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In welchem Stil soll der Staat bauen?
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Putin lässt sich einen geheimen Palast errichten, Trump hat gerade noch rechtzeitig das Dekret zu „schöneren Bundesgebäuden“ unterschrieben. Kein Anlass für Spott: Weltweit fehlt eine Formensprache für die moderne Demokratie.

22. Januar 2021 - Karl Gaulhofer
Wie geht es weiter mit Amerika? Und wie mit den Heimtextilien im Weißen Haus? Vor vier Jahren ließ Donald Trump gleich nach seinem Einzug goldene Vorhänge anbringen, und viele feinsinnige Ästheten seufzten: Das kommt davon, wenn man einen geschmacksfreien Parvenü zum Präsidenten wählt. Soeben wurde Joe Biden als neuer Hausherr inauguriert, er hat wohl dringlichere Sorgen als seine Vorhänge. Aber ein Farbwechsel wäre ein wichtiges Symbol – wie so vieles, was mit staatstragendem Bauen und Wohnen zu tun hat.

Trump jedenfalls zieht jetzt ganz zu den reichen Pensionisten nach Florida. Seine Villa Mar-a-Lago in Palm Beach ist eine bauliche Narretei aus den Zwanzigerjahren: außen überdrehter spanischer Kolonialstil mit Türmchen und Loggien, innen wuchtige Neogotik und glitzernder Tand.

Aber doch nur eine Portiersloge im Vergleich zu Putins geheimen Palast an der Schwarzmeerküste, der uns dank des Drohnen-Videos seines Widersachers Alexej Nawalny gerade in Schauer versetzt – durch seine monströsen Dimensionen, nicht wegen seines „italienischen Designs“.

Aber was soll's: Autokraten, Tyrannen und ihre Lehrlinge waren immer schon Bauherren ohne Maß und Stil – von Nero über Ceausescu und Saddam Hussein bis zum türkischen Großmaul Erdoğan.

Auch Biden mag es lieber traditionell

Mehr zu denken gibt jenes Dekret, das Trump kurz vor seinem Abgang unterzeichnet hat. Es schreibt vor, dass alle US-Bundesgebäude – rund 300.000 an der Zahl – nur noch im „schönen“ neoklassizistischen Stil errichtet und renoviert werden dürfen. Einzig Säulen, Tempelfronten, Kolonnaden und Ziergiebel seien der Nation würdig, und ihr Anblick soll Trumps dauerhaftes Vermächtnis bleiben. Architekturkritiker fürchten, dass Biden, der für seinen konservativen Geschmack bekannt ist, diesen „Executive Order“ seines Vorgängers nicht wie manch anderen einfach vom Tisch wischt.

Zumal es die Gründerväter ja gut meinten. Auf der Suche nach einer Formensprache für ihre aus dem fremden Boden gestampften Republik griffen sie auf den Baukasten der antiken Demokratien in Athen und Rom zurück. Er sollte für Freiheit und Gleichheit stehen. Aber im Gepäck hatten ihn auch Europas koloniale Eroberer, Sklavenhalter in den Südstaaten und Diktatoren. Und so hat er seine Unschuld verloren.

Geschlossene Wände und steile Stufen mögen machtvoll repräsentieren, aber sie schüchtern uns ein. Für unser ästhetisches Empfinden hat sich das Kapitol schon längst in eine Trutzburg verwandelt, politisch erst jüngst – für beide Seiten: die Trump-Anhänger, die es erstürmen wollten, und ihre Gegner, die es verteidigen mussten. Aber es sorgt damit bei den Amerikanern wohl für umso mehr „Bewunderung“, wird auch baulich als wertvoll und „schön“ empfunden – und auf diesen „Geschmack des Volkes“ konnte sich Trumps Dekret berufen.

Wie sich die Parlamente gleichen

Hat die moderne Demokratie die ihr adäquaten baulichen Ausdrucksformen noch immer nicht gefunden? Zu diesem Fazit kam der Österreich-Beitrag auf der Architekturbiennale in Venedig von 2014. Christian Kühn zeigte dort Miniaturmodelle aller rund 200 Parlamente weltweit – überwiegend klassizistische Bauten, obwohl die meisten erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Es macht auch keinen Unterschied, ob ein Parlament zu einer lupenreinen Demokratie gehört oder als Feigenblatt einer Diktatur dient: Die Exemplare von Finnland und Nordkorea ähneln sich frappant.

Weil es nur um die Kulisse geht, um Form statt Funktion. Staatliche Bauten sollen Erhabenheit ausstrahlen, dem Nationalstolz schmeicheln. Mit ein Grund, warum die Russen ihren Zaren Putin nicht zum Teufel jagen: Mag er auch sein Luxusleben mit Steuergeldern finanzieren – sein klandestiner Palast zeigt doch der Welt, was für eine großartige Nation Russland immer noch ist.

Auf Grandeur setzt auch Frankreich: Wie ein König residiert der Präsident im Élysée-Palast. François Mitterrand rechtfertigte seine megalomanische Bauwut damit, dass es „eine direkte Verbindung zwischen der Größe der Architektur“ und „der Größe eins Volkes“ gebe. Auf eine augenzwinkernde Arbeitsteilung setzen hingegen die Briten: Für das nötige Pathos in Stein sorgt der Buckingham Palace ihrer Marionettenmonarchin, die Macht aber sitzt im Reihenhäuschen Downing Street 10. Sonderlich gute Architektur bieten freilich beide Adressen nicht.

Die Brasilianer entwarfen das Regierungsviertel ihrer zukunftsfrohen Hauptstadt Brasilia am Reißbrett – aber beim zentralen Kongressgebäude zeigte auch der geniale Oscar Niemeyer zu viel Respekt: Es blieb bei zwei nüchternen Hochhäusern, die stramm wie Gardesoldaten nebeneinander stehen.

Deutschland als Vorbild

Lässt sich wenigstens von den Deutschen lernen? Krieg und Schuld hatten ihnen die kollektive Großmannssucht gründlich ausgetrieben. Und so machten sie, mitten im Wirtschaftswunder, Bonn zu einem geradezu aufreizend bescheidenen Regierungssitz. Sollte ja auch nur ein Provisorium sein. Aber immerhin ist dort mit dem Kanzlerbungalow eine kleine Ikone der Moderne geglückt. Die schwerelos wirkende Stahlskelettkonstruktion auf Stützen, mit Flachdach, vielen Glasfronten und flexibler Raumaufteilung verkörpert die Werte einer modernen Demokratie: Offenheit, Teilhabe, Wille zur Veränderung.

Etwas von diesem Geist ist mit nach Berlin übersiedelt, wo er sich großzügiger und gestaltenreicher entfalten darf – am sinnfälligsten in Norman Fosters gläserner Reichstagskuppel, wo das Volk über seinen Vertretern steht und sie, sofern schwindelfrei, nach Herzenslust kontrollieren kann.

Als Hillary Clinton sich als Außenministerin verabschiedete, verglich sie die Nachkriegsordnung mit der nicht mehr zeitgemäßen Architektur des Parthenons. Wir brauchten, sagte sie, „mehr Frank Gehry statt feierlicher Antike“, denn „wo einst ein paar starke Säulen das Gewicht der Welt tragen konnten, braucht es heute einen dynamischen Mix von Materialien und Strukturen”. Trump, dem sie unterlag, setzte auf schlichtere Qualitäten: „Keiner baut Mauern besser als ich.“ Aber das ist nun gottlob vorbei.

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