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Ein würdevolleres Leben für pakistanische Frauen
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Bauen für die Zukunft: So lautet der Auftrag von Yasmeen Lari, der ersten Architektin Pakistans. Galt es zunächst eine architektonische Sprache für den Aufbau des jungen Staates zu finden, unterstützt sie heute mit ihrer Zero-Carbon-Selbstbau-Bewegung die Ärmsten der Armen.

3. Mai 2023 - Franziska Leeb
Es ist nicht bloß die – längst fällige – Würdigung der Arbeit einer großen Architektin. Die Ausstellung, die das Architekturzentrum Wien derzeit der pakistanischen Architektin Yasmeen Lari widmet, ist auch Weckruf, über eine Architektur nachzudenken, die jenseits oberflächlicher Greenwashing-Methoden für Menschen und Natur Sorge trägt. Das 225 Millionen Einwohnerinnen zählende Pakistan ist das fünftbevölkerungsreichste Land der Welt und eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen, trägt aber selbst kaum dazu bei: Die CO2-Emission pro Person ist in Österreich siebenmal so hoch. Jede vierte Person lebt in Armut, fast die Hälfte der Kinder ist unterernährt, Frauen – sofern sie nicht der urbanen Oberschicht angehören – sind massiv von Diskriminierung betroffen.

Die in privilegierten Verhältnissen aufgewachsene Yasmeen Lari erhielt ihre Architekturausbildung in Oxford. 1964 kehrte die heute 82-Jährige nach Pakistan zurück, in ein Land, das sie kaum kannte. 1947 mit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft von Indien abgetrennt, befand sich der junge Staat im Aufbau und im Prozess der Nationenbildung. Auf der Suche nach Antworten, wie eine neue Architektur mit der pakistanischen Identität umgehen kann, bereiste die junge Architektin mit ihrem Mann, mit dem sie später die „Heritage Foundation Pakistan“ gründete, das Land.

Sie lernte das kulturelle Erbe kennen, kam erstmals mit der herrschenden Armut in Kontakt und wurde sich bewusst, wie sehr die über hundertjährige Kolonialherrschaft ihre eigene Sicht beeinflusst hatte – Erfahrungen, die ihre Arbeit durchgängig prägen. Sie nennt diese Zeit auch „meine Verlernphase“, denn während des Studiums „war Le Corbusier unser Gott“. Ihre ersten Bauaufgaben waren modernistische private Wohnhäuser, in den 1980er- und 1990er-Jahren machten sie prestigereiche Großbauten zur „Star-Architektin“.

Keine Zeit für Ruhestand

Zuvor hatte sie schon Widerständiges geleistet. Im Rahmen eines von der Regierung von Zulfikar Ali Bhutto ausgerufenen Wohnbauprogramms, im Zuge dessen 6000 Wohnungen errichtet werden sollten, erhielt sie 1973 den Auftrag für die 787 Wohnungen umfassende Siedlung Angoori Bagh in Lahore. Modernistische Plattenbausiedlungen galten zu der Zeit international als Standard. Lari hingegen orientierte sich an lokalen Bautraditionen, den klimatischen Verhältnissen und insbesondere den Bedürfnissen der Frauen.

So erweitern Höfe und Terrassen den Aktionsradius über die kleinen Wohnungen hinaus, ohne sich dem öffentlichen Blick auszusetzen, bieten Raum für spielende Kinder und Platz, um Hühner und Gemüse zu züchten. Frauen zu einem würdevolleren Leben zu verhelfen, das ist bis heute ihre Mission. Ihren im Jahr 2000 gefassten Plan, sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen und sich der Dokumentation und Bewahrung des kulturellen Erbes zu widmen, durchkreuzte fünf Jahre später das große Erdbeben in der Kaschmir-Region: „Es hat mein Leben verändert.“ Die Flutkatastrophen von 2010 und 2022, die Millionen von Menschen obdachlos machten, forderten sie erneut. In der Erkenntnis, dass die von den internationalen Hilfsorganisationen eingesetzten industrialisierten Bauweisen aus Beton und Stahl an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen, nutzte sie, die in Pakistan als lebende Legende gilt, ihr Wissen und ihren Einfluss und begründete eine Zero-Carbon-Selbstbau-Bewegung.

