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Baukünstler, Forscher und Computerpionier
Neue Zürcher Zeitung

Der Ingenieur Heinz Hossdorf in einer Ausstellung in Ennenda

5. Juni 1999 - Verena M. Schindler
Die Bedeutung des Basler Ingenieurs Heinz Hossdorf für das architektonische Geschehen der fünfziger bis siebziger Jahre ist erst jüngst erkannt worden. Eine Werkschau im Museum für Ingenieurbaukunst im glarnerischen Ennenda würdigt nun das Schaffen des 74jährigen Pioniers. Die fünfzehn anhand von ausgezeichnetem Bildmaterial und Modellen vorgestellten Projekte richten die Aufmerksamkeit ganz auf den Bauingenieur. Manches Werk ist breiteren Kreisen vertraut: so beispielsweise der in Zusammenarbeit mit dem Architekten Otto Senn entstandene Lesesaal der Universitätsbibliothek Basel (1962-64) oder das Stadttheater Basel, das er gemeinsam mit den Architekten Schwarz, Gutmann, Schuppach und Gloor 1968-76 realisierte. Als Architekt und Ingenieur in Personalunion verwirklichte er die legendäre Fabrikhalle der Gummibandweberei in Gossau SG, die längst zu einem Kultbau der Minimalisten avanciert ist, oder das Kies- und Betonwerk in Gunzgen SO (1960-62). Hossdorf kämpfte gegen zwei Vorurteile, die der Kunst- und Architekturhistoriker Sigfried Giedion schon 1941 verbreitet hat: Der Ingenieur sei «ein bescheidener Helfer der Architekten» und «der Architekt solle umsetzen können, was der Ingenieur zu schaffen vermag». Hossdorf, der eng mit Architekten zusammengearbeitet hat und Architekten zu seinen besten Freunden zählen darf, erachtet die gute persönliche Beziehung sowie die gegenseitige Wertschätzung als grundlegend. In seinen Augen soll der Ingenieur die Ideen des Architekten zu Ende führen können und gemeinsam mit dem Architekten zu erfinderischer Improvisation bereit sein. «Die Zusammenarbeit zwischen den Partnern verschiedener Fachrichtungen kann als rein additiver Prozess nie zum vollen Erfolg führen», schrieb er schon 1970.

Hossdorfs Formensprache lässt sich nicht so eindeutig einordnen wie die Bauten eines Robert Maillart oder eines Pier Luigi Nervi. Sein grosses Vorbild war Eduardo Torroja, den er 1959 persönlich kennenlernte. Dessen Ungebundenheit und Flexibilität in bezug auf Formensprache, Baumaterialien und Herstellungsverfahren faszinierte den kritischen Experimentator Hossdorf sehr. Es sind die Fülle an innovativen Ideen und die Kühnheit der Realisation - wie er selber in einem Aufsatz von 1983 schrieb -, die ihn beeindrucken. In der Nachkriegszeit war ein interdisziplinäres Studium an der ETH nicht denkbar. Der ETH-Student Hossdorf, von Maschinenbau und Aerodynamik fasziniert, konnte seine Interessen nur als Autodidakt verfolgen. Kein Schweizer Ingenieur seiner Generation hat sich derart auf Experimente eingelassen wie Hossdorf. Er betätigte sich auf allen Bereichen der technischen Entwicklung: von der Vorspannung und dem Schalenbau über neue experimentelle Mechanik bis hin zur frühen Computertechnologie. Bescheiden begann er in den fünfziger Jahren auf dem Grundstück eines Freundes mit Modellversuchen im Freien. Während achtjähriger Forschung baute er langsam ein privates Modellversuchslaboratorium mit neuester Messtechnik auf, das in der Schweiz einzigartig und weit über die Landesgrenzen berühmt war. Der mit einer Betonschale überwölbte und im Grundriss hexagonal ausgebildete Hauptlesesaal der Basler Universität konnte beispielsweise nur dank einer Mischung von Modellstatik und analytischer Berechnung verwirklicht werden.

Das Labor Hossdorf war auch für den heute in Chur lebenden, inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Ingenieur Jürg Conzett schon früh ein Begriff. Nichts beeindruckt ihn so sehr wie Hossdorfs konzeptuelles Denken. Nicht eine spezifische Formensprache sei bei einem Ingenieur wichtig, sondern die Fähigkeit, die konstruktiven Probleme zu durchdringen und Lösungen dafür zu finden. Seit 1984 lebt Hossdorf in Madrid. Im Wintersemester 1996/97 erhielt er eine Gastprofessur an der ETH Zürich, und gestern nun wurde Heinz Hossdorf der BSA-Preis verliehen.

[ Die Ausstellung im Museum für Ingenieurbaukunst in Ennenda dauert bis zum 2. Oktober und ist jeweils am Samstag von 14 bis 17 Uhr oder nach Vereinbarung (Tel. [055] 646 64 20) zugänglich. ]

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