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Lieber ein zu kleines Schulhaus als gar keines? Die geplante Schule Freilager und die Stadtzürcher Schulraumplanung
Neue Zürcher Zeitung

Erstmals lehnen die Stadtzürcher Grünen ein Schulhaus-Bauprojekt ab – weil es den erwarteten Bedarf im Quartier nicht zu decken vermag. Die Stadtregierung und alle übrigen Parteien streiten dies nicht ab, setzen aber auf andere Massnahmen.

29. April 2019
Die Bevölkerung der Stadt Zürich wächst ungebremst – bis 2040 soll sie sich sinnbildlich die gesamte Einwohnerschaft der Stadt Winterthur einverleiben. Besonders in den Aussenquartieren wird rege gebaut und verdichtet. In die neuen Siedlungen ziehen viele Familien mit Kindern, die einen Kindergarten oder eine Schule im Quartier besuchen sollen; der Bedarf an zusätzlichen Unterrichts- und Betreuungsräumen ist gross. Weil die Stadt mit dem Erweitern und Bauen von geeigneten Räumen nicht nachkommt, müssen die Schulkinder teilweise in Pavillons zur Schule gehen; 70 davon stehen im kommenden Schuljahr auf Stadtzürcher Schularealen.

Zu klein für das erwartete Schülerwachstum

Akut ist die Situation auch im Schulkreis Letzi, der die besonders stark wachsenden Quartiere Albisrieden und Altstetten umfasst. Gemäss neuen Prognosen wird die Schülerzahl dort bis 2023 um fast einen Drittel zunehmen. Allein im ehemaligen Zollfreilager entstanden 800 neue Wohnungen. Die Stadt plant deshalb den Neubau einer Schulanlage Freilager für 350 Schulkinder. Am 19. Mai stimmen die Stadtzürcher Stimmberechtigten über den entsprechenden Objektkredit von 63,3 Millionen Franken ab. Schulbauten sind in der Stadt Zürich höchstens aus Kostengründen umstritten; Regierung und Parlament empfehlen ein Ja.

Gegen das Vorhaben in dieser Form sind einzig die Grünen, die damit gemäss eigener Aussage zum ersten Mal in ihrer Geschichte gegen ein Schulhaus votieren. Der Grund: Es sei zu klein, um das erwartete Wachstum im Quartier aufzufangen. Zu den bereits erstellten Überbauungen Labitzke und Vulcano in Altstetten werden ab 2023 auf dem noch besetzten Koch-Areal in Albisrieden nochmals 350 gemeinnützige Wohnungen hinzukommen. Dass dem geplanten Neubau beim Freilager 80 Schrebergärten weichen müssen, ist für die Grünen ein weiterer Grund, das Projekt abzulehnen. Darüber, dass das geplante Schulhaus von Beginn weg zu klein sei, seien sich alle einig, heisst es in der entsprechenden Mitteilung.

«Suboptimale» bis «katastrophale» Lösung

Tatsächlich äusserte das Stadtparlament im Februar einige Vorbehalte gegen das Projekt. «Es könnte schwierig werden, etwas durchzubringen, das nicht wenig Geld kostet und aus heutiger Sicht eigentlich bereits ungenügend ist», sagte damals etwa SVP-Gemeinderat Roger Bartholdi im Hinblick auf die Volksabstimmung. Er sprach im Rat von einem Dilemma angesichts der «suboptimalen Lösung». Auch FDP-Ratskollegin Yasmine Bourgeois erachtete den geplanten Bau namens ihrer Partei «aus architektonischen Gründen für zu wenig flexibel».

Das projektierte Schulhaus verfügt über bloss zwei Stockwerke und belegt deshalb das gesamte Areal, was einen Ausbau in die Breite verunmöglicht. Ausserdem hat es ein Glasdach, weshalb auch eine Erweiterung in die Höhe nicht möglich sein wird. Einziehen sollen fünfzehn Regelklassen und drei der Heilpädagogischen Schule. Das seien gemäss heutigen Prognosen acht bis zwölf zu wenig, rechnet Balz Bürgisser von den Grünen vor. Er und die meisten seiner Parteikollegen forderten im Stadtparlament eine Rückweisung des Geschäfts, das am Ende jedoch mit 100 gegen 10 Stimmen deutlich gutgeheissen wurde.

Damals wie heute geht es den Befürwortern darum, nicht noch mehr Zeit und Geld zu verschwenden angesichts des dringenden Schulraumbedarfs, der selbst mit Provisorien kaum zu decken wäre. Statt den Bau mit einer Rückweisung um Jahre zu verzögern, forderte der Gemeinderat den Stadtrat mit verbindlichen Vorstössen dazu auf, das benachbarte Schulhaus Utogrund durch einen Neubau zu ersetzen und den Schulraum im Schulkreis Letzi prioritär und ausreichend zu planen, indem man etwa das Schulhaus Untermoos erweitere.

Selbst die AL, die bereits 2012 eine priorisierte Planung eines Schulhauses in diesem Gebiet gefordert hatte und die Stadtzürcher Schulraumplanung immer wieder kritisiert, fügte sich: «Der Rückweisungsantrag kommt zwölf Jahre zu spät», hielt deren Gemeinderat Walter Angst fest, der die Planung ebenso wie Marcel Müller von der FDP als «Katastrophe» bezeichnete. Angst wies in der Ratsdebatte darauf hin, dass man die Diskussion bereits in der Gestaltungs- und Richtplanung hätte führen müssen. Die Stadt habe es versäumt, bei der Planung der Siedlung Freilager Vorgaben zur Schulraumplanung zu machen – dieselben Fehler seien hernach auch bei den Überbauungen des Koch-Areals und der Manegg unterlaufen.

«Voraussichtlich genügend gross»

Das Schulamt der Stadt Zürich bestreitet eine unglückliche Planung. Das Schulhaus Freilager sei am richtigen Ort und langfristig in der richtigen Grösse geplant, heisst es dort auf Anfrage. Es könne nur den Bedarf im unmittelbaren Einzugsgebiet und nicht jenen des gesamten Quartiers decken. Für diesen Perimeter sei das neue Schulhaus «voraussichtlich genügend gross», schreibt die zuständige Fachstelle Schulraumplanung. Auf dem Areal des neuen Schulhauses seien keine Pavillons geplant, widerlegt sie eine entsprechende Behauptung der Gegner. Es sei allerdings korrekt, dass die bestehenden und geplanten Pavillons auf dem Areal der Schulen Untermoos und Utogrund auch nach dem Bezug der Schule Freilager mindestens zum Teil weiterhin bestehen würden.

«Es wäre falsch, das ganze Wachstum im Schulkreis Letzi in der neuen Schule Freilager auffangen zu wollen», hält die Fachstelle fest. Dazu seien bauliche Massnahmen an den umliegenden Schulen notwendig. In den vergangenen Jahren seien Planungen und Projektierungen von Schulraum strikt entsprechend dem nachgewiesenen Bedarf erfolgt, heisst es bei den Planern. Anders sei dies noch 2004 beim Neubau des Schulhauses Birch in Zürich Nord gewesen, wo quasi auf Vorrat gebaut worden sei – was der Gemeinderat scharf kritisiert habe. «Aufgrund der gegenwärtigen politischen Diskussion wird nun wieder stärker versucht, bei Schulhausprojekten das maximal mögliche und sinnvolle Nutzungspotenzial der Bauparzelle auszureizen und nach Möglichkeit auch Reserven einzuplanen», schreibt die Fachstelle.

Ähnliche Probleme in Greencity erwartet

Das Schulamt weist darauf hin, wie diffizil die Schulraumplanung sei. Die entsprechenden Prognosen erstellt die zuständige Fachstelle in enger Zusammenarbeit mit Statistik Stadt Zürich für die kommenden acht Jahre; die strategische Planung erfolgt zwischen den Kreisschulbehörden und dem Hochbaudepartement. Insbesondere die stark ansteigende Geburtenrate und die abnehmende Wegzugsrate seien in diesem Ausmass nicht vorhersehbar gewesen. Auch die Bautätigkeit, die im Schulkreis Letzi in den nächsten Jahren erfolgen werde, sei in dieser Form nicht absehbar gewesen.

Was die Manegg betreffe, seien auf dem Areal Greencity ursprünglich fast ausschliesslich Dienstleistungen und Gewerbe geplant gewesen. Aufgrund der Entwicklung im Immobilienmarkt realisieren die privaten Bauträger nun aber viel weniger Dienstleistungsflächen. An deren Stelle werden Wohnungen gebaut. Deshalb wird es auch in Leimbach zusätzliche bauliche Massnahmen brauchen.
Steigender Bedarf auch an Betreuungsräumen

len. · Die steigenden Schülerzahlen und die damit verbundene Schulraumproblematik bleiben im Kanton nicht auf die Stadt Zürich beschränkt. Wie die Stadt Winterthur kürzlich mitgeteilt hat, rechnet sie für die kommenden 15 Jahre mit einem Zuwachs von 1800 Schulkindern. Das entspricht 90 zusätzlichen Klassen bis zum Schuljahr 2033/34. Die Zahl der vorschulpflichtigen Kinder hat in Winterthur bereits in den vergangenen 10 Jahren um 51 Prozent zugenommen.

Dank der Erstellung von Neu- und Pavillonbauten sowie einer optimierten Raumbelegung könne der Schulraumbedarf bis 2025 weitgehend gedeckt werden, schreibt das Winterthurer Departement Schule und Sport. Die jüngste Prognose veranlasse die Stadt dazu, bestehende Schulanlagen im Rahmen von Sanierungen zu erweitern und zusätzliche Neubauten ins Auge zu fassen.

Vor Herausforderungen stellt die Planer nicht nur der steigende Bedarf an zusätzlichen Unterrichtsräumen, sondern auch die wachsende Nachfrage nach schulergänzenden Betreuungsplätzen. So plant etwa die Stadt Zürich, bis 2025 sämtliche Schulen als Tagesschulen zu führen. Weil die Mehrheit der Kinder dann meist über Mittag an der Schule bleiben wird, braucht es mehr Räume, wo Mahlzeiten aufbereitet, gekocht und gegessen werden. Bereits jetzt wird über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler ausserhalb des Unterrichts betreut – mehr als doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren.

Auch Winterthur geht davon aus, dass die Betreuungsquote in der Prognoseperiode «aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen und der gewollten Förderung der Vereinbarkeit vom Familie und Beruf» weiter ansteigen wird, wie es in der entsprechenden Mitteilung heisst. Derzeit nutzen dort bereits heute 35,2 Prozent aller Primarschul- und Kindergartenkinder das Angebot der schulergänzenden Betreuung.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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