen die Bilder 24 Bauten im Gebrauch und zeugen davon, wie sich individuelle Lebensstile und die Wohnkultur der Bewohner entfalten. Die Kuckucksuhr und der geschnitzte heilige Florian im Feuerwehrhaus werden ebenfalls zu Hauptdarstellern wie ein anmutiges Spiel von Licht und Schatten. Wem die Aussage der Bilder nicht reicht – drei für sich stehende Essays sind als kleinformatige Einhefter eingefügt: zu Beginn „Minima Tabernacula“ von Michael Köhlmeier über das Wesen des Hauses und des Hausens, am Ende des Fotoessays einer von Herausgeberin Marina Hämmerle zu einigen der abgebildeten Bauten; und schließlich ein Essay von Architekturkritiker Otto Kapfinger, der sich mit der „Fotografie als Kardiogramm von Baukunst“ befasst. Ein überraschendes Architekturbuch, das vor allem durch die sehr spezifische Bildsprache überzeugt. Will man aber rasche Informationen, muss man sie sich mitviel Blättern und Suchen erarbeiten – oder ins Internet gehen.

Ganz anders verhält es sich bei „Diagonale Strategien – Berger + Parkkinen Architekten“, erschienen bei Birkhäuser. Das seit 1995 entstandene Werk des Architektenpaars Alfred Berger und Tiina Parkkinnen ist relevanter, als es der schmale und an Gewicht leichte Band vorgibt. Hier stehen die Texte im Vordergrund, insbesondere der titelgebende Essay des Architekten und Theoretikers Francisco Barrachina Pastor, der Entwurfsstrategien der Protagonisten darlegt und ausgewählte Bauten rezensiert und kontextualisiert. Bilder der besprochenen Bauten – darunter die Nordischen Botschaften in Berlin (1999), die Fachhochschule Hagenberg (2005), der Holzwohnbau in der Seestadt Aspern (2015, mit Querkraft Architekten) oder das in Bau befindliche Paracelsusbad in Salzburg – begleiten den Text. Zum Abschluss gibt ein vom Herausgeber August Sarnitz und dem Künstler Hubert Lobnig geführtes Interview mit den Architekten vertiefenden Einblick in die Arbeitsweise von Berger + Parkkinen und trägt zur Lebendigkeit bei. Es braucht also nicht unbedingt schwere Schmöker, um den Spirit eines Architekturbüros darzustellen. Und es bleibt Spielraum, in Zukunft etwas Üppigeres nachzulegen.

Im Salzburger Müry Salzmann Verlag erschien mit „Walter Stelzhammer – Vierzig Werkjahre“ eine Architektenmonografie, die im Vergleich zu den heute üblichen, ästhetisch elaborierten Architektenbüchern in ihrer Normalität und ihrem Anspruch auf Vollständigkeit beinahe antiquiert erscheint. Der Schutzumschlag zeigt das eigene Ferienhaus, die von 1982 bis 2000 entstandene Maison Turquoise. Warum die Wahl gerade auf dieses im Selbstbau auf einem extrem steilen Hang ohne Infrastruktur an der türkischen Mittelmeerküste fiel, erschließt sich in der Zusammenschau des gesamten bisherigen Schaffens: Raumbezüge zwischen Innen und Außen, Atrien, Durch- und Ausblicke, abwechslungsreiche Wegführungen sowie generell südliche Stadtbautraditionen finden sich auch in Stelzhammers Wohnhausanlagen und Siedlungskonzepten. Stelzhammer ließ nicht schreiben. Verlegerin Mona Müry hat ihn dazu ermuntert, dies selbst zu tun. Wir haben also eine Architektenmonografie vorliegen, die ungefiltert durch den distanzierten Blick und die Interpretationen eines professionellen Architekturschreibers die Projekte erläutert. Im Vorwort, in dem er von prägenden Persönlichkeiten und Inspirationen erzählt, ist Stelzhammers O-Ton am stärksten zu spüren, während man sich in den sehr sachlich gehaltenen Texten zu den einzelnen Projekten bisweilen mehr Emotion wünschen würde. Gegliedert in die Kapitel Einfamilienhäuser, Bauen im Bestand und Wohnungsneubau laufen im Hauptteil Text, Fotos (Rupert Steiner) und Pläne miteinander ohne große Inszenierung.

Das Werkverzeichnis leistet einen ausführlichen Überblick über das gesamte bisherige Schaffen: Beginnend mit Studentenarbeiten aus den 1970er-Jahren, werden alle realisierten Bauten sowie Wettbewerbsprojekte und Studien detailreich mit ein bis drei Bildern oder Plänen und kürzeren Texten vorgestellt. Ein lückenloses Publikationsverzeichnis und ein ausführlicher biografischer Teil komplettieren das Buch, das vom Zeitgeist unbeeinflusst ein noch nicht abgeschlossenes Lebenswerk eines verdienstvollen Stadt- und Raumgestalters darlegt. Ohne Zweifel ein Buch von großem Nutzen; keine Website könnte ein Architektenwerk in so geballter Form zugänglich machen.

