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Ideen für verwaiste Häuser im Waldviertel
Der Standard

Im südlichen Waldviertel macht man sich Gedanken, wie man Zuzügler anziehen und gleichzeitig leerstehende Gebäude mit neuem Leben füllen kann. FH-Forscher unterstützen bei der Ideenfindung.

25. September 2019 - Alois Pumhösel
Die Kinder sind längst in die Stadt gezogen. Nachdem ihre Eltern gestorben waren, ist das Haus, in dem sie die Kindheit verbracht hatten, leergestanden. Erinnerungen sind damit verbunden, dem längst erwachsenen Nachwuchs fällt ein Verkauf schwer. Zugleich kann er das Haus selbst kaum sinnvoll nutzen. Es bleibt also langfristig verwaist.

Für Doris Maurer ist das eine Geschichte, wie sie hinter vielen Leerständen im Waldviertel steht. Die Geschäftsführerin der Kleinregion Waldviertler Kernland und ihre Kollegen führten in den 14 Gemeinden im südlichen Waldviertel, die sich unter diesem Namen zusammengefunden haben, eine Erhebung durch. Sie ergab, dass insgesamt 332 Objekte leer, aber nur 60 davon zum Verkauf stehen. Weitere fast 300 werden von über 80-Jährigen bewohnt. „Wir haben eine negative Geburtenbilanz. Wir werden immer weniger“, sagt Maurer. „Deshalb fragen wir uns, wie wir das Zusammenleben in unserer Region gestalten können, um mehr Zuzügler anzuziehen.“

Als eine Organisation, die das Zusammenleben verbessern will, wandte sich das Waldviertler Kernland an die Fachhochschule St. Pölten. Am Ilse-Arlt-Institut für Soziale Inklusionsforschung sollte gemeinsam ein Prozess ins Rollen gebracht werden, der gleichzeitig zur Inklusion von Zuzüglern und zur Leerstandsreduktion beiträgt. „Der Gedanke dahinter ist, mithilfe einer partizipativen Forschungsmethode gemeinsam mit den Menschen, die hier wohnen, nach Lösungen zu suchen“, sagt Florian Zahorka, Projektmitarbeiter an der FH St. Pölten.

Scheu vor Zuzüglern

In der Kleinregion bemühte man sich um eine Ist-Analyse. „Die Ortskerne der Hauptorte in der Region sind noch eher gut bewohnt“, erläutert Maurer ein Ergebnis der Erkundung. „Die größten Probleme mit den Leerständen gibt es in kleinen Dörfern. Der soziale Zusammenhalt der Einwohner ist stark. Oft gibt es Hemmungen zu verkaufen, weil man Scheu vor neuen Mitbewohnern hat.“

Zweitwohnungsbesitzer sind ein eigenes Thema: Vor allem freistehende Gebäude werden schnell verkauft. 450 sind es im Waldviertler Kernland. Die Besitzer hätten laut der Regionsmanagerin aber oft „ein verklärtes Bild vom ländlichen Raum“. Es entstünden Konflikte, weil diese nicht verstünden, dass beispielsweise der Bauer auch am Wochenende auf dem Feld arbeiten müsse, oder weil der Schnee auf einer Zufahrt nicht geräumt werde. Auf der einen Seite verursachen sie der Gemeinde Kosten, auf der anderen Seite sind sie zu selten da, um wirtschaftlich etwas beizutragen und die Ortschaft zu beleben. „Sie fehlen auch im sozialen Leben“, sagt Maurer.

Man wollte im Projekt nicht von den Klagen der Bewohner, sondern von der positiven Seite des Landlebens ausgehen. Die Antworten bei einer entsprechenden Befragung waren vielfältig. Von der Ruhe in schönen Wäldern über das günstige Wohnen und das gute Verhältnis zu den Nachbarn bis zur guten Beschäftigungslage und zur Handwerksqualität der ansässigen Unternehmen war laut Zahorka alles dabei.

An der FH suchte man inzwischen unter anderem nach Best-Practice-Beispielen. Man sah sich die Leerstandsoffensive in deutschen Orten an, wo die Sache mit Dorfladenkonzepten, Wohnbörsen und einem Fokus auf den Ortskern angegangen wurde. In Leipzig wurde für Leerstände das Wächterhaus-Modell erprobt, bei dem Eigentümer Zwischennutzungen ihrer leerstehenden Gebäude zulassen und die Nutzer sich um die Instandhaltungsarbeiten kümmern.

Hitzeflüchtlinge aufnehmen

An die 80 Bürger aus den Gemeinden trafen schließlich zu einer Zukunftswerkstatt zusammen. In einem mehrstufigen partizipativen Prozess und in Anlehnung an Vorbilder aus anderen Ländern wurden Ideen für die Kleinregion gesammelt und konkretisiert. Zum Beispiel möchte man Städtern in den heißer werdenden Sommern „ein Bett im Waldviertel“ bieten: eine günstige, sanfte und niederschwellige Tourismusform, die die schnelle Flucht aus nichtklimatisierten Dachgeschoßwohnungen erleichtern soll. Mehr Leute würden so das Waldviertel kennenlernen. Zudem sollen mehr Fremdenverkehrsinitiativen – vom Konzert bis zur Genussmeile – etabliert werden. Abseits vom Tourismus sind Gemeinschaftsgärten ein wichtiges Thema, um Einheimische und Zuzügler zusammenzubringen.

Eines der resultierenden Projekte widmet sich der Vermittlung von Wohnraum. Anders als bei gewöhnlichen Immobilienbörsen soll hier aber dem Vertrauensaufbau zwischen Anbietern und Interessenten Rechnung getragen werden, erklärt Zahorka. „Die Börse soll auf die Leerstände im Waldviertel zugeschnitten sein. Beide Parteien sollen klarmachen können, welche Interessen es gibt und was man einbringen kann.“ Die Umsetzungen laufen noch bis Ende 2020. Spätestens dann wird sich zeigen, ob tatsächlich mehr Leben in die Waldviertler Gemeinden gekommen sein wird.

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