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Eine neue Ära im Wiener Wohnbau
Der Standard

15 Jahre war Pause, am Dienstag ist sie zu Ende: Dann werden in Oberlaa die ersten „neuen“ Gemeindewohnungen der Stadt Wien übergeben. Gebaut wird von der Stadt aber nicht mehr selbst. Sie lässt jetzt bauen.

Wer von der U1-Endstation Oberlaa nach Osten marschiert, steht nach wenigen Minuten vor einer neuen Wohnanlage. Auf den ersten Blick sieht sie nicht wesentlich anders aus als viele andere geförderte Neubauten in Wien. Bei genauerer Betrachtung überrascht an dem in sehr zartem Hellblau gehaltenen Bau aber doch die verspielte Anordnung der Fenster und der Umgang mit den Freiflächen: Balkone bis zum 3. Stock, darüber nur noch Loggien; dies sowie die beiden Einschnitte im vorderen, direkt an der Fontanastraße gelegenen Baukörper verleihen der Anlage den Anschein einer Burg.

Vielleicht ist das kein Zufall. „Arbeiterburgen“ wurden die Wiener Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit oft genannt. Vor 100 Jahren begann ihre – auch international vielbeachtete – Erfolgsgeschichte, die Stadt Wien ließ das heuer ordentlich feiern.

Dass der Erfolgsgeschichte seit 15 Jahren keine neuen Seiten hinzugefügt wurden, blieb dabei unerwähnt. Am 1. Mai 2004 war der bisher letzte Gemeindebau übergeben worden, 74 Einheiten in der Rößlergasse 15 in Liesing. Werner Faymann hatte als Wohnbaustadtrat ab 2000 das Bauprogramm auslaufen lassen, auch sein Nachfolger Michael Ludwig (beide SPÖ) war überzeugt davon, dass es besser sei, mit Geld der Stadt den gemeinnützigen Wohnbau zu unterstützen, als selbst zu bauen. Letzteres sei „unter den jetzigen gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen nicht sinnvoll“, sagte Ludwig noch 2014 dem STANDARD. Unter anderem wären für die Stadt als Auftraggeber europaweite Ausschreibungen nötig, die Nachverhandlungen ausschließen würden.

Das innerparteiliche Aufbegehren gegen diese Haltung wurde aber immer größer. 2015 dann der Knalleffekt: Bürgermeister Michael Häupl verkündete im anlaufenden Wiener Wahlkampf, dass wieder Gemeindewohnungen gebaut werden.

Und so wird sein Nachfolger Michael Ludwig nun am Dienstag die ersten „neuen“ Gemeindewohnungen in der Fontanastraße 3, auf der Liegenschaft der ehemaligen AUA-Zentrale, übergeben. Mit ihrer „Neuinterpretation der charakteristischen Wiener Blockrandbebauung“ hatten sich die NMPB Architekten im Wettbewerb durchgesetzt. Mit dem Bau setzt die Stadt der 2014 verstorbenen früheren Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ein Denkmal, ihr Name steht bereits in großen Lettern an der südseitigen Fassade. Darunter befindet sich die Beifügung „Wohnhaus der Gemeinde Wien, errichtet in den Jahren 2018–2019“. Auch diese Tradition der früheren Gemeindebauten wird hier also fortgesetzt.

Anders als bisher ist die Stadt aber nicht mehr direkte Eigentümerin der Wohnungen, sondern indirekt über eine Tochter- (bzw.: Enkel-)firma des stadteigenen Bauträgers Gesiba (51 Prozent) und der städtischen Gemeindebauverwaltung Wiener Wohnen (49 Prozent). Diese „Wiener Gemeindewohnungs Baugesellschaft“, kurz Wigeba, ist Bauherrin und Vermieterin, hat aber laut Firmenbuch keine eigenen Mitarbeiter. Operativ wickelte die Gesiba den Bau ab und verwaltet die Anlage auch.

