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Wohnraum im ehemaligen Silo
Neue Zürcher Zeitung

Diskussionswürdige Projekte für den Rheinhafen in Basel

Der Hafen am Fluss oder am Meer ist seit den achtziger Jahren im Umbruch. Eine neue Transportlogistik auf der Grundlage der Container macht es heute möglich, dass die gleiche Tonnage weniger Platz für die Lagerung benötigt. Der Raum, der in den Häfen nicht mehr gebraucht wird, wartet auf seine Umnutzung. In London, Rotterdam, Bordeaux, Genua und Barcelona oder in Hamburg, Duisburg, Düsseldorf und Frankfurt am Main hat man aus flussnahen Industriequartieren Raum für Wohn- und Arbeitszwecke gemacht. Zum Stichwort «Wohnen am Wasser» gab es in den letzten zehn Jahren eine ganze Reihe von Publikationen und Ausstellungen.

4. Juni 1999 - Lutz Windhöfel

Ausstellung im Baudepartement

Auch vor dem Rheinhafen in Basel, der in der Schweiz die grösste und bedeutendste Anlage dieser Art ist, machte die Entwicklung nicht halt. Hinzu kam, dass der Bund den Kantonen zu Beginn der neunziger Jahre erlaubte, die vorgeschriebenen Lagerbestände für die Landesversorgung zu Krisenzeiten (Lebensmittel, Energieprodukte) stark zu reduzieren. In Basel wurde plötzlich ein grosser Tank der Industriellen Werke nicht mehr benötigt. Hier baut das Nachwuchsteam Miller & Maranta gerade ein Schulhaus. Die Silos im Rheinhafen sind heute unternutzt. Zwei Dozenten des Institut d'Architecture der Universität Genf machten diesen Sachverhalt während zweier Semester mit ihren Studenten zum Thema. Wie kann man im bisherigen Industriequartier wohnen? war die Frage, die Andreas Scheiwiller (von Dolenc Scheiwiller, Basel/Zürich) und Jacques Blumer (Atelier 5, Bern) stellten. Welche Realitäten sind zu beachten, welche Überlegungen und planerischen Schritte sind nötig und möglich? Die Aufgaben, die die Dozenten anboten, umfassten Projekte zur Umnutzung der Silos, Wohnungsbau auf dem Terrain bisheriger Hafenareale sowie Verkehrsplanungen für das künftige Wohnquartier. Die Projekte zu drei Silos, mit denen sich mehrere Studenten beschäftigten, zeitigten die spektakulärsten Ergebnisse.

Im Lichthof des Baudepartementes Basel-Stadt werden die Arbeiten aus Genf nun in einer Ausstellung gezeigt. Das Hochbauamt unterstützt damit die Planungsvorschläge aus der Romandie. Unter dem Titel «Wohnen im Silo - Beiträge zur Entwicklung im Rheinhafen Basel» erscheint eine zweisprachige Begleitpublikation (französisch/ deutsch), die eine qualitative Auswahl der Projekte umfasst, das Vorgehen und das Ziel der Dozenten erläutert und die Geschichte des einstigen Fischerdorfes Kleinhüningen skizziert, wo die Hafenanlagen heute mehrheitlich liegen.


Perspektiven des Hafengebiets

Das Kerngebiet des Hafens wurde 1894 von der Stadt Basel eingemeindet, zu einem Zeitpunkt, als die Entwicklung des lange isoliert liegenden Dorfes bereits fest mit den Industrialisierungsschritten der Stadt verbunden war. Hier entstanden Produktionsstätten der chemischen Industrie, hierher kam aber auch der Rheinhafen, dessen konkrete erste Planungen in die Jahre des Ersten Weltkrieges fallen. 1922 war das Hafenbecken I, 1923 der Silo von Hans Bernoulli fertiggestellt, welcher mit seinem Betonkern und dem aufgemauerten dunklen Klinker zum architektonischen Wahrzeichen des Komplexes wurde. Um das Hafenbecken I sind nun auch die Projekte aus Genf konzentriert. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges schuf man ein weiteres Becken. In die fünfziger Jahre (1951-56) fällt der letzte bauliche Entwicklungsschub. Drei der Silos, zu denen nun Projekte entstanden, wurden in dieser Zeit von den Architekten Bräuning, Leu und Dürig mit den Ingenieuren Aergerter und Bosshardt gebaut.

