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Brennende Fragen
Der Standard

Das Architekturzentrum Wien eröffnet mit „Hot Questions – Cold Storage“ seine neue, überbordende Dauerausstellung, an deren Ende eine Frage steht: Wann bekommt Österreich endlich ein Architekturmuseum?

5. Februar 2022 - Maik Novotny
Und das hier, erklärt der bärtige Mann in roter Hose und roten Schuhen, ist ein Terrassenhaus. Jede Wohnung hat die gleiche Fläche als Garten vor dem Fenster, das sei elementar. Großer Applaus im Saal. Moderator Dietmar Schönherr schaut interessiert auf das große Architekturmodell. Minutenlang erklärt der farbenfroh gekleidete Friedensreich Hundertwasser an diesem 26. Februar 1972 in der Mainzer Rheingoldhalle den Millionen Fernsehzuschauern von Wünsch dir was seine Ideen.

Jetzt darf er das auch jahrelang auf einem Bildschirm im Wiener Architekturzentrum tun, während hinter ihm das Paneel einer mit photoaktiven Algen gefüllten Fassade (Splitterwerk Architekten) grün vor sich hin blubbert. Ja, sogar Hundertwasser, der Gottseibeiuns der Architekten, hat seinen Platz in der neuen Schausammlung, die diese Woche eröffnete. Denn bei aller Kritik am Dekokitsch seiner realisierten Häuser wird man wehmütig bei dieser Fernsehszenerie. Heute scheint es undenkbar, dass in einer Samstagabendshow ausführlich über Architektur gesprochen wird, noch dazu anhand eines Modells.

Hot Questions – Cold Storage heißt die Dauerausstellung, die die seit 2004 bestehende Vorgängerin a_schau ablöst. „Cold Storage“, das verweist auf das AzW-Depot in Himberg, in dem sich inzwischen die größte Sammlung zur österreichischen Architektur überhaupt befindet, die mit über 100 Vor- und Nachlässen auf Fabrikhallengröße angewachsen ist. Über 400 Exponate davon sind jetzt in Wien zu sehen, ins Archiv selbst bekommt man per Video einen Einblick.

Sowohl in ihrem Konzept als auch in ihrer Erscheinung markiert die Schau eine Zäsur. „Vor 17 Jahren sind wir den Meistererzählungen gefolgt und zeigten einzelne Projekte“, erklärt Kuratorin Monika Platzer, die damals gemeinsam mit Gabriele Kaiser die a_schau und jetzt die Nachfolgerausstellung konzipierte. „Heute verfügen wir über neue Erkenntnisse und stellen uns andere Forschungsfragen in den Bereichen Klima und Politik, oder der Genderthematik.“

„Wer spielt mit?“

Ein braves chronologisches oder biografisches Abhaken von Architekturgeschichte wird hier eindeutig nicht betrieben. Sieben titelgebende heiße Fragen bilden stattdessen das Ordnungssystem für die Antworten liefernden Exponate. Eine davon lautet „Wer spielt mit?“ und ist mit seiner selbstreflexiven Metaebene so etwas wie der Schlüssel des Ganzen. Denn hier geht es darum, wer bestimmt, welche Architektur und welche Architekten relevant sind. Dieser Kanon, das weiß und zeigt die Ausstellung, ist immer subjektiv. Hier verweist sie auf frühere Ausstellungen der Arbeitsgruppe 4 zu Wien um 1900 im Jahr 1964 und die von Hans Hollein konzipierte Blockbusterausstellung Traum und Wirklichkeit von 1985, die beide den (künstlerischen wie monetären) Wert jener in Vergessenheit geratenen Ära maßgeblich bestimmten.

Hier kommt auch das Thema Frauen in der Architektur zur Sprache, plakativ in Form von zwei Barbiepuppen aus der Serie „I can be“ – Frau Architektin, Frau Ingenieurin. „Erstaunlicherweise gab es 1938 schon über 200 registrierte Architektinnen in Österreich“, sagt Monika Platzer, „doch auf die erste Professorin an einer Architekturhochschule, Nasrine Seraji, musste man bis 1996 warten.“

Diese und die weiteren sechs Fragen wurden von den Ausstellungsarchitekten Michael Hieslmair und Michael Zinganel (Tracing Spaces) in regenbogenbunte Installationen zwischen Möbel und Wundermaschine gepackt, eine starke Geste, die durchaus gewollt ist, wie AzW-Direktorin Angelika Fitz betont. „Wir mischen uns hier in die Architekturgeschichte ein und können dabei keine neutrale Position einnehmen. Deshalb ist die Ausstellung auch kein White Cube. Wir wollten auch nicht einfach Objekte hinstellen, sondern sie befragen und zum Leben erwecken.“

Es ist ein wilder Ritt, der dennoch nicht überfordert, sondern dazu verführt, mehr wissen zu wollen. Die Frage „Wie entsteht Architektur?“ präsentiert die Werkzeuge des Architekten wie Skizzen, Modelle und Computer ebenso wie die Räume, in denen Architektur entsteht: die Ateliers zu Hause und die Reisen in die Ferne, die den stetigen Import und Export von Ideen von und nach Österreich illustrieren. „Wie wollen wir leben?“ widmet sich auf sehr kompaktem Raum mit ausgewählten Modellen dem Thema Wohnbau, „Wer sorgt für uns?“ sucht Antworten in Bauten für das Gemeinwohl, von Anton Schweighofers Stadt des Kindes über das Otto-Wagner-Spital bis zu Luigi Blaus serienmäßigem Mistkübel, der 4700-mal in Wien seinen Dienst tut.

Politik und Identität

„Wie überleben wir?“ schlägt den Bogen von Utopien der 1960er-Jahre über Solararchitektur der 1980er und das pragmatische Paradies der Donauinsel bis zum Social Turn von Projekten wie Vinzirast von Gaupenraub Architekten – und hier ordnet sich auch Hundertwassers Terrassenhausfernsehwerbung passend ein. Das politischste Kapitel „Wer macht Stadt?“ stellt kapitalistische und antikapitalistische Ansätze im Wohnbau gegenüber und bringt auch noch die Themen Migration, Emigration und Vertreibung unter, und „Wer sind wir?“ stellt die Frage nach der österreichischen Identität zwischen Wiener und Grazer Schule, zwischen Stadt und Land, zwischen Vorarlberger Neuem Bauen und Betonbrutalismus im Burgenland.

Diese weit ausholenden Antworten machen nicht nur klar, aus wie vielen Geschichten die österreichische Architekturgeschichte besteht, sondern vermitteln auch das Selbstverständnis, die Kompetenz und den Wissensspeicher des AzW. Wenn vieles hier nur angerissen wird, zum Bersten vollgestopft wirkt und Lust auf mehr macht, dann ist das logisch, denn weniger als ein Prozent der Sammlung fand hier Platz. Alles hier will größer sein, so vieles gäbe es noch zu zeigen, jedes der sieben Kapitel wäre eine eigene Ausstellung wert. Doch der Raum und das Budget, die das AzW zur Verfügung hat, sind skandalös klein. Hot Questions – Cold Storage ist ein Signal an die österreichische Kulturpolitik, dass dieses Land endlich ein richtiges Architekturmuseum braucht, und zwar jetzt. Denn die Fragen brennen unter den Nägeln.

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