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Gut verhüllt ist halb bewahrt
Spectrum

Renovieren, sanieren, rekonstruieren: wie sich Glasgow und die Schotten für das kulturelle Erbe ihres großen Sohns Charles Rennie Mackintosh ins Zeug legen.

28. Februar 2020 - Karin Tschavgova
Dies sollte ein Artikel über die Transformation einer Stadt werden, die sich nach dem Wegfall lukrativer Handelsbeziehungen und dem Niedergang ihrer Industrie neu erfinden musste. Strukturwandel gelingt in Glasgow seit 1990 erfolgreich, als die Stadt zur sechsten Europäischen Kulturhauptstadt ernannt wurde; 1999 folgte die Adelung als City of Architecture and Design. Während das Feld der Dienstleistung neu ist, knüpft man mit der Kultur an die Zeit an, in der die Stadt am Fluss Clyde durch Schiffsbau, Baumwollindustrie und regen Handel mit den Kolonien zu einer der reichsten Städte der Welt aufstieg. Seit 1845 gab es eine Kunsthochschule, und Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Stadt zum kulturellen Zentrum selbstbewusster Künstler und Intellektueller, die sich zwar der europäischen Avantgarde jener Zeit nahe fühlten, aber einen eigenen Ausdruck fanden.

Einer aus der großen Gruppe von Designern und Künstlern des Glasgow Style war der Architekt Charles Rennie Mackintosh – der gleichermaßen interessiert an der „Arts & Crafts“-Bewegung des viktorianischen England war wie am Wiener Fin de Siècle, dem er auch durch eine Einladung zur Ausstellungsbeteiligung in der Sezession 1900 nahestand. Im heutigen Glasgow wird „Mack“ als großer Bürger der Stadt gesehen, und er ist omnipräsent, obwohl seine öffentlich zugänglichen Bauten hier und in der ländlichen Umgebung der Stadt wenige sind. Seine „Tea Rooms“ und die einzige öffentlich zugängliche Villa, das „Hill House“, eignen sich als touristische Hotspots, und doch wird spätestens, wenn man die dramatisch-tragische Geschichte der zweimal durch Brand verlorenen „Glasgow School of Art“ hört, deutlich, dass seine Bedeutung weit darüber hinausweist.

Heute prägt Mackintosh nationale Identität. Seine Bauwerke, die er fast alle gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Margaret Macdonald, ausstattete, stehen im Mittelpunkt eines lebendig und umfassend geführten Diskurses über das Wie der Erhaltung und Pflege nationalen Kulturerbes. Das wird schon augenscheinlich, wenn man sich dem „Hill House“ nähert. Die ländliche Idylle Helensburgh am Fjord des Clyde wurde zur idealen Sommerfrische für reiche Händler und Industrielle, und auch der Verleger Walter Blackie beauftragte Mackintosh 1902, dort ein geräumiges Domizil für seine siebenköpfige Familie zu planen. Kunstsinnige Nachfolger konnten das Gesamtkunstwerk „Hill House“ wegen der enormen laufenden Kosten nicht halten, sodass es zweimal samt Mobiliar auf den Markt kam.

Heute ist es im Besitz des National Trust for Scotland (NTS), der es wiederum nur mit der großzügigen Unterstützung des National Heritage Memorial Fund kaufen konnte. Macintosh hatte einen neuen Putz auf Basis von Portlandzement, der resistenter gegen Risse und Wasser sein sollte, verwendet, um auf Blechabdeckungen an der flächigen, ornamentlosen Fassade verzichten zu können. Das erwies sich als fatal, weil die Feuchtigkeit, die im Laufe der Zeit doch eindringen konnte, den Sandstein „wie Aspirin im Wasser“ aufzulösen beginnt, so der Präsident des NTS. Es galt also, rasch erste Schutzmaßnahmen zu treffen, um Zeit zu gewinnen für die Entwicklung der besten Lösung für eine nachhaltige Restaurierung. So entstand die „Hill House Box“ als temporäre Einhausung. Über eine riesige Stahlrahmenkonstruktion spannen sich ein Dach und eine transparente Struktur aus Millionen von Metallringen, die zu einer Art Kettenhemd verbunden wurden – eine atmungsaktive Hülle als Regenschutz, die dem Gebäude seine Sichtbarkeit und es langsam austrocknen lässt. Für Besucher, die alle Räume weiterhin betreten können, bleibt der Blick in die Landschaft uneingeschränkt. Darüber hinaus hat man nun auch die Möglichkeit, das „Hill House“ über Treppen, Stege und Brücken bis hoch über seine Dächer hinaus zu erleben und eine völlig neue Perspektive zu erhalten. Haben die Wohnräume nichts Museales und wirken so belebt, als hätten sie seine Bewohner gestern verlassen, so gleicht das Haus nun als Ganzes innerhalb der luftigen Hülle einem besonderen Artefakt, das man im Museum an zentraler Stelle platziert, um es von allen Seiten betrachten zu können.

Das ist ebenso spannend wie einmalig, doch vom offenen Umgang mit der Restaurierung lässt sich einiges ableiten und auch lernen. Die Konservierung des „Hill House“ ist eine nationale Anstrengung und soll ein Prozess sein, bei dem die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen wird. Mehr noch, zum „Wie“ der Erhaltung soll eine Art öffentliches Gespräch geführt werden. Das ist klug, denn Akzeptanz und Identifikation kann nur gelingen, wenn man sich als Teil eines Vorhabens sieht. Und es hält die kollektive Erinnerung lebendig. Fragen danach, wie viel im Original wiederhergestellt und was abgeändert werden kann oder darf, wurden auch bei Mackintoshs „Willow Tea Rooms“ in Glasgow gestellt, wo Umbauten und die Entfernung des Mobiliars das Haus verkommen hatten lassen. Letztendlich entschied man sich, das Objekt nach Plänen, Fotos und Farbstudien so originaltreu wie möglich zu rekonstruieren, was mit unvorstellbar großem handwerklichem Aufwand und finanziellem Einsatz auch gelang. Ein eigener Verein wurde gegründet, und Unterstützung kam von vielen Seiten, selbst von der Nationalen Lotterie. Zum 150. Geburtstag des Architekten wurden 2018 die „Tea Rooms“ als Sozialunternehmen wiedereröffnet. Man serviert wie einst Tee oder Dinner und erklärt in einer Führung, warum die „Willow Tea Rooms“ heute eine Wiederherstellung und keine Replik sind. Eine solche wäre die „Glasgow School of Art“, von der nach den beiden verheerenden Bränden nicht viel mehr als Mauerreste erhalten blieben. Trotzdem entstand der Ruf nach einem erneuten Wiederaufbau.

Befürworter und Gegner befeuern täglich einen Diskurs, bei dem es um das Wie eines solchen Mammut-Unterfangens geht. Sein Ausgang ist noch offen. Was bereits ablesbar ist: Pflege und Erhaltung des gebauten Erbes scheinen viel stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert als hierzulande. Offensichtlich werden sie als nationale Aufgabe gesehen, die den Staat, private Spender und die Mitsprache von Bürgern brauchen. Das fand ich jüngst in Glasgow so außergewöhnlich, dass dies ein Beitrag über Bewahrung wurde und nicht über Veränderung. Oder einer über Transformation durch Bewahrung – oder umgekehrt?

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