Seit einigen Jahren verbreitet sie über die sozialen Medien ihre Kurzvideos zu klimaneutralen Selbstbauweisen, die leicht verständliche Schritt-für-Schritt-Anleitungen für den Selbstbau von erdbeben- und flutresistenten Unterkünften liefern. „Soziale Barfuß-Architektur“ nennt sie das. Die traditionellen Häuser bestehen aus Lehm, Holz und Kuhdung, sie haben keine Fundamente und sind dementsprechend wenig gerüstet, um Erdbeben und Überflutungen standzuhalten. Yasmeen Lari nutzte ihre Erfahrungen aus der Denkmalpflege und entwickelte das System „Lari Octa Green (LOG)“. Dabei handelt es sich um achteckige Bauten, in deren wasserbeständiges Fundament aus Kalkziegeln vorgefertigte Bambusrahmen als leichte, robuste Tragkonstruktion eingespannt sind. Indem der Lehm für die Wände mit Kalk gemischt wird, löst er sich in Wasser nicht auf. Auf diese Weise entstehen auch Gemeinschaftshäuser – wie etwa das auf Stelzen stehende „Green Women's Centre“.

Eine Gesellschaft ohne Müll

Dieses ist ein Treffpunkt und Lernort für Frauen, in dessen Obergeschoß im Fall einer Flut auch Hausrat und Kleintiere in Sicherheit gebracht werden können. Im Repertoire sind zudem hygienische Sanitärräume, damit die Frauen nicht mehr darauf angewiesen sind, bei Dunkelheit die Büsche aufzusuchen. Der Würde und der Gesundheit zuträglich ist auch die von ihr entwickelte rauchfreie Selbstbau-Außenküche.

Um die Arbeit mit internationalem Know-how weiterzuentwickeln, pflegt Lari die Kooperation mit internationalen Architektur-Hochschulen. Als erste vor Ort waren Studierende der TU Wien unter der Leitung von Andrea Rieger-Jandl, Professorin am Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege, und Christine Lechner, beide im Vorstand des „Netzwerk Lehm“ für Forschung und Weiterbildung in Sachen Lehmbau engagiert. Mit Kolleginnen der University of Lahore betrieben sie Feldforschung im Pono Village in der Provinz Sindh.

Nicht nur die österreichischen Studierenden, auch jene aus Pakistan kamen dort erstmals in Berührung mit einer Gesellschaft, die keinen Müll produziert. Sie erstellten einen Bericht, der die Erkenntnisse aus der Analyse der lokalen Lehmarchitektur zusammenfasst und anderen Forschungsteams, zum Beispiel vom Polytechnikum Mailand oder der Cambridge University, zur Verfügung gestellt wird, um sukzessive Yasmeen Laris Ansatz weiterzuentwickeln. So wird der Bambus von relativ weit hertransportiert – ein Kritikpunkt, den Lari sofort aufnahm und Bambuspflanzen setzen ließ, um zu untersuchen, ob sie unter den örtlichen Bedingungen gedeihen. Weiters wurden Wandsysteme entwickelt, um bei der Ausfachung der LOG-Bambusstruktur ohne Kalk auszukommen. Eine Flut würde dann zwar den Lehm wegspülen, die Wände könnten aber innerhalb kürzester Zeit von den Familien mit kostenlos vor Ort vorhandenem Lehm repariert werden.

Was wir aus der inhaltlich dichten Ausstellung lernen: Architektur muss Vergangenheit und Gegenwart, Politisches, Soziales, Ökonomie und Ökologie in Zusammenhang bringen, um gerecht, sozial und klimafreundlich zu sein.

Yasmeen Lari erhält im Juni die Royal Gold Medal for Architecture vom Royal Institute of British Architects (RIBA).

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