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Schlagwort „Smart City“: Die Stadt von der Stange
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Von Technologie getriebene Stadtvisionen sind keine Erfindung der Gegenwart. Schon vor 100 Jahren kannte man ihre Vorzüge – wie ihre Gefahren. Erinnerungen an die Zukunft.

29. Dezember 2018 - Peter Payer
Wohin entwickeln sich unsere Städte? Immer öfter stellen wir uns angesichts weltweit rasanter Urbanisierung diese Frage. Genauer gesagt: Wir sind gezwungen, sie uns zu stellen. Und immer öfter ist in den Antworten von „Smart City“ die Rede, als Synonym für die digitale Stadt der Zukunft, die vielfach vernetzt, intelligent gesteuert und so weit wie möglich berechen- und kontrollierbar ist. Wenngleich es mittlerweile vielfach Kritik an diesem allzu modisch gewordenen Begriff gibt, etablierte er sich doch als räumliches Leitbild für die gegenwärtigen, stark technologiebasierten Veränderungen und Innovationen im urbanen Raum.

Blicken wir zurück, stoßen wir auf ein ähnliches Label, das die Stadtvision des beginnenden 20. Jahrhunderts auf den Punkt brachte: „Die technische Stadt“ war spätestens nach dem Ersten Weltkrieg zu jenem Zukunftsbegriff geworden, der die damaligen urbanistischen Hoffnungen sinnreich zu bündeln schien. Weshalb der Begriff dann auch namensgebend für eine Großausstellung wurde, die vor 90 Jahren in Dresden ihre Pforten öffnete – und überaus einflussreich werden sollte.

Es war der Eindruck des enormen Städtewachstums, der Ende des 19. Jahrhunderts in Europa erstmals Forderungen nach einer Regulierung der bis dahin relativ ungehindert expandierenden Metropolen evozierte. Zwei Grundgedanken waren dabei bestimmend. Erstens die Vorstellung, es handle sich bei der Planung nicht um ein architektonisches, sondern um ein technisches Problem. Dementsprechend konzentrierten sich sämtliche Erweiterungs- und Regulierungspläne auf die technische Infrastruktur, insbesondere Verkehrswege und sanitäre respektive hygienische Einrichtungen. Der zweite zentrale Gedanke war die Vorstellung von Stadt als biologischem Organismus mit Systemen, die zusammenarbeiten müssen, um diesen gesund zu erhalten.

Umfassende technikbasierte Vernetzung der Stadt avancierte zu einem Kennzeichen der Moderne, mit weitreichenden sozialen und mentalen Folgen. Dass man für die Bereitstellung von Wasser und Licht, die Beseitigung von Müll und Abwasser, die Fortbewegung in immer weiter entfernte Stadtteile bis hin zur Kommunikation mit anderen Menschen in ein übergeordnetes technisches System eingebettet war, das all dies bereitstellte, wurde für immer größere Teile der Bevölkerung zur prägenden Alltagserfahrung. Jedes einzelne Gebäude fungierte als Knoten im urbanen Netzwerk, mit dem es durch Leitungen, Röhren und Drähte verbunden war. Und dass diese Infrastrukturen zumeist unsichtbar unter der Erde lagen, bestimmte – wie wir heute wissen – auf nachhaltige Weise modernes Wahrnehmungs- und Raumverhalten, soziale Praktiken und Codes, die letztlich von der Großstadt aus in weitere Teile der Gesellschaft diffundierten.

Auch die Zwischenkriegszeit war geprägt von den Debatten und Konflikten, die mit der Anlage einer derart umfassenden „Stadtmaschine“ einhergingen. Machtpolitische, ökonomische, gesundheitspolizeiliche und soziale Diskurse bestimmten weiterhin die europäische Stadtentwicklung, die mit ihren technischen Ausbauprogrammen an die Vorkriegsleistungen anzuknüpfen trachtete. Ein dabei wichtiges, auch international wahrgenommenes Zentrum stellte die deutsche Stadt Dresden dar, die sich mit einschlägigen Großveranstaltungen als Ausstellungsstadt positionierte.