Marina Hämmerle (Hrsg.): „Gohm Hiessberger vis-à-vis“ (372 S., geb., € 58; Park Books, Zürich); August Sarnitz (Hrsg.): „Diagonale Strategien – Berger + Parkkinen Architekten“ (144 S., geb., € 29,95; Birkhäuser Verlag, Basel); „Walter Stelzhammer – Vierzig Werkjahre“ (576 S., geb., € 55; Müry Salzmann Verlag, Salzburg).

18. November 2017 Spectrum

Offen für das Besondere

Bauherrenpreise

Eine Bank, drei Kirchen und eine Brücke auf Wolke sieben: Seit 50 Jahren vergibt die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs den Bauherrenpreis. Das heurige Best-of.

Für fast 300 Bauten wurden seit 1967 Bauherrenpreise vergeben. Mancher ist heute vergessen, einige sind verändert oder nicht mehr erhalten, wie Hans Holleins Verkehrsbüros, manches ist vernachlässigt oder von der Zerstörung bedroht, wie das Kongresszentrum Bad Gastein von Gerhard Garstenauer oder die Schule am Kinkplatz von Helmut Richter. Auch daran sei erinnert, wenn wir die verdienten Bauherren der Gegenwart würdigen. 82 Einreichungen wurden heuer im Lauf des Sommers von Nominierungsjurys besichtigt, maximal drei Bauten pro Bundesland vorgeschlagen, die im Sinn der Auslobung als „exzeptionelle Lösungen, realisiert in intensiver Kooperation von BauherrInnen und ArchitektInnen“ eingestuft wurden. 23 Nominierungen waren es schließlich, die wir – TU Wien-Professorin Tina Gregorič aus Ljubljana, Architekt Richard Manahl und die Autorin – auf der Agenda einer viertägigen Tour durch Österreich hatten. Zu Beginn der Reise stand die Frage: Wodurch sollen sich die Bauherrenpreise aus dem Kreis der bereits Auserwählten hervorheben? Nicht nur nach regionalen Maßstäben sollen es herausragende Beiträge mit Strahlkraft sein, auch im internationalen Vergleich müssen sie bestehen können, so unser Konsens.

Sechs wurden es schließlich, davon vier an dieser Stelle in der Vergangenheit bereits besprochen: der Erste Campus in Wien, wo sich eine Bank nicht mit Logos und Firmenfarben in Szene setzt, sondern mit einer städtebaulich klugen Konfiguration, einer großzügigen, öffentlich zugänglichen Mall mit hohem Aufenthaltswert und besten Konditionen für alle Arbeitsplätze. Generaldirektor Andreas Treichl hegte vor Start des Wettbewerbs die Hoffnung, das neue Hauptquartier möge den Beginn einer neuen Ära für Wiens Architektur markieren. Mit den Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck legte er als Bauherr die Latte jedenfalls hoch.

Auffallend viele Sakralräume und Einrichtungen kirchlicher Institutionen gab es zu besichtigen. Darauf zu schließen, „die Kirche“ sei gegenwärtig eine relevante Bauherrin, wäre gewagt. Die drei ausgezeichneten Projekte sind kein Ausdruck eines Architekturwollens übergeordneter Institutionen, sondern glückliche Fügungen und Einzelinitiativen. Die Renovierung und räumliche Klärung der evangelischen Kirche in Mitterbach durch die Architekten Ernst Beneder und Anja Fischer macht den Geist der Gründer des ältesten Bethauses Niederösterreichs wieder bewusst und geht Hand in Hand mit den seelsorgerischen Anliegen von Pfarrerin Birgit Lusche, die den Architekten ein inspirierendes Gegenüber war. Nur wenige Kilometer entfernt war in der katholischen Wallfahrtshochburg Mariazell Superior Pater Karl Schauer ein Vierteljahrhundert lang Spiritus Rector eines mit ungeheurer Empathie betriebenen Sanierungs- und Revitaliserungsprojektes. Die Architekten Wolfgang Feyferlik und Susanne Fritzer realisierten eingebettet in ein visionär anmutendes Gesamtkonzept in und um die Basilika und das geistliche Haus zahlreiche kleinere und größere Maßnahmen voll Raffinement: jede davon maßgeschneidert, aber immer das Ganze und den wertvollen Bestand im Blick, mit dem die neuen Interventionen auf höchstem gestalterischem Niveau eine kongeniale Symbiose eingehen.

In Krumbach im Bregenzerwald initiierten Bewohner benachbarter Parzellen den Neubau der Kapelle Salgenreute anstelle eines nicht mehr sanierbaren 130-jährigen Holzkirchleins. Unter Federführung des ortsansässigen Architekten Bernardo Bader entstand im Zusammenspiel von Fachleuten und Freiwilligen ein spiritueller Ort in der Landschaft; formal zurückgenommen und dennoch ausdrucksstark, konstruktiv ausgetüftelt und handwerklich meisterhaft.

