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«Architektur ist immer etwas Emotionales»
TagesAnzeiger

Architektur ist eine tote Materie, aber Christoph Schaub erweckt sie in «Architektur der Unendlichkeit» zum Leben. Der Regisseur über Kirchen, den HB und Kinderzimmer.

2. Februar 2019 - Annik Hosmann
«Architektur der Unendlichkeit» beginnt damit, dass Sie über den frühen Verlust Ihres Vaters sprechen. Ist der Film ein persönlicher?
Es gibt einen persönlichen Ansatz, das stimmt. Aber es sind die Architekten und Künstler, die im Film die philosophischen Themen rund um Gebäude und Räume verhandeln. Es ist weder meine Lebensgeschichte noch ein Lehrfilm.

Sondern?
Ein Film darüber, welche Emotionen Architektur auslösen kann. Ich wollte sakrale Bauten thematisieren, allerdings nicht nur im religiösen, sondern auch im profanen Sinn – und dazu gehören für mich Kunstinstallationen genauso wie die Bahnhofshalle in Zürich.

Was ist sakral an der Halle des HB?
Sie ist wie eine Kirche gebaut. Es gibt eine Orientierung nach vorne – wie in einer Kirche. Anstelle eines Altars sind die Geleise. Dann gibt es ein grosses Oberfenster an der Stirnseite und grosse Fenster seitlich. Das Licht ist wichtig. Und nicht zuletzt hat der Bahnhof wie ein Kirche eine Repräsentationsfunktion.

Sie bezeichnen sich als Agnostiker. Was fasziniert Sie an Sakralbauten?
Sie sind fast immer ein architektonisches Ereignis. Und diese Bauten machen etwas mit einem. Nicht immer das, was man will, manchmal ist die Wirkung auch unangenehm. Was mich auch fasziniert ist, dass diese Bauten durch eine Behauptung eine Bedeutung kriegen.

Wie meinen Sie das?
Kirchen und Kathedralen sind heilige Orte. Aber wer sagt das? Klar, per Definition ist ein Bau dann heilig, wenn der Altar gesegnet ist, trotzdem bleibt es eine Behauptung.

Sie sagen, dass Kirchen Emotionen auslösen. Was ist mit der ganzen profanen Architektur?
Man tut immer so, als wäre Architektur etwas Rationales, aber ich finde sie sehr emotional. Ein gutes genauso wie ein schlechtes Haus spricht mit einem und soll eine Emotion auslösen. Und Räume sowieso; jeder von uns hat eine räumliche Sozialisation. Erinnern Sie sich nur an Ihr Kinder- oder Schulzimmer.

In «Architektur der Unendlichkeit» kommen nicht nur Architekten oder Raumkünstler zu Wort, sondern auch der Schlagzeuger Jojo Mayer. Was hat Musik mit Architektur zu tun?
Kirchen wurden auch gebaut, damit darin gesungen und musiziert werden kann. Aber ich wollte einen Kontrast zu den erwartbaren Kirchengesänge bieten, deshalb ist Jojo Mayer ein Protagonist. Musik ist so gesehen eine Architektur auf der Zeitebene: Musik rhythmisiert die Zeit und baut sozusagen einen Raum, einen akustischen Raum.

Wie sieht eine Architektur der Unendlichkeit für Sie persönlich aus?
Also eigentlich steckt darin ja ein Widerspruch, weil bauen kann man immer nur etwas Endliches. Somit ist eine Architektur der Unendlichkeit eine, die Gedanken zur Infinität auslöst -- und das sind in unserem Kulturkreis oft Kirchen, weil diese das Jenseits thematisieren. Aber eigentlich ist es für mich ein innerer Zustand: Jeder ist sein eigener Architekt oder seine Architektin der Unendlichkeit. Was macht einen frei oder trägt einen weg? Das kann Musik, Literatur oder auch die Liebe sein. Dieses innere Haus baut sich jeder selbst und auch jeden Tag neu.

Riffraff
Langstrasse/Neugasse
16.10 Uhr, 18.30 Uhr, 20.50 Uhr, So 11.30 Uhr
www.riffraff.ch
Über «Architektur der Unendlichkeit»

Erhaben, imposant, opulent. Ob Gläubiger oder Agnostiker: Das Betreten einer Kirche oder Kathedrale lässt fast niemanden kalt. Das liegt zum einen an ihrer speziellen Architektur, zum anderen aber auch daran, dass sie schöne Erinnerungen an Hochzeiten oder traurige an Beerdigungen wecken.

Auch wenn im Film vor allem sakrale Architektur gezeigt wird, ist Regisseur Christoph Schaub («Sternenberg») überzeugt, dass jeder Bau Emotionen auslöst. Und weil hinter Gefühlen immer Menschen stehen, hat der Zürcher für seinen neuen Architekturfilm einen persönlichen Ansatz gewählt und auch seine eigene Geschichte zum Thema gemacht. So erinnert er sich am Anfang des Films an seinen früh verstorbenen Vater. Doch die Haupt­protagonisten, die über Spiritualität, Architektur und deren Unendlichkeit philosophieren, sind andere: ein Musiker, zwei Künstler und drei Architekten.

Zu Letzteren gehört Peter Zumthor. Er erklärt etwa, was seine Beziehung zur Religion mit dem Bau einer modernen Kapelle – die er selbst als meditativen Raum bezeichnet – mitten in einem Feld zu tun hat. Und Lichtkünstler James Turrell stellt die Frage, ob das, was Kunstschaffende und Architekten tun, heute nicht viel eher ein spirituelles Bedürfnis erfüllt als das, was Priester machen.

Das alles mag theoretisch und abstrakt klingen, doch Schaub erweckt die tote Materie Architektur zum Leben und überträgt das dreidimensionale Raumerlebnis, das herausragende Bauten bieten, auf die zweidimensionale Leinwand. Der Sog, der dadurch entsteht, wird einzig gebrochen durch teilweise arg lange Symbolszenen von Kindern, die Sandburgen oder Waldhütten bauen. Doch sobald zum Beispiel ein Schlagzeugkonzert im Museum zu sehen ist, wird klar, dass Schaub recht hat: Jeder Raum erzeugt Emotionen. (aho)

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