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Treffen am Tiananmen-Platz
Neue Zürcher Zeitung

Architektenkongress in Peking

6. Juli 1999 - Verena M. Schindler
Zum erstenmal fand Ende Juni ein Kongress der 1948 in Lausanne gegründeten Union Internationale des Architectes (UIA) im asiatischen Raum statt. Der internationale Architektenkongress wurde in der «Grossen Halle des Volkes» am Tiananmen-Platz am 23. Juni eröffnet, kurz nach dem 10. Jahrestag der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung. Kein anderes Gebäude Pekings symbolisiert den Staat und die politische Macht so ausgeprägt wie der zum 10. Jahrestag der Ausrufung der Volksrepublik China 1959 fertiggestellte Bau, der mit seinen 10 000 Plätzen der grösste Versammlungsraum in der 11 Millionen Einwohner zählenden Stadt ist. Am Eröffnungstag fuhren die Reisebusse kolonnenweise auf dem polizeilich geschützten Vorplatz vor und entliessen die Kongressteilnehmer, die scharenweise die Stufen hinauf stiegen - wohl ohne sich gross Gedanken zu machen über die jüngste Vergangenheit dieses Ortes.

An der Veranstaltung mit dem ambitiösen Titel «Die Architektur des 21. Jahrhunderts» dominierten Probleme die Vorträge und Symposien, die bereits das ausklingende Jahrhundert geprägt haben und sich in Zukunft bedrohlich zuspitzen könnten: so beispielsweise die wuchernden urbanen Strukturen der Megastädte oder die enorme Verkehrslawine. Ein wiederkehrendes Thema, dem man allgemein skeptisch gegenüberstand, war dasjenige der Globalisierung. Wie soll man ihr begegnen? Auf keinen Fall mit regionalistisch anmutender Architektur im Stil von Disneyland, war Moshe Safdies Antwort. Nur durch die Humanisierung der Megastrukturen, durch das Eingehen auf den individuellen Ort und durch die konstruktiven Möglichkeiten könne man zu architektonischer Qualität gelangen; nur durch die Reinvention des Massstabs, der Dichte und der Mobilität könnten unsere Städte die Würde wiedergewinnen, die sie früher einmal hatten. Charles Correa wies auf die menschenunwürdige Hässlichkeit unserer Städte hin und forderte die Respektierung des Gleichgewichts zwischen übergreifenden Strukturen und dem einzelnen Bauvolumen, gleichzeitig aber auch die Aufhebung der Trennung zwischen Architekt und Stadtplaner. In einem Brief an einen jungen Architekten plädierte Paul Andreu hingegen für eine umfassende Allgemeinbildung des Architekten.

Peking selbst liefert ein gutes Beispiel für die wuchernde Stadt im ausgehenden 20. Jahrhundert: Entlang der Wangfujing-Strasse oder der Jianguomenwai-Strasse stellt man fest, wie sich hässliche, pseudopostmoderne Kommerzarchitektur im Galopp ausbreitet. Safdie wies darauf hin, dass 1973 in Peking noch fast keine Autos zirkulierten und keine Hochhäuser das Stadtbild verunstalteten. Heute baut Peking den fünften Autobahnring aus. Der wird allerdings das Verkehrschaos auch nicht beheben. Da können auch Jean Nouvels Ideen kaum helfen. Dieser setzte sich ein für eine Metaphysik der Entmaterialisierung, mit der er aktiv Einfluss auf die Gegenwart nehmen möchte. Er sieht in der Vermengung von komplexen und einfachen Strukturen und Architekturen ein neues Paradigma und wünscht sich bei der Stadtplanung eine Modifizierung der urbanistischen Strukturen statt weitere Neuplanungen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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