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Bald steht das Herz von Algier still: Die legendäre Kasbah verlottert
Neue Zürcher Zeitung

Sie gilt als eines der wichtigsten Symbole für den algerischen Befreiungskampf, aber über Jahrzehnte war sie dem Zerfall preisgegeben. Nun wurde der französische Stararchitekt Jean Nouvel zum Leiter der geplanten Restaurierung berufen – und schon entbrennt eine zornige Debatte.

2. Februar 2019 - Beat Stauffer
Der legendären «Kasbah» von Algier geht es schlecht. Zwar sind in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Pläne zur Restaurierung des Altstadtviertels am Fuss der ehemaligen Zitadelle in Auftrag gegeben worden, und einzelne alte Paläste sowie eine Moschee sind auch renoviert worden. Doch insgesamt zeigt sich die Kasbah heute in einem erbärmlichen Zustand. Daran hat auch die Aufnahme auf die Liste des Unesco-Weltkulturerbes im Jahr 1992 nichts geändert. «Seither ist in der Kasbah mehr als die Hälfte aller Häuser eingestürzt», sagt der algerisch-französische Architekt und Soziologe Djaffar Lesbet verbittert. Keiner der unzähligen Pläne aus den letzten 30 Jahren für eine Sanierung des Viertels sei umgesetzt, kein einziges Wohnhaus renoviert worden.

Auch der deutsche Architekt Armin Dürr, der sich Ende der 1980er Jahre intensiv mit der Renovation des Quartiers beschäftigte, berichtet von «deprimierenden» Eindrücken. In einem Vortrag Anfang 2018 in Algier beklagte Dürr, dass die jahrzehntelangen Arbeiten von Architekten und Stadtplanern kaum zu Resultaten geführt hätten. Und er warf gar polemisch die Frage auf, ob die Kasbah nicht vielleicht ein Symbol sei «für die Unfähigkeit dieses Landes, sich mit seiner eigenen Geschichte zu beschäftigen und sein historisches Erbe zu bewahren».

Eine Art Schizophrenie

Die algerischen Behörden verweisen auf Investitionen in der Höhe von rund 600 Millionen Euro, die in den vergangenen Jahren in die Kasbah geflossen sein sollen. Lesbet hat für solche Zahlen bloss ein Schulterzucken übrig. Es stimme zwar, dass über zehntausend ehemalige Bewohner der Kasbah in Neubauquartiere ausgesiedelt worden seien, um das extrem dicht besiedelte Quartier zu entlasten. Doch in der Kasbah selber sei kaum etwas geschehen. Zudem gebe es keinerlei Transparenz hinsichtlich des Budgets für die Renovationsarbeiten. Er gehe davon aus, dass staatliche Gelder in grossem Stil zweckentfremdet worden seien.

Wie aber ist es zu erklären, dass das Quartier, das als leuchtendes Symbol des nationalen Befreiungskampfes besungen wird, von den algerischen Behörden in den letzten Jahrzehnten dem Verfall preisgegeben wurde? Darauf gebe es keine einfache Antwort, sagt Lesbet, spricht von einem typisch algerischen «System» und diagnostiziert eine Art Schizophrenie. Letztlich hätten wohl alle algerischen Machthaber die Kasbah weiterhin mit den Augen der ehemaligen Kolonialherren angeschaut: als Ort der Revolte und der Anarchie.

Für den miserablen Erhaltungszustand gibt es allerdings auch ganz handfeste Gründe. Die Kasbah sei seit langen Jahren gewissermassen als «Zwischenstufe» zur Erlangung einer Wohnung genutzt worden, erklärt Dürr. Menschen, die in einsturzgefährdeten Häusern lebten, hätten eine grössere Chance, eine Neubauwohnung zu erhalten. Aus diesem Grund legten viele Bewohner selber Hand an, um die Bausubstanz ihrer Häuser in der Kasbah zu beschädigen.

Die Kritik von Dürr am Zustand der Kasbah und an der Untätigkeit der Behörden fand in algerischen Medien erstaunlich viel Raum. Es ist gut denkbar, dass der Warnruf etwas auslöste; das Malaise um den prekären Zustand des nationalen Symbols scheint weit verbreitet zu sein. Auf jeden Fall gab der Gouverneur von Algier Mitte Dezember 2018 bekannt, im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen der Region «Île de France» und der Hauptstadt Algier werde nun ein neues Projekt zur Rettung der Kasbah in Auftrag gegeben. Als oberster Verantwortlicher wurde der Architekt Jean Nouvel bestimmt.

Umstrittene Wahl

Die Wahl des französischen Stararchitekten löste eine heftige öffentliche Debatte aus. In einem offenen Brief forderten über 400 Persönlichkeiten, Nouvel solle sich von diesem Projekt zurückziehen. Dabei bedienten sie auch bewusst antikoloniale Ressentiments: Die Kasbah sei doch ein Ort der Erinnerung an den Kampf gegen den französischen Kolonialismus, deshalb sei es undenkbar, diese Aufgabe ausgerechnet einem französischen Architekten zu übertragen. Zudem befürchteten die Unterzeichnenden eine «mögliche Gentrifizierung» des Altstadtviertels.

Der offene Brief stiess aber auch auf energische Widerrede. «Die Kasbah liegt in der Agonie, und die Hyänen werfen sich auf ihren Leichnam», schrieb Djaffar Lesbet, der seine Kindheit und Jugend im Quartier verbracht hat und seit Jahren für dessen Erhaltung kämpft. Das Einzige, was jetzt zähle, sagt Lesbet, sei, dass nun endlich vorwärtsgemacht werde mit dem Erhalt des schwer bedrohten Kulturerbes. Die Nationalität von Jean Nouvel dürfe in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen; und man solle doch bitte zuerst einmal abwarten, was für ein Projekt Nouvel vorlege.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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