Bei Regen und im dichten Frühverkehr stand die Besichtigung der Sägerbrücke in Dornbirn an. Trotz der widrigen Bedingungen erlebten wir einen Ort von hoher Aufenthaltsqualität, der dem gemeinsamen Bemühen von Land und Stadt um die Aufwertung eines hochfrequentierten Ortes und einem brillanten Konzept der Architekturwerkstatt Dworzak-Grabher zu danken ist. Breiter als lang in seiner Proportion schufen sie nicht nur einen Verkehrsweg, sondern einen öffentlichen Platz über der Dornbirner Ache, der unterschiedlichen Formen der Mobilität gleichberechtigt Raum gibt. Wie aus einem Stück aus Beton mit hellem Granitzuschlag geformt geht die Fahrbahn mit minimalem Niveauunterschied in das Trottoir über, das an den Rändern zu Brüstungen hochgezogen wird. Gestockt auf den Fahrbahnen, sandgestrahlt im Fußgänger- und Fahrradsektor, geschliffen im Haltestellenbereich und poliert an der Dachunterseite der Bushaltestellen zur Reflexion der Beleuchtung tragen verschiedene Oberflächenbehandlungen den unterschiedlichen Anforderungen Rechnung. Man vermisst leichten Herzens die im Verkehrsbau gängigen Standardlösungen und die Vereinnahmung durch Werbung und erfreut sich an Nischen in den Brüstungen und Holzlehnen, die zum Verweilen einladen. In strahlendem Gelb setzt in der Brückenplatzmitte eine Skulptur von Hubert Lampert ein vertikales Zeichen am Eingang zur Innenstadt.

Am Ende der 2.500 Kilometer langen Tour kommen wir im Schlosspark Grafenegg an. Vor zehn Jahren schufen the nextENTERprise Architects hier die beeindruckende Konzertarena und zugleich ein StückLand-Art, das seinen Zauber auch außerhalb der Festival-Saison zu entfalten vermag. Einen weniger erbaulichen Anblick boten stets die Buden der Veranstaltungsgastronomie. Lang hat es gedauert, bis die zuständige Kulturbetriebsgesellschaft das bewährte Architektenteam mit einer Verbesserung der Situation betraute, aber dafür wurde nun Einzigartiges möglich. Mit einem geschwungenen, zweifach gekrümmten Dachschirm aus Ortbeton, der auf zarten Stützen lagernd den natürlichen Biegeverlauf zum konstruktiven Prinzip erhebt, schmiegt sich der Catering-Pavillon Wolke 7 zwischen die Bäume. Ein Raum im Freien, der sich je nachNutzungsintensität neu konstituiert: als Bar und gesellschaftlicher Treffpunkt; unbewirtet erfreut er als extravagantes Folly, Rastplatz oder Unterstand.

Das sind die Bauherrenpreisträger 2017. Sie alle haben dazu beigetragen, ein Stück Umwelt zu verschönern und zu verbessern. Sie eint, dass in ebenbürtiger Zusammenarbeit aller Beteiligten für die jeweilige Aufgabespezifische, individuelle Lösungen gefunden wurden – stets dank beherzter Bauherren, die für das Besondere offen waren.

14. Oktober 2017 Spectrum

Grüner Block mit Balkonen

Im zwölften Wiener Gemeindebezirk gelang einer privaten Bauherrin gemeinsam mit dem Architekturbüro Gerner Gerner plus ein vorzüglicher Beitrag zur Stadterneuerung. Nachmachen erwünscht!

Die Wiener Wolfganggasse ist eine unspektakuläre, aber auffallend grüne Gasse, der eine Allee aus Ahornbäumen und gut gepflegten Grünstreifen eine angenehme Atmosphäre verleihen. Die Bebauung stammt mit wenigen Ausnahmen aus der Gründerzeit. Im Gebäudeblock nördlich der Flurschützstraße ist seit Jahrzehnten ein pharmazeutisches Unternehmen ansässig. Mit der Entscheidung, die Produktion zu verlagern und nur noch das Büro am Ort zu belassen, war das Firmenareal frei für eine neue Nutzung, womit nun in baugeschichtlicher Hinsicht auch die Gegenwart Einzug gehalten hat. Die Bauherrin lud fünf Architekturbüros zum Wettbewerb für einen ökologisch korrekten Wohnbau mit viel Frei- und Grünraum, den das Architekturbüro Gerner Gerner plus für sich entscheiden konnte.

