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Ein Raumschiff für die Gegenwartskunst steht startklar am Quai
Neue Zürcher Zeitung

Sammlung mit raschem Zuwachs an der Kunst-Peripherie Spaniens – Renzo Pianos Centro Botín in Santander.

8. September 2018 - Uta Reindl
Es hat etwas von einem startklaren Raumschiff, was da seit letztem Sommer in der Bucht von Santander direkt an der Quaimauer steht: zwei miteinander verbundene, aufgeständerte Baukörper mit intergalaktischer Aura. Jedenfalls weckt das neue Kunst- und Kulturzentrum Botín an der kantabrischen Küste diese Assoziation, wenn es von der zurückliegenden Stadt Santander aus und bei Sonne in Richtung Süden und Wasser betrachtet wird. 280 000 blasenförmige, weiss irisierende Keramikfliesen auf der Aussenhaut verwandeln sich nämlich durch Sonnenlicht und changierende Farben des Wassers in eine pastellfarben schimmernde Lasur der Architektur.

Dass der italienische Pritzkerpreisträger Renzo Piano für dieses neue Schaufenster der seit 1964 für die Kunst engagierten Botín-Stiftung beauftragt wurde, überrascht wenig. Gehören doch in Spanien seit den neunziger Jahren Bauwerke von internationalen Stararchitekten zum kulturtouristischen Erfolgsrezept: vom Guggenheim Museum (1997) Frank Gehrys in Bilbao über die vielen Projekte des Briten Norman Foster im ganzen Land bis hin zum spektakulären Madrider Caixa-Forum des Schweizer Architektenbüros Herzog & de Meuron vor zehn Jahren.

Urbanistischer Geniestreich

In dem selbst für Spaniens Kunstwelt eher peripheren Santander ist nun dem Renzo Piano Building Workshop schon mit der Ortswahl des im letzten Jahr eröffneten Centro Botín ein urbanistischer Geniestreich gelungen: es nämlich dort zu platzieren, wo einst eine Mauer, dann eine hässliche Hafenanlage sowie ein schnöder Parkplatz die Stadt vom Wasser trennten! In Zusammenarbeit mit dem spanischen Gartenarchitekten Fernando Caruncho öffnete Piano mit dem Park Jardines de Pereda samt Kunst im öffentlichen Raum die Stadt zur Bucht – und dies unbehelligt von dem nun unterirdisch am Centro vorbeibrausenden Autoverkehr.

Die Architektur des Centro ist auch nicht bloss ein Hingucker, sie verkörpert dessen kultur- und sozialpolitische Mission. Beide Gebäudekomplexe sind von aussen über Treppen bis auf die Dachterrasse zu betreten. So kamen seit letztem Jahr schon 800 000 Besucher, 85 Prozent von ihnen nur, um den Panoramablick auf die Stadt und das Wasser zu erleben. Hinzu kommt vor allem die Zweiteilung des Centro-Ensembles mit 7000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche: Der östliche Bau beherbergt die zur Bucht verglasten Räumlichkeiten für ein breitgefächertes Bildungsprogramm, für kleinere Aufführungen und Konzerte, der deutlich grössere im Westen ist Kunstschauen vorbehalten sowie der ständigen Präsentation der Sammlung Botín mit zeitgenössischer und moderner Kunst.

Wachsende Sammlung

Die seit 1992 aufgebaute Kollektion umfasst inzwischen 250 Objekte und wird ständig durch Ankäufe erweitert, von Künstlern, die einen Workshop leiteten, an einem Artist-in-Residence-Programm oder an Ausstellungen im Haus teilnahmen. «Wurde eine Arbeit für die Sammlung erworben, so sind Nachkäufe immer noch möglich. Wir lassen stets eine Tür offen», so der Pariser Benjamin Weil, der seit fünf Jahren sowohl für die Sammlung als auch für die Künstlerprogramme verantwortlich ist und sich im Übrigen zuvor schon weltweit einen Namen als Kurator gemacht hat. Zu den älteren Ankäufen der Botín-Sammlung zählen etwa Werke von Jannis Kounellis (1995, 2008), zu den jüngeren solche von Wilfredo Prieto (2015) oder Julie Mehretu (2016), deren monografische Ausstellung in diesem Jahr stattfand.

Die von Benjamin Weil arrangierten Workshops unter der Leitung von international renommierten Künstlern wie etwa dem Belgier Carsten Höller, der Britin Tacita Dean oder dem Kubaner Carlos Garaicoa sowie unlängst Julie Mehretu münden jeweils in Soloschauen in den 2500 Quadratmeter umfassenden Ausstellungsräumen des Centro. All diese Aktivitäten mit Künstlern, inklusive Artist-in-Residence-Programmen und Stipendien, haben die Attraktivität des entfernt von Spaniens traditionellen Kunst- und Kulturmetropolen Madrid und Barcelona operierenden Centro Botín in Santander für Kunstschaffende weltweit durchaus gesteigert.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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