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Die Venezianer müssen draußen bleiben
Spectrum

Der österreichische Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig zielte heuer darauf ab, den Bewohnern der Umgebung die Hälfte des Pavillons für eigene Initiativen zu überlassen. Daraus wurde nichts: Weder durfte die Trennmauer geöffnet noch eine Brücke installiert werden.

26. Mai 2023 - Harald A. Jahn
Es sind stille, breite Straßen hinter dem größten Park Venedigs, kaum beachtet vom Massentourismus, der die Stadt zwischen Bahnhof und Markusplatz so zerzaust: Sant'Elena ist der östlichste Teil der Stadt, durch den kleinen Giardini-Kanal getrennt vom Rest der Stadt, bebaut erst vor hundert Jahren. Hier reparierten die städtischen Verkehrsbetriebe früher ihre Vaporetti, feiern Fußballfans im kleinen Stadion; in einer Marineschule werden Kadetten auf ihre Karriere zur See vorbereitet.

Wie in jeder italienischen Stadt treffen sich die Bewohner des Viertels in der Bar an der Ecke unter den riesigen Bäumen des Parco delle Rimembranze. Er ist Erweiterung des großen von Napoleon angelegten Gartens auf der anderen Seite des Kanals, der heute von der Biennale besetzt ist. Dort drüben, in den Giardini Pubblici, war die Keimzelle der riesigen Kunstmaschine, die heute Venedig beherrscht: Der Palazzo dell'Esposizione, heute zentraler Pavillon, wurde 1895 eröffnet und wucherte später durch allerlei Anbauten in den ursprünglich öffentlichen Park; bald darauf entstanden die ersten Länderpavillons, und so wurde immer mehr Grünfläche der Allgemeinheit entzogen.

1932 kam ein weiterer Bereich zum Ausstellungsgelände dazu: Nun übersprang die Kunstausstellung den Giardini-Kanal, entzog ihn den Bewohnern von Sant'Elena, ein Streifen des Parco delle Rimembranze wurde ummauert. Hier, in weitester Entfernung zum Besuchereingang, steht auch der österreichische Biennale-Pavillon von 1934. Ausgesperrt sind damit aber die Bewohner von Sant'Elena, ihnen kehrt die Biennale den Rücken, obwohl sogar einige teils vermauerte Türen die Mauer perforieren. Hinter dem österreichischen Pavillon liegt ebenfalls eine solche Tür, und sie war Inspiration für das 17-köpfige Architektenkollektiv AKT, das den diesjährigen Beitrag konzipierte: die Öffnung der Biennale zur Stadt, zu den Einwohnern.

Ein Zukunftslabor will die Biennale heuer sein, was läge also näher, als sich der Zukunft Venedigs zu widmen: Gerade Sant'Elena mit seinen vergleichsweise modernen Wohnbauten könnte der Möglichkeitsraum sein, in dem sich die Stadt neu erfindet. AKT plante zusammen mit Hermann Czech eine Zweiteilung des symmetrischen Pavillons: eine Hälfte für die Biennale-Besucher, die andere für die Bewohner des Stadtviertels, für deren Initiativen Räume fehlen. Eine Grenzverschiebung zugunsten der bisher unbekannten Nachbarn also – zwar nicht zu überschreiten, jedoch Einladung zur Kommunikation.

Nun zeigte sich aber die Diskrepanz von Anspruch und Realität der mächtigen Biennale-Organisation: Der Denkmalschutz wurde vorgeschoben, erst um die Öffnung der Mauer und dann auch die ersatzweise Überbrückung mit einer Stahlkonstruktion zu verhindern, man fürchtete einen Präzedenzfall. Deshalb liegen jetzt die vorbereiteten Teile der geplanten Brücke im Hof des Pavillons, führt der bereits montierte Stiegenaufgang ins Nichts. Dabei betonte gerade Lesley Lokko, die Gesamtkuratorin der heurigen Biennale, den Mehrwert des Teilens, des Abtretens von Macht oder Raum: ein brennendes Thema in der Wasserstadt, deren verbliebene Einwohner zwischen den Interessen mächtiger Lobbys zerrieben werden, und die sich immer deutlicher gegen deren wirtschaftliche Macht positionieren. Für AKT ist der österreichische Beitrag daher auch ein Stresstest für die mächtige Biennale, die seit ihrer Umwandlung in eine Stiftung 2004 immer restriktiver wurde; die Ablehnung des Konzepts war fast vorauszusehen. Dabei ist die Dominanz der Biennale inzwischen in ganz Venedig spürbar, nicht nur in den Giardini, auch im Arsenale, dem seit 1980 zweiten Austragungsort der „Weltkunst-Olympiade“, und im Stadtgebiet: Während Plattformen wie Airbnb mit der Bevölkerung in Wettstreit um leistbaren Wohnraum treten, konkurriert die Biennale bei der Vermittlung von Ausstellungsflächen für die „Collateral Events“ in der ganzen Stadt mit dem Einzelhandel und Kleingewerbe und forciert damit die touristische Monokultur.

Im Arsenale, dem historischen Werftgebiet, das wie ein Korken die östlichsten Stadtteile vom Kerngebiet abtrennt, unterläuft die Organisation jeden Versuch, öffentliche Durchwegungen zu schaffen ebenso wie die Nachnutzung der von der Marine verlassenen, brachliegenden Werfthallen und Freiräume. Dabei trat die erste Architekturbiennale 1980 dort eigentlich auch an, um das vorher unzugängliche militärische Sperrgebiet als städtischen Raum zu erschließen. Die Kritik der schrumpfenden Bevölkerung bleibt bei alledem ungehört, zu sehr ist die Biennale Cashcow, zu stark wachsen die Besucherzahlen: Gab es Ende der 1990er-Jahre noch einen Gleichstand von Besuchern und Bewohnern, stehen nun 50.000 Einwohnern knapp 300.000 Besuchern der Architekturbiennale gegenüber – und die Kunstbiennale mit mehr als 800.000 zahlenden Gästen im Jahr 2022 macht die Argumente der Bevölkerung sowieso irrelevant.

Zurück nach Sant'Elena, in das stille Viertel jenseits des Trubels. Hier versucht die Stadtgemeinde gerade einen neuen Anlauf zur Wiederbelebung: Auf dem Vaporetti-Werftgelände soll neue Wohnbebauung ausschließlich für dauerhaften Aufenthalt geschaffen werden, trotz Leerstands etlicher bestehender Sozialwohnungen; wie lange sich die Neubauten künftig gegen die Kurzfristvermietung werden sperren können bleibt abzuwarten. Währenddessen schauen die Menschen weiterhin auf die undurchdringliche Rückwand der während des italienischen Faschismus entstandenen Pavillons. In manchen Bereichen der Giardini-Mauer sind noch Reste alter Wohnhäuser zu erkennen, die einfach mitverwendet wurden – ihre zugemauerten Fenster erinnern ein wenig an die Bernauer Straße in Berlin, wo die Hausfassaden einige Jahre lang die Außengrenze des undurchdringlichen „antifaschistischen Schutzwalls“ bildeten.

Und im österreichischen Pavillon, der bewusst wie eine halb fertige, überstürzt verlassene Baustelle wirkt, steht das Gerüst des Stiegenaufgangs zur nicht genehmigten Brücke wie ein sehnsüchtiger Aussichtspunkt: wie seinerzeit an der Sektorengrenze zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Arm und Reich, zwischen Kunstkommerz und echtem Leben.

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