Gegartelt wird in der Wolfganggasse schon länger, zunächst im Zuge eines 2009 von Jutta Wörtl-Gössler initiierten Kunstprojektes, aus dem der Verein „Garten Wolfganggasse“ hervorging, der sich zu einem weit über die Bezirksgrenzen beachteten Nachbarschaftsprojekt entwickelte und für die prächtigen Beete verantwortlich ist. Eine Idylle, die mit einem den gesamten Mittelteil des Blocks zwischen Wolfganggasse und Schallergasse umfassenden Neu- und Umbauprojekt durchaus hätte ins Ungleichgewicht geraten können. Zur Genüge kennt man die Neubau- und Sanierungsprojekte in den Gründerzeitvierteln mit ihren leblosen Erdgeschoßzonen, wo dann mit poppig aufgemotzten Fassaden versucht wird, der Tristesse irgendwie Herr zu werden.

Es geht auch anders, wie das jüngst fertiggestellte Ensemble von Gerner Gerner plus zeigt. Allerdings musste einiges an alter Substanz weichen, wie das aus den 1960er-Jahren stammende Bürohaus an der Wolfganggasse und auch ein parallel dazu gelegenes Gründerzeithaus an der Schallergasse. Beide wurden durch Neubauten, die formal die gleiche Sprache sprechen, ersetzt. Das Haus Schallergasse 42, das im Jahr 1913 als Wohn- und Fabrikshaus für die Spiegelglasfabrik Johann Arminger von Baumeister Jaroslav Bubik erbaut wurde, bildet nun mit den beiden Neubautrakten ein stimmiges Ensemble um einen abwechslungsreich gestalteten Innenhof.

Der „Wolfshof“, so wurde es getauft, gibt sich schon aus der Ferne zu erkennen. Unterschiedlich weit ausgezogenen Schubladen gleich, strecken sich Balkone aus Betonfertigteilen mit integrierten Pflanztrögen oder Pflanztröge allein mehr oder weniger tief in die Luft über dem öffentlichen Gut der Wolfganggasse, als würden sie nach den Baumkronen greifen wollen. Im Erdgeschoß öffnen sich die Büros raumhoch verglast zur Straße und erhalten Sichtschutz durch einen langen Pflanztrog. Die Fassade wurde nicht in ein Wärmedämmverbundsystem gepackt, erstens weil man mit möglichst natürlichen Materialien arbeiten wollte, und zweitens weil der zwölfte Bezirk ein Ziegelbezirk ist, wovon zum Beispiel noch die nahe Remise der Badner Bahn, mit der einst die Ziegelöfen im Süden Wiens mit dem Zentrum verbunden wurden, Zeugnis ablegt. Daher griff man zu einer Dämmung aus Mineralwolle und einer Hülle aus Tonziegelpaneelen. In einem ähnlichen Farbton wie die Balkone gehalten und einem Verlegemuster aus gerillten und glatten Elementen entsteht ein schönes Hell-dunkel-Spiel, das durchaus Verwandtschaften zu historischen Wiener Fassaden aufweist. Denn auchdie waren stets überwiegend monochrom und in diversen hellen, steinfarbenen Tönen verputzt ausgeführt, womit sich auch bei vonHaus zu Haus unterschiedlichen Dekoren und Stilen ein einheitliches harmonisches Stadtbild erzeugen lässt. Es bleibt ein Rätsel, warum in Wien außerhalb der Schutzzonen dem bunten Patchwork, das so viel visuelle Unruhe verursacht, nicht beizukommen ist. Die Gerners haben jedenfalls verstanden, worauf es ankommt.

Balkone sind auch ein Hauptthema im Hof, wo die Fassaden der Neubauten ebenso hochwertig wie an der Straße ausgeführt wurden. Die Wiener Stadtgestaltungsmaxime, dass Stadtbild nur das sei, was man von der Straße aus sieht, fand also nicht Anwendung. Aus dem früheren, mit diversen Nebengebäuden, Abstell- und Rangierflächen zugebauten Hof wurde eine Parklandschaft mit Hochbeeten, Wasserbecken, Liegeflächen sowie einer Sitzstufenanlage. Dazu kommen noch kleinere gestaltete Freiräume wie der Hof des Büros oder der „verborgene Garten“ im Lichthof zur Tiefgarage. Davon profitieren nicht nur die Mieter und Eigentümer des Wolfshofs, sondern auch jene der benachbarten Häuser, für die das neue Ensemble Aussicht, Ambiente und Mikroklima verbessert.

Die Altbautrakte wurden naturgemäß anders behandelt als die Neubauten, was der Harmonie keinen Abbruch tut. Vor die weißen Fassaden gestellte Stahl-Holz-Konstruktionen erweitern die Wohnungen großzügig ins Freie. Im Gegensatz zu den optisch wie haptisch härteren Neubaufassaden wirken sie wie Weichzeichner, was sich noch verstärken wird, sobald die Rankpflanzen hochgewachsen sind. Auch an der ruhigerenSchallergassenseite hat man sich bemüht, der Anlage keinen Hintaus-Charakter zu geben. Auskragende Balkone waren hier nicht möglich, dafür gibt es vorgehängte Pflanztröge, damit das Erdgeschoß nicht zu abgeschottet ist, öffnete es man mit einem großen horizontalen Fenster zur Straße.

