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Otto Wagner und die Fotografie: Message control à la Wien um 1900
Spectrum

Jüngst entdeckte Fotografien aus dem Nachlass Otto Wagners zeigen den Pionier der modernen Architektur als klug kalkulierenden Medienstrategen. Zu sehen im „Photoinstitut Bonartes“, Wien.

21. Januar 2020 - Wolfgang Freitag
So einfach kann alles sein. Eines Tages, so die Fotohistorikerin Monika Faber, sei eine Frau bei ihr vor der Tür gestanden, eine Mappe in der Hand. Die stamme aus der Verlassenschaft ihrer kürzlich verstorbenen Mutter, einer Nachfahrin Otto Wagners, und müsse wiederum direkt aus dem Nachlass Wagners stammen. Der Inhalt: gut 80 Fotografien, die zu den erstaunlichsten – und wissenschaftlich wertvollsten – Entdeckungen der jüngeren Wagner-Geschichtsschreibung zählen. Eine illustrative Auswahl ist derzeit in den Ausstellungsräumen von Monika Fabers Photoinstitut Bonartes zu sehen.

Der Reihe nach. Dass Otto Wagner (1841–1918) als einer der bedeutendsten Pioniere der modernen Architektur anzusehen ist, sollte spätestens das Otto-Wagner-Jahr 2018 vermittelt haben. Kaum geläufig dagegen ist, dass sich seine Begeisterung für das Neue keineswegs auf seine Profession im engeren Sinn beschränkte, sondern sich nicht zuletzt auf die Vermittlung seiner Arbeiten erstreckte. Dazu schien ihm neben der Produktion bis heute ungebrochen faszinierender Präsentationszeichnungen insbesondere das rund um das Fin de Siècle noch vergleichsweise junge Medium Fotografie geeignet. Nicht dass Wagner damit allein gewesen wäre. Wie er allerdings Fotografie einsetzte, scheint jedenfalls für das Feld der Architektur ohnegleichen.
Eine gezielte Bildpolitik

Am auffallendsten womöglich die gezielte Bildpolitik, die er betrieb: Es geht ihm keineswegs um die pure, quasi objektive Abbildung der Objekte; ganz und gar subjektiv werden einzelne Details hervorgehoben, dann wieder nachgerade abenteuerliche Bildwinkel und Bildausschnitte gewählt, sei es, um das aus seiner Architektensicht Wichtige zu betonen, sei es, um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie ein Gebäude auf einen nur beiläufig vorbeieilenden Passanten wirken mag. Dass Wagner, wie man aus dem nun vorliegenden Bestand erstmals erkennen kann, sich nicht darauf verließ, es genüge, entsprechende Bildausschnitte vor der Reproduktion auf den Abzügen einzuzeichnen, dass er vielmehr Abzüge an den ihm richtig scheinenden Stellen kurzerhand in Stücke teilte, um nur ja keine Missverstände darüber aufkommen zu lassen, was genau er ins Bild gesetzt sehen wollte, ist aus heutiger Sicht mehr als erstaunlich: So etwas, bekennt Monika Faber, habe sie aus dieser Zeit noch nie gesehen. Message Control à la Wien um 1900.

Was Wagner von den meisten seiner Zeitgenossen unterscheide, sei sein „Sensorium für die gestalterischen Möglichkeiten“ der Fotografie im Architekturdiskurs, so Ausstellungskurator Andreas Nierhaus in der vorzüglich gestalteten Begleitpublikation, erschienen in der Fotohof-Edition. Wagner habe offenbar selbst immer wieder die Kamera zur Hand genommen. Andreas Nierhaus: „Dieser im Kontext der damaligen Architektur ungewöhnliche, wenn nicht singuläre Umstand wird durch Äußerungen Wagners untermauert, lässt sich aber zudem durch eine Reihe von Fotografien aus Wagners Besitz belegen, die sowohl Motive seiner Bauten als auch Familienmitglieder zeigen und offensichtlich von einem Amateur aufgenommen wurden.“ Solche Fotografien aus dem privaten Umfeld sind ein weiteres charakteristisches Instrument des Medienstrategen Wagner. Immer wieder greift er in seinen Publikationen auf Illustrationsmaterial aus seinen Wohnungen und Häusern zurück.

Typisches Beispiel: eine Fotografie, die seine Tochter Luise, malerisch an einen Brunnen drapiert, neben dem Gärtnerhaus seiner Hütteldorfer Villa zeigt – publiziert in dem von Wagner verfassten Standardwerk „Moderne Architektur“, dem ersten mit Fotografien ausgestatteten Buch in der Geschichte der Architekturtheorie. Oder: Blicke in das Billardzimmer mit seinem üppigen Interieur, an der Rückwand so gut wie lebensgroße Porträts von Wagner selbst und seiner tief angebeteten Frau Luise.

Blicke bis ins Badezimmer

Ja bis hinein in sein Badezimmer mit der nachmalig berühmt gewordenen gläsernen Wanne lässt Wagner die Leser seiner Publikationen schauen, freilich ohne jenen exhibitionistisch-voyeuristischen Aspekt, der heute Home Storys eigen ist, vielmehr, um am eigenen Beispiel Formen des aus seiner Sicht modernen Wohnens zu illustrieren.

Ganz anders auffällig mehrere auf Untersichten, konstruktive Merkmale fokussierte Aufnahmen von der für Wien fraglos prägendsten Leistung Wagners, des Stadtbahnbaus. Wie raffiniert sich da etwa das Zusammenspiel von mächtigen Steinpfeilern und fast schon fragil wirkenden Eisenstützen entlang der offenen Galerie an der heutigen U4-Station Schwedenplatz zeigt. Und wie bedrückend ist es, dass im Zuge des Umbaus der Stadtbahn zur U-Bahn in den 1970er-Jahren nichts davon erhalten blieb.

Erhalten haben sich, quer durch alle Irrungen der Geschichte, immerhin Otto Wagners Fotografien davon. Erhalten haben sie sich als singuläre Dokumente eines Gestaltungswillens, der im Bewusstsein um die eigene Genialität doch nie der Welt entrückt schien. „Artis sola domina necessitas“, die einzige Herrin der Kunst ist die Notwendigkeit, stand an Wagners Villa in Hütteldorf geschrieben und steht dort bis heute, da sie als Ernst-Fuchs-Villa die Anfechtungen der Zeit überstanden hat.

[ Ein Architekt als Medienstratege. Otto Wagner und die Fotografie: Photoinstitut Bonartes, Wiener Seilerstätte 22, bis 30. April; nur nach Voranmeldung unter info@bonartes.org, 01/236-02-93/40). ]

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