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Antwerpens hipper Hafen
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„Slow Urbanism“ in Antwerpen: Der Turm des neuen Museum aan de Stroom steht für die Neubelebung des alten Hafenbereiches. Das ehemalige Industrieviertel wird sorgfältig mit der Altstadt vernetzt.

11. Februar 2023 - Harald A. Jahn
In den Binnenstädten Europas sind es alte Bahnhofsanlagen, die die Begehrlichkeiten der Immobilienentwickler wecken; an den Küsten sind es die verlassenen Häfen, für die riesigen Containerschiffe zu klein geworden. Dabei entstehen wie in Hamburg gelegentlich spröde Investorenviertel; in Antwerpen setzt man nun auf den Altbestand und sorgfältige Vernetzung mit der Altstadt.

Es sind nur wenige Stationen mit der Straßenbahnlinie 7 vom Zentrum bis zur Sint-Pietersvliet, und die altmodischen Wagen aus den frühen 1970er-Jahren passen gut zur Stimmung des „Schipperskwartier“ – bis sich neben dem neugotischen Lotsenhaus das erste Hafenbecken, das Bonapartedok, öffnet. Hier steht auf einer Landzunge der rote Turm des neuen Museum aan de Stroom, kurz MAS: Es ist das Leuchtturmprojekt der Neubelebung des alten Hafenbereiches, der mit großer Sensibilität entwickelt wird. „Slow Urbanism“ nennt das die Stadtverwaltung heute, der Weg dahin war aber verschlungen. Die Idee, den alten Hafenbereich neu zu gestalten und die historischen Zeugnisse zu bewahren, entstand gegen Ende der 1970er-Jahre, auch unter dem Eindruck der damaligen Nachnutzung der „London Docklands“; davor war das Hafengebiet vor allem als Industriezone wahrgenommen worden.

Es dauerte dann mehr als ein Jahrzehnt bis zum Wettbewerb „Staad an de Stroom“, den der Katalane Manuel de Solà Morales 1993 gewann, als Antwerpen Kulturhauptstadt und die Aufbruchsstimmung spürbar war – aus finanziellen Gründen aber ein Strohfeuer, vorerst zumindest. Man hatte sich auch zu viel vorgenommen bei dieser Auslobung: Neben dem Eilandje, dem alten Hafenbereich, war der ganze stadtnahe Kai der Schelde bis zu den Docks südlich der Altstadt Teil des Projektgebietes.

Private Investoren füllten das Vakuum und bauten die stadtnahen Lagerhäuser entlang Bonapartedok und Willemdok zu todschicken Büros und Wohnungen um. Manches ging aber auch schief: Leider wurde ein wichtiges Baudenkmal geopfert, das Koninklijke Entrepôt, ein 1906 fertiggestelltes Lagerhaus im Stil des Historismus. Heute steht hier als östliche Begrenzung des Willemdoks ein Apartmentblock von Kollhoff & Pols, dahinter wuchert großvolumige Stahlbeton-Standardware entlang der Verkehrsschneise N1/Italiëlei.

