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Ein goldener Rahmen in Dubai zementiert das Zeitalter der Simulation
Neue Zürcher Zeitung

Anfang des Jahres wurde «The Dubai Frame» eingeweiht. Der Neubau versprüht kein suprematistisches Konfetti, aber eignet sich für die ganz grosse Selfie-Show.

24. Januar 2018 - Antje Stahl
Wenn es stimmt, dass nicht nur jede Stadt, sondern auch jede Zeit ein Wahrzeichen bekommt, dann sollte man den Blick nach Dubai richten. Dort wurde am allerersten Tag des neuen Jahres wieder einmal ein gigantischer Neubau eröffnet, der nun aber in seiner eindeutigen Zeichenhaftigkeit noch das World Trade Center in den Schatten stellen könnte.

«The Dubai Frame» heisst der Neubau, der in den Zabeel Park etwas ausserhalb des von Hochhäusern geprägten Stadtzentrums gestellt wurde: Zwei senkrechte Türme, je 150 Meter hoch, sind mit zwei waagerechten, 93 Meter langen Riegeln verbunden, die Aussenverkleidung ist vergoldet und mit Ornamenten versetzt. Sie sollen genau wie das Logo der Expo 2020 an die Ringe erinnern, die bei den Ausgrabungen einer alten Stätte in der Wüste gefunden wurden. Dubai möchte damit vor Augen führen, was Teil des Ausstellungsprogramms ist: eine Rekonstruktion der verschütteten Geschichte Dubais. Von der Himmelsetage können die Besucher dann eine «Panorama view» von 360 Grad geniessen. Zurück in der Erdetage wartet dann noch die Zukunft, aber dazu später mehr.

Wäre «The Dubai Frame» nicht so gross und golden, müsste man ihn mit diesem roten, rostigen Gestell am Berliner Flughafen Schönefeld gleichsetzen: Er steht draussen auf einem Platz zwischen Taxis und Trottoir und dient als Bilderrahmen – steht man davor, passt Terminal A perspektivisch perfekt hinein. «Tweet your picture» ist denn auch die Handlungsanweisung für Touristen, sich in die abgesteckte Szenerie zu stellen und ein Foto von sich für die sozialen Netzwerke schiessen zu lassen. Das ist die wohl günstigste Form des Stadtmarketings und der harmloseste Ausdruck einer zur Fotokulisse degradierten Architektur.

Luftschlösser

In Dubai hat man sich nun entschlossen, nicht die Architektur in einen Rahmen zu setzen, sondern den Rahmen zur Architektur zu erheben. Das ist so erniedrigend wie tragisch: Besteht die Fläche, die diese goldenen Leisten abstecken, doch vor allem aus heisser Luft. «The Guardian» berichtete sogar, dass einige Locals gefragt haben sollen, wann das Gerüst denn mit Stockwerken aufgefüllt werde. Manchmal ist Naivität eben die beste Voraussetzung für schlaue Fragen – es sei denn, Luftschlösser seien die neue Aufgabe der Architektur.

Zur freien Entwicklung kam der Bilderrahmen erst während der Renaissance in Italien, wie Wilhelm Bode einmal festhielt, als sich «die Malerei von kirchlichen Banden mehr und mehr freimachte» und «immer neue Gebiete des Lebens in ihre Darstellungskreise» zog und nicht nur die Kirchen, «sondern auch die Paläste, die öffentlichen wie privaten, mit ihren Tafelmalereien» ausstattete. Zuvor gehörte er zum handwerklichen Repertoire der Baumeister: Es waren architektonische Rahmen, sie repräsentierten die Frontansicht von Gebäuden; Sockel, Pilaster, Architrav beschützten sakrale Bilder auf dem Altar wie ein Gehäuse. Darf man deshalb annehmen, dass «The Dubai Frame» eine Art architektonischer Ikonoklasmus ist? Entweder beschützt dieser Rahmen die ganze Welt oder, und das ist wahrscheinlicher: nichts.

Aus der Kunst kennt man solche zerstörerischen Gesten schon lange, da wurde das Tafelbild zum Feind Nummer eins erklärt, aber kein Künstler wäre auf die Idee gekommen, seinen Gegenstand, die Kunst, aufzugeben. Eher sollte sie sich auf die gesamte Umwelt ausbreiten: Malewitsch' schwarzes Quadrat ist dafür bezeichnend. Die Abstraktion, eine «reine Empfindung», ist die «ungerahmte Ikone», die von El Lissitzky und Co. von der Wand gelöst wurde, um sie in den Weltraum zu tragen. «Suprematistisches Konfetti», nannte Sergei Eisenstein das revolutionäre Einverständnis zwischen Architekten und Künstlern, daraus eine vollkommen neue Welt zu bauen.

Zeitalter der Simulation

Dubai setzt stattdessen tatsächlich lieber auf ein längst gesprengtes Relikt aus alten Zeiten und steckt die Besucher buchstäblich in einen fest gesteckten Rahmen, damit sie ja nicht auf die Idee kommen, einen Raum zu besetzen und sich frei zu bewegen. Die Gegenwart sollen sie wie ein Satellit vom oberen Riegel aus betrachten. Zurück auf dem eigentlichen Boden blicken sie nicht den Tatsachen ins Auge, sondern werden durch 3-D-Brillen und Augmented-Reality-Reisen in die virtuelle Zukunft gebeamt: Hinter diesem goldenen Rahmen fliegen schliesslich irgendwann Autos zwischen schilfartigen Gebäuden umher.

Im Zeitalter der Simulation, postulierte der französische Theoretiker Jean Baudrillard, müsse man nicht länger nach Imitation, Vervielfältigung oder gar Parodie suchen. Zur Frage stehe, ob die Zeichen der Wirklichkeit die Wirklichkeit ersetzten. Im Anschluss daran darf man fragen, ob ein Zeichen der Architektur nicht die Architektur abgelöst hat. Der Architekt Fernando Donis, der den Entwurf vor zehn Jahren bei einem Wettbewerb eingereicht hatte, sagte, er habe die Leere vorgeschlagen. In der Kunst zählte dieser Gedanke vor mehr als fünfzig Jahren viel: Da stellte Piero Manzoni die ganze Welt auf einem Sockel aus. Auch Yves Klein deklarierte «Le Vide» zu Kunst. Nur setzten diese Gesten gerade die Sprengung des Rahmens voraus. Wer ihn zurückholt, verhöhnt die Utopisten. Was ist dieser Bau also, durch den man hindurchschauen soll? Der dafür da ist, die Welt für das digitale Foto zu verflachen? Das ist kein Wahrzeichen mehr, das ist ein Mahnmal, das jedem Angst und Bange machen sollte.

Fast wundert man sich nicht mehr darüber, dass Dubai die Idee einfach geklaut, umgemodelt und ohne weitere Rücksprache mit dem Architekten realisiert haben soll. Nachdem er den Wettbewerb gewonnen habe, sei ihm eine Beraterfunktion angeboten worden, so Donis, aber auf einen Vertrag habe er sich nicht einlassen wollen: Er hätte sein intellektuelles Eigentum verkauft, er hätte das Projekt nicht bewerben können, geschweige denn die Baustellen betreten dürfen. Dubai war das egal. Auf der Website von «The Dubai Frame» erscheint ein Foto des goldenen Riesenrahmens. Ein Video führt durch die Zeitreise. Auch wenn man von seinem Schreibtisch in Zürich aus nicht mit absoluter Gewissheit sagen kann, dass es das scheussliche Ding, das man auf seinem Bildschirm sieht, wirklich gibt. Fest steht: Im Simulacrum zählt Urheberschaft nichts.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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