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Himmelfahrtskommando
Der Standard

Die Flughäfen der 90er sind die High-Tech-Karawansereien der Oberen Hundert Millionen

5. Juni 1999 - Ute Woltron
Nichts ist schicker in der Liga der Vielgereisten und deshalb doppelt Gescheiten, als über die vielen Flughäfen fachzusimpeln, die im Laufe der Jahre Schauplatz ihrer diversen Heldentaten und erlittenen Unbillen, Gepäcksverluste, Fast-Landecrashs und Gerade-Noch-Abflüge waren. Singapur? Das ist doch der mit dem Wasserfall und den Orchideen und dem un-glau-bli-chen Duty Free. JFK? Um Himmels willen, dort landet nur, wer unbedingt muß. Ewige Staus. Die unfreundlichsten Hostessen der Welt. Amsterdam-Schiphol? Baustelle. London-Heathrow? Baustelle. Wien-Schwechat? Baustelle. Und viele Fliesen. Kein Kommentar.

Wer auch weiterhin mitreden will im Club der Vielflieger, der muß sich hurtig wieder in die Lüfte begeben und ein paar mal um den Globus fliegen, denn nichts ist heute so, wie man es vor zehn Jahren kannte. (Sogar die romantische Kiesruckellandebahn im guatemaltekischen Dschungel von Tikal soll längst asphaltiert worden sein.)

Die 90er haben allerorten neue, gigantische Flughäfen geboren, und wo noch vor gar nicht allzu langer Zeit ein paar Terminals ein paar hunderttausend Reisende durchschleusten, bedienen heute ganze Flughafenstadtanlagen Millionen Menschen auf ihrem hektischen Weg vom Da zum Dort. Diese einwohnerlosen aber hochfrequentierten Städte versorgen Touristen, Manager, Weltenbummler mit Supermärkten, Internetanschlüssen, Friseuren, Fußpflegeinstituten, Banken, Businesscenter und allem übrigen, was man so braucht auf seinem Weg durch die Zeitzonen.

Der rasante Ausbau dieser Luftschiffhäfen ist noch lange nicht abgeschlossen, in den Planladen der großen Architekturbüros lagern bereits die Visionen für die Passagierabfertigungsmaschinerien des kommenden Jahrtausends. Denn war die große Architekturaufgabe der 50er und 60er Jahre das internationale Hotel, gehörten die 70er und 80er Büroturm und Einkaufszentrum, so ist der Flughafen das prominenteste Architekturproblem des Jetzt und der nahen Zukunft.

Allein im Vorjahr sperrten bereits die wichtigen Passagierdrehscheiben Charles de Gaulle in Paris, John F. Kennedy in New York und Kuala Lumpur in Malaysien neue Mega-Terminals auf, und noch heuer eröffnen der von Aeroportes de Paris konzipierte neue Flughafen Pudong in Shanghai, sowie der Helsinki-Vantaa-Airport von Pekka Salminen.

Die Architekten Murphy/Jahn bauen bis 2004 den New Bangkok International Airport und bis 2000 das Köln-Bonn-Nord Terminal. Ebenfalls zur Jahrtausendwende soll in San Francisco ein neuer Flughafenabschnitt von SOM eingeweiht werden, und im Jahr 2001 folgen Nicholas Grimshaws Zürich-Airport, der Ichon International Airport in Seoul der Architekten Fentress/Bradburn und der neue Larnaca-Flughafen in Zypern von Aeroportes de Paris nach.

Weiters geplant aber noch nicht in Ausführung sind neue Anlagen für Bilbao von Santiago Calatrava und für Chicago South vom Architektenteam TAMS. Frank O. Gehry soll ebenfalls demnächst sein Flughafenprojekt bekommen, er wurde soeben von der Stadt Venedig mit der Planung einer neuen Anlage betraut.

Auch der Wiener Flughafen bei Schwechat, mit seinen knapp zehn Millionen Passagieren pro Jahr vergleichsweise ein internationaler Knirps, rüstet wieder einmal auf. Die „International Air Transport Association“ prognostiziert ein Ansteigen des Welt-Passagieraufkommens um 5,5 Prozent pro Jahr. 2002 werden rund 573 Millionen Menschen per Flieger unterwegs sein, für Wien bedeutet das eine Verdoppelung der Kapazitäten bis zum Jahr 2015.

Ende Juni entscheidet sich unter dem Juryvorsitz des deutschen Städte- und Raumplaners Kunibert Wachten der Wettbewerb um die künftige städtebauliche Konzeption der Anlage. Sowohl neue Pisten als auch Terminals werden benötigt. Warum dieser Umstand nicht schon längst - beispielsweise schon vor dem jüngst erfolgten Ausbau - berücksichtigt wurde, bleibt ein Rätsel. 30 Milliarden Schilling sollen jedenfalls in den nächsten Jahren locker- und der Flughafen für die Massenanstürme der Zukunft flott gemacht werden. DER STANDARD wird darüber natürlich Genaueres berichten.

Viel Geld kosten sie alle, diese neuen, passagierdurchströmten Niemandslandinseln der Internationalität, diese Nadelöhre im Zierstichkissen Welt, das auf den Routenkarten der Airlinemagazine so anschaulich gemacht wird. Der neue Flughafen in Chicago ist mit der Kleinigkeit von 4,9 Milliarden Dollar veranschlagt, Denver International mit 3,2. Das bisher wohl teuerste und auch eindrucksvollste Flughafenprojekt seit der Pionierepoche der Gebrüder Wright kostete die unvorstellbare Summe von 20 Milliarden Dollar.

Es liegt als kompliziert konstruiertes Gebilde aus Stahl, Glas, Licht und Luft kathedralenartig wenige Meter über der Wasseroberfläche auf der Insel Lantau vor Hong Kong, nennt sich Chek Lap Kok und wurde vergangenen Sommer nach den High-Tech-Plänen des britischen Architekturadelsmannes Sir Norman Foster fertiggestellt.

Der neue Hong Kong-Airport ist das erste tatsächlich gebaute Megaprojekt in einer Reihe von Flughafen Visionen, die völlig neue Maßstäbe setzen wird. Bis zum Jahr 2040 soll der riesige, luftige, übersichtliche und nach gefinkeltster Logistik entworfene Flughafenpalast von seiner derzeitigen Kapazität von 35 auf 87 Millionen Passagiere ausgebaut werden.

Ähnlich utopisch hören sich die Pläne an, mit denen Hollands Schiphol auf die Sprünge geholfen werden soll. 380.000 Flieger landen und starten pro Jahr auf Europas viertgrößtem Flughafen nach London Heathrow (60 Millionen Passagiere), Frankfurt Main (43) und Charles de Gaulle, Paris (39). Bis 2010 werden es an die 600.000 sein und dabei eine Menge Lärm verursachen, weshalb man beschlossen hat, die Angelegenheit kurzerhand auf ein 30 Quadratkilometer großes künstliches Eiland 15 Kilometer vor der Küste zu verpflanzen. Hochgeschwindigkeitszüge in einem Untersee-Tunnel könnten die beiden Flughäfen miteinander verbinden.

Flughafenprojekte sind nicht nur Angelegenheiten nationalen Stolzes und architektonische Visitenkarten des jeweiligen Landes. Sie haben sich, so sie intelligent gemanagt sind, auch zu profitablen Multi-Unternehmungen entwickelt. Schiphol etwa erwirtschaftete im Vorjahr einen Gewinn von etwa 1,8 Milliarden Schilling. Dieser Umstand, der Konkurrenzkampf der Flugdrehscheiben untereinander und die immer höheren Ansprüche der Gäste kommen der neuen, verschwenderischen Flughafenarchitektur zu Gute. Es zahlt sich also aus, auch nach einem gerade überstandenen Transatlantikflug mit weit offenen Augen auf sein Gepäck zu warten. Egal, was man bisher nicht schon alles gesehen hat, auf den Reisen durch die große weite Welt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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