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Einheit von Architektur und Ingenieurskunst
Neue Zürcher Zeitung

Jürg Conzett - ein Meister der Baukonstruktion

6. August 1999 - Lutz Windhöfel
In ihrer Zukunfts- und Technikeuphorie stellte die moderne Baukunst Materialien wie Stahl, Beton und Glas in den Vordergrund. Das Holz, lange an den Rand gedrängt, erlebt seit fünfzehn Jahren eine eigentliche Renaissance. Und diese ist in Graubünden nicht zuletzt mit dem Namen Jürg Conzett verbunden. Der 1956 geborene Bündner, für den Christian Menn ein wichtiger Lehrer war, arbeitete von 1981 bis 1988 im Atelier Zumthor in Haldenstein bei Chur. Er hat das Schaffen des heute international bekannten Büros fast seit den Anfängen begleitet. Für die Kapelle Sogn Benedetg, die 1988 geweiht wurde und die Arbeit Zumthors erstmals ins mediale Licht zog, errechnete Conzett die Geometrie der ellipsoiden Holzkonstruktion. Im Atelier Zumthor lernte er Dieter Jüngling und Andreas Hagmann, Valentin Bearth oder Conradin Clavuot kennen. Alle diese Architekten haben inzwischen den Sprung in die Selbständigkeit geschafft, und mit allen plant und baut Conzett immer noch gemeinsam.

Conzett legt Wert auf die Tatsache, dass sich das Büro «Conzett, Bronzini, Gartmann» (Chur) rund zur Hälfte mit Tiefbau beschäftigt. Den Strassenbau bezeichnet der Ingenieur ausdrücklich als Architektur. Seit 1992 arbeitet er an Bestandesaufnahmen und Konzepten für neue Stützmauern im und für den Kanton Graubünden. Und wer sich gerade den alpinen Strassenbau der letzten Jahrzehnte anschaut, bei dem es meist um schnelle und kostengünstige Realisationen unter Einsatz modernster Bautechnologie ging, versteht zwei Dinge: zum einen das ästhetisch-gestalterische Vorurteil, welches dem Strassenbau keine ernstzunehmende Stimme in der Debatte um vorbildliche, zeitbezogene Formgebung zugestand; zum anderen die Konsequenzen von Conzetts Vision, denn die verkehrstechnischen Architekturen sind im urbanen Bauen der westlichen Welt omnipräsent. Könnte man im Denken der Planer den Faktor Qualität neben und gleichberechtigt mit jenem des politischen Pragmatismus und der ökonomischen wie statischen Haltbarkeit etablieren, wäre dies weit einflussreicher als jede gute Einzelarchitektur. Selbst wenn diese gehäuft auftritt.

In den letzten zehn Jahren waren Conzett und der ähnlich denkende und ebenfalls erfolgreich operierende Ingenieur Jürg Buchli praktisch überall beim Entstehen der neuen Bündner Baukultur beteiligt. Conzett baute mit Jüngling & Hagmann die neue HTL in Chur, mit Bearth & Deplazes die Mehrzweckhalle in Alvaschein, mit Conradin Clavuot eine Transformatorenstation im Prättigau oder mit Gion A. Caminada eine Mehrzweckhalle in Vrin und ein Schulhaus in Duvin.

Am Beispiel von neuen Schulbauten in Biel und Basel kann Conzett seine Vorstellungen von der Kooperation zwischen Architekt und Ingenieur gut charakterisieren. Bei der Schweizerischen Holzfachschule in Biel, die er gerade mit den Architekten Meili & Peter fertiggestellt hat (und die im August eröffnet wird), strebte Conzett eine Synthese von Wand und Decke an. Gleiches gilt für das Volta-Schulhaus in Basel, das gegenwärtig vom Nachwuchsteam Miller & Maranta realisiert wird. Wenn Architekt und Ingenieur eine Gleichwertigkeit (gestalterisch wie statisch) von Wand und Decke anstreben, ist der Werkstoff (etwa Holz oder Beton) austauschbar. Entscheidend wird, dass das Konstruktions- mit dem Gestaltungselement so selbstverständlich auftritt wie die selbsttragende Karosserie eines Autos. Zum Skelettbau verhält sich dieses Prinzip antithetisch. Das fertige Haus (die Brücke, die Strasse) soll eine unsichtbare Verbindung von Konstruktion und Form oder von Statik und Ästhetik sein.

Eine Architektur hat Jürg Conzett bisher im Ausland mitrealisiert. 1995 wurde im steirischen Murau die raffinierte Konstruktion einer Brücke eingeweiht, die Meili & Peter entworfen hatten. Gerade wurde Conzett mit einem grossen Preis des Wettbewerbs «Neues Bauen in den Alpen» ausgezeichnet.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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