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Ein sinnlicher Klassiker
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt Luis Barragán in Weil am Rhein und Basel

Die Tradition der mexikanischen Kolonialarchitektur mit ihren einfachen, kubischen Formen und die Architektursprache von Le Corbusier und dem Bauhaus prägten Luis Barragán (1902-1988), den bedeutendsten mexikanischen Baukünstler des 20. Jahrhunderts. Seine skulpturalen Häuser zählen heute zu den Glanzlichtern der modernen Architekturgeschichte.

29. Juni 2000 - Lutz Windhöfel
Als der Basler Architekt und ehemalige Direktor des Dessauer Bauhauses, Hannes Meyer, 1939 in Mexiko zu arbeiten begann, hatte Luis Barragán vor drei Jahren eine umfangreiche Bautätigkeit in der Hauptstadt des Landes begonnen. Das Frühwerk des 1902 in Guadalajara geborenen Architekten war zuvor während neun Jahren in seiner Heimatstadt entstanden und lebte ganz aus der Tradition des spanischen Kolonialstils. Barragán baute mit Arkaden und Tonnengewölben, mit Zinnen, Patios, Wasserspielen und unter Einbezug von Natur oder Garten. 1925 war der junge Architekt nach Europa gereist, wo ihn die Exposition des Arts Décoratifs in Paris und die Alhambra in Granada faszinierten. Als er sechs Jahre später erneut Europa besuchte, lernte er Le Corbusier und das Denken des Bauhauses kennen. Beide Einflüsse sollten ihn prägen.


Koloniale und moderne Formen

Seit 1936 realisierte Barragán in wenigen Jahren rund 20 Ein- und Mehrfamilienhäuser in Mexico City und errichtete so dem europäischen Neuen Bauen mit kristallinen Formen und grossen Glaspartien ein Denkmal in Mittelamerika. Dabei musste Barragán im Grunde nur die eigene Tradition weiterentwickeln. Denn die meist flach gedeckte, profane Kolonialarchitektur bestand bereits aus klaren Kuben. Sie kam fast ohne ornamentalen Schmuck aus, verfügte über lineare Erschliessungen und grosse - meist zum Innenhof sich öffnende - Fenster. Es war kein Traditionsbruch notwendig, um auf dieser Basis den Formenfundus des europäischen Funktionalismus anzuwenden. Einen Bruch mit der Geschichte forderte jedoch der Marxist Hannes Meyer. Dies dürfte mit ein Grund dafür gewesen sein, dass Barragán und der Grossmeister der europäischen Moderne keine Kontakte pflegten.

Ab 1940 arbeitete Barragán an Stadtplanungsprojekten und schuf jene Wohnhäuser und Haziendas, die ihn zum wichtigsten Baumeister seines Landes im 20. Jahrhundert und zu einer zentralen Gestalt der internationalen Architekturgeschichte machten. Als er 1980 als zweiter Architekt den damals noch neuen Pritzker Prize erhielt, nahm man dies in Europa kaum zur Kenntnis. Erst seit Barragáns Tod 1988 rückte der Ausnahmekönner in der Alten Welt langsam ins Rampenlicht. Ende 1992 präsentierte das Zürcher Architekturforum einen Einblick in sein Schaffen, und zwei Jahre später gab es eine umfangreiche Retrospektive in Madrid, aus der im folgenden Jahr ein Gesamtverzeichnis der Werke hervorging (das der Birkhäuser-Verlag 1996 auf Deutsch herausbrachte). Nun würdigen das Vitra-Design- Museum in Weil am Rhein und das Basler Architekturmuseum Barragáns Œuvre in einer breit angelegten Doppelausstellung.

Das Design-Museum kann seine Exponate aus der 1996 gegründeten Luis Barragán Foundation in Birsfelden alimentieren, die den Nachlass von Barragán selbst sowie jenen des Photographen Armando Salas Portugal besitzt, der während 40 Jahren mit dem Architekten zusammenarbeitete. Das Architekturmuseum Basel zeigt Bilder des Photographen René Burri, der im Auftrag von «Magnum Press» und namhaften Printmedien Barragáns Werk in den Jahren 1969 bis 1976 umfangreich im Bild dokumentierte.

Wer nicht das Werkverzeichnis Barragáns eingehend konsultiert oder zumindest das filmische Porträt gesehen hat, das parallel zur Ausstellung und als Teil des Gesamtprojektes entstand, wird es mit der Ausstellung im Vitra-Museum schwer haben. Denn die formale Welt Barragáns mit ihren klaren Formen, elementaren Farben und der souveränen Linearität der Konstruktion steht in völligem Gegensatz zur Museumsarchitektur Frank O. Gehrys. Zudem haben die Ausstellungsmacherinnen Federica Zanco und Emilia Tarragni die 740 Quadratmeter des Hauses bis in jeden Winkel genutzt. In grossen, grauen Rahmen aus Holz oder schwarzlackiertem Metall sind die zweidimensionalen Schätze der Stiftung - Pläne, Zeichnungen und Fotos - an den Wänden und auf Podesten opulent ausgebreitet. Dass das Frühwerk und die ersten Jahre in Mexiko City in Weil nicht zur Sprache kommen, mag damit zusammenhängen, dass Barragán dieses Material nicht für archivierungswürdig hielt. Für die Entwicklung des Baukünstlers sind sie dennoch aufschlussreich.


Ausgeblendetes Frühwerk

Die Ausstellung setzt in der Nachkriegszeit mit Barragáns grösstem städtebaulichem Projekt ein: den «Jardines del Pedregal» (1945-50). Auf dem von jahrhundertealten Lavamassen bedeckten Terrain, für das er einen Masterplan, prototypische Häuser und grosse Plätze mit Brunnenanlagen entwarf und realisierte, strebte er eine Symbiose von Architektur und Natur an. Aber obwohl sich der Unternehmersohn Barragán mit beträchtlichen Mitteln an der kommerziellen Erschliessung des Projektes beteiligte, konnte die grosse Mehrheit der Bauherren seiner Ästhetik nicht folgen. Es entstand letztlich ein beliebiger Vorstadtbrei, und von der Vision blieben fast nur historische Photographien übrig.

Mehr Glück hatte Barragán im Norden von Mexico City, wo mit «Las Arboledas» (1958-63) eine Wohnstadt für Pferdebesitzer entstand. Im Zentrum dieser Anlage befindet sich eine gewaltige Tränke in einer Eukalyptusallee, die der Architekt mit euklidischen Mauern, Mauerfragmenten und Farben so einfach und sinnlich rahmte, dass der Ort noch heute ein frühes Beispiel von Land-Art und Minimal Art darstellt. «Las Arboledas» wurde zusammen mit Barragáns Privathaus in Mexico City (1940-48) oder den Stallungen San Cristóbal und der Casa Folke Egerstrom (1967/68) zu den bevorzugten Motiven der Photographen, und diese drei Bauten stehen denn auch im Zentrum der Ausstellung. Aber auch andere wichtige Privathäuser wie die Casa Eduardo Prieto Lopez (1948), die Casa Antonio Gálvez (1955) oder die Casa Francisco Gilardi (1975/76) werden gezeigt, ebenso Kirchen und Plätze, die neben den Villen seine wichtigsten Bautypen waren. - Für die Ausstellung wurde der Gehry-Bau innen und aussen in jenem zarten Mauve, Zitronengelb und Rostrot gestrichen, das Barragán immer wieder verwendete. Wichtiger für die Schau sind allerdings die kleinen Terminals des Ausstellungsdesigners Bruce Mau. Zu sechs Bauten Barragáns kann man hier Fotos abrufen. Der Besucher wird über die Standorte der Kameraobjektive auf dem Grundriss informiert, und so ist eine Art Wanderung durch Aussen- und Innenräume der Häuser möglich. Weit bescheidener, jedoch nicht weniger präzis zeigen die Aufnahmen René Burris im Architekturmuseum Barragáns ästhetische Welt. Sie werden in einer kleinformatigen, äusserst sorgfältigen Publikation dokumentiert. Die Art, wie in seinem eigenen Haus ein Raum in voller Höhe und Breite in Form eines Fensters in den Garten mündet oder wie der Architekt eine Holztreppe ohne Stützen und Geländer ein Stockwerk überwinden lässt, das sind Sternstunden der Baukunst: Barragán schuf hier Typologien, die längst klassisch sind.


[ Die Ausstellung im Vitra-Design-Museum in Weil dauert bis zum 29. Oktober, jene im Architekturmuseum Basel bis zum 13. August. Katalog Fr. 29.-. Im August erscheint zudem eine wissenschaftliche Begleitpublikation zur Ausstellung in Weil. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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