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Ein gigantisches Städtebauprojekt nimmt langsam Form an: Die Privatbank Pictet gönnt sich in Genf für Hunderte Millionen Franken einen neuen Hauptsitz
Neue Zürcher Zeitung

Ein ganzer Stadtteil von Genf wird in den nächsten Jahrzehnten umgepflügt. Nun ist bekannt, wer das vorübergehend höchste Gebäude der Stadt bauen darf.

23. Juni 2020
Die Gewinner wussten seit Februar Bescheid. Dann verschob die Corona-Krise plötzlich alle Termine – und sie mussten monatelang Schweigen bewahren. Am Dienstag wurde die Katze für sie nun endlich auch öffentlich aus dem Sack gelassen: Das Genfer Architekturbüro Designlab-architecture (dl-a) darf den neuen Hauptsitz der Privatbank Pictet gestalten, eines der zentralen Projekte des Genfer Städtebauvorhabens namens PAV.

Es handelt sich dabei nicht um eines jener urbanistischen Projekte, wie es sie in jeder Stadt gibt. Alleine schon die Dimensionen sind eindrücklich: Der Perimeter, auf dem bis 2050 12 400 Wohnungen und 6200 Arbeitsplätze entstehen sollen, erstreckt sich über drei zentrale Stadtquartiere (Praille, Acacias und Vernets, was dem «PAV» den akronymischen Namen gegeben hat). Überträgt man die Fläche von 230 Hektaren auf Zürich, umfasst sie ein Gebiet vom Bürkliplatz bis zum Letten. Manche sprechen deshalb gar vom grössten Städtebauvorhaben Europas, wobei im Umgang mit Superlativen Zurückhaltung angebracht ist. Klar ist: Der PAV wird das Gesicht der zweitgrössten Stadt der Schweiz massgeblich und langfristig verändern.

Wo in der Vergangenheit und teilweise noch heute Industriebetriebe beheimatet waren, sollen in den nächsten Jahrzehnten Grünflächen und Begegnungszonen entstehen. Sogar die beiden Flüsse, die derzeit in unterirdischen Kanälen geführt sind, werden an die Oberfläche geholt. Insgesamt geht es in der Stadt, in der die Bodenpreise zu den teuersten der Schweiz gehören, aber naturgemäss um Verdichtung – obwohl Genf bereits heute die landesweit höchste Bevölkerungsdichte aufweist. Dies soll in erster Linie durch die massiv höheren Gebäude geschehen.

Es geht noch höher

Noch ist das neue Stadtviertel aber erst in Ansätzen erkennbar, etwa rund um den Bahnhof Lancy-Pont-Rouge – eine Haltestelle der eben erst eingeweihten grenzüberschreitenden S-Bahn «Léman Express», wo bereits mehrere Bürotürme in den Himmel ragen. Im Herbst dürften die Bagger für die Grossüberbauung auf dem Areal der ehemaligen Militärkaserne auffahren. Alleine dort sollen 1500 Wohnungen entstehen. Und nun kennt man also auch die Details des neuen Pictet-Hauptsitzes – oder zumindest einige.

Unklar ist zum Beispiel, wie teuer der Neubau wird. Renaud de Planta, Senior-Teilhaber der traditionsreichen Privatbank, sprach anlässlich der feierlichen Enthüllungsveranstaltung vom «kostpieligsten Projekt der Firmengeschichte». Konkreter wollte er auf Nachfrage nicht werden. Eine Einordnung ist dennoch möglich: Der jetzige Hauptsitz hat gegen 400 Millionen Franken gekostet – mindestens so viel wird es also sein.

Die Dimensionen hingegen stehen fest. Der Neubau, in dem neben 2500 Arbeitsplätzen auch hundert Wohnungen entstehen sollen, wird mit seinen 90 Metern zumindest vorübergehend zum höchsten Gebäude Genfs. Später sollen, nur einen Steinwurf entfernt und natürlich innerhalb des PAV-Perimeters, Bürotürme von bis zu 175 Metern Höhe gebaut werden. Diese wären damit nur wenig niedriger als die Roche-Türme, die derzeit höchsten Gebäude der Schweiz.

Adieu, Genf von gestern

Die Baubewilligung soll bereits im kommenden Frühling vorliegen, der Baubeginn ist für Herbst 2021 geplant. Die Einweihung schliesslich soll 2025 erfolgen. Teilhaber de Planta wie auch das siegreiche Architekturbüro geben sich überzeugt, den Termin trotz möglichen juristischen und logistischen Unwägbarkeiten einhalten zu können. Dass das Hochhaus in der internationalen Architekturszene grosse Wellen schlagen wird, ist angesichts der verhältnismässig klassischen Struktur freilich kaum zu erwarten. Kritische Stimmen sagen gar, dass in Genf kaum mehr grosse Würfe von weltweit bekannten (Star-)Architekten möglich sind.

Pictet kann am neuen Hauptsitz nicht nur Tausenden von Mitarbeitern ein modernes und gemäss Eigenangaben nachhaltiges Arbeits-Ambiente bieten. Der neue «Campus Pictet de Rochemont», benannt nach dem historisch bedeutsamen Diplomaten und Visionär Charles Pictet de Rochemont, ist für die Privatbank auch ein Bekenntnis zur Stadt Genf. Gemäss de Planta gab es nie konkrete Pläne für einen Wegzug, der Bankenplatz Genf stehe aber in Konkurrenz mit internationalen Finanzmetropolen wie London, New York oder asiatischen Städten. Mit weisen politischen Voten habe auch die Genfer Bevölkerung zum Standortentscheid beigetragen.

Um salbungsvolle Worte war auch Genfs Regierungspräsident Antonio Hodgers in seiner kurzen Ansprache nicht verlegen. Mit dem neuen Büroturm und dem ganzen Areal gehöre das «gestrige Genf», das ein Dorf bleiben wolle, definitiv der Vergangenheit an. Die Stadt müsse nunmehr damit umzugehen wissen, eine Metropole in einem Ballungsraum von einer Million Einwohnern zu sein, so Hodgers.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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