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Er fehlt, Foto: Markus Gohm
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Rudolf Wäger 1941-2019. Das letzte Interview im März 2019

11. Juni 2019 - Martina Pfeifer Steiner
Ein Pionier der Vorarlberger Baukünstlerszene ist nicht mehr. Rudolf Wäger ist am 20. April 2019 gestorben. Nichts Schöneres, als mit ihm über Architektur zu reden, seinen Betrachtungen zu folgen, über die Meilensteine, über die Arbeiten von KollegInnen, über seine Bauten. Er interessierte sich auch sehr für die Interviewreihe »nextroom fragt«, bei der die Architekturdatenbank nextroom.at im Zwei-Wochen-Rhythmus mit fünf konstanten Fragen Einblick in den Arbeitsalltag und die Bedingungen für Architektur gibt. Er sei ja noch nicht befragt worden, beanstandete er spaßeshalber. Das konnte natürlich umgehend berichtigt werden und es entstand das folgende Interview. Wer hätte sich gedacht, dass es sein letztes sein sollte.

In welchen Bürostrukturen hast Du gearbeitet?

Da muss ich umfassend werden, das geht gar nicht anders. Nach einigen Stationen als Zeichner, Bauleiter, dann wieder als Geselle in der Zimmerei und Zeichner von Fensterdetails bei einem Schreiner kam der erste Planungsauftrag von meiner Cousine. Ihr Vater war Dachdecker, das Haus in Götzis haben wir weitgehend auch selbst gebaut. Wir Brüder haben dann zu dritt mit Sigi das Haus von Heinz in Angriff genommen: Gemeinsam geplant und selbstverständlich ausgeführt, Säulen betoniert, Stahlträger, Betondecke, im oberen Stock innen Sichtmauerwerk, außen Holzverschalung. 1965 kam schon das Würfelhaus, auch am Grundstück unseres Vaters. Das habe ich in einem halben Jahr selbst aufgestellt, gelebt habe ich damals wohl vom aufgenommenen Kredit. 160.000 Schilling hat es gekostet. Naja, und dann ist es wirklich losgegangen mit dem Planen, gearbeitet habe ich am Esstisch, meistens abends, wenn die Kinder schon im Bett waren. Das war sozusagen meine erste Bürostruktur! Es folgte dann schon die Reihenhaussiedlung Ruhwiesen in Schlins, wo ich ein Arbeitszimmer in unserem Hausteil hatte. Die Intermezzi mit den gemeinsamen Büros mit meinem Bruder Sigi an den verschiedenen Standorten, möchte ich jetzt nicht einordnen. Jedenfalls bin ich nach zirka zehn Jahren mit eigenem Büro in meiner Wohnung in der Neustadt, Feldkirch, 1992 nach Satteins ins neu gebaute Atelier übersiedelt. In dieser Zeit hatte ich immer so vier bis fünf MitarbeiterInnen. In Satteins habe ich dann auch im Atelier gewohnt, bis ich 2010 noch einmal ein Haus gebaut habe, hier in Übersaxen.

Was inspiriert Dich?

Ich kann sagen was mich inspiriert hat. Am Anfang waren das die dänischen Häuser, in erster Linie von Arne Jacobsen oder die finnischen von Alvar Alto beispielsweise. Und selbstverständlich hat mich F. L. Wright und Le Corbusier inspiriert. Genauso Craig Ellwood, das ist ein super Amerikaner sowie das Ehepaar Ray und Charles Eames. Und logisch, wir haben Zeitungen angeschaut, sind gereist, haben viel gesehen was uns fasziniert hat!
Man muss sich nur die Kapelle Notre Dame du Haut de Ronchamp anschauen. Le Corbusier ist französisch-locker, das kann man so sagen: Einmal das schiffsförmige Dach, wie er dieses auf den Baukörper gesetzt hat! Man könnte denken, das kann sich doch niemand erlauben – aber es passt genauso wunderbar! Und dann die vielen komponierten kleinen Ausschnitte, mit den eingesetzten farbigen Gläsern, oder im hinteren Turm, über der Taufkapelle, wo im roten Schimmer das Licht seitlich hereinfällt, das ist nur einem Le Corbusier möglich gewesen. Oder wie er die Kirche vom Kloster Sainte-Marie-de-la-Tourette als sture Kiste hinsetzt, mit einem Deckel drauf und dann diesen Lichtschlitz belässt, auch wie sich die Altäre für die Übenden abgestuft hinunter ziehen, diese Lockerheit fasziniert mich.
Man sieht das auch bei seinen ganz normalen Häusern – ganz normale Häuser gibt es zwar bei Le Corbusier nicht – wie La Petite Maison für seine Eltern am Genfer See: allein bei den Nebenräumen, wie dort alles hineingebastelt ist, aber es stimmt perfekt. Die Villa Savoye ist vielleicht etwas stringenter, doch später ist er noch lockerer geworden, hat halt irgendwo eine Säule hingesetzt, wo er fand da braucht und will er sie, formal einwandfrei!
Eine ganz späte Geschichte ist der Ausstellungspavillon für die Kunstsammlerin Heidi Weber in Zürich, auf einem wunderschönen Grundstück am See. Unter die freistehende Dachkonstruktion aus Stahl stellt Le Corbusier modulare Ausstellungsräume mit Außenwänden aus emaillierten Metallplatten. Vor zwanzig, dreißig Jahren sind wir dorthin gepilgert. Nachdem es jahrelang geschlossen war, ist es jetzt renoviert und wiedereröffnet worden.
Beeindruckend sind für mich auch die Häuser von F. L. Wright. Zum Beispiel ein ganz interessantes Gebäude [Solar Hermicycle, Middleton, Wisconsin], das mit einem halbkreisförmigen Grundriss, wie eine Bananenform, sehr schön in die Landschaft eingefügt ist. Auf der Nordseite verschwindet es im aufgeschütteten Erdwall, nach Süden reichen die Glasflächen über beide Stockwerke, der Dachüberstand ist auf die Sonnen-Einstrahlungswinkel im Sommer wie Winter hin genau berechnet und die Galerie vor den Schlafzimmern wie ein Balkon von den Dachsparren abgehängt, damit das Erdgeschoß stützenlos bleibt. Die intensive Beschäftigung mit solchen Meilensteinen fasziniert mich nach wie vor.

