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„Den Alltag durch Wohnen erleichtern“
Der Standard

Eva Kail, Expertin für „Alltags- und frauengerechtes Bauen“ der Stadt Wien, über demokratische Wohnungsplanung

5. Juni 1999 - Eva Stanzl
Standard: Was ist Alltags- und frauengerechtes Bauen und Wohnen?

Kail: „Frauengerecht“ ist hier in einem sozialen Zusammenhang zu sehen und bezieht sich weniger auf das biologische Geschlecht.

Der Großteil der Hausarbeit wird von Frauen verrichtet: Für 72 Prozent spielt sich der Alltag im Haushalt ab, während nur sechs Prozent der Architekten Frauen sind. Was also die Rollenverteilung betrifft, hat sich die Arbeitswelt trotz Frauenbewegung und trotz aller neuen Ideen immer noch nicht entscheidend gewandelt. Abgesehen davon, daß es wünschenswert wäre, daß Männer sich an der Hausarbeit gleichermaßen beteiligen, gibt es zunächst einmal das Problem, daß sie bei der Hausarbeit bei der Wohnungsplanung zu wenig Gewicht beimessen. Da sie den ganzen Tag am Arbeitsplatz verbringen, ist ihnen Freizeitplanung am wichtigsten. Doch die meisten haben immer noch wenig damit zu tun und sehen daher nicht, welche Einrichtungen der häusliche Alltag erfordert.

STANDARD: Würden Frauen anders planen?

Kail: Gegenwärtig haben die Raumorientierungen in Wohnungen jedenfalls immer noch mehr mit den Machtverhältnissen zwischen den einzelnen Bewohnern zu tun, als mit den tatsächlichen Bedürfnissen. Den größten Bewegungsdrang haben wohl die Kinder. Trotzdem wird das größte, schönste und sonnigste Zimmer in der Regel zum Wohnzimmer erklärt, während die Kinder nach dem Elternschlafzimmer den kleinsten Raum bekommen. Bis in die Achtziger Jahre lernte man an die Unversitäten, daß Küche und Bad in Richtung Norden und zur Straßenseite ausgerichtet werden können. Dabei verbringen viele Menschen viel Zeit in der Küche, und daher muß sie als gleichwertiger Wohnraum geplant werden.

STANDARD: In welcher Hinsicht sind Veränderungen im Berufsleben in der Wohnungsplanung zu bedenken?

Kail: In Single-Haushalten mit Berufstätigkeit wird wenig Zeit in der Küche verbracht, denn es gibt einen Mikrowellenherd, und auch die Waschmaschine spart Arbeit.

Das Wohnen selbst ist aber auch als Arbeit zu sehen, weil der Alltag die Lebensqualität beeinflußt. Die Kinderwagenabstellräume sind, wenn es überhaupt welche gibt, meistens noch kleiner als die Fahrradabstellplätze. Außerdem werden die Einkaufsbedingungen immer schlechter: Der Greißler ums Eck existiert fast nirgends mehr und der Supermarkt ist oft nichteinmal in der Nähe. Mit planerischen Veränderungen könnte da viel getan werden.

STANDARD: Welche Beispiele von demokratischer Planung gibt es?

Kail: Exemplarisch hat unter anderen die Architektin Elsa Prochazka das Problem gelöst. Ihre rund 80 Quadratmeter großen „Wohnungen für jede Lebensphase“ in der 1992 erbauten Frauenwerkstatt in Wien-Floridsdorf haben einen Grundriß nach dem Motto: „Entscheidend ist nicht die Quadratmeterzahl, sondern wie flexibel eine Wohnung nutzbar ist“. Die Wohnungen bestehen aus vier gleich großen Räumen plus Wohnküche. Durch das Entfernen von Zwischenwänden kann man drei, zwei oder einen Nebenraum, eine größere Wohnküche oder mehr Platz für die Kinder oder die Großeltern schaffen, oder die ganze Fläche überhaupt wie ein Loft bewohnen. Einziger Fixpunkt ist der Küchenerker mit Aussicht zur Spielwiese mit Teich im Westen.

In der Frauenwerkstatt gibt es 360 Wohnungen, die an familien mit und ohne Kinder vergeben wurden, in denen beide Partner berufstätig sind. Wir wollen weitere Modellprojekte initiieren, einen Lokalaugenschein, wie die Leute wirklich mit den Räumlichkeiten zurechtkommen, haben wir jedoch noch nicht angestellt. Auf jeden Fall müssen wir Richtlinien für alltagsgerechtes Bauen ausarbeiten. Das sollen keine rigiden Vorschriften sein, sondern kompromißfähige Planungsempfehlungen.


Familienmanagement

STANDARD: Wird der Markt Ihre Planungsempfehlungen bestätigen?

Kail: Das Familienmanagement muß durch das Wohnen erleichtert werden. Die 1927 von Margarethe Schütte-Lihotzky entworfene „Frankfurter Küche“, die Griff- und Schrittersparnis optimierte, ist bis heute der Prototyp für Arbeitsküchen geblieben, weil der Bedarf so groß war. Die Frauen sind selbstbewußter geworden und aufgrund ihrer Berufstätigkeit eine Marktmacht. Der Wohnungsmarkt ist gegenwärtig eher gesättigt, aber die Nachfrage für Wohnungen, die den Alltag erleichtern, ist vorhanden.

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