Früher Arbeiter-, jetzt Ausgehviertel

Immerhin wurde der daran anschließende Güterbahnhof nicht ebenfalls mit Bürohochhäusern verbaut, sondern zum großen Landschaftspark, ein Segen für die angrenzenden alten Stadtviertel und sehr beliebt. Ebenso von Vorteil ist, dass die von der N1 nach Westen laufende Autobahnspange, genau zwischen Hafen und Altstadt, hier im Tunnel geführt wird; damit münden die Straßenzüge des Schipperskwartier – früher klassische Arbeiterwohngegend, heute ein junges Ausgehviertel mit trendigen Cafés, teils noch Rotlichtbezirk – direkt in die Kais der Hafenbecken, der Falconplein als „Hauptplatz“ des Bezirks genau in die zentrale Achse des Eilandje. Diese Landzunge zwischen Bonapartedok und Willemdok war drei Jahrhunderte lang Standort eines der wichtigsten Gebäude der Stadt, des Hansahuis oder Oosterhuis: Es war Wirtschaftssitz und Lagerhaus der Hansestädte in Antwerpen, erbaut im Jahr 1568, und so prominent, dass es beim Ausheben der beiden Docks zu Beginn des 18. Jahrhunderts seinen Platz behielt. 1893 brannte es ab, nach banaleren Folgebauten steht hier nun das MAS als zentrales Symbol des Hafenviertels, dessen Revitalisierung inzwischen endlich Fahrt aufgenommen hat. Das Museum am Strom, eröffnet 2011, ist ein Projekt von Neutelings Riedijk Architects Rotterdam; das Büro ist vor allem mit Großprojekten in den Niederlanden und Belgien erfolgreich. Museumsthema sind die Geschichte von Stadt und Hafen sowie die Verbindung von Antwerpen mit der Welt; als symbolische Brücke zwischen der historischen und zukünftigen Stadt ist das Thema passend gewählt. Der rote Turm wirkt auf den ersten Blick wie ein verdrehter Stapel von Containern, tatsächlich besteht aber jedes Geschoß aus einem Ausstellungsraum und einem vorgelagerten „Boulevard“, der sich um das Gebäude in die Höhe schraubt; der Weg führt spiralförmig über Rolltreppen nach oben. Dabei ist der Boulevard öffentlich und ohne Ticket begehbar, die letzte Ebene bietet dann als Terrasse einen grandiosen Blick auf die Innenstadt und das umliegende Hafengebiet.

Es geht nicht ohne Hochpunkte

Riedijk Architects sind Meister der Oberflächen: Sie bekennen sich zum sorgfältig gewählten Material und zum Ornament. Der indische Sandstein, der Fassade, Böden und Untersichten bedeckt, wurde von Hand abgebaut und hat seine starke Struktur ebenso behalten wie seine vier unterschiedlichen Rottöne; er soll die Anmutung eines Lagerhauses ausstrahlen, das Gewicht der Geschichte betonen. Silberne Hände – das Symbol der Stadt – liegen in regelmäßigem Muster auf den Fassadenplatten, die gewellte selbsttragende und rahmenlose Außenverglasung reflektiert das Licht und erzeugt damit keine dunkle Fensterfront: die Leichtigkeit der Gegenwart als Kontrast zur Schwere der Vergangenheit.

Auch in weiterer Folge prägt die klassische Blockbebauung das Bild, auch wenn es offensichtlich nicht ganz ohne Hochpunkte ging: Sechs Wohnhochhäuser, knapp 60 Meter hoch, stehen entlang des Westkaai am Kattendijkdok. Trotz bekannter Architektennamen sind es schlichte Klötze. Und weil man nie genug „Landmarks“ haben kann, hat sich auch Zaha Hadid hier verewigt. Am nördlichen Ende des Gebiets schwebt ein verzerrt-zackiges Schiff über der historischen Hafenfeuerwache: Showtime! Dass das „Schiff“ der Sichtachse vom MAS das plumpe Heck zukehrt, dass der Quadratmeterpreis durch die aufwendige Konstruktion exorbitant ist und vor allem der nun degradierte Altbau eigentlich ikonisch genug wäre: geschenkt. Immerhin lockt es Touristen in den noch auf sein Upgrade wartenden Teil des alten Hafens, in dem künftig etwa 5000 Menschen leben sollen.

Tatsächlich sind es aber die unspektakulären Areale, die die Stärke des „Inselchens“ ausmachen: kleinteilige Bebauung, Fassaden in klassischen Proportionen, gepflasterte Straßen. Es ist auch die Haptik, die die DNA einer Stadt definiert, und so fühlt sich das Viertel trotz seiner vielen Neubauten historisch gewachsen an – was es ja auch ist, der Straßenraster wurde weitgehend beibehalten. Eine deutliche Spur in die wahre Vergangenheit des Hafens macht das Migrationsmuseum der Red Star Line sichtbar, das sich mit der Emigration der Passagiere nach Nordamerika beschäftigt. Wie das MAS erzählt es von Seereisen, von Antwerpens Verbindung mit der Welt, allerdings in einer ganz anderen Betrachtung: Hier, in der alten Lagerhalle, wurden die Passagiere auf ihre Reise ohne Wiederkehr vorbereitet.

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