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Auch ein Kontrollturm mit Tarnanstrich gehört zum Kulturerbe
Neue Zürcher Zeitung

Ein Haus der Saffa-Architektin Lux Guyer und der alte Kontrollturm des Militärflugplatzes Dübendorf zählen zu den beispielhaften Restaurierungsprojekten der Zürcher Denkmalpflege von 2013 und 2014.

6. April 2019 - Dorothee Vögeli
Sie war eine Pionierin: Im Alter von 30 Jahren eröffnete Lux Guyer (1894–1955) an der Zürcher Bahnhofstrasse ein Architekturbüro, in dem sie später bis 30 Mitarbeitende beschäftigte. Berühmt geworden ist die erste selbständig tätige Architektin der Schweiz aber mit einem Fertighaus aus Holzelementen. Den Prototyp entwarf sie für die Saffa, die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit im Jahr 1928.
Der Abbruch droht

Eine Variation des für den Mittelstand konzipierten Saffa-Hauses baute sie 1929 im Küsnachter Ortsteil Itschnach und bewohnte sie anschliessend selber. Die Aussenwände durften allerdings nicht aus Holz sein – die Gemeindebehörden hatten auf Massivbauweise gepocht. Vor zehn Jahren drohte dem Haus «Obere Schiedhalde» wegen Überbauungsplänen der Abbruch. Die Gemeinde verlangte die Abklärung der überkommunalen Schutzwürdigkeit, eine solche verfügte die Baudirektion 2010. Das nahezu unveränderte Gebäude mit seinen raffiniert ineinander übergehenden Innenräumen war in schlechtem Zustand, seine sorgfältige Restauration hat die kantonale Denkmalpflege 2013 und 2014 begleitet.

Dem Haus «Obere Schiedhalde» widmet die Denkmalpflege einen von 36 Schwerpunkten in ihrem eben erschienenen 22. Rechenschaftsbericht. In dem informativen und reich illustrierten Band sind Einzelbauten und Ensembles dokumentiert, die in einer Zeitspanne von rund 700 Jahren entstanden sind und zum Zürcher Kulturerbe gehören. Darunter sind Infrastrukturobjekte wie der Bahnhof Illnau samt Abortgebäude, Industriezeugen wie der Spinnerhochbau Blumer Söhne & Cie. AG in Freienstein-Teufen oder das 1896–1899 im Stil der französischen Neurenaissance errichtete Hauptpostgebäude in Winterthur.
Bunker mit Beobachtungsscharte

Auch Verluste sind ein Thema, das Wohnhaus «Ritter» in Erlenbach zum Beispiel. 2014 wurde das 1925 erbaute Erstlingswerk von Max Ernst Haefeli (1901–1976) abgebrochen – trotz dem entschiedenen Einsatz verschiedener Hochschulprofessoren. Das Schlusskapitel befasst sich mit einem der markantesten und architekturhistorisch bedeutendsten Bahngebäude der Stadt Zürich, dem 1896/97 erbauten Güterbahnhof. Durch Umwälzungen im Gütertransportwesen hatte der Baukomplex ab den 1980er Jahren an Bedeutung verloren. Die SBB verkauften das Areal dem Kanton Zürich. Momentan entsteht hier das neue Polizei- und Justizzentrum.

Ein schweizweites Unikat ist der alte Kontrollturm auf dem Militärflugplatz Dübendorf. 1939, kurz vor Kriegsausbruch, beauftragte die Schweizer Luftwaffe den Architekten Fritz Metzger (1898–1973) mit der Planung eines «Peil- und Startpavillons». Metzger hatte bereits das im Landistil konzipierte Eingangs- und Unterrichtsgebäude beim Haupteingang des Flugplatzgeländes errichtet. Wie der neue zylinderförmige Kontrollturm erhielt auch dieses kriegsbedingt einen anthrazitfarbenen Tarnanstrich. Zur besseren Überwachung des Flugbetriebs entstand 1948 auf dem Dach des Startpavillons eine sechseckige Kanzel für eine Person, im Gebäudesockel befand sich ein Bunker mit breiter Beobachtungsscharte. Wie eine herausgezogene Schublade ragte sie in Richtung Flugfeld.

1954 wurde der Tarnanstrich des Eingangsgebäudes wie des kleinen Rundbaus mit weisser Farbe übermalt, und 2003 wurden beide Gebäude als Schutzobjekte von nationaler Bedeutung ins Inventar der militärischen Hochbauten und ins überkommunale Inventar des Kantons Zürich aufgenommen. Nach jahrelanger Vernachlässigung konnte der alte Kontrollturm, dessen ausgewogene Proportionen und sorgfältige Detailgestaltung laut Denkmalpflege bis heute überzeugen, instand gestellt werden, und zwar auf der Grundlage der bauzeitlichen Gestaltungsideen. Deshalb hat das eigentliche Wahrzeichen des Flugplatzes Dübendorf wieder einen dunklen Farbanstrich erhalten.

Der Kampf um die Grossmünsterkapelle

Heute dient der Kontrollturm Veranstaltungen und repräsentativen Anlässen. Die Präsentation des neusten Bands der Denkmalpflege fand aber nicht in Dübendorf, sondern neben dem Zürcher Grossmünster statt. Dort befindet sich ein besonders geschichtsträchtiges Objekt: die Helferei, einst Wohnsitz des Reformators Huldrych Zwingli. Nach der Aufhebung des Grossmünsterstifts im Jahr 1832 ging das mehrfach umgebaute Gebäude zunächst an die Stadt Zürich über, diese verkaufte es rund 20 Jahre später der Kirchgemeinde Grossmünster mit der Auflage, einen heizbaren Raum für Gottesdienste zu schaffen.

Der Architekt Johann Jakob Breitinger (1814–1880) schuf eine Kapelle im Tudor-Stil und verschränkte sie mit der Helferei. 1960 musste die Kapelle wegen Baufälligkeit geschlossen werden, das Stimmvolk lehnte nach einem heftigen Abstimmungskampf den Abbruch aber ab. Der mit der Renovation des Gebäudekomplexes betraute Architekt Manuel Pauli (1930–2002) ging trotz einigen Interventionen respektvoll mit der Bausubstanz um. Während der erneuten Gesamtrestauration von 2012 bis 2014 wurde vieles rückgängig und Breitingers Handschrift wieder sichtbar gemacht.

[ Zürcher Denkmalpflege. 22. Bericht 2013/2014. Kommissionsverlag: FO-Fotorotar AG, Egg 2019. 352 S., Fr. 60.–. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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