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Vom Tatbestand der Architektur
Vom Tatbestand der Architektur, Foto: Walter Zschokke
Spectrum

Kulturkampf in Klosterneuburg: Bauherren werden angeprangert, weil sich Häuser angeblich nicht in den Bestand einfügen – was nicht nur darum bedenklich ist, weil das Baurecht eine distanzlose Anpassung keineswegs vorsieht. Eine Nachschau.

10. Juli 1999 - Walter Zschokke
Die „Stadtzeitung“ der Klosterneuburger Sozialdemokraten prangert in ihrer Juninummer einzelne Bauherren teils namentlich an, weil ihre Wohnhäuser sich angeblich wesentlich von den Einfamilienhäusern ihrer Umgebung unterscheiden. Weitere Beispiele in einer nächsten Nummer werden angekündigt. Abgesehen davon, daß hier das Recht auf Niederlassungsfreiheit durch eine bedenkliche Aufwiegelungstaktik zumindest tangiert wird, daß also demokratiepolitische Fragen zur Diskussion stünden, geht es um Aspekte der Ortsbildgestaltung und damit der Architektur.

„Passen diese Häuser wirklich ins Stadtbild?“ fragen die Autoren der Stadtpostille in der Überschrift, um im Schlußsatz hämisch anzumerken: „Es wäre interessant zu erfahren, wie die gutächterlichen Stellungnahmen des oftmals sehr strengen Stadtbildkonsulenten zu diesen ,Häuschen‘ lauten.“ Nun, der Begriff Stadtbild könnte dazu verleiten, den Ort des Geschehens im historischen Kern zu vermuten. Dem ist nicht so. Die angeprangerten Häuser befinden sich in Einfamilienhausquartieren im Weichbild oder gar an der Peripherie des Siedlungsgebiets. Der Begriff Ortsbild ist daher treffender, weil keine urbanen Verhältnisse vorherrschen. Die lockere Einzelhausbebauung läßt zudem die Topographie und die landschaftlichen Komponenten stärker ins Gewicht fallen.

Die Frage der Ortsbildgestaltung wird in der niederösterreichischen Baugesetzgebung im Paragraph 56 abgehandelt. Absatz eins besagt, daß Bauwerke, die einer Bewilligung bedürfen, sich in ihre Umgebung „harmonisch“ einfügen sollen. Falls ein Bebauungsplan einschränkende Regeln enthält, gelten diese, andernfalls ist das Bauwerk in Hinblick auf seine Einfügung zu prüfen. Dabei ist von der Struktur des umgebenden Baubestandes, der Charakteristik der Landschaft im Baugebiet und den charakteristischen gestalterischen Merkmalen des geplanten Bauwerks auszugehen.

Entscheidend scheint mir aber, was der Gesetzgeber unter dem Begriff Harmonie versteht: „Harmonie ist jene optische Wechselbeziehung, die sich – unabhängig von Baudetails, Stilelementen und Materialien – durch eine zeitgemäße Interpretation des ausgewogenen Verhältnisses sowie der gebauten Struktur sowie der dabei angewandten Gestaltungsprinzipien und dem geplanten Bauwerk ergibt.“

Lassen wir uns vom Amts- oder Juristendeutsch nicht irritieren. Die Intention des Gesetzgebers – und darauf kommt es an –zielt auf ein unschematisches Vorgehen: „Wechselbeziehung“; auf typologische und nicht auf stilistische Verwandtschaft: „unabhängig von Baudetails, Stilelementen und Materialien“; und sie blickt nach vorne: „zeitgemäße Interpretation“. Damit werden Bedingungen geschaffen, die der Architektur einen Weg aus stilkonservativer Befangenheit öffnet. Wenn wir uns nun an einen der inkriminierten Bauplätze begeben, treffen wir auf einen leicht nach Norden abfallenden Hang, an dem die Quartierstraße nahezu hangparallel, ansteigend verläuft. Der Straßeneinschnitt bedingt an der Südseite Stützmauern, an der Nordseite sind die Grundstücke eben betretbar, fallen aber mehr oder weniger stark ab. Die Topographie zwänge zu unterschiedlichem entwerferischem Verhalten für die beiden Straßenseiten. Als weiterer Aspekt stellt die Nordexposition des Hanges Probleme, die im Süden noch durch einen schattenwerfenden Waldsaum kompliziert werden.

