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Über den Siegeszug des Kraftfahrzeugs im Städtischen
Spectrum

Wo sich Senta Berger und Peter Alexander trafen: In den Sechzigerjahren avancierte eine Parkgarage der Wiener City zum Multifunktionsort. Waschanlage, Restaurant und ein Büro für Theaterkarten: Was will das Automobilistenherz mehr?

27. Oktober 2020 - Peter Payer
Die aktuelle Diskussion über die Autofreiheit der Wiener City hat es einmal mehr gezeigt: Die automobile Fortbewegung in der Großstadt ist ein Thema von höchster Emotionalität. Wir erleben – und das nicht erst seit heute – eine teils heftige Auseinandersetzung um die Vorherrschaft auf der Straße; um die Nutzung jenes öffentlichen Raumes, der allen Stadtbewohnern gehören sollte. Mitsprache bei seiner Aufteilung und – falls notwendig – Neuordnung sollte selbstverständlich sein. War und ist es bis heute keinesfalls.

Angespornt von der Sehnsucht nach individueller Mobilität startete das Auto Anfang des 20. Jahrhunderts seinen urbanen Siegeszug. Nebenwirkungen wie Lärm, Gestank und steigende Unfallzahlen wurden verdrängt beziehungsweise technisch zu lösen versucht, auch die Raumfrage begann man zu regeln.

Nicht nur beim Fahren, auch beim Abstellen benötigte das Auto Platz – und dieser musste erst geschaffen werden. Peu à peu entwickelte sich aus ehemaligen Stallungen für Pferde und Fuhrwerke die Garage. Als Ort, an dem das Fahrzeug nachts und während der kalten Jahreszeit, in der es meist nicht benützt wurde, stehen konnte; und wo es umfassend serviciert, aufgetankt und nicht zuletzt, da teures Luxusobjekt, gut bewacht wurde.

In den Städten entstand rasch eine entsprechende Garagen-Infrastruktur. Zunächst im privaten Bereich als Adaption bereits vorhandener Räumlichkeiten, in der Folge immer öfter als eigenständige Architektur und öffentlich zu nutzendes Gebäude. Aus Platzgründen begann man bald von ebenerdigen Einzel- und Sammelgaragen abzusehen und, ähnlich wie im Wohn- und Bürobau, in die Höhe zu expandieren. Die Vorbilder dazu kamen aus den damals am stärksten motorisierten Ländern USA, Großbritannien und Frankreich. London (1901), New York (1906) und Chicago (1907) waren die diesbezüglichen Pionierstädte; auf dem europäischen Kontinent war es Paris, wo 1907 die Garage Ponthieu als erstes mehrgeschoßiges Parkhaus seine Tore öffnete.

In Wien, wo die Verbreitung des Autos vergleichsweise langsam vor sich ging – Ende des Jahres 1910 zählte man bescheidene 2545 Fahrzeuge –, sollte es noch einige Zeit dauern. Erst 1918, unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, tauchten konkretere Pläne dafür auf: Unter dem Eindruck der verheerenden Spanischen Grippe forcierte die Vereinigung der Ärzte den Bau einer „Aerztlichen Zentralgarage“ im achten Bezirk, Trautsongasse 4, in der ehemaligen Reitschule des Palais Auersperg. Ziel war es, eine Sammelgarage für Ärzte zu errichten. Mit den bereitgestellten Wagen sollten sie im Notfall raschest ihre Dienste antreten können. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten ging die Anlage allerdings erst im Sommer 1920 in Vollbetrieb.

Garagengründungsfieber

Drei Jahre später wurde sie von Cesar Karrer, einem erfahrenen Techniker und Garagenfachmann, übernommen, baulich adaptiert und in Astoria-Garage umbenannt. Karrer avancierte zum Pionier des Wiener Garagenwesens. Er hatte ein Maschinenbaustudium an der Technischen Universität absolviert und sich im Ersten Weltkrieg erfolgreich bei automobiltechnischen Versuchen engagiert. In den 1920er-Jahren festigte er seinen Ruf als umtriebiger Autoexperte. Im September 1928 gelang es ihm, aus dem „Verband der Garagenbesitzer Wiens“ eine Genossenschaft zu formieren. In der dazugehörigen Fachzeitschrift „Die Garage“ debattierte man unter seiner Chefredaktion sämtliche Belange des neuen Berufsstandes: rechtliche und technische Aspekte, behördliche Vorschriften, Mitgliederanwerbung . . .

