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Schieflage beim Wohnbau
Der Standard

Der geförderte Wohnbau, auf den die Stadt Wien so stolz ist, verliert stark an Bedeutung, teure freifinanzierte Mietwohnungen beherrschen den Neubau. Auch undurchschaubare Fördermodelle machen es manchen Mietern schwer.

8. Oktober 2020 - Martin Putschögl
Vierzehn Euro netto pro Quadratmeter und Monat: Was klingt wie ein Wohnungsinserat aus München oder Hamburg, ist auch in Wien immer öfter Realität. Denn in der Stadt, die so oft als weltweites Vorbild in der Vermeidung ausufernder Mieten gilt, ist in den vergangenen Jahren etwas aus dem Ruder gelaufen. Investoren steigen sich auf die Zehen, freifinanziert errichtete Wohnanlagen werden den Bauträgern schon beim Spatenstich aus der Hand gerissen, landen später in Fonds und fallen nie mehr unter irgendeinen Preisdeckel.

An Letzterem ist die Stadt am wenigsten schuld. Das Mietrecht ist ein Bundesgesetz; dass im freifinanzierten Neubau keine Mietobergrenzen gelten, und zwar dauerhaft, würde die SPÖ seit langem gerne ändern. Bei diesem Punkt lehnte sich Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) bei allen Wahlduellen der letzten Wochen deshalb entspannt zurück.

Dass im höherpreisigen Segment dermaßen viel produziert wird, wäre halb so schlimm, würde der geförderte Wohnbau damit Schritt halten. Dann könnte der im Wahlkampf oft gehörte Ausspruch Ludwigs, dass „60 Prozent der Wienerinnen und Wiener im geförderten Wohnbau leben“, auch weiterhin stimmen.

Doch die Anzahl der Förderzusicherungen, also der „auf den Weg gebrachten“ geförderten Wohnungen, sank im Vorjahr sogar auf nur noch etwas mehr als 5000 Einheiten. Damit geht die Schere zwischen gefördert und freifinanziert immer weiter auf (siehe Grafik). Wie Wohnbauforscher Wolfgang Amann erst kürzlich wieder dokumentierte, gehen nämlich auch in Wien (wie in anderen Bundesländern) die Ausgaben für Wohnbauförderung immer weiter zurück. 2019 lag man in der Bundeshauptstadt mit 399 Millionen Euro (für Neubau, Sanierung und Wohnbeihilfen) um 24 Prozent unter dem zehnjährigen Schnitt.

Zu viel oder zu wenig?

Dadurch entstand die paradoxe Situation, dass manche professionellen Beobachter wie Amann oder auch Vertreter der Immobilienbranche schon vor Überproduktion samt negativen Begleiterscheinungen (Leerstand) warnen – und dass sich Ludwig andererseits von der Opposition vorwerfen lassen muss, nicht für genug neue Wohnungen zu sorgen.

Allerdings hat er sich die Latte selbst hochgelegt. 2016 hat Ludwig – noch als Wohnbaustadtrat – angekündigt, die gesamte Neubauleistung auf jährlich 13.000 anheben zu wollen, im geförderten Bereich von 7000 auf 9000. Ersteres ist gelungen; für heuer wird ein sehr hoher Wert von 19.000 Baubewilligungen erwartet, 2021 dürfte es auf 13.000 zurückgehen. Die Förderzusicherungen übersprangen in den letzten zehn Jahren aber nur einmal die 9000er-Marke, nämlich schon 2014. Dies, obwohl seit 2013 auch die Wohnbauinitiative zur Wohnbauförderung dazugezählt wird. Die Idee dafür hatte man 2011, als es sehr wenige Förderzusicherungen gab. Mit dem Sonderprogramm wurden günstige Darlehen und günstige Grundstücke an Bauträger vergeben. Dauerhaft sozial gebunden sind die damit finanzierten Wohnungen aber nicht: Kommt es zehn Jahre nach Erstbezug zu einem Mieterwechsel, darf Marktmiete verlangt werden. Viele dieser Häuser sind mittlerweile auch bei Immobilienfonds gelandet.

Dauerhaft preisgedeckelt sind im Übrigen auch viele andere geförderte Mietwohnungen nicht: Wien vergibt seit den 1990er-Jahren Wohnbauförderung nicht nur an gemeinnützige, sondern auch an gewerbliche Bauträger. Diese sind aber nur für die Dauer der Förderung – maximal 25 Jahre – an die Vorgaben der Wohnbauförderung gebunden, später sind de facto Marktmieten möglich. Bei manchen Mietern kam es hier schon zu einem bösen Erwachen oder zumindest großer Verwirrung: Sie dachten, bei einer Genossenschaft zu mieten, dabei handelte es sich um einen geförderten Wohnbau eines gewerblichen Bauträgers. Zwei solcher Fälle wurden kürzlich an den Standard herangetragen, die Betroffenen wollen aber (noch) anonym bleiben. Rechtsstreitigkeiten mit Bauträgern zeichnen sich ab, wobei es teilweise auch um die Frage geht, ob eine Kaufoption besteht oder nicht. Auch die Arbeiterkammer überlegt derzeit Musterprozesse, sie will den Status der Wohnbauinitiativen-Wohnungen klären.

Wien baut nun zwar auch wieder selbst Gemeindewohnungen. Das 2015 gestartete Programm geht aber – wie berichtet – einerseits schleppend vonstatten, andererseits sind die 4300 Wohneinheiten, die bis 2033 auf Schiene sind, nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Fraglich also, ob Ludwig auch in ein paar Jahren noch wird sagen können, dass die Mehrheit der Wienerinnen und Wiener im geförderten Wohnbau lebt.

Streng genommen tun sie das auch jetzt schon nicht. 220.000 Gemeindewohnungen und knapp 200.000 geförderte Mietwohnungen ergeben 44 Prozent des Bestands an Hauptwohnsitzwohnungen. Um auf die 60 Prozent zu kommen, werden auch die gefördert sanierten privaten Zinshäuser mitgezählt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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