„Autoanrufzelle für Kraftdroschken“

Der 1921 gegründete „Verein zur Veranstaltung der Jahresschau deutscher Arbeit“ hatte ein ambitioniertes Konzept entwickelt, das in den kommenden Jahren realisiert werden sollte. Oberstes Ziel war die Förderung von Industrie, Wissenschaft und Handwerk durch die Präsentation von Spitzenleistungen auf den unterschiedlichsten Gebieten des täglichen Lebens, wozu nicht zuletzt der städtische Alltag gehörte.

Die im Jahr 1928 abgehaltene siebente Jahresschau deutscher Arbeit folgte mit ihrem Titel, „Die technische Stadt“, dem urbanistischen Leitbild vergangener Jahrzehnte. Gezeigt wurden ingenieurtechnische Strategien zur Lösung virulenter Stadtprobleme, ergänzt um grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Mensch und Technik. Ausstellungsdirektor Carlwalter Straßhausen brachte den Sinn der groß angelegten Schau auf den Punkt: „Der Zweck dieser Ausstellung ist es, zu zeigen, wie heutigentags die Technik in das Leben der Menschen eingreift, wie sie ein Helfer dem wird, der sie richtig erfasst. In der Stadt spielt sich das Gemeinschaftsleben in den engsten Beziehungen ab, hier stellt das Arbeitstempo erhöhte Anforderungen, wollen die Stunden für Ruhe und Erholung voll ausgenutzt sein. Also kann die Bedeutung technischer Kenntnisse für den einzelnen Menschen am wirksamsten an dem Beispiel einer modernen Stadt Darstellung finden.“

Im Mittelpunkt standen die im Hauptgebäude gezeigten „Lebensquellen“ der Stadt, worunter man die Versorgung mit Gas, Wasser und der zunehmend an Bedeutung gewinnenden Elektrizität verstand. Ergänzend dazu präsentierte man Themen wie Heizung, Ernährung, Verkehr und Nachrichtenwesen, aber auch Hoch- und Tiefbau und neue technische Anwendungen bei Feuerwehr, Straßenreinigung oder Müllabfuhr. Die einzelnen Räume waren anschaulich und für die Besucher durchaus abwechslungsreich gestaltet. So konnte man zahlreiche Modelle bestaunen, dazu Pläne und technische Zeichnungen, Kanalprofile in Originalgröße, Straßenlampen, Verkehrszeichen und Signalanlagen, eine „Autoanrufzelle für Kraftdroschken“, Schnelltelegrafen oder eine Hochspannungsvorführung mit einer „Ein-Million-Volt-Anlage“. Musterbetriebe, darunter eine Bäckerei und eine moderne Zahnarztpraxis, demonstrierten live ihre elektrifizierten Arbeitsprozesse.

Neben der Hauptschau befanden sich auf dem Gelände noch zahlreiche weitere Attraktionen: das weltweit erste Kugelhaus, entworfen vom Münchner Architekten Peter Birkenholz; ein Stahlrahmenhaus, das veranschaulichte, wie ein Wohngebäude innerhalb kürzester Zeit mit genormten Fertigteilen errichtet werden konnte; sowie ein Pavillon, der einen modernen Rundfunkaufnahmeraum und ein Kino enthielt. Letzteres wurde zu einer der Geburtsstätten des Tonfilms in Deutschland. Am Eröffnungstag der Ausstellung fand hier vor begeistertem Publikum die Welturaufführung des „sprechenden Films System Breusing“ statt.

Begleitet wurde die siebente Jahresschau von einer intensiven Werbekampagne. Der Dresdner Grafiker Willy Petzold schuf das zentrale Plakatsujet zur Ausstellung. Es zeigt einen rötlichen, schräg gestellten stählernen I-Träger, in dessen großformatiger Schnittfläche die Insignien der modernen Stadt zu sehen sind: ein symbolträchtig verdichtetes Konglomerat aus geometrischen Baukörpern und daueraktiven Verkehrsräumen, ohne Menschen, im Mittelpunkt allein die rational durchorganisierte, technisch determinierte, ökonomisch dauerproduktive Großstadt.

Die Schau war ein gewaltiger Publikumserfolg. Von vielen europäischen Städten aus wurden Sonderfahrten nach Dresden organisiert. Insgesamt 1,8 Millionen Menschen besuchten „Die technische Stadt“. Umfassend war auch die Berichterstattung in den zeitgenössischen Medien. Architektur- und Bauzeitschriften zeigten sich beeindruckt von der „ausgezeichneten und tiefgründigen Ausstellung“, die „viel Sehenswertes“ zeige. Rückblickend waren auch die Organisatoren mehr als zufrieden. Dresden hatte sich erneut als führende Ausstellungsstadt positioniert.

