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Wie hässlich wird die Energiewende?
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Eine Novelle zum Gesetz zu Umweltverträglichkeitsprüfungen, die Österreichs Energiewende beschleunigen soll, droht diese auszubremsen. Dazu gefährdet sie Umwelt und Landschaft. Wiederholen sich die Fehler von vor 40 Jahren?

28. September 2022 - Stephanie Drlik
Der Klimaschutz fordert schon lange, was die Energiekrise nun beschleunigt: raus aus Kohle und Gas, rein in die Energiewende. Doch Österreich ist ein landschaftlich klein strukturiertes Land: Da es hierzulande unmöglich ist, Hunderte Hektar große Energielandschaften in menschenleeren Gegenden zu errichten, ist die Wende ein Stückwerk. Die Vorhaben müssen in Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) oder naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren begutachtet werden – ein Aufwand, der sich freilich lohnt. Denn Energieanlagen greifen teils erheblich in die Natur ein und können Tiere, Pflanzen, die Luftqualität und natürlich das Landschaftsbild beeinträchtigen, obwohl diese rechtlich gesehen Schutzgüter des Gebiets- und Artenschutzes sind. So kommt es, dass geplante Energiegewinnungsanlagen zwar für den Klimaschutz gut sind, jedoch Anliegen des Umwelt-, Natur- oder Landschaftsschutzes gefährden können. Ein Schutzgut wirkt also gegen andere Schutzgüter, Gut gegen Gut – ein Dilemma.

Solche Patt-Stellungen können in UVP-Verfahren zum Stillstand führen, vor allem wenn sich Fronten zwischen Klima- und Naturschutz verhärten. Umwelt-, Klima- und Energieministerin Leonore Gewessler versucht dieses Problem nun durch eine Novelle zum geltenden UVP-Gesetz zu lösen. Doch der Entwurf ist unter Expert:innen höchst umstritten. Die vermeintlich gut gemeinten Erleichterungen für die Energieindustrie sind nicht nur rechtlich fragwürdig. „Wir unterstützen die angestrebten Ziele zur Energiewende, doch die Neuerungen stellen aus unserer Sicht keine Verfahrensbeschleunigung dar“, so Paul Kuncio, Rechtsexperte des Umweltdachverbands, der besonders vor einer pauschalierten Priorisierung von Energieprojekten warnt.

Ein in der Novelle geplantes „Fast-Track-Verfahren für Windkraftanlagen“ hebelt die Widmungshoheit der Gemeinden als auch die Landesraumordnungen aus. „Das würde die Flächen jener Bundesländer, die über keine Energieraumplanung verfügen, ohne jegliche fachliche Prüfung über Nacht zu potenziellen Ausbauflächen machen“, erklärt der Umweltrechtsexperte.

Freikauf durch Ausgleichszahlungen

Fachleute sehen darin nicht nur massive Umweltrisiken, auch soziale Konflikte wären vorprogrammiert. Es besteht die Gefahr, dass künftig neben Bürgerinitiativen ebenso die Standortgemeinden als Projektgegner auftreten. „Solche Allianzen der Gegnerschaft führen wohl eher zu einer Verhärtung der Fronten als zu einer Verfahrensbeschleunigung“, meint Thomas Knoll, Ordnungsplaner und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur. Sollte hier jemand für die Windkraft lobbyiert haben, war das wohl ein Schuss ins eigene Knie, denn Rechtsunsicherheiten können zu jahrelangen höchstgerichtlichen Verfahren führen. Der Umweltdachverband kritisiert zudem die geplante Verschiebung von verpflichtenden Ausgleichsmaßnahmen in nachgelagerte Verfahren. Bisher mussten Energieprojekte, die Schutzgüter beeinträchtigen, Ausgleichsmaßnahmen als Genehmigungskriterium vorlegen – das ist nun nicht mehr erforderlich. Ob angekündigte Maßnahmen dieser Art im Nachhinein vollumfänglich erfolgen werden, ist fraglich. Zudem besteht nun die Möglichkeit, sich durch Ausgleichszahlungen freizukaufen. Für Energieunternehmen wohl die leichtere Übung, für den Umweltschutz ein Verlust.

Auf Unverständnis stößt ferner die geplante Neuregelung, wonach wesentliche Änderungen bei bereits genehmigten Vorhaben ohne weitere Bewilligungen unter dem Deckmantel der technologischen Weiterentwicklung vorgenommen werden können. In der Praxis könnte das bedeuten, dass etwa Windräder mit Rotorspitzenhöhen von 200 Metern genehmigt, jedoch solche mit 300 Metern ohne ausreichende Beurteilung der Umweltauswirkungen errichtet werden. Diese entsprechen zwar dem Letztstand der Technik, landschaftsräumlich wären sie jedoch unverhältnismäßig. Von einer Selbstregulierung der Energiebetreiber:innen ist nicht auszugehen, die Möglichkeiten werden deutlich ausgereizt.

Punkto Freiflächen-Fotovoltaik hat man im Klimaministerium die Einführung einer UVP-Pflicht verabsäumt, auch für Großanlagen, die Auswirkungen auf Landschaft, Boden und Biodiversität haben. Für die Sicherstellung einer naturverträglichen Energiewende, die auf größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung stößt, wäre das wichtig gewesen. „Solche Fehler tun der Energiewende nicht gut, sie werden die Umsetzung verlangsamen und Gegenbewegungen fördern“, sagt der in Energieraumplanung erfahrene Thomas Knoll. „Klare Schwellenwerte und eine behördliche Überprüfung helfen den Vorhaben. Auch die öffentliche Debatte macht Projekte besser.“ Doch Letztere wurde an mehreren Stellen der Novelle ausgehebelt.

Rechtliche Ungereimtheiten

Das bedauert auch Paul Kuncio vom Umweltdachverband: „Natürlich dauern Einsprüche seine Zeit, aber die Wissenschaft hat belegt, dass Bürgerbeteiligungsverfahren und Beschwerde-Einsprüche nicht die maßgeblichen Verfahrensverzögerer sind.“ Hier dürfte es anderswo haken, etwa in langen Vorverfahren oder aufgrund von Personalmangel bei den Behörden.

Alles in allem steht zu befürchten, dass die als verfahrensbeschleunigend initiierte Novelle die Verfahren aufgrund rechtlicher und inhaltlicher Ungereimtheiten eher verlangsamen und negative Entwicklungen für die Umwelt zur Folge haben wird. Die lange Vorbereitungszeit des Novellierungsentwurfs lässt darauf schließen, dass die politische Kompromissfindung schwierig war. Der koalitionäre Verhandlungsspielraum dürfte gering, die Umsetzung des Novellenentwurfs daher wahrscheinlich sein.

Können Fehlentwicklungen abgefangen werden? „Die strategische Umweltprüfung (SUP), die den UVP-Verfahren vorgelagert ist, könnte eine wichtigere Rolle als bisher einnehmen. Mehr Rechtsverbindlichkeit der SUP und ihre Stärkung hinsichtlich des Landschaftsbilds, des Bodenschutzes und der sozialen Akzeptanz könnten hilfreich sein“, so Kuncio. Und natürlich wäre die lang geforderte Aufstockung der personellen Ressourcen in Behörden und Verwaltungsgerichten und der Sachverständigen ein Turbo für die Energiewende.

Übrigens: Als in Österreich in den 1980er-Jahren die Wasserkraft ausgebaut werden sollte, wurden ähnliche Fehler gemacht. Durch die Regelung des „bevorzugten Wasserbaus“ konnten Energieträger Kraftwerke ohne Vorab-Bewilligung errichten. Die damaligen Widerstände gegen ein geplantes Donaukraftwerk führten zur Besetzung der Hainburger Au und zur Gründung der grünen Bewegung. Schade, dass es gerade eine grüne Umweltministerin ist, die Fehler der Vergangenheit wiederholt.

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