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Florale Eskapaden
Neue Zürcher Zeitung

Ausstellung Hector Guimard in der Villa Stuck in München

20. Juli 1999 - Susanne Partsch
Vor hundert Jahren stellte der französische Architekt Hector Guimard (1867-1942) im Pariser Salon du Figaro ein Prachtalbum mit dem Titel «L'Art dans l'habitation moderne: Le Castel Béranger» aus. Die 65 Farbtafeln zeigen die Gesamtanlage, die Fassaden, Details der Ornamentik, aber auch Innenraumgestaltung, Dekoration und Einrichtung des Mietshauses, das er 1898 vollendet hatte. Für das Castel Béranger erhielt Guimard 1899 einen Preis beim Wettbewerb um die schönsten Fassaden von Paris. Diese beiden Jubiläen werden noch durch ein drittes ergänzt: Ebenfalls 1899 begann Guimard, die Eingänge der Pariser Métro zu gestalten. Genügend Anlässe sind also vorhanden, das Album zusammen mit fünf Originalplänen des Castel Béranger in der Münchner Villa Stuck auszustellen, einem der wenigen erhaltenen Gesamtkunstwerke des Jugendstils.

Auch das Castel Béranger, das bis heute Mietshaus geblieben ist, gehört zu diesen wenigen erhaltenen Gesamtkunstwerken. Im Unterschied zur Villa Stuck oder dem von den Wiener Werkstätten in Brüssel erbauten Palais Stoclet ist es jedoch kein grossbürgerliches Privathaus, sondern ein Mietshaus mit sechsunddreissig erschwinglichen Wohnungen. Paul Signac, selber Mieter eines Ateliers im Castel Béranger, betonte: «Jedes Appartement hat seinen eigenen Charakter: der Bourgeois, der Arbeiter, der Künstler, der ‹Smart› - jeder findet dort, was ihm behagt . . .» Guimard war es gelungen, mit relativ billigem Baumaterial und ohne allzu grossen Arbeitsaufwand Fassaden und Innenräume abwechslungsreich in seinem eigenwilligen Stil zu gestalten.

Die Verbindung von technischem Können und extravagantem Stil führte wohl auch zum Auftrag für die Eingänge der Pariser Métro. Guimards gusseiserne Elemente konnten in beliebiger Stückzahl gegossen und so als «Bausteine» für die verschieden grossen U-Bahnhöfe variabel genutzt werden. Um die achtzig Métro-Eingänge von Guimard haben sich in Paris noch erhalten. Von denen, die im Lauf der Zeit durch anders gestaltete Eingänge ersetzt wurden, haben drei ihren Weg in Museen von Paris, New York und München gefunden. Teile der Münchner Métro-Station Bolivard bilden jetzt den Abschluss der Ausstellung. Die ganze Station, die sich im Besitz der Neuen Sammlung befindet, wird nach Eröffnung der Pinakothek der Moderne erstmals als Ganzes in München zu sehen sein.

Im Katalog sind die Tafeln aus dem Album Guimard als Faksimile wiedergegeben. Neben den Essays von Jo-Anne Birnie Danzker über das Castel Béranger und Josef Strasser von der Neuen Sammlung über die Pariser Métro-Stationen geben zeitgenössische Texte zum Castel Béranger Aufschluss über die damals kontrovers geführte Diskussion um dieses Mietshaus. Der Wiener Ludwig Hevesi prägte damals den Begriff des «Stengelstils». Guimard selber hatte dem belgischen Architekten Victor Horta, der ihn massgeblich beeinflusste, die Worte in den Mund gelegt: «Ich nehme mir keine Blumen zum Modell, sondern ihre Stengel.» Mit Häme vermerkten daraufhin Kritiker wie E. Molinier, dass dieser Satz ausschlaggebend war für Guimards «Verzicht auf die gerade Linie . . ., (die) eine höchst unerfreuliche Wirkung hervor(ruft)». Signac hingegen fühlte sich in seinem neuen Atelier wohl und fand zur alten Arbeitsroutine zurück.

Erst in den siebziger Jahren wurde Guimards Rolle als wichtiger Vertreter des Pariser Jugendstils erkannt. Die Ausstellung in der Villa Stuck zeigt, dass er nicht nur ein «architecte d'art» war, wie er sich selbst bezeichnete, sondern auch einer der ersten Industriedesigner. (Bis 22. August)


[ Der Katalog kostet an der Museumskasse DM 36.-. ]

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