Dies sind für einen halbwegs erfahrenen Architekten keine unüberwindlichen Hindernisse. Roland Rainer, ein klassischer Moderner, der nahezu das ganze Jahrhundert überblickt, Architekt des an diesem Nordhang errichteten Neubaus, hat diesen nahe an die Straße gerückt, um an der davon abgekehrten Seite dem privaten Gartenbereich genügend Sonne zu lassen. Zur Straße bietet das Privathaus wenig Einblick, dafür ist es zum Garten offen gehalten.

Die Gliederung der Bauvolumen reagiert auf den leichten Terrainanstieg in Ostwestrichtung; Landschaft und Topographie spielten bei der Kompositiontion eine wesentliche Rolle. Das begrünte Flachdach ist ökologisch sinnvoll für den Umgang mit dem Regenwasser und daher zeitgemäß. Der sichtbar gemauerte Recycling-Ziegel gehört in dieselbe Gedankenwelt. Das wesentlichste strukturelle Merkmal dieses Bauwerks lautet: Architektur. Kein Monument, aber das sorgsam durchdachte, gelände- und materialfühlig umgesetzte Konzept für ein Wohnhaus im ausgehenden Jahrhundert. In den Einfamilienhausquartieren Klosterneuburgs stehen gar nicht wenige ähnlicher Qualität und vergleichbaren Ausdrucks.

Die Häuser der näheren Umgebung reagieren weder besonders auf die topographische Lage noch auf die Nordhangexposition. Sie sind ortsüblicher Standard, meist von einem Baumeister adaptierte Schemagrundrisse, gestalterisch weder gut noch schlecht, von einer Familie durchaus glücklich bewohnbar. Vom Erscheinungsbild heterogen, sind die eher kompakten Volumen meist in die Grundstücksmitte gerückt. Der Garten erfährt damit keine Zonierung, wäre meist einsehbar und wird in der Regel durch hohe Grünhecken abgeschirmt.

Auch wenn sie zumeist nicht von Architekten entworfen wurden, folgen sie einer allgemeinen Typologie, die sich über die Jahre durch wechselseitiges Kopieren herausgebildet hat.

Ein derartiger Topos wirkt fast wie eine Norm, und obwohl jeder Bauherr ein individuelles Heim anstrebt, gleichen sich die Häuser. Diese Welt der baumeisterlichen Häuser unterscheidet sich von jener der Architektenhäuser vor allem durch eine Ungleichzeitigkeit der Kulturen: Im einen Fall geht ein kollektiver, eher ungeregelter, langsamer Prozeß vor sich, im anderen aber bettet ein gerichtetes Wollen die Gestaltung in die allgemeine Architekturentwicklung ein. Damit ergibt sich der Unterscheidungsgrund: das Anstreben von Architektur.

Klingt elitär? Es ist auch elitär, aber im Sinne von Qualität. Daher ist es bedenklich, wenn heutzutage Architektur im negativen Sinn als Argumentationskeule für Ausgrenzungsversuche mißbraucht wird, wo umgekehrt der Gesetzgeber mit seiner offenen Formulierung einer zeitgemäßen Architektur den Weg bereiten will.

Das Bundeskanzleramt, beziehungsweise dessen Kunstsektion, fördert über die „Häuser der Architektur“ in den Bundesländern die Vermittlung von zeitgenössischer Architektur, damit das öffentliche Verständnis mit der Architekturentwicklung einigermaßen Schritt halten kann. Zahlreiche Medien widmen sich ebenfalls regelmäßig dieser Aufgabe. Warum? Weil die neuere österreichische Architektur sich im internationalen Vergleich sehen lassen kann.

In dieser Situation architekturwilligen privaten Bauherren das Leben mit gleichmacherischen Parolen die Baufreude zu vermiesen ist kulturpolitische Sabotage an einer insgesamt positiven Entwicklung, die von öffentlicher und von privater Seite gemeinsam getragen wird – eben jener der Architektur in Österreich.

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