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Musentempel vom Fliessband
Neue Zürcher Zeitung

Die Architekten Fellner & Helmer in einer Grazer Ausstellung

23. Juli 1999 - Gerhard Stadler
Zwischen 1850 und 1930 wurden 1500 Theater in europäischen Städten gebaut. Es war die Zeit des Aufschwungs der Städte, deren Bürger Repräsentation und Bildung suchten. Oper und Schauspiel sollten nicht mehr dem Adelstheater in den barocken Schlössern vorbehalten sein, sondern demokratisiert werden. So entstanden, meist am Rande der historischen Altstadt auf einem freien Platz, Theater mit 1000 Plätzen und mehr, mit möglichst gleich guter Sicht. Davon baute der Wiener Architekturkonzern Fellner & Helmer mehr als fünfzig. Geplant wurde - bis in die technischen Details - in Wien, gebaut von lokalen Firmen. Der künstlerische Schmuck wurde wiederum aus Wien geliefert (u. a. von Hans Makart, Gustav Klimt und Franz Vogl).


Architekten der Illusion

Stil der Bauten war der des Historismus, aber oft fügte man regionale, antikisierende oder barocke Elemente ein. Für den Zuschauer- und Bühnenraum gab es je nach gewünschter Grösse einige Standardmodelle, um die dann Fassade, Repräsentationsräume und Treppenhäuser nach den Vorstellungen (und finanziellen Möglichkeiten) der Auftraggeber gestaltet wurden. In Augsburg, Brünn, Czernowitz, Graz, Hamburg, Mainz, Odessa, Prag, Ravensburg, Salzburg, Sofia, Varazdin, Wien, Wiesbaden, Zagreb, Zürich und in vielen anderen Städten gleichen sich die Fellner-&-Helmer-Bauten, trotz Bränden und Bomben, Restaurierungen und Erweiterungen, bis heute.

Eine Ausstellung im Stadtmuseum Graz bringt uns diese «Architekten der Illusion» in Erinnerung. Der Wiener Ferdinand Fellner (1847-1914) soll die Aufträge nach Wien gebracht, der gebürtige Hamburger Helmer (1849-1919) mit 20 Mitarbeitern hier die Pläne gezeichnet haben. Ob einer der beiden ein Studium abgeschlossen hat, lässt sich nicht mehr feststellen, aber erfolgreich waren sie. In ihren Bauten wurde die damals modernste verfügbare Technik angewendet (hydraulischer Antrieb der Bühnenmechanik, Zentralheizung, elektrische Beleuchtung), und die Bauten entsprachen den neuen Brandschutzvorschriften, die nach dem Wiener Ringtheaterbrand (1881), der fast 500 Menschen das Leben gekostet hatte, in den europäischen Städten erlassen wurden.

In der Ausstellung wird uns die Baugeschichte dieser Theater erzählt, so auch des Zürcher Stadttheaters, des heutigen Opernhauses: Nach dem Brand des alten Stadttheaters in der Neujahrsnacht 1890 wollte die Stadt möglichst bald einen Ersatz. Projekte von Zürcher Architekten wurden verworfen, und ohne Ausschreibung erhielten Fellner & Helmer den Auftrag. Sie hatten die Pläne rasch fertig - der vorhandene Plan für ein Theater in Krakau, wo aus nationalen Gründen letztlich ein polnischer Architekt bevorzugt worden war, musste nur leicht adaptiert werden. Schon am 13. Juni 1890 erfolgte der Spatenstich, und trotz Problemen mit dem Grundwasserspiegel, die zum Einrammen von 1838 Pfählen führten, konnte das Stadttheater schon am 1. Oktober 1891 eröffnet werden. Der Bau hatte 2 Millionen Franken gekostet, Zürich war zufrieden, und der nächste Auftrag folgte: der der Tonhalle, die 1895 eröffnet wurde. Schliesslich bauten Fellner & Helmer noch die Villa Robert Schwarzenbach über dem Seeufer in Rüschlikon bei Zürich.


Spärliche Quellenlage

Da das Atelier Fellner & Helmer bald nach dem Ersten Weltkrieg aufgelöst wurde und keine Nachfolger fand, ist die Quellenlage spärlich. Die Ausstellung geht über die Architekturgeschichte der Bauten des Ateliers hinaus und bezieht die anderen Ausstattungsteile mit ein, die die Illusion des Theaters ausmachen: Bühnenbild und -maschinen, Kostüme und Schminke, Licht und Musik. Der von Gerhard M. Dienes herausgegebene Katalog entspricht dem breiten Rahmen der Ausstellung und führt uns dazu noch in Richard Wagners «Lohengrin» ein - diese Oper wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert am häufigsten als Eröffnungsvorstellung gewählt. (Bis 3. Oktober)


[ Katalog: Fellner & Helmer. Die Architekten der Illusion. Theaterbau und Bühnenbild in Europa. Hrsg. Gerhard M. Dienes. Stadtmuseum Graz, 1999. 307 S., S 250.-. ]

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