In Kleinhüningen, das seit etwa 1900 mit dem Stadtraum direkt verbunden ist, liegen Wohn- und Industrieraum eng nebeneinander. Gleiches gilt für den Stadtteil Klybeck, der im Süden näher am Zentrum liegt und dessen Uferzone ebenfalls zum Hafen gehört. In der jüngeren Basler Architekturgeschichte machten die Stadtteile Klybeck und Kleinhüningen durch Wohnungs- und Schulbau auf sich aufmerksam. Wilfried und Katharina Steib realisierten eine mächtige Wohnanlage (Wiesengarten, 1980-87). Ackermann & Friedli verbesserten die pädagogische Infrastruktur (Schulhaus Ackermätteli, 1994-96). Das Grundstück, auf welches Diener & Diener in Kleinhüningen einen Wohnkomplex bauen wollen, liegt neben dem Damm der Wiese. Mächtige Bäume säumen hier das Ufer und haben den Charakter eines Galerienwaldes. - Im Norden berührt Kleinhüningen mit dem Hafenbecken I direkt die Grenze zu Deutschland und das Rheinquartier Weil-Friedlingen. Hier hat man 1998 ein neues Container-Center in Betrieb genommen, dessen elektromagnetischer Kran fast lautlos 48 Tonnen bis zu 24 Meter hoch heben kann. Fünf Container können so aufeinandergestapelt werden.


Eine neue Wohntypologie

Die Themen zum Rheinhafen in Basel, die Scheiwiller seinen Studenten stellte, hiessen im Wintersemester 1997/98 «Bauen am Wasser» (Entwurf eines Verwaltungsgebäudes für einen Containerbahnhof) und ein Jahr später «Wohnen im Silo». Zu diesem machte Daniel Wyss aus Winterthur ein interessantes Projekt. Er nahm den südlichen Silo des Basler Westquais und entwickelte aus der baulichen Struktur des Hauses eine neue Wohntypologie. In den bisherigen Silo werden dreigeschossige Maisonettewohnungen mit schmalen, hohen und teilweise durchgehenden Räumen placiert. Die Wohnungen sind ineinander verschachtelt, was zu einem intensiven Raumerlebnis führt. Da der Grundriss des bestehenden Baus rechteckig ist und eine Gitterstruktur hat, wurde für die Erschliessung in die Längsrichtung vom Dach bis zum Sockelgeschoss ein Gebäudeteil herausgebrochen. Dadurch entstehen zwei Kubaturen. Der trennende Schacht wird auf beiden Seiten verglast. Auf den Schmalseiten erhält dieser Raum, der mit Treppen, Liften und inneren Laubengängen die Zirkulation der Nutzer ermöglicht, Tageslicht. - Auch für die Energieversorgung macht Wyss einen interessanten Vorschlag. Einen länglichen Schachtteil will er in der ganzen Gebäudehöhe mit Wasser füllen und beheizen. Nördlich dieses Wasserschachts liegen die Ateliers, im Süden die projektierten Wohnungen. Der umgenutzte Kubus hat elf Geschosse - wie ein hohes Haus.


[ Ausstellung «Wohnen im Silo?» bis 25. Juni (montags bis freitags, 8 bis 18 Uhr) im Baudepartement, Münsterplatz 11, Basel. - Katalog: Wohnen im Silo? Beiträge zur Stadtentwicklung im Basler Rheinhafen. Hrsg. Université de Genève, Institut d'Architecture, Genf 1999. Frz./dt., 170 S., Fr. 25.-. ]

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