Andere Städte intensivierten ihre Anstrengungen zur Sichtbarmachung der engen Verflechtung von Stadt und Technik. Zur (unbekannten) Hauptperson erkoren wurde dabei stets der Techniker. Das Bild des selbstlos agierenden Ingenieurs entstand, eines anonymen Helden, der unbemerkt und abseits der Öffentlichkeit seinen Beitrag für das reibungslose Funktionieren der Großstadt leistete. Ein Image, das in einschlägigen Fachpublikationen weiter vertieft wurde und letztlich bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg hinein wirksam sein sollte. Die ungebremste Fortschrittsgläubigkeit der Moderne, vereint mit dem anhaltenden Impetus zur aufklärerischen Vermittlung von Technik, verfestigte die Überzeugung, dass mit Hilfe der Technik sämtliche Probleme der Großstadt zu bewältigen seien.

Doch es gab, schon in der Zwischenkriegszeit, auch kritische Stimmen, insbesondere in bürgerlich-konservativen Kreisen. So wies der deutsche Theologe Paul Tillich, Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule in Dresden, auf die seiner Meinung nach grundlegende symbolische Bedeutung der technisierten Stadt hin. In einem Vortrag, den er zur Eröffnung der Ausstellung hielt, mahnte er, nicht zu vergessen, was die umfassende Technisierung für die Seelenlage der Menschen bedeute. Denn wenn es auch mit Hilfe der Technik gelungen sei, das Fremde und Drohende des Daseins zu überwinden, werde doch durch die Komplexität moderner Technik eine neue Unheimlichkeit hervorgerufen. Die ganze Erde entwickle sich, so Tillich, immer mehr zur „technischen Stadt“, zu einer zunehmend erstarrten und naturfremden Welt, die kaum beherrschbar erscheine.

Die „normalisierte“ Großstadt

Eine ähnliche, auf die voranschreitende Rationalisierung und Normierung der modernen Welt zielende Zivilisationskritik äußerte der Schriftsteller Alfred Döblin. Die rasanten Veränderungen seiner Heimatstadt Berlin vor Augen, postulierte er: „Es gibt heute nicht mehr Frankfurt oder München oder Berlin oder sogar Paris, London oder Rom. Es gibt heute nur die technische Stadt, die Großstadt. Sie hat eine örtlich verschieden gefärbte und temperierte Bevölkerung. Wie die Technik die Fassungen von Glühbirnen normalisiert, werden die Großstädte normalisiert.“

Und auch sein weit gereister Kollege Stefan Zweig, ein genauer Kenner vieler Großstädte, beklagte eine deutlich wahrnehmbare „Monotonisierung der Welt“: „Alles wird gleichförmiger in den äußeren Lebensformen, alles nivelliert sich auf ein einheitliches kulturelles Schema. Immer mehr scheinen die Länder gleichsam ineinandergeschoben, die Menschen nach einem Schema tätig und lebendig, immer mehr die Städte einander äußerlich ähnlich.“ Hintergrund dieser Analysen war die in Europa zunehmend heftiger geführte Amerikanisierungsdebatte.

Dessen ungeachtet, blieb die Frage der Technisierung der Stadt auch in den folgenden Jahrzehnten höchst aktuell. Dass gerade die technische Infrastruktur in besonderer Weise pfadabhängig ist, ist heute unter Stadtplanern und -historikern Common Sense, basiert doch der Ausbau jüngerer Leitungsnetze zu einem wesentlichen Teil auf der technischen Grundausstattung der Moderne. Und nicht selten werden dabei, so die Kritiker, sozialräumliche Ungleichheiten der Vergangenheit für die Zukunft fortgeschrieben. Der Boden als knappe und wertvollste Ressource einer Stadt wird mittlerweile zu einem entscheidenden Teil von Einrichtungen der Technik und des Verkehrs beansprucht. Als „Gedächtnis der Stadt“ kommt ihm – real wie symbolisch – auch künftig eine zentrale Bedeutung zu.

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