Sorgfalt im Detail, aber ohne zu kapriziöszu werden, kennzeichnet auch das Innere. Die 70 Wohnungen sind hochwertig und solide ausgestattet. Von besonderem Flair sind die Lofts im Altbau, wo die Ast-Molin-Rippendecken freigelegt wurden und die Sanitärzellen als niedrigere in den Raum gestellte Boxen den Grundriss gliedern, ohne die Großzügigkeit des Raumflusses zu unterbinden. Erwähnt seien noch ein riesengroßer Fahrradabstellraum und der geräumige Kinderspielraum mit Küche und Sanitärbereich,die zusammen mit dem Hof ein Angebot an gemeinschaftlichen Einrichtungen bereitstellen, wie es im üblicherweise zunächst aufRendite bedachten frei finanzierten Wohnbau in solchem Umfang und solcher Qualität äußerst selten ist.

In nächster Nähe steht die Entwicklung des Areals um den aufgelassenen Betriebsbahnhof der Wiener Lokalbahnen, die ihre Anlagen nach Wien-Inzersdorf übersiedeln, an. Die professionellen Entwickler im Eigentum der Stadt sind gut beraten, sich am privaten Wolfshof ein Vorbild zu nehmen.

22. Juli 2017 Spectrum

Blick nach vorn zurück

Jabornegg & Pálffy in Altenburg

„Retroperspektive – Architekturprojekte im historischen Kontext“: In einer ersten Werkschau zeigen die Architekten Christian Jabornegg und András Pálffy ihre Auseinandersetzung mit historischer Bausubstanz. Zu besichtigen im Stift Altenburg, Niederösterreich.

„Retroperspektive“ übertiteln die Architekten Christian Jabornegg und András Pálffy ihre Ausstellung im Stift Altenburg. Der Blick nach vorn zurück war bereits 1997 das Leitmotiv von Catherine David für die Documenta X in Kassel, für die Jabornegg & Pálffy damals die Ausstellungsräume im Südflügel des Hauptbahnhofes und im Fridericianum umbauten: Mit besonnenen Eingriffen spielten sie die jeweilige Substanz von überflüssigen späteren Eingriffen frei, gestalteten einheitliche Oberflächen, schufen trotz – oder vielmehr gerade wegen – unaufdringlich im Hintergrund bleibender Interventionen eine angenehme Atmosphäre und sorgten auf funktionaler Seite zudem für ein gutes Ausstellungsklima und ausgezeichnete Orientierung für die Besucher.

Aufbauend auf der genauen Lektüre und Reflexion des Bestandes das Potenzial eines Eingriffes ausloten, dies kennzeichnet so gut wie alle Arbeiten des Wiener Architekturbüros, das sich seit 25 Jahren mit dem Weiterbauen historischer Bausubstanz beschäftigt. Die Ausstellungsräume für die Documenta X sind eines von 17 Projekten, anhand derer im Stift Altenburg die Logik ihrer Herangehensweise verständlich gemacht wird.

In drei Bauphasen waren sie bislang von 2002 bis 2012 im Benediktinerstift im Waldviertel tätig. Im Zuge der barocken Transformation der im 12. Jahrhundert gegründeten Klosteranlage lagerte Joseph Munggenast der über 200 Meter langen monumentalen Ostansicht eine Altane vor, die kurzerhand auf einer Beschüttung über dem mittelalterlichen Vorgängerbau errichtet wurde. Als aufgrund des Erddrucks entstandene Risse Untersuchungen notwendig machten, kamen wesentliche Teile der mittelalterlichen Bausubstanz zutage, und es stellte sich neben der Frage nach der statischen Sicherung des gesamten Bereiches auch jene nach einem adäquaten, für Besucher zugänglichen Schutzbau für die archäologischen Ausgrabungen. Jabornegg & Pálffy entschieden 2002 den dafür ausgelobten Wettbewerb für sich, womit eine äußerst fruchtbare Beziehung zwischen den klösterlichen Bauherren und den stets ein Gesamtkonzept und nicht nur die schnelle Reparatur im Auge habenden Architekten ihren Anfang nahm. Unter einer ausgefeilten Brückenkonstruktion aus Stahlbeton entstanden von oben und über freigelegte historische Fenster belichtete archäologische Schauräume; darüber wurde mit den Mitteln der Gegenwart die Altane als wesentlicher Bestandteil des barocken Hauptprospekts wiederhergestellt. Bedacht wurden damals schon die weiteren Ausbauschritte, die schließlich eine räumliche Verbindung vom Bereich unter der Altane zum barocken Kaiser- und Bibliothekstrakt herstellten. Der über zehn Jahre entstandene Parcours macht auf sehr intuitive Weise, die kaum weiterer didaktischer Erläuterungen bedarf, die Baugeschichte des Klosters nachvollziehbar und stellt Sichtbeziehungen sowohl innerhalb der Anlage als auch zur Landschaft her. Nun nutzen ihn Jabornegg & Pálffy, um in ihrer ersten großen Werkschau in Österreich ebenso eindrücklich Kontinuitäten in ihren Projekten aufzuzeigen. Dies geschieht anhand von 41 Modellen; der Bestand jeweils aus Holz gebaut, aus Edelstahl oder Aluminium jene Teile, die baulich neu sind. Raumressourcen im oder am Bestand finden, um darin erforderliche neue Nutzungen aufzunehmen, wenn möglich, den Bestand von nachträglichen Einbauten zu befreien und zugleich Orientierungshilfen zu schaffen – diese Vorgehensweise lässt sich parallel an den Modellen in den Ausstellungsräumen ablesen. Manche der gezeigten Projekte werden ungebaut bleiben, wie die Wettbewerbsbeiträge zum Umbau des Eastman Gebäudes zum Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel (2010) oder zur Erweiterung des Städel Museums in Frankfurt (2008) – andere harren noch der Umsetzung wie die Neugestaltung des Domplatzes in St. Pölten. In den Holz-Metall-Modellen wirken sie als Architektur bestechend real. Positioniert auf Tischen aus Stahlformrohren und maßgeschneiderten Podesten aus MDF-Platten, zeigen und verkörpern die sorgfältig gefertigten Architekturmodelle Methodik und Handschrift der Architekten. Keine farbigen Visualisierungen, keine Pläne, keine Texttafeln stören visuell die Konzentration auf die Baustrukturen. Zusätzliche Information bieten ein Leporello mit Fotos und Texten sowie ein Audioguide, sofern man ein geeignetes Smartphone besitzt.