Was begrenzt die Verwirklichung Deiner Visionen?

Der Bauherr zum Beispiel, mit seinen überzogenen Wünschen oder mit seinen festgefahrenen Vorstellungen. Und vor allem das Geld! Ja, mit einem Wort – die Realität. Wenn ich mich nicht locker über die Realität hinwegsetzen kann, dann ist es halt auch ein Hindernis, wenn ich darauf achten muss, dass jedes Detail sitzt, das Haus auch funktioniert und die Kosten eingehalten werden.

Worüber sollten ArchitektInnen reden, einen Diskurs anzetteln?

Über das Bauen! Den Jungen würde ich ganz dringend folgendes vorlesen: „Österreich ist Europameister im Bodenverbrauch. Täglich werden hierzulande knapp 13 Hektar Land mit Häusern, Straßen, Gewerbegebieten und Industriehallen verbaut, was der Größe von 18 Fußballfeldern entspricht.“ Das muss man sich einmal vorstellen! „Zielvorgabe der EU wären 2,5 Hektar pro Tag. Das heimische Straßennetz ist mit 15 Metern pro Kopf eines der dichtesten Europas. Zum Vergleich: Deutschland und die Schweiz bringen es mit acht Metern pro Kopf nur auf die Hälfte. Der Grund für das eifrige Bauen ist klar: Die Bevölkerung wächst in vielen Regionen, und die braucht Platz. Das passiert auch in anderen Staaten, wovon die meisten jedoch mit mehr raumplanerischem Weitblick ans Werk gehen. Hierzulande hingegen wird die Menge leerstehender Gebäude auf 40.000 Hektar geschätzt, das entspricht der Fläche der Stadt Wien. Dennoch ist es günstiger, einen Neubau auf die grüne Wiese zu stellen, als im Dorfkern einen Altbau zu sanieren. Bauland und Mieten sind im Gewerbegebiet billiger als in der Innenstadt. Zwischen Vorarlberg und dem Burgenland ist die Landschaft mit 150 Groß-Einkaufszentren und knapp 300 Fachmärkten zugepflastert. Die Bürgermeister reißen sich darum, denn sie spülen Kommunalsteuern in die Kassen. Warum überlässt die Regierung dieses äußerst wichtige Zukunftsthema Ländern und Gemeinden, die der Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen sind?“ Das ist ein Artikel der im Profil Nr. 3/50. Jahrgang/13. Jänner erschienen ist, mit dem Titel „Das leise Sterben: Wie unsere Tier- und Pflanzenwelt verschwindet“ und die Überschrift dieses Kapitels lautet „Betonland Österreich“. Es ist ja wirklich verrückt, was wir mit der Umwelt anstellen! Heute muss ich einen Tag lang aus dem Fenster schauen, damit ich zwei Vögel vorbei fliegen sehe! Genau das sind die Themen, über die ein Architekt nachdenken muss: über den Umweltschutz! Und man darf sich schon fragen, ob die Architektur im engeren Sinn noch so wichtig ist!

Auswahl der Bauwerke

Die fünfte Frage wäre, welches der Projekte hervorgehoben werden sollte. Aber das konnten wir uns definitiv schenken, in Anbetracht dessen, dass wir schon stunden- bzw. tagelang fokussiert auf die Monografie, die zu seinem 80. Geburtstag erscheinen wird, die Bauwerkeliste von über 120 Objekten ausführlich bearbeitet hatten. Es ist ein Privileg für den kleinen Kreis der Vertrauten, denen Rudolf Wäger erlaubt hat, sein Werk aufzuarbeiten, dass die gestundete Zeit noch genutzt werden durfte. Niemand konnte wissen, dass nur noch so wenig davon bleiben sollte, alle haben diese Zeit jedoch als unermesslich wertvoll geschätzt. Lassen wir den bekannten Architekturpublizisten Otto Kapfinger zum Schluss noch zu Wort kommen, der in seinem Nachruf schreibt: „Ein großes Buch, das sein Werk erstmals ganzheitlich darstellen soll, war im letzten Jahr unter seiner Mitwirkung schon im Werden. Er hat es nicht erlebt. Doch es wird einmal kommen – und uns dabei unterstützen, ja herausfordern, sein Vermächtnis, sein Ideal wieder zu verstehen, es weiterzutreiben, weiterzuleben.“
Der Text erschien in der Juni-Ausgabe von KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, http://www.kulturzeitschrift.at

Die Monografie „Rudolf Wäger“ erscheint im Februar 2021 bei Birkhäuser. Herausgeber: vai Vorarlberger Architektur Institut und Az W Architekturzentrum Wien, Autorinnen: Martina Pfeifer Steiner und Marina Hämmerle, Fotografien: Markus Gohm.

»nextroom fragt« ist das Format für die in der nextroom Architekturdatenbank vertretenen PlanerInnen und Planer, das Raum für eine übergeordnete Eigenpräsentation schafft. Fünf gleichbleibende Fragen laden ein, Einblicke in den Arbeitsalltag und die Bedingungen für Architektur zu geben - ungeachtet ob aus der Sicht junger oder arrivierter, großer oder kleiner Büros.

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Für den Beitrag verantwortlich: newroom

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

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