Denn die Stadt war in den vergangenen Jahren von einem „Garagengründungsfieber“ erfasst worden. So zählte man im Jahr 1931 bereits 440 Garagen in Wien, fünf Jahre später waren es 520. Im internationalen Vergleich eine extrem hohe Dichte, auch angesichts des nach wie vor bescheidenen Motorisierungsgrades. Interessant ist die räumliche Verteilung der Garagen, die sich deutlich auf die noch weniger dicht verbauten Bezirke konzentrierten, den 3., 10., 16. und 17. Bezirk mit jeweils über 30 Betriebsstätten. In der Innenstadt hingegen gab es erst fünf Garagen. Es herrschte ein deutliches Überangebot, viele Investoren verkalkulierten sich. Früher errichtete man Kinos, klagte man in der Mitgliederzeitschrift, „jetzt baut man Garagen“. Und das nicht immer behördlich genehmigt. Mit scharfen Worten zogen Karrer und Co. über die „Schwarzgaragen“ her und über illegale „Garagenspelunken“, die schnell irgendwo eingerichtet würden.

Dass immer öfter die Straße als Garage herangezogen wurde, war den offiziellen Garagenbetreibern ebenfalls ein Dorn im Auge. Lautstark argumentierten sie gegen den „Unfug der Straßengaragierung“ und führten die damit verbundene Verunstaltung des Stadtbildes und die zunehmende Behinderung des Verkehrsgeschehens ins Treffen. Letztlich sollte es noch bis 1937 dauern, ehe eine umfassende und eindeutige gesetzliche „Verordnung über das Halten von Räumen zur Einstellung von Kraftfahrzeugen“ erlassen wurde.

Die Namensgebung der Garagen folgte einem ähnlichen Muster wie bei den Kinos: Am häufigsten bezogen sie sich auf ihre Lage im Stadtgebiet (Pratersterngarage, Elterleingarage, Servitengarage, Operngarage), bisweilen auch auf die Besitzer (Seidl-Garage, Garage Niesner, Garage Hajos). In einigen Fällen entstanden auch, dem damaligen Kundenkreis entsprechend, exklusive Bezeichnungen (Astoria-Garage, Elite-Garage). Hotels boten eigene Stellplätze an und warben damit: „Garage mit Boxes direkt im Hause“, hieß es etwa auf einer Reklamekarte des Hotel Bellevue.

Längst hatte auch die Tourismuswirtschaft die steigende Bedeutung des Garagierungsgewerbes erkannt. Immer mehr Fremde reisten mit dem Automobil an und suchten eine adäquate urbane Infrastruktur. Für Wien eine weniger quantitative als qualitative Herausforderung, wie man 1934 konstatierte. Galt es doch zu berücksichtigen, „dass der weitaus größte Teil der Autoreisenden aus Ländern kommt, deren Kraftwagenverkehr auf einer weitaus höheren Stufe steht als bei uns und die deshalb auch bedeutend höhere Ansprüche an Garage und Servicestation stellen“.

In Tageszeitungen und Fachzeitschriften intensivierten sich einschlägige Diskussionen. Immer öfter erschienen Berichte von sogenannten Hoch- und Turmgaragen, die nach amerikanischem Vorbild nun in Europa entstanden: in Berlin (für insgesamt 300 Kraftfahrzeuge) oder in Leipzig, Halle oder Chemnitz. Vor allem in den dichtverbauten Zentren der Großstädte schien der Weg in die Höhe der einzig mögliche. „Wien amerikanisiert sich, langsam zwar, aber doch“, hieß es in der österreichischen Hauptstadt. Man konnte von „Wolkenkratzer-Garagen“ lesen und von Überlegungen für eine neue Großgarage.