Der Zeitpunkt für die Schau ist gut gewählt, startet doch diesen Sommer die Generalsanierung des österreichischen Parlamentsgebäudes. Diesem Großprojekt ist der Barockraum der Veitskapelle gewidmet. Anhand eines großen Grundrissmodells und zweier Schnittmodelle wird deutlich, wie sie kongenial zum architektonischen Konzept Theophil Hansens die ebenso komplexe wie rationale Struktur des Bestandes nutzen, um neue Funktionen und Strukturen präzise einzufügen.

„Man schaut in den Rückspiegel, wenn man nach vorn fährt, besonders wenn man schnell fährt“, so hat Catherine David einst ihr kuratorisches Konzept anschaulich erklärt. Und wie beim Autofahren der Blick nach hinten klugerweise besser an Fakten orientiert sein sollte, als sich auf Nebenschauplätzen zu verlieren, so sind auch beim Bauen im Bestand analytisches Denken und die Gabe, Zusammenhänge zu erkennen, gefragt. Denn nur so lassen sich geeignete Planungsstrategien entwickeln, die jenseits der Konservierung eines Status quo und damit der Musealisierung dazu geeignet sind, die Geschichte und Struktur eines Baudenkmals oder Ensembles fort- und nicht umzuschreiben. Ob Museumsgebäude, Bürohaus oder Platzgestaltung – dank des unsentimental-kritischen Blicks zurück gelingt es Jabornegg & Pálffy bei all ihren Bauten im historischen Kontext inhaltliches Programm, räumliche Qualität und konstruktive Logik in Einklang zu bringen.

Inwiefern dies beim ersten realisierten Kunstraum von Jabornegg & Pálffy, der Generali Foundation im denkmalgeschützten Habig-Hof in der Wiedner Hauptstraße, der seit Übersiedlung der Sammlung in das Museum der Moderne in Salzburg einer Nachnutzung harrt, gelingen wird, ist ungewiss. Denn wie András Pálffy, der sich selbstverständlich eine kulturelle Nutzung wünschen würde, berichtet, führt die Generali mit dem Bundesdenkmalamt seit Längerem intensive Verhandlungen über die Umwandlung in einen Supermarkt.

27. Mai 2017 Spectrum

Wohnen am Rand des Dschungels

Das urbane Wachstum kratzt zusehends an den letzten Flecken Wildnis am Rande der Großstadt. Patricia Zacek-Stadler gelingt es, Nachverdichtung und den Charme der Au in Einklang zu bringen. Besuch in Wien-Donaustadt.

Um zu erkennen, dass ein beachtlicher Anteil des Wiener Stadtwachstums im flächenmäßig größten Bezirk, der Donaustadt, stattfindet, muss man nicht die Statistiken studieren. Ab und zu eine Fahrt mit der U2 reicht, um die Dynamik des Wandels, der hier von einem besonderen Tempo ist, zu spüren. Ein Teil der Nachverdichtung findet auch dort statt, wo es noch versteckte Wildnisse entlang der Altarme der Donau gibt. Hier zu bauen ist verlockend, Ruhe und Naturnähe lassen sich vorzüglich vermarkten, und so knabbert die bebaute Stadt oft recht unsensibel an den Rändern des Landschaftsschutzgebietes.

