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So fremd wie vertraut
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Aus Wien gebürtig, hierzulande weithin unbekannt: Fast 40 Jahre lang lehrte der Architekt Christopher Alexander, Jahrgang 1936, in Berkeley, Kalifornien. Über seine „Muster-Sprache“ und sein Pionierwerk: den Eishin Campus bei Tokio. Eine Aufforderung zur Entdeckung.

9. Februar 2019 - Bernhard Widder
Der Eishin Campus am Rand der Megametropole Tokio: Er ist das gebaute Hauptwerk des aus Wien gebürtigen Architekten, Theoretikers und Schriftstellers Christopher Alexander, geschaffen gemeinsam mit seinen Partnern im „Center for Environmental Structure“ in Berkeley, Kalifornien. Bei Parks Books liegt eine genaue Studie dieser Pionierleistung vor, herausgegeben von Eva Guttmann, Gabriele Kaiser und Claudia Mazanek: „Shifting Patterns: Christopher Alexander und der Eishin Campus“.

Christopher Alexander (geboren 1936, seine Familie emigrierte 1939 nach England) studierte Mathematik und Architektur in Cambridge (England), danach an der Universität Harvard (Cambridge, Massachusetts). Von 1967 bis 2001 lehrte er an der Universität von Berkeley, Kalifornien, wo ebenfalls 1967 das „Center for Environmental Structure“ begründet wurde. Als Theoretiker erlangte er mit seinem Werk „A Pattern Language. Towns, Buildings, Construction“ weltweite Bedeutung. Dabei geht es um eine strukturalistische Methode zur Gestaltung von Städten, Siedlungen und Häusern, basierend auf 253 unterschiedlichen Mustern, die Alexander mit den Bestandteilen einer Sprache vergleicht.

Auffallend ist, dass die Wahrnehmung der Bücher und gebauten Werke Alexanders im deutschsprachigen Raum bis heute zurückhaltend geblieben ist, obwohl der Wiener Architekt Hermann Czech zwei Titel von Alexander übersetzt und herausgegeben hat: „Das Linz Café“ (1981) sowie „Eine Muster-Sprache. Städte, Gebäude, Konstruktion“ (1995). Bis heute erscheint es unverständlich, dass ein aus Wien stammender Planer und Theoretiker von weltweitem Einfluss hier noch keine eigene Ausstellung zeigen konnte.

Als historischer Hinweis sei auf die Großausstellung „Forum Design“ im Linzer Donaupark (1980) verwiesen, die weltweite Resonanz hervorgerufen hat. Damals wurde Christopher Alexander von den Organisatoren des Forums Design eingeladen, ein Café als mehrgeschoßige Holzkonstruktion im Sinn der „Pattern Language“ zu planen und zu bauen. Leider war dieses Lehrbeispiel an Architektur nur zur temporären Nutzung geplant und konnte nicht erhalten werden.

In seinem Buch „Das Linz Café“ schrieb Christopher Alexander in der „Anmerkung zur Geschichte“: „Während der Planung dieses Baus wurde ich wiederholt von meinen österreichischen Freunden über den historischen Eindruck, den dieses Gebäude mache, gefragt. Eine kurze Stellungnahme dazu könnte nützlich sein. Für mich hat das Gebäude überhaupt keine bewusste Beziehung zur Vergangenheit. Warum erinnert es dann an traditionelle Gebäude? Aus einem sehr einfachen Grund. Es gibt bestimmte räumliche Gegebenheiten, um die keiner, der baut, wenn er das Wesen des Bauens verstanden hat, herumkommt. Die Baumeister vieler traditioneller Kulturen verstanden diese Gegebenheiten sehr genau – deshalb gibt es eine gewisse Ähnlichkeit zwischen diesen Gebäuden, trotz ihrer augenfälligen Unterschiede durch Klima, Kultur et cetera. Die Baumeister der letzten 50 Jahre wussten zum größten Teil von diesen Gegebenheiten nichts.“

In den theorielastigen 1970er- und 1980er-Jahren (zumindest, was die damaligen Strömungen in Architektur und Städtebau betrifft) widmete die Aachener Zeitschrift „ARCH+“ die Nummer 73 dem Werk von Christopher Alexander. Nikolaus Kuhnert begann sein Editorial im März 1984 mit deutlichen Worten: „Lenkt man das Gespräch unter Architekten auf Christopher Alexander, dann sind die Verurteilungen und Beschimpfungen schnell bei der Hand. Anti-Architektur, Un-Architektur fallen da noch milde aus. Sieht man umgekehrt seine Schriften durch, unter anderem die Diskussionen zwischen ihm und Peter Eisenman, dann werden diese Vorurteile noch positiv bestärkt. Es geht Alexander um nicht mehr und nicht weniger als um eine grundsätzliche Alternative zur sogenannten nach-modernen Architektur.“

In „ARCH+“ stand damals der erste deutschsprachige Bericht über die Planung des Eishin Campus bei Tokio zu lesen, ergänzt durch einige Zeichnungen und Modellfotos. Viel mehr an Publizität hat der 1987 abgeschlossene Campus, der in der Sicht Alexanders einen modellhaften Städtebau bildet, in Mitteleuropa bis heute nicht erfahren, abgesehen von der nun vorliegenden Monografie.

In seinem Beitrag zu „Shifting Patterns“ schreibt Walter Ruprechter, der bis 2017 in Tokio Literatur- und Kulturwissenschaften lehrte: „So bleibt auch das Erscheinungsbild des Eishin Campus und seiner Gebäude rätselhaft ambivalent. Es oszilliert in seinen Formen und Atmosphären zwischen fremdartig und vertraut, sakral auratisch und profan, zwischen archaisch und modern, zeitlos und historisch, zwischen rau und raffiniert, natur- und bühnenhaft. Aus einiger Entfernung oszilliert der Campus sogar zwischen real und virtuell. In seiner Entrücktheit zeigt er sich dem zwischen den Kulturen pendelnden Betrachter als Erscheinung zwischen visionärem Bau und gebauter Vision.“

Und wenn man die Rückseite des Umschlags aufklappt, liest man auf der Innenseite des Buchrückens den Satz: „It's not about architecture, it's about life.“ Es ist anzunehmen, dass dieses Zitat von Christopher Alexander stammt, der in seinem umfangreichen theoretischen Werk (das mittlerweile mindestens ein Dutzend Titel umfasst) einen unverkennbar klaren, literarisch-poetischen Stil pflegt.

Die Herausgeberinnen Eva Guttmann und Gabriele Kaiser beenden ihre Einleitung mit folgenden Anmerkungen: „Wir hoffen, mit diesem Buch einen Anstoß geben zu können, das genuine Werk eines großen Denkers – gerade angesichts der globalen Herausforderungen in Architektur und Städtebau – jenseits üblicher Lagerzuordnungen in die Debatte zurückzuholen. Vielleicht lohnt sich allem berechtigten Relativismus zum Trotz, das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren.“

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