Es war Cesar Karrer selbst, der seine Astoria nach eigenen Plänen und jenen von Franz Mörtinger jun. umbauen ließ. Eine Turmgarage mit sechs Etagen, einer wendelförmigen Rampenauffahrt und einer mittigen großen Glaskuppel entstand. Mit rund 400 Stellplätzen die größte Garage Wiens und Österreichs und auch europaweit damals eine der größten ihrer Art. Die Ausstattung entsprach dem technischen Stand der Zeit: Reparaturwerkstätte, Tankstelle, Waschanlage, Aufzug für die Autobesitzer. Von der Straße aus bequem erreichbar, wie die „Kleine Volkszeitung“ im Juni 1939 berichtete: „Ja, es ist in der Tat so, dass das in die Garage einfahrende Auto einfach von der Straße weg in eines der Stockwerke dirigiert wird. Ueber schön angelegte Serpentinen fahren die Autos hoch und stellen sich im ersten Stock genau so in Reih und Glied auf wie im letzten Stock.“ Euphorisch sprach man von einem „Hochhaus für die Kraftfahrzeuge“ und „einer Stadt der Autos für sich“. Nach dem Zweiten Weltkrieg, mit Wiederaufbau und Wirtschaftsaufschwung, begann auch in Wien das Zeitalter der Massenmotorisierung. Allein zwischen 1950 und 1970 erhöhte sich die Anzahl der Kraftfahrzeuge von rund 60.000 auf beachtliche 415.000. Das Leitbild der autogerechten Stadt begann sich zu etablieren, die Nachfrage nach verfügbarem Parkraum verschärfte sich. 1957 wurde ein neues Wiener Garagengesetz erlassen, wenngleich das Abstellen des privaten Fahrzeugs im öffentlichen Raum längst Usus war und entscheidend dazu beitrug, dass die Straße zum monofunktionalen Verkehrsraum mutierte.

Hostessen auf Rollschuhen

Der Garagennot wurde zunächst mit bewährten Konzepten begegnet. Am Neuen Markt entstand nach Plänen von Karl Schwanzer eine spektakuläre Hochgarage mit vier Autoaufzügen, sodass die Wagenlenker sich nicht über Rampen emporzuwinden brauchten. Immer öfter ging man nun, vor allem in der Innenstadt, in die Tiefe. So wurde im September 1962 die Votivpark-Garage mit 600 Stellplätzen eröffnet, ein für Wien völlig neuartiger multifunktionaler Autoabstellplatz. Hostessen in weinroten Uniformen wiesen die Parkenden auf Rollschuhen ein. Neben obligater Tankstelle, Waschanlage und Reparaturwerkstätte gab es einen Drive-in-Schalter für Bankgeschäfte, ein Büro für Theaterkarten und ein Restaurant, in dem man bei Opernmusik dinieren konnte. Später in eine Bar umgebaut, avancierte das unterirdische Lokal zum Treffpunkt der damaligen Prominenz, von Peter Alexander und Senta Berger bis zu Peter Rapp und Fritz Muliar.

Zwei Jahr später eröffnete Am Hof eine weitere Tiefgarage mit 500 Stellplätzen, zahlreiche weitere folgten. Auch ökonomisch wurde das Garagenwesen auf neue Beine gestellt. Die kommunale Wipark, 1960 gegründet, entwickelte sich zum führenden Garagenbetreiber der Stadt. In ihrer Obhut befinden sich heute rund 25.000 Stellplätze. Nicht wenige davon im ersten Bezirk, der mit seinem hohen Anteil an Tiefgaragen einlädt, über eine Zukunftsvision nachzudenken: die Utopie nämlich, dass parkende Autos weitgehend von der Oberfläche verschwinden und – endlich – wieder Platz für Menschen machen. Städtebaulich, sozial und ökologisch eigentlich die einzig sinnvolle Lösung für das so raumdominante Verkehrsmittel Auto.

Voraussetzung dafür wäre zu erkennen, wie sich unser Verhältnis zum Automobil historisch entwickelte, es sich verfestigte und vielleicht wieder lockern ließe. Ein Besuch der heute noch bestehenden, denkmalgeschützten Astoria-Garage könnte zur Bewusstseinsbildung beitragen; oder ein Blick in die Votivpark-Garage, in der das renommierte Künstlerduo Krüger & Pardeller vor einiger Zeit eine spannende Inszenierung zur Geschichte des urbanen Parkens realisierte. Ansicht empfehlenswert, mit oder ohne Auto!

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