Gelungen ist die Gratwanderung zwischen Verdichtung und Landschaftsgerechtigkeit am Otterweg, wo Patricia Zacek-Stadler für den Bauträger BUWOG eine Siedlung aus Reihenhäusern und Geschoßwohnungen geplant hat, die im vergangenen Jahr bezogen wurde und so schon Zeit hatte, sich zu bewähren. Es ist ja so, dass unsereins meist zu einem Zeitpunkt zur Besichtigung gebeten wird, wenn man die frische Wandfarbe noch riecht und die neuen Mieter und Eigentümer noch keine Zeit hatten, Spuren ihres Alltagslebens zu hinterlassen. Wie tatsächlich alles funktioniert, wieweit das Neue mit dem Bestehenden zusammengewachsen ist, und wie die Stimmung in der Anlage ist, erspürt man aber erst, wenn sie eingewohnt ist. Gut also, dass wir den Lokalaugenschein zu einem Zeitpunkt vornehmen, da Terrassen möbliert, Gärten bepflanzt unddie Menschen bereits im Siedlungsalltag angekommen sind.

Patricia Zacek-Stadler war schon in einer frühen Phase der Flächenwidmung an Bord und konnte Einfluss nehmen, dass die Neubebauung auf dem stark segmentierten, an den Rändern gezackten und stellenweise sehr schmalen Baufeld eine verträgliche Koexistenz mit dem Vorhandenen eingeht und die Dimensionen der einzelnen Bauvolumenebenso moderat bleiben wie die für den Pkw-Verkehr erschlossenen Flächen. Vorgefunden hat sie hier das Dickicht des Donau-Dschungels an der Uferzone des Schillochs, ein paar verstreute Einfamilienhäuser und Keuschen – ein Szenario, angesiedelt irgendwo zwischen romantischer Idylle und dem leichten Schauder der Abgelegenheit, wie man es inmitten der Großstadt kaum noch vermuten würde.

120 Wohneinheiten fanden Platz. Davon wurden 24 als frei finanzierte Reihenhäuser, acht als frei finanzierte Dachgeschoßwohnungen errichtet. Alle anderen sind Mietwohnungen nach den Konditionen der „Wiener Wohnbauinitiative“, die eine spezielle Variante des frei finanzierten Wohnbaus ist, bei der die Stadt günstige Darlehen an Bieterkonsortien vergibt, die sich im Gegenzug zu zehn Jahre gültigen Mietobergrenzen verpflichten, die unter den Marktpreisen im frei finanzierten Wohnbau und etwas höher als im geförderten Wohnbau liegen. Im konkreten Fall bedeutet dies eine Bruttomiete inklusive Betriebskosten von 8,50 Euro. Die Reihenhäuser fügte Zacek-Stadler in die kleinen engen Flecken im Norden des Bauplatzes und auf einer kleinen Fläche an der Kanalstraße im Süden. Sie flankieren den zentralen, weitläufigeren Bereich im Herzen der Anlage. Hier fanden acht Punkthäuser Platz, deren Baukörper auf unregelmäßigen kristallinen Grundrissen wie große Kreisel wirken, die sich maßgeschneidert auf die Gegebenheiten in das Grundstück hineindrehen. Durch dieses Vermeiden von geradlinigen Fassadenfluchten gelang es, jeder der über Eck gehenden Wohnungen und den ebenso wenig orthogonal geformten Balkonen mehrere Aussichten ins Grüne und in verschiedene Himmelsrichtungen freizuspielen.

Ein Merkmal aller Wohnanlagen von Patricia Zacek-Stadler sind attraktive, einladende Entrées. So auch hier. Durch die vom Untergeschoß bis oben offenen Stiegenhäuser wird die gesamte Haushöhe erfassbar und erhält selbst der Zugang zu den Lagerräumen im Untergeschoß noch Tageslicht. Das Verschwenken der oberen Stiegenläufe gegenüber dem im Erdgeschoß setzt die außen angekündigte Bewegung im Inneren fort, und dank breiter Verglasungen ist die Atmosphäre nicht nur lichtdurchflutet luftig, sondern stets auch der Blickbezug zur Nachbarschaft da. Die jeweilige Außenwandfarbe zieht sich an einer Stiegenhauswand ins Innere, ansonsten sind hier die Wände in einem hellen, warmen Grau gehalten. Das sind keine Spielereien, die unnötige Kosten verursachen, sondern wohlüberlegte Details, die das Ankommen und Verweilen in den gemeinschaftlichen Zonen angenehm machen. Es sei leider nicht alltäglich, so die Architektin, dass Bauträger derartige Farbkonzepte zulassen, selbst wennsie nur einen geringen Mehraufwand bedeuten, aber ganz wesentlich zur guten Atmosphäre beitragen.

In einem hellen Beige, akzentuiert von vertieft liegenden dunkleren Flächen, sind die Reihenhäuser gehalten. Drei verschiedene Typen hat Patricia Zacek-Stadler entwickelt und stets die Zeilen so gestaltet, dass auf den ersten Blick das Additive der einzelnen Häuser sich nicht abzeichnet, sondern sie eine Gesamtkomposition ergeben. Eine dem Eingang vorgelagerte Loggia schafft jeweils einen gedeckten Schwellenraum zum öffentlichen Raum, der Platz genug bietet, um ein Tischchen mit Stühlen zu platzieren oder Fahrräder nah am Eingang abzustellen. Manche Häuser haben zusätzlich einen ebenerdigen, von außen begehbaren Abstellraum und wie kleine Penthäuser wirkende Zimmer mit Bad mit Zutritt auf Terrassen im Dachgeschoß.

Auch im Freiraum finden sich etliche an sich unaufwendige, nur Denkarbeit in der Planung und Empathie für die künftigen Bewohner bedingende Elemente, die Freude machen. Dazu zählen die beiden runden, mit einem Baum bepflanzten Öffnungen in die Tiefgarage, die Frischluft und Tageslicht in die Tiefgarage bringen. Einige der üblichen Garagenlüftungsschächte erhielten einen Zusatznutzen als Sitzbank. Der große Spielplatz wurde in einer Mulde zur Au eingebettet und so ausgestattet, dass Kinder verschiedenen Alters animiert sind, Bewegungsfreude und Entdeckergeist zu entwickeln; nächst dem Kleinkinderspielplatz im Süden eine Art Gartenhaus mit Pergola-überdecktem befestigtem Vorplatz für Grillfeste und andere Aktivitäten.

Von hoher Alltagstauglichkeit und schön mit dem Umfeld verwoben, entstand ein Ensemble mit hübschen Plätzen und Wegen, das einem gar nicht mehr das Gefühl gibt, in einer entlegenen Gegend zu sein.

Publikationen

2021

Architektur in Niederösterreich 2010–2020
Band 4

Der vierte Band der erfolgreichen Reihe Architektur in Nieder­österreich dokumentiert das Baugeschehen in diesem Bundes­land zwischen 2010 und 2020. Hundert mittels Text, Bild- und Planmaterial beschriebene Projekte legen Zeugnis ab von der Vielfalt und der Qualität ausgewählter Beispiele in sieben Ka­tegorien.
Hrsg: ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
Autor: Franziska Leeb, Eva Guttmann, Isabella Marboe, Gabriele Kaiser, Christina Nägele
Verlag: Park Books

2019

querkraft – livin‘ architecture / Architektur leben lustvoll querdenken

Menschen Raum zu geben, Bühnen für das Leben in all seinen Facetten zu schaffen, querzudenken und den Mut zu haben, von eingetretenen Pfaden abzuweichen und nicht alles bierernst zu nehmen – so könnte man die Arbeitsweise von querkraft in kürzester Form zusammenfassen. Zum 20-jährigen Bestehen des Wiener
Hrsg: Franziska Leeb, Gabriele Lenz
Verlag: Birkhäuser Verlag

2013

Walter Zschokke. Texte
Gesammelte Texte des Architekten und bedeutenden Architekturpublizisten und Kurators Walter Zschokke (1948–2009)

Der Aargauer Architekt Walter Zschokke (1948–2009) hat über drei Jahrzehnte das Architekturschaffen und baukulturelle Geschehen in seinen beiden Heimaten, Österreich und Schweiz, beobachtet, kommentiert und analysiert. Der vorliegende Band ist die erste Sammlung seiner pointierten, ungebrochen aktuellen
Hrsg: Franziska Leeb, Gabriele Lenz, Claudia Mazanek, ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich, ZV der Architekt:innen Österreichs
Verlag: Park Books

2011

ORTE. Architektur in Niederösterreich III. 2002 – 2010

Die von Walter Zschokke initiierte und von ORTE herausgegebene Publikationsreihe setzt mit Band 3 die Bestandsaufnahme qualitätsvoller Architektur in Niederösterreich fort. Das Autorinnenteam – Eva Guttmann, Gabriele Kaiser und Franziska Leeb – hat aus einer Fülle an Bauwerken eine exemplarische Auswahl
Hrsg: ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
Autor: Franziska Leeb, Eva Guttmann, Gabriele Kaiser
Verlag: SpringerWienNewYork

2009

Wohnen pflegen leben
Neue Wiener Wohn- und Pflegehäuser

Die Publikation liefert einen umfassenden Diskussionsbeitrag darüber, was zeitgemäße Raum- und Funktionsprogramme von Pflegeeinrichtungen leisten sollen und können und stellt dar, was Geriatrieplanung heute bedeutet und wie sich eine Kommune den Herausforderungen, die eine alternde Gesellschaft mit sich
Autor: Franziska Leeb
Verlag: Verlag Holzhausen GmbH