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Frech und subjektiv
Neue Zürcher Zeitung

Zeitgenössisches britisches Design in Frankfurt

26. Juni 1999 - Karin Leydecker
Britisches Design gedeiht wie die Blume im Treibhaus. Warum das so ist, kann niemand schlüssig beantworten, aber wahrscheinlich liegt es ganz einfach am Klima der Insel. Hier wuchs eine Generation von Designern heran, die nicht mehr gläubig auf den klassisch-funktionalen Entwurfshimmel blickte, sondern ihre Produkte an der konkreten Realität entwickelte. Manchmal noch im Bewusstsein der «splendid isolation», aber mit einer gesunden Mischung aus Pragmatismus und Witz - und immer mit der klaren Botschaft: Die Avantgarde ist tot! Es lebe die Avantgarde!

Wie munter sich die Szene in Grossbritannien vorab in London gebärdet, zeigt gegenwärtig das Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt am Main. Unter dem programmatischen Titel «Lust und Verlust» stellt es vierzig Positionen junger britischer Designer aus den Bereichen Möbel- und Produktdesign, Mode und graphische Gestaltung zur Diskussion. Lustvoll vom Londoner Architektur- und Kunstkollektiv MUF inszeniert, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und mit dem Mut zum Neuen. Der Grundtenor ist eindeutig: Weg mit dem Evangelium des guten Geschmacks und weg mit dem Bauhaus-Korsett!

Junges britisches Design lebt: Es lebt aus lokalen Traditionen, aus Elementen der Subkultur, aus profanen Dingen des Alltags, aus dem Weggeworfenen und aus tausend divergierenden Emotionen. Dieses Design ist frech und subjektiv, ist langweilig oder chaotisch, gerade so wie das Leben selbst. Nur eines ist es nicht: universell! Der Mythos vom neutralen und allgemeingültigen Stil ist für die jungen Leute von der Insel längst Schnee von gestern. Für sie gibt es weder gutes noch schlechtes Design, sondern nur viele Möglichkeiten: Chippendale und Post-Punk als vibrierende «Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen». Damit aber wird das Bild des Designers neu definiert. Er ist nicht länger neutraler Dienstleister und «Strichjunge der Wirtschaft», sondern folgt dem Credo der Designergruppe Tomato: «We don't solve problems, we have ideas.»

Dabei rückt das spielerische Experiment mit Zeichen und Bildern in den Mittelpunkt. Starke persönliche Akzente und der tiefe Wühlgriff in die Mottenkiste der Geschichte sind zugelassen. Diese Wanderung zwischen allen Grenzen der visuellen Medien (wie man es beispielsweise bei Jonathan Barnbrook oder den Gruppen Anti- Rom und Sunbather findet) wirkt meistens sehr leicht, unverkrampft und hat gerne den Hang zum Skurrilen. Auch die Statements zu den aktuellen Themen Ökologie, Recycling und Ressourceneffizienz geben sich ohne Kopflastigkeit in unbekümmerter Ad-hoc-Manier: Die aus Fundstücken gebauten «Rough and Ready»-Möbel von Tord Boontje gehören dazu, aber auch die Modekollektion von Shelley Fox. Vieldeutigkeit ist Prinzip, «Waste»-Ästhetik und «Remix» feiern Triumphe. Aber junges britisches Design kennt keinen moralinsauren Zeigefinger, sondern setzt wie Michael Anastassiades mit seinem «Weckertisch» auf «entertainment-value», ist «magical», «sexy» wie der «Kiss communicator» von IDEO und manchmal auch ganz einfach albern.

Das ist erfrischend und lustvoll. Erschreckend aber sind die subversiven Untertöne, die in manchen Entwürfen anklingen und so Designkritik direkt am Objekt leisten. Bestes Beispiel ist die kritische Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Problem von «Tabuverlust durch Traditionsverlust». Schmerz und Tod - diese existentiellen Ereignisse selbst zählen wenig. Aber eine Photo vom Ereignis wird in den Händen des Designers zur lukrativen Manövriermasse, denn selbst das Unheil kann ausgesponnen und zum Markenartikel stilisiert werden. «The only thing that counts is pure surface.» Wie wahr und wie schrecklich!


[ Museum für Kunsthandwerk, bis 22. August. Der im Birkhäuser-Verlag erschienene Katalog kostet 58 Mark. ]

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