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„Regisseur des Barock“
Neue Zürcher Zeitung

Gian-Lorenzo-Bernini-Ausstellung in Rom

Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) ist wohl die herausragendste Künstlerpersönlichkeit der Barockzeit. Er war Bildhauer, Architekt, Städtebauer und Maler, entwarf Kupferstiche, Medaillen, Festdekorationen, Bühnenbilder und schrieb sogar Theaterstücke. Eben diese künstlerische Vielseitigkeit will die Ausstellung mit dem programmatischen Titel «Gian Lorenzo Bernini, regista del Barocco» im Museo di Palazzo Venezia in Rom vor Augen führen.

25. Juni 1999 - Kaspar Zollikofer
Bernini wurde 1598 in Neapel geboren. Sein Vater, der Bildhauer Pietro Bernini, stammte aus Florenz, seine Mutter war Neapolitanerin. 1605 zog die Familie nach Rom, wo Pietro im Auftrag Papst Pauls V. zu arbeiten begann. Der junge Gian Lorenzo erlernte die Bildhauerkunst bei seinem Vater, der ihn beim Papst und bei dessen mächtigem Nepoten, Kardinal Scipione Borghese, einführte. Diese beiden erkannten die ausserordentliche künstlerische Begabung des Jünglings. Für den Kardinal schuf Bernini seine ersten grossen Figurengruppen, die jetzt in der restaurierten Villa Borghese zu sehen sind. Sein Aufstieg zu einem der tonangebenden Künstler Europas vollzog sich unter Papst Urban VIII. Barberini (1623-1644), der Bernini mit Aufträgen geradezu überhäuft hat, wie später auch Alexander VII. Chigi (1655-1667). Für die Ausführung der ambitiösen päpstlichen Projekte wie beispielsweise des Bronzebaldachins in St. Peter oder der Kolonnaden des Petersplatzes hat Bernini ganze Scharen von Künstlern und Handwerkern in seinen Dienst genommen und so den Kunstbetrieb Roms während fast sechs Jahrzehnten beherrscht. Zwar führte er Skulpturen auch für auswärtige Auftraggeber aus; sein eigentliches Wirkungsfeld war indessen die Ewige Stadt. Die von Bernini entworfenen Kirchen, Paläste, Fassaden und Brunnen prägen das Stadtbild bis heute.


Figlio d'arte

Die aus Anlass von Berninis 400. Geburtstag veranstaltete Ausstellung umfasst über zweihundert Exponate und ist in acht Sektionen gegliedert. Deren erste ist den Porträts des Künstlers gewidmet. Die Selbstbildnisse aus den jungen Jahren gehören zu den wenigen erhaltenen Tafelbildern von Berninis Hand und zeigen jenen lebhaften Gesichtsausdruck und feurigen Blick, der auch den Zeitgenossen aufgefallen war.

Unter dem Titel «Figlio d'arte» (Künstlersohn) werden Skulpturen von Vater Pietro Bernini und von Gian Lorenzo gezeigt. Zum erstenmal öffentlich ausgestellt sind vier Marmorstatuen der Jahreszeiten aus Privatbesitz. Die Figuren von «Sommer» und «Winter» sollen von der Hand Pietros stammen, während an «Frühling» und «Herbst» Vater und Sohn vermutlich miteinander gearbeitet haben. In den zwei um 1619 als Pendant entstandenen Büsten der «Anima beata» und der «Anima dannata» untersuchte Bernini ein für die Kunst der frühen Neuzeit zentrales Thema, nämlich die bildliche Darstellung der Gemütsbewegungen mit Hilfe von Gesten und Mimik. Die harmonischen Züge der glückseligen Seele und besonders das vor Entsetzen zur Fratze verzerrte Gesicht der verdammten Seele zeigen, mit welcher Virtuosität der junge Bildhauer die Schwierigkeit gemeistert hat, zwei extreme, einander entgegengesetzte Gemütszustände im harten Medium des Marmors zu veranschaulichen. - In der Sektion «Il volto del potere» findet sich eine Auswahl von Berninis Marmorbüsten von Päpsten, Kardinälen und Fürsten. Das überlebensgrosse, bis in feinste Details ausgearbeitete Bildnis des Scipione Borghese von 1632 zieht den Betrachter wegen seines spontanen und natürlichen Ausdrucks in seinen Bann; der leicht geöffnete Mund erweckt sogar den Eindruck, als ob die Statue spreche - kurz, eine subtile bildhauerische Persönlichkeitsstudie. Bei der Büste des Francesco Io d'Este, Herzogs von Modena, handelt es sich dagegen um ein fürstliches Idealporträt: Individualität und Expressivität der Gesichtszüge treten zurück gegenüber der Wirkung des effektvoll gelockten, langen Haares und des virtuos drapierten Tuches, das den Torso verhüllt. Bernini hat den Herzog nie gesehen, er hat das Porträt ausschliesslich auf der Grundlage von drei gemalten Bildnissen in Rom geschaffen.

Weitere Sektionen der Ausstellung sind Berninis Kapellen, Fassaden und Brunnen sowie den von ihm entworfenen Möbeln, Einrichtungsgegenständen und Festdekorationen gewidmet. Zu sehen sind beispielsweise Zeichnungen und Tonmodelle für die kolossalen Statuen der Engel auf dem Ponte Sant'Angelo, Kreideskizzen für die Statue der heiligen Theresa in der Cappella Cornaro in S. Maria della Vittoria und Bronzekandelaber aus der Chigi-Kapelle in S. Maria del Popolo samt einer entsprechenden Federzeichnung. Verschiedene Skizzen und Zeichnungen sowie zwei Modelle aus Ton und Holz geben Einblick in die Entwicklung des Projektes für den grandiosen Vierströmebrunnen auf der Piazza Navona. Stiche von Katafalken vermitteln einen Eindruck von Berninis temporären Architekturen und Dekorationen; in Kupfer gestochene Frontispize von Büchern und entsprechende Studienzeichnungen weisen ihn auch als Entwerfer von Druckgraphik aus. Nur ein Teil der ausgestellten Tabernakel, Reliquiare, Rahmen, Möbel, Entwürfe von Kutschen und anderen Gebrauchsgegenständen lassen sich direkt mit seinem Namen in Verbindung bringen.


Universalität

Über Bernini als Maler (Sektion «Bernini pittore») lässt sich bis heute keine klare Vorstellung gewinnen. Filippo Baldinucci, einer der zeitgenössischen Biographen, behauptete sogar, Bernini habe allein zum Vergnügen gemalt. Es haben sich nur sehr wenige Gemälde erhalten, für die Berninis Urheberschaft einigermassen dokumentiert ist, so z. B. eines der beiden Porträts Urbans VIII. Die meisten der ausgestellten Bilder, grösstenteils Porträts, sind Bernini lediglich zugeschrieben. Die Sektion ist angereichert mit Gemälden von Malern, die mit Bernini zusammengearbeitet haben, wie etwa Giovanni Battista Gaulli oder Andrea Sacchi.

Die ausserordentliche Vielfalt von Exponaten zeigt aufs anschaulichste, dass es kaum ein Gebiet der bildenden Kunst und des Kunsthandwerks gab, in dem Bernini im Verlauf seines über achtzig Jahre währenden Lebens nicht tätig gewesen wäre. Die Ausstellung in den dunklen und hohen Räumen des aus dem 15. Jahrhundert stammenden Palazzo Venezia ist ganz auf künstliches Licht angewiesen. Leider lässt ausgerechnet die Beleuchtung sehr zu wünschen übrig: Während gewisse Porträtbüsten von grellem Licht angestrahlt sind, verschwinden andere im Halbdunkel; zudem ist es kaum möglich, die hinter Glas gerahmten Zeichnungen ohne die störenden Spiegelungen der sie beleuchtenden Lampen zu betrachten.


[ Die Ausstellung dauert bis zum 16. September. Katalog: Gian Lorenzo Bernini, regista del Barocco. Hrsg. von Maria Grazia Bernardini und Maurizio Fagiolo dell'Arco. Mailand, Skira 1999. 496 S., 75 000 Lire. ]

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