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Anders wohnen
Neue Zürcher Zeitung

Die Ausstellung «The Un-Private House» in New York

Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren ebenso gewandelt wie die Lebensweise vieler Menschen. Im Museum of Modern Art in New York sind nun unter dem suggestiven Titel «The Un-Private House» 26 Konzepte zu sehen, wie im Bereich des privaten Wohnhauses architektonisch auf diese Veränderungen reagiert werden kann. Entstanden ist eine spektakuläre Schau.

17. Juli 1999 - Hubertus Adam
Man mag sich fragen, ob angesichts fortschreitender Suburbanisierung der Wunsch nach den eigenen vier Wänden noch vertretbar ist. Zumindest im dichtbesiedelten Europa mit seinen historisch gewachsenen Stadtgefügen wird das Eigenheim zunehmend fragwürdig; und doch bleibt die Sehnsucht vieler Menschen nach einem Refugium, das von individuellen Parametern bestimmt ist und nicht von normierten Vorgaben, ungebrochen. Diese Autonomie eines selbstgewählten und selbstgeschaffenen unmittelbaren Lebensumfelds entspricht einer Massengesellschaft, in der zur Schau gestellte Individualität zum alleinigen Distinktionskriterium wird.


Gravitationszentren des Lebens

Allerdings unterscheidet sich das freistehende Haus zumeist nur quantitativ von der Mietwohnung im Geschossbau; beide Typen folgen, wenn auch in stark reduzierter Form, der Vorstellung (gross)bürgerlichen Wohnens, wie sie sich im 19. Jahrhundert entwickelt hatte. Zwar wurde aus der Villa mittlerweile das Einfamilienhaus, doch verhält sich, wie schon der Name verrät, das Ideal gemeinschaftlichen Zusammenlebens in der Optik der Planer offenkundig wandlungsresistent. Grundrisse, wie man sie in den Modellkatalogen von Fertighausanbietern findet, zeigen die ewig gleiche, auf die Raumbedürfnisse einer Zwei- Kind-Familie zugeschnittene Abfolge von Wohn-, Ess-, Schlaf- und Kinderzimmer. Die Tatsache, dass es Käufer für derlei konfektionierte Häuser gibt, wird die Entwerfer bestätigen. Und doch müsste ihr Weltbild Risse bekommen: die Tatsache, dass in vielen Grossstädten der westlichen Welt Single-Haushalte mittlerweile die Mehrzahl darstellen, ist lediglich die deutlichste Ausprägung eines Wandels, dem die Vorstellung vom Wohnen und Zusammenleben unterliegt.

«The Un-Private House» nennt Terence Riley, Leiter des Department of Architecture and Design am Museum of Modern Art New York, eine wegweisende Ausstellung, in der anhand von 26 Beispielen gezeigt wird, wie Architektur auf derlei Veränderung reagieren kann. Im Gegensatz zu den legendären Architekturausstellungen des MoMA, so der «International Style Exhibition» von 1932 oder der Dekonstruktivismusschau des Jahres 1988, geht es diesmal nicht um die Fundamentierung eines neuen Stils. Im Gegenteil: Konträrer als Simon Ungers' geometrisch rigides, mit Corten-Stahl verkleidetes «T-House» (1992), dessen Bibliotheksturm den flachen Riegel der Wohnräume überragt, und Bernard Tschumis zeitgleiches Projekt einer als fragile Glas-Beton- Konstruktion gedachten Villa für Den Haag lassen sich zwei Gebäude kaum denken. Vergleichbar werden sie erst auf Grund der Tatsache, dass beide mit den normierten Wohnvorstellungen brechen: Ungers' hermetisches Gebilde ist der Lebensort eines Schriftstellers, dessen Bücherschrein monumental inszeniert wird, Tschumi ordnet in seinem transparenten Vorbau Medienarbeitsplätze für die Bewohner an, gewährt ihnen Aus- und den Passanten Einblicke.

Hatte noch eine dogmatisch erstarrte Moderne dem Segregationsprinzip gehuldigt, also die Trennung von Wohnen und Arbeiten gefordert und damit dem Haus lediglich eine private Regenerationsfunktion zugewiesen, so ist dank modernen Kommunikationstechniken Arbeit heute vielfach nicht mehr ortsgebunden. Gerade in kreativen Berufen beginnt sich Heimarbeit durchzusetzen. Damit gelangt die einstige Ideologie von «My home is my castle» an ihr Ende; wo der Wohnort zum Gravitationszentrum des Lebens avanciert, muss er auch öffentliche Funktionen übernehmen. Privatheit ist damit nicht mehr alleiniges Ziel der Bewohner. Auf verblüffend einfache Weise macht dies ein Bau von Shigeru Ban deutlich. Der Japaner nahm den Begriff der «Curtain Wall» beim Wort und versah die beiden Wohnebenen eines Hauses in Tokio (1995) mit einem geschossübergreifenden Vorhang. Tagsüber exponieren sich die Bewohner, fühlen sich wie an der Reling eines Ozeandampfers, der durch das Meer der Grossstadt steuert, nachts verschleiert das Textil die Geschehnisse im Inneren.


Struktur statt Form

Wenn Arbeit und Freizeit verschmelzen, bedarf es veränderter Wohnstrategien und Raumdispositionen, da sich bisherige Hausgrundrisse im Verhältnis zu den neuen Anforderungen - systemtheoretisch gesprochen - als «unterkomplex» erweisen. Als eines der überzeugendsten Beispiele für neue Lösungen kann Ben van Berkels «Möbius-Haus» gelten, bei dem intime Räume mit eher öffentlich wirkenden Zonen zu einem endlosen Band verschlungen sind; je nach Tätigkeit und Tageszeit müssen die Bewohner ihren Aufenthaltsort im Gefüge der Struktur neu bestimmen. Berechtigterweise hat Riley van Berkels Meisterwerk ins (räumliche) Zentrum der Ausstellung gerückt. Nicht nur das Möbius-Haus, auch das von Preston Scott Cohen aus Boston projektierte «Torus House», dessen zwei Wohn- und Arbeitsbereiche sich um ein tordiertes Treppen- Wand-Arrangement lagern, weist Elemente auf, deren Gestalt sich mit den üblichen geometrischen Zuordnungen nicht mehr definieren lässt. Das ist kein Zufall in einer Welt, bei der Positionsbestimmungen ihren Absolutheitsanspruch verloren haben. Im Zeitalter von «cross dressing» und «cross culture», von veränderten Rollenbildern und dynamisierten Lebensprozessen wird dies nicht als Sicherheitsverlust, sondern als Freiheitsgewinn verstanden. So führt Relativierung nicht zur Nivellierung, sondern zu einem verschärften Blick auf die Distanz im Nahen, die Ferne des Vertrauten.

Vor diesem Hintergrund wird das Interesse der Architekten für die Topologie verständlich, jenen Teilbereich der Mathematik, dessen Grundgedanke darin besteht, dass ein Körper seine Gestalt verändern kann, ohne indes die ihm zugrundeliegende Struktur zu verlieren. Die Frage der Form ist somit für die Identität eines Dings nicht mehr essentiell. Das ermöglicht einen unbefangenen Umgang mit der Tradition, der mit der krampfhaften Witzigkeit der Postmoderne nichts mehr gemein hat. Im Aufriss wirkt die für Videokunstsammler entworfene Kramlich Residence von Herzog & de Meuron wie eine Paraphrase auf das Farnsworth House von Mies van der Rohe, im Grundriss aber wird deutlich, dass das Haus aus sich schneidenden, ondulierend geführten Glaswänden besteht, die von einem polygonalen Dach überfangen sind. Welche Bereiche privat bleiben sollen, welche für die Kunstsammlung vorgesehen sind, darüber gibt der Entwurf keine Auskunft. Möglich, dass die Bewohner diese Trennung ohnehin nicht wünschen.


Neue Keimzellen der Gesellschaft

Konfrontiert sehen sich die Architekten nicht nur mit neuen Nutzungsanforderungen, sondern auch mit einem veränderten Auftraggeberspektrum. Michael Maltzan baute in Beverly Hills für ein schwules Paar, François de Menil in Houston für eine alleinstehende Frau, der New Yorker Joel Sanders reflektierte über das «House of a Bachelor». Und wenn es die herkömmliche Familie dann doch noch gibt, sieht sie, dass das Miteinander auch ein temporäres Nebeneinander bedeuten sollte, wie die Entwürfe von den Londoner Farjadi Farjadie Architects sowie Steven Holls «Y House» beweisen.

Terence Riley hat die Schau im MoMA spektakulär inszeniert. Grundrisse und Photos, Computeranimationen und Modelle vermitteln selbst denjenigen ein anschauliches Bild, die Architekturausstellungen eher als spröde erachten. Wer weitere Informationen wünscht, kann sich an einen interaktiven runden Tisch setzen und dank einem ausgeklügelten Sensorensystem die Projektion weiterer Pläne und Bilder steuern. Nur eine Frage lässt die Ausstellung aus - ob es möglich ist, auch dem Wohnen im Geschossbau jene Individualität zu verleihen, die unseren Auffassungen vom Leben entspricht. Derartige Konzepte werden vor allem in den Niederlanden entwickelt - aber vielleicht ist davon später auch einmal etwas in New York zu sehen, denn «The Un-Private House» ist die erste von fünf im Zweijahresturnus veranstalteten Architekturausstellungen, die durch den «The Lily Auchincloss Fund for Contemporary Architecture» finanziert wird. (Bis 5. Oktober)


[ Katalog: The Un-Private House. Hrsg. Terence Riley. The Museum of Modern Art, New York 1999. 250 S., $ 29,95. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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