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Der weite Weg vom Feld bis auf den Teller
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Die Transportstrombilanz der Lebensmittel-Wertschöpfungskette

1. Oktober 2001 - Helmut Hiess
Wie viele Transportkilometer stecken in der täglichen Lebensmittelmenge, die ein durchschnittlicher Österreicher am Tag verzehrt? Wie viel CO2 entsteht dabei, wie viel an Luftschadstoffen wird durch die Transportkette vom Landwirt bis zum Konsumenten produziert? Welche Entwicklungstrends sind zu erkennen? Wo befinden sich die wichtigsten Ansatzpunkte für eine nachhaltige Transportabwicklung entlang der Lebensmittel-Wertschöpfungskette?
Auf diese Fragen wurden im Projekt des Kulturlandschaftsforschungsprogramms der Österreichischen Bundesregierung „Fast Food – Slow Food – Nachhaltige Kulturlandschaftsentwicklung durch Sustainable Food Chain Management der Material-, Stoff- und Transportströme der Lebensmittel-Wertschöpfungskette“ Antworten gesucht.
Erstmals wurde für Österreich eine Analyse der Transportströme für die gesamte Lebensmittel-Wertschöpfungskette von der Landwirtschaft über Verarbeitung, Handel bis zum Verbraucher und zur Entsorgung durchgeführt.

Systemabgrenzung

Die Lebensmittelwertschöpfungskette wurde in vier Stufen bzw. Teilsysteme gegliedert: Landwirtschaft, Großhandel und Verarbeitung, Einzelhandel, Gastronomie und Haushalte. Die Transporte innerhalb der Teilsysteme wurden ebenso erfasst wie jene zwischen den Teilsystemen und den Transporten zwischen den Teilsystemen und ihrer Systemumwelt. Als Systemzuflüsse aus der Systemumwelt wurden Vorprodukte und Betriebsmittel angesehen (Handelsdünger, Fahrzeuge, Maschinen, Baumaterialien, Hilfsstoffe, Verpackungsmaterial), als Systemabflüsse sind Nebenprodukte, die nicht der Lebensmittelproduktion dienen (z. B. Gelatine zur Medikamentenherstellung), und Abfälle, die nicht innerhalb der Wertschöpfungskette wiederverwendet werden, zu verstehen. Nicht in die Transportstromermittlung eingegangen ist die nicht lebensmittelbezogene landwirtschaftliche Produktion (z. B. Rohstoffe für Bekleidung). Auf Grund der Datenlage nicht einbezogen wurden Lufttransporte. Ebenso nicht mitgerechnet wurden Materialien, die in Rohrleitungen befördert werden oder über die Atmosphäre zirkulieren. Dies betrifft vor allem Wasser und flüssige und gasförmige Emissionen, die direkt in die Atmosphäre, den Boden oder ins Wasser entweichen. Die Transportstrombilanz ist daher nicht direkt mit einer Materialstromrechnung der Lebens-mittelwertschöpfungskette vergleichbar. Die österreichische Transportstrombilanz besteht somit aus den innerösterreichischen Transporten, den Importen und den Exporten. Die Transportleistung außerhalb Österreichs geht ebenfalls in die Transportstrombilanz ein.

Indikatoren

Als Indikatoren wurden das Transportaufkommen (Tonnen) und die Transportleistung (Tonnenkilometer) ermittelt. Zusätzlich zur Transportstrombilanz wurde eine Umweltbilanz (Luftschadstoffe und CO2) der Transporte gerechnet. Auf Grund der lückenhaften Datenlage konnte nur für das Jahr 1999 eine vollständige Bilanz erstellt werden. Für das Jahr 1984 liegt eine Teilbilanz vor. Ausgehend von den ermittelten Transportströmen wurde eine Verknüpfung mit Indikatoren der Lebensmittel-Wertschöpfungskette und der Kulturlandschaft vorgenommen (Transportleistung/Lebensmittelverkehr, Transportleistung/landwirtschaftliche Produktionsfläche).

Ergebnisse

Die Transportstromanalyse der österreichischen Lebensmittelwertschöpfungskette brachte folgende Resultate:
(1) Das Transportaufkommen beträgt ca. 106 Mio. Tonnen im Jahr (1999). 50 % davon werden von den landwirtschaftlichen Betrieben erbracht, 42 % von Handels- und Verarbeitungsbetrieben und nur 8 % von EndverbraucherInnen.

(2) Im Gegensatz dazu fällt die Transportleistung (tkm) zu 98,5 % bei Handel und Verarbeitungsbetrieben an. Die Transportleistung hat in den letzten dreißig Jahren dramatisch zugenommen. Dies ist in erster Linie auf eine Vergrößerung der räumlichen Distanzen zurückzuführen, da das Transportaufkommen deutlich weniger stark gewachsen ist. Allein in den letzten fünfzehn Jahren ist die Transportleistung um 50 % gewachsen, obwohl das Transportaufkommen nahezu stagniert.

(3) Die Hauptleistung im Transport entlang der Lebensmittel-Wertschöpfungskette wird vom LKW (32,5 %) und vom Hochseeschiff (44,6 %) erbracht. Die Bahn weist einen Anteil von 17 % auf, während Binnenschiff (4,4 %), Traktor und Motorkarren (1,0 %) und PKW (0,1 %) bei der Transportleistung keine Rolle spielen. Dies ist mit den kurzen Wegen in der Landwirtschaft und beim Endverbraucher zu erklären.

(4) Die Hauptemittenten von klimawirksamen Gasen (CO2) sind LKW (61,8 %), PKW (25,4 %) und landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge (7,4 %).

(5) Die Hauptemittenten bei Luftschadstoffen sind PKW (CO: 82 %, HC 60 %), LKW (NOx: 78 %, Partikel: 59 %, HC: 25 %) und landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge (Partikel: 25 %, NOx: 11 %).
Trotz des geringen Anteils am Transportaufkommen und der Transportleistung weist der Einkaufsverkehr mit dem PKW einen überraschend hohen Anteil bei den CO2-Emissionen und den anderen Luftschadstoffemissionen auf. Dies ist darauf zurückzuführen, dass beim PKW ein außerordentlich ungünstiges Verhältnis zwischen Fahrleistung und Beladung im Vergleich mit den übrigen Transportmitteln besteht. (Nimmt man die durchschnittliche Beladung eines LKWs mit 10 Tonnen an und die PKW-Beladung mit 10 kg, so muss der PKW 1.000 mal so weit fahren, um die gleiche Transportleistung zu erzielen)

Insgesamt produzieren die Transporte für den Lebensmittelverzehr der ÖsterreicherInnen fast 12 Milliarden Tonnenkilometer im Jahr oder 4 Tonnenkilometer pro Person und Tag. Dabei entstehen pro Person und Jahr 215 kg CO2, die zu 62 % von LKW, zu 25 % von PKW, zu 7,4 % durch landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge, zu 4,1 % durch die Bahn und zu 1,4 % durch Binnen- und Hochwasserschiff verursacht werden. Je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche entstehen 630 Tonnen CO2 durch Transporte.

Wege zu einer nachhaltigeren Transportabwicklung

Die Hauptansatzpunkte für eine nachhaltigere Transportabwicklung entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette liegen also beim Handel und bei den KonsumentInnen. Aus ökologischer Sicht sind folgende Ansatzpunkte für Verbesserungen entlang der Lebensmittel-Wertschöpfungskette zu verfolgen:
- Die Emissionen der landwirtschaftlichen Nutzfahrzeuge können durch technische Verbesserungen an den Fahrzeugen, durch Optimierung des Fahrzeugeinsatzes und durch eine möglichst günstige räumliche Zuordnung von Produktions-, Absatz- und Beschaffungsstandorten reduziert werden.
- In Verarbeitung und Handel geht es in erster Linie um Verkehrsverlagerung auf die Verkehrsträger Schiene und Schiff und um Distanzverringerung der verbleibenden LKW-Fahrten.
- Bei den EndverbraucherInnen ist ebenfalls die Verkehrsmittelwahl und die Distanzverringerung zu den Einkaufsstandorten von entscheidender Bedeutung.

Der Trend geht in die Gegenrichtung

Mit Ausnahme von technischen Innovationen zur Emissionsreduktion geht die Entwicklung derzeit allerdings in die entgegengesetzte Richtung: Die Distanzen werden größer, die Verkehrsmittelwahl führt zu Verlagerungen auf LKW und PKW. Dies wird auch in kulturlandschaftlichen Veränderungen deutlich: Im Beziehungsgeflecht zwischen Produktions-, Beschaffungs-, Absatz- und Verbrauchsstandorten geht die räumliche Nähe zunehmend verloren. Konzentrationsprozessen bei den Betrieben stehen Dezentralisierungsprozesse bei den VerbraucherInnen (Zersiedelung) gegenüber. Eine nachhaltige Transportabwicklung entlang der Lebensmittel-Wertschöpfungskette erfordert daher neue logistische Konzepte entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Diese Umorientierung wird allerdings nicht von selbst erfolgen. Nur durch ein Zusammenspiel von Politik (z. B. Road-Pricing für LKWs, Ausbau der Schieneninfrastruktur) und Verbraucherverhalten (Nachfrage nach regionalen Produkten und nach Produkten mit umweltorientierter Transportabwicklung) wird es möglich sein, eine Trendumkehr zu erreichen.

Literatur:
ARGE Fast Food – Slow Food (2001): „Fast Food – Slow Food – Nachhaltige Kulturlandschaftsentwicklung durch Sustainable Chain Management der Material-, Stoff- und Transportströme in der Lebensmittelwertschöpfungskette“, Teilbericht „Transportströme der Lebensmittelwertschöpfungskette“. Wien.

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