Keine Eigenmittel, keine Kaution

Vermietet wird von Wiener Wohnen, als Inhaber eines „Wiener Wohn-Tickets“ (siehe Kasten) konnte man sich für eine der 120 Wohnungen bewerben. Die Miete ist bei 7,50 Euro brutto pro Quadratmeter gedeckelt, das war eine der Vorgaben der Stadt. Zu diesem Preis werden sie nun auch vergeben, versichert man bei Wiener Wohnen. Außerdem müssen Mieter keine Eigenmittel aufbringen, keine Kaution, und sie bekommen einen unbefristeten Mietvertrag.

Obwohl mehrheitliche Tochter des gemeinnützigen Bauträgers Gesiba, ist die Wigeba selbst keine gemeinnützige Gesellschaft. Rechtlich betrachtet handelt es sich bei den „neuen“ Gemeindewohnungen also um einen geförderten Wohnbau eines gewerblichen Bauträgers (die Stadt förderte mit 6,7 Millionen Euro). Die Wohnungen unterliegen damit nicht dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG), sondern „nur“ dem Mietrechtsgesetz (MRG) in der Teilanwendung (weil es ein Neubau ist).

Selbst Vertreter der Gemeinnützigen konstatieren der Stadt mit der komplizierten Konstruktion aber einen „pragmatischen Zugang“. Denn dass die Stadt, so wie früher, eine eigene Bauabteilung in Form eines „Riesenapparats“ aufbaut, hätte viel zu lange gedauert. So aber verfüge die Gemeinde mit der Wigeba über das jahrzehntelange Know-how der Gesiba und habe gleichzeitig ihren Einfluss auf die neuen Wohnbauten sichergestellt.

Die Bruttomiete von 7,50 Euro ist damit aber rein rechtlich betrachtet nur bis zum Ablauf der Förderung verpflichtend (meist nach 30 Jahren), danach wäre ein „angemessener“ Mietzins zulässig, also de facto Marktmiete. Ein Hinweis darauf findet sich auch im Muster-Mietvertrag der Wigeba.

Das heißt: Wie bei allen Nachkriegs-Gemeindebauten hängt es vom „Goodwill“ der amtierenden Stadtregierung ab, zu welchen Konditionen die Wohnungen vergeben werden. „Eine künftige Regierung könnte das jederzeit ändern“, darauf weist etwa AK-Wohnrechtsexperte Walter Rosifka hin. Wäre die Wigeba eine gemeinnützige Gesellschaft, wäre das ausgeschlossen.

Und auf noch etwas weist Rosifka hin: „Sämtliche ältere Gemeindewohnungen sind bei aktueller Neuvermietung teurer als die Fontanastraße.“ Seit 2012 vergibt die Stadt Gemeindewohnungen nämlich zum Wiener Richtwert von (aktuell) 5,81 Euro, mit Betriebskosten und Umsatzsteuer komme man jedenfalls auf rund 8,50 Euro.

Der Fontanastraße sollen aber ohnehin zahlreiche weitere „neue“ Gemeindebauten folgen, nämlich rund 3700. Bis die nächsten fertig werden, wird es aber dauern. In der Engerthstraße steht man kurz vor Baubeginn, es folgen Projekte in der Seestadt Aspern und am Handelskai.
Chronologier: Wiener Gemeindebau

Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte in Wien eine große Wohnungsnot. Das sozialdemokratisch regierte Wien wollte die Lebensumstände der Arbeiter mit gemeindeeigenen Wohnungen verbessern. Der erste Gemeindebau war der 1920 fertiggestellte Metzleinstaler Hof im 5. Wiener Gemeindebezirk. In der Zeit des Roten Wien entstanden 65.000 Gemeindewohnungen in großvolumigen Projekten. Mit der 1947 fertiggestellten Per-Albin-Hansson-Siedlung West wurde zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Wohnungsbau wieder aufgenommen. Der vorerst letzte Gemeindebau wurde 2004 im 23. Bezirk fertiggestellt. Danach zog sich die Stadt Wien aus der Bautätigkeit zurück. Insgesamt besitzt die Stadt Wien aktuell etwa 220.000 Wohnungen. Mit dem Barbara-Prammer-Hof kommen jetzt 120 weitere dazu.

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