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Mehr Licht ins Haus
Der Standard

Der Baustoff Glas hat die Architektur im 20. Jahrhundert entscheidend mitgeprägt. Während Glasfassaden bei Kauf- und Bürohäusern seit Jahrzehnten Usus sind, steht man dem vielfältigen Material auf dem wenig experimentierfreudigen Sektor des Wohnbaus allerdings noch skeptisch gegenüber.

24. Juli 1999 - Franziska Leeb
„Wollen wir unsre Kultur auf ein höheres Niveau bringen, so sind wir wohl oder übel gezwungen, unsre Architektur umzuwandeln. Und dieses wird uns nur dann möglich sein, wenn wir den Räumen, in denen wir leben, das Geschlossene nehmen. Das aber können wir nur durch Einführung der Glasarchitektur, die das Sonnenlicht und das Licht des Mondes und der Sterne nicht nur durch ein paar Fenster in die Räume läßt...“, formulierte bereits am Anfang dieses Jahrhunderts der Phantast Paul Scheerbart in seinem Aufsatz Glasarchitektur - gewidmet dem Architekten des Glaspavillons auf der Kölner Werkbundausstellung von 1914, Bruno Taut.

Transparenz lautet eines der beliebtesten Schlagworte in der Architektur der Gegenwart. Es dient oft auch als Synonym für das Sichtbarmachen von Prozessen. Bürohäuser werden mit transparenten Fassaden ausgeführt, um Arbeitsabläufe - scheinbar - nachvollziehbar zu machen. Bei Wohnhäusern mit verglasten Loggien soll sich das Wohnen an die Fassade und damit in den öffentlichen Raum hinein projizieren. Der Mensch ist bloß noch nicht ganz daran gewöhnt, sein Privatleben der Öffentlichkeit preiszugeben und wehrt sich mit Vorhängen, Bastmatten und Paravents gegen die von den Architekten vorgesehene Durchlässigkeit. Sehen und gesehen werden sind eben zweierlei.

Warum verwenden Architekten Glas?
Das Architektenteam Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer wollte mit dem Wintergarten des Hauses Sailer in Salzburg „einen Raum schaffen, dessen Ort weder innen noch außen liegt“. Der gläserne Anbau verbindet das Haus mit dem Garten und sorgt in der kalten Jahreszeit dafür, daß Sonnenlicht und Wärme wohltuende Auswirkungen auf das gesamte Haus zeigen. Vorsorglich errichteten die Architekten eine Pergola aus verzinktem Stahl, auf der eine Beschattung für die Glaskonstruktion angebracht werden könnte. Bis dato wurde diese jedoch nicht für notwendig erachtet, da der 40prozentige Punktraster am Dach ausreichend Schutz vor zu starker Einstrahlung bietet. „Wie der Name schon sagt“, meint Aneta Bulant-Kamenova, „handelt es sich um einen W i n t e r garten, der seine Qualitäten besonders in der kalten Jahreszeit ausspielt“. Seine Konstruktion betreffend, stellte der auf den ersten Blick unspektakulär wirkende Zubau, dem jede technoide Ästhetik fehlt, eine große technologische Herausforderung dar. Schließlich war er die erste in Österreich ausgeführte, geklebte Ganzglaskonstruktion.

Was ganz simpel erscheint, ist purer High-tech, der aufgrund seines Innovationsgrades und für die architektonische Qualität bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Darunter der renommierte Benedictus Award '98 für Innovationen im Bau mit laminiertem Glas. Die Hülle besteht aus Isolierglas, die Stützen und Balken aus dreischichtig verklebtem Verbundsicherheitsglas. Die auf dem Bild zu sehenden Metallhalterungen haben keinerlei konstruktive Funktion, sondern dienten nur als Montagehilfe während der Austrocknungszeit. Einzigartig ist auch die rahmenlose, drei Meter hohe Doppeltür aus Isolierglas. Die auf das Notwendigste entschlackte Glashülle ist ein Stück Baukunst, bei dem die Materialeigenschaften des Werkstoffs voll zur Geltung kommen, und gleichzeitig eine Schule der Wahrnehmung: durch das Glas hindurch betrachtet unterliegen die Konturen einem „Sfumato-Effekt“. Sie erscheinen weicher, leicht verschwimmend, unterschiedliche Licht- und Wetterverhältnisse erzeugen Spiegelungen und verschiedene Stimmungsbilder.

Glas dominiert auch bei den Apartments, die Hans Gangoly der historischen Bausubstanz von Gut Hornegg implantierte. Er gestaltete die Fassade als durchgehende Glashaut. Damit wird die reizvolle Landschaft Bestandteil des Wohnambientes und spiegelt sich dort, wo das Glas vor dahinterliegende Wandaufbauten geschichtet wurde, an der Fassade. Das regelmäßige Lüften sei das Um und Auf, sagt Gangoly, da nur wenig Speichermasse vorhanden und die Gefahr der Überhitzung groß ist. Beschattung und außenliegende Sonnenschutz-Screens sind unerläßlich, aber eben nicht alles. Die Nutzung eines „Glashauses“ erfordert neuen Umgang mit der Wohnung.

Der Grazer Architekt Ernst Giselbrecht „schätzt die Sonne und das Tageslicht sehr“. Glas erlaubt ihm wie kein anderes Material, lichtdurchflutete Wohnräume zu schaffen und läßt Räume außerdem größer wirken. Eine Tatsache, die besonders im sozialen Wohnungsbau ein Mehr an Wohnqualität bedeuten kann. Die Notwendigkeit, sparsam zu kalkulieren, gestattet hier aber in den seltensten Fällen den exzessiven Einsatz von High-Tech-Gläsern. Bei der von Giselbrecht geplanten Wohnanlage in Graz-Straßgang tragen große verglaste Loggien, deren Seitenscheiben über die Fassade hinausgeschoben werden können, wesentlich zu den innenräumlichen Qualitäten bei.

Nicht nur durchsichtig
Die Vorteile von Glas auf seine Durchsichtigkeit zu beschränken, wäre angesichts der Technologieschübe der vergangenen Jahrzehnte grob vereinfachend und unzureichend. Verschiedene Beschichtungsverfahren machen Glas transluzent oder opak, ermöglichen es den Lichteinfall zu lenken und die Sonneneinstrahlung zu absorbieren. Moderne hochwärmedämmende Isoliergläser weisen heute bereits bessere k-Werte auf als vor zwei Jahrzehnten massives Ziegelmauerwerk. Eingefärbte oder beschichtete Scheiben - wobei heute die Beschichtung kaum noch erkennbar ist - reflektieren einfallende Wärme und Licht. Gläser können ihr Verhalten je nach Lichteinfall ändern oder von durchsichtig auf undurchsichtig umgeschalten werden.

Um die klimatischen Verhältnisse im Innenraum in den Griff zu bekommen, ist eine sorgfältige Planung unabkömmlich. Es gilt ein komplexes System abzuwägen: Lüftung, Beschattung, Ausnutzung der ortsspezifischen klimatischen Bedingungen, Schallschutzmaßnahmen, Licht und - nicht zu vergessen - die haptische Qualität der Raumoberflächen.

Klimaanlagen würde Giselbrecht im Wohnbau nicht einsetzen, da erfahrungsgemäß für die Kühlung eines Gebäudes mehr Energieaufwand vonnöten ist als für die Beheizung.

Die breite Palette an Gläsern und die Vielzahl ihrer Kombinationsmöglichkeiten scheint tatsächlich alle erdenklichen Funktionen abzudecken, ist aber in ihrer Unüberschaubarkeit (nicht nur) für Laien höchst verwirrend. Kein Wunder, daß besonders im Wohnbau der Großteil des Gebauten nach wie vor dem traditionellen Muster von geschlossener Wand mit Fenstern folgt und zumindest auf diesem Sektor von den Visionen Paul Scheerbarts („Das neue Glas-Milieu wird den Menschen vollkommen umwandeln.“) noch weit entfernt ist. Völlig verglaste Räume zählen zu den Ausnahmen und werden immer noch dem Segment des Experimentellen zugeordnet.

Ein wirkliches Argument gegen Glas scheint vorerst noch der Kostenfaktor zu bleiben. Während der Preis für einen Quadratmeter verputzte Massivwand mit etwa öS 1.400,- kalkuliert wird, ist eine gleichwertige Glaswand nicht unter vier- bis fünftausend Schilling zu haben. Der Gewinn an passiver Sonnenenergie kann diesen Preisunterschied auch längerfristig nicht wettmachen. Giselbrecht wähnt die Entwicklung noch nicht am Ende. In absehbarer Zukunft, ist er überzeugt, wird auch im Hochbau die Möglichkeit bestehen, mit Sonnenenergie zu kühlen, wie dies zur Zeit in der Automobilindustrie bereits praktiziert wird. Dann gilt: Je stärker die Sonne ein Gebäude bestrahlt, umso mehr wird gekühlt. Das gläserne Zeitalter hat erst begonnen.

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