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Der zweite Direktor des Bauhauses, Hannes Meyer, konnte den ideologischen Grabenkämpfen zwischen Ost und West nicht entfliehen
Neue Zürcher Zeitung

Den Sowjets war er zu modern, dem Westen zu kommunistisch – selbst sah er sich als kultureller Grenzgänger. Der Schweizer Hannes Meyer gehört zu den frühesten Vertretern der Moderne in der Architektur

4. November 2018 - Thomas Flierl
An den Wendepunkten seines Lebens kam Hannes Meyer interessanterweise immer wieder auf sein «tiefes Zugehörigkeitsgefühl zur Schweiz» zu sprechen. «Man muss beachten, dass ich ein Mensch zweier Kulturen bin, dem es ein natürliches Vergnügen bereitet, von Französisch auf Schwyzertütsch und zurück zu rutschen.» An anderer Stelle bezeichnete sich der Architekt aus Basel, geboren 1889, als «Kreuzung von Alemanne und Hugenotte». Zwei Jahre vor seinem Tod, im Jahr 1954, konfrontierte Meyer die amerikanische Architektin Kay Kulmala dennoch mit der verstörenden Frage: «Wohin gehöre ich eigentlich?» Eine Selbstbefragung, die nicht nur auf Orte oder auf Länder zielte, sondern einen Verlust an Orientierung insgesamt anzeigt.

Wo beginnt man mit der Rekonstruktion eines Berufs- und Lebenswegs, der quer durch die umkämpfte Geschichte des 20. Jahrhunderts führt?

Politische Intrigen

1927 war Hannes Meyer von Walter Gropius zum Leiter der Architekturabteilung des Bauhauses in Dessau berufen und nur ein Jahr später zu dessen Nachfolger als Direktor bestimmt worden. 1930 musste er die Institution infolge einer politischen Intrige jedoch bereits wieder verlassen, was weitaus schwerwiegendere Konsequenzen nach sich ziehen sollte, als der Verlust einer Position es vielleicht erahnen lässt.

Das von den Nationalsozialisten 1933 in Berlin endgültig geschlossene Bauhaus war auch im Kalten Krieg Gegenstand ideologischer Grabenkämpfe und politischer Konfrontation. In den USA hatte Walter Gropius die Deutungshoheit über das Bauhaus gewonnen, das vermeintlich den International Style und damit die ästhetische Signatur des freien Westens generiert hatte. Der Osten hingegen bekämpfte das Bauhaus als «kosmopolitisch». Hannes Meyer stand damit zwischen den Welten: Im Westen wurde er als Kommunist aus der Geschichte des Bauhauses exkommuniziert und im Osten wegen seines radikalen Funktionalismus am Bauhaus als bürgerlich-formalistisch diffamiert. In der Presse der DDR werde er «als ein der USA verfallener Knecht des Imperialismus hingestellt», stellte er 1952 erschüttert fest. «Das muss doch Herrn Gropius wohltun!»

Bevor Meyer zum 1. April 1927 die neu eingerichtete Architekturklasse am Bauhaus Dessau übernahm, hatte er Walter Gropius über sein programmatisches Fundament eigentlich nicht im Unklaren gelassen: «Die grundlegende Tendenz meines Unterrichtes wird absolut eine funktionell-kollektivistisch-konstruktive sein.» In seinem Manifest von 1926, «Die neue Welt», konstatierte er, dass die neuere Technik «unsern ortsgebundenen Sinn», «unsern erdgebundenen Geist» befreit habe. Die Entwürfe Meyers und Wittwers für die Petersschule in Basel und den Völkerbundpalast in Genf stehen für diese Periode.

Heimatkomplex

Doch in Dessau modifizierte Meyer seine Position. Sein Programmtext «Bauhaus und Gesellschaft» von Anfang 1929 kulminierte in den dichten Sätzen: «Zu guter Letzt ist alle Gestaltung schicksalsbedingt durch die Landschaft: Dem Sesshaften ist sie einzig und einmalig. Sein Werk ist persönlich und lokalisiert. Fehlt flottantem Volk dieser Heimatkomplex, ist das Werk leichthin typisch und Standard. Ein bewusstes Erleben der Landschaft ist Bauen als Schicksalsbestimmung. Als Gestalter erfüllen wir das Geschick der Landschaft.» Die Laubenganghäuser in Dessau-Törten und vor allem seine im Mai 1930 übergebene Gewerkschaftsschule bei Berlin (beide seit 2017 Teil des Unesco-Welterbes) setzten diese neue Bauhaltung um. Meyer favorisierte hier keinen «Bauhaus-Stil», sondern eine umfassende Analyse der Bauaufgabe: Einbettung der Baukörper in die Landschaft und Organisation des gemeinschaftlichen Lernens und Zusammenlebens charakterisieren seine Schule. «Das Resultat: nicht konzentrische Häufung von Baumassen, sondern exzentrische Lockerung der Bauteile.» Die vielgestaltige architektonische Lösung für diesen Gemeinschaftsbau widerlegt die These, das Bauhaus sei eine Quelle aller späteren Monotonie einer sozialen Moderne gewesen. In der Zusammenarbeit mit Wittwer und den Studierenden hat Meyer dem Bauhaus nach Gropius einen neuen Weg eröffnet.

Die bemerkenswerte Selbstkorrektur Meyers ging im öffentlichen Getöse über seine fristlose Entlassung als Bauhaus-Direktor im Sommer 1930 jedoch völlig unter. Er hatte erkannt, dass die Leistungsfähigkeit des Bauhauses «von seinem Ruf um das Mehrfache übertroffen» und die Beziehung zur Industrie intensiviert sowie das Auftragsvolumen der Werkstätten (Kandem-Leuchten, Bauhaus-Tapete) enorm gesteigert worden waren. Er orientierte sich eben am Massenbedarf statt an Luxusgütern, verliess den Weg der teuren Vorfertigung beim Wohnungsbau und löste die allzu eng gedachte «Einheit von Kunst und Technik».

Tatsächlich verzögerte die politische Intrige gegen Hannes Meyer die notwendige Selbstkritik des Bauhauses und der Moderne für Jahrzehnte und trieb ihn, der zu diesem Zeitpunkt noch ganz linkssozialistisch-genossenschaftlich dachte, endgültig an die Seite der Kommunisten. Nach seiner Entlassung wandte er sich an die sowjetische Botschaft in Berlin und siedelte im Oktober 1930 mit einem ihm verbundenen Kreis von Bauhäuslerinnen nach Moskau über.
Ausreise nach Moskau

Hannes Meyer wurde Professor am Architekturinstitut, arbeitete in verschiedenen Planungstrusts und später an der Architekturakademie. In Moskau schloss er sich der militanten Vereinigung der Proletarischen Architekten (Vopra) an. Um Anerkennung bemüht, übernahm Meyer die Rolle des Zeugen der «Faschisierung» des Bauhauses und Deutschlands, bestätigte die falsche Offensivstrategie der Komintern und die Sozialfaschismusthese Stalins. Er beglaubigte, dass ein «rotes Bauhaus» nur existieren könne, wenn es sich unmittelbar in den Dienst der kommunistischen Machtergreifung im Westen oder aber in den Dienst des «sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion» stelle. Möglicherweise überblickte Meyer die politischen Verhältnisse, in denen er agierte, nicht – narzisstische